Spruch:
Der Antrag der klagenden Partei, im Sinne des § 28 Abs.1 Z 2 JN ein österreichisches Landes- oder Kreisgericht, vorzüglich das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, als das für die Verhandlung und Entscheidung über die Klage örtlich zuständige Gericht zu bestimmen, wird abgewiesen.
Text
Begründung
Die klagende Partei beabsichtigt, gegen die beiden beklagten Parteien vor einem österreichischen Gericht eine Klage auf Feststellung einzubringen, daß ihr diese zur ungeteilten Hand für alle Schäden haften, die ihr aus dem nuklearen Ereignis (Reaktorunfall) in Tschernobyl bei Kiew, UdSSR, am 25.4.1986 und an den folgenden Tagen noch entstehen werden. Sie beantragt, der Oberste Gerichtshof möge im Sinne des § 28 Abs.1 Z 2 JN ein österreichisches Landes- oder Kreisgericht, vorzüglich das Landesgericht für ZRS Wien, als das für die Verhandlung und Entscheidung über die Klage örtlich zuständige Gericht bestimmen. Die Feststellungsklage soll im wesentlichen auf nachstehendes Vorbringen gestützt werden:
Zufolge des nuklearen Ereignisses in Tschernobyl sei die Radioaktivität in Österreich bis zum 200-fachen der normalen Werte angestiegen. Jede radioaktive Strahlung sei gesundheitsgefährdend, ja sogar gesundheitsschädlich. Die klagende Partei, eine österreichische Staatsbürgerin, habe sich seit dem Eintreffen der radioaktiven Substanzen auf dem Gebiet der Republik Österreich, insbesondere in Wien und Kärnten, aufgehalten und sei demnach der radioaktiven Strahlung ausgesetzt gewesen. Es sei zu befürchten, daß sie dadurch gesundheitliche Schäden bereits erlitten habe oder in Zukunft an Spätfolgen der Bestrahlung erkranken werde. Sie habe insbesondere wegen der Verjährungsgefahr ein Interesse daran, daß so bald wie möglich gerichtlich festgestellt werde, wer für die Schäden aus dem Unfall von Tschernobyl nach welchem Recht hafte. Ursache des Unfalls sei menschliches Versagen gewesen. Die Haftung treffe die beklagten Parteien als Betreiber des Atomkraftwerkes Tschernobyl. Die erstbeklagte Partei habe der I*** A*** E*** A*** (I***) mitgeteilt, daß sie selbst das Kernkraftwerk von Tschernobyl durch ihr Ministerium für Kraftwerke in der UdSSR betreibe und sich dabei der zweitbeklagten Partei als selbständiger Verwaltungseinheit (mit eigener Rechtspersönlichkeit) bediene. In der von der I*** im April 1986 herausgegebenen Broschüre "Nucelar Power Reactors in the World" werde als Betreiber der vier Reaktoren von Tschernobyl das "Ministry of Power Stations of the USSR" (dem keine eigene Rechtspersönlichkeit zukomme) genannt. Hilfsweise werde jeder andere denkbare Haftungsgrund, hinsichtlich der erstbeklagten Partei insbesondere die mangelnde Aufsicht über das Kernkraftwerk in Tschernobyl, geltend gemacht. Ausländische Staaten seien in Angelegenheiten ihrer Privatwirtschaftsverwaltung, um die es sich hier handle, von der österreichischen Gerichtsbarkeit nicht ausgenommen.
Der Ordinationsantrag wird im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Oberste Gerichtshof habe ihren Ordinationsantrag betreffend eine nahezu gleichlautende, nur gegen die nunmehr erstbeklagte Partei gerichtete Klage zu 7 Nd 502/88 unter Hinweis darauf abgewiesen, daß ihr die Klageführung in der UdSSR zuzumuten sei; die Annahme, eine Befassung der Gerichte der UdSSR würde zu einer Rechtsverweigerung führen, sei nicht bescheinigt worden. Seither habe sie durch ihren Vertreter verschiedene Schritte unternommen, um in der UdSSR Klage zu führen. Das, was sie durch diese Bemühungen erfahren habe, komme aber einer Rechtsverweigerung gleich. Zwei an die Botschaft der UdSSR in Wien gerichtete Ersuchen um schriftliche Mitteilung, welches Gericht der UdSSR für eine Schadenersatzklage im Zusammenhang mit dem Nuklearunfall in Tschernobyl zuständig sei, seien unbeantwortet geblieben. Aus der mit der österreichischen Botschaft in Moskau (die einen renommierten Moskauer Anwalt konsultiert habe) geführten Korrespondenz ergebe sich, daß die Betreibereigenschaft der UdSSR bestritten werde, die Zuerkennung eines Schadenersatzes einen tatsächlichen Schadenseintritt, die Quantifierung des Schadens sowie einen entsprechenden Kausalzusammenhang verlange, wobei die Behauptung einer 200-fachen Überschreitung des normalen Maßes der radioaktiven Strahlung nicht genüge und keine Erfolgshaftung bestehe, und eine Feststellungsklage nicht möglich sei. Das angestrebte inländische Gerichtsverfahren führe nicht bloß zur Schaffung eines nicht vollstreckbaren Erkenntnisses. Für die Hereinbringung der Prozeßkosten gebe es ausreichendes Vermögen der UdSSR in Österreich, das ausschließlich nicht hoheitlichen Zwecken diene (Donauschiffe, Kraftfahrzeuge). In 5 Nd 509/87 habe der Oberste Gerichtshof das Vorhandensein eines der Exekution zugänglichen Vermögens der CSSR in Österreich bejaht, ohne eine Bescheinigung in dieser Richtung zu fordern.
Rechtliche Beurteilung
Die Voraussetzungen für eine Ordination sind nach wie vor nicht gegeben.
Eine Ordination nach § 28 Abs.1 Z 2 JN hat stattzufinden, wenn die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre, wobei der Kläger gemäß § 28 Abs.2 Satz 2 JN das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu behaupten und zu bescheinigen hat. Bereits in den Entscheidungen 3 Nd 511/87 JBl.1988, 323 und 7 Nd 502/88 wurde ausgesprochen, daß es nicht Sache der österreichischen Justiz sein kann, ein umfangreiches, langwieriges und kostspieliges Verfahren abzuführen, wenn fast alles dafür spricht, daß das Ergebnis nur ein wertloses Schriftstück sein kann. Ein der beabsichtigten Feststellungsklage stattgebendes Urteil eines österreichischen Gerichtes würde in der UdSSR mangels eines Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages voraussichtlich nicht anerkannt werden. Daß ein solches Urteil der Vollstreckbarkeit eines künftig in Österreich zu erwirkenden, auf Schadenersatz gerichteten Leistungsurteils dienlich sein könnte, scheidet schon deshalb aus, weil es an konkreten Behauptungen und einer Bescheinigung in der Richtung fehlt, daß in Österreich auf ein der Exekution unterliegendes Vermögen der beklagten Parteien gegriffen werden könnte (zum Erfordernis der konkreten Behauptung und Bescheinigung in dieser Beziehung vgl. die Besprechung der eine Unterlassungsklage betreffenden Entscheidung 5 Nd 509/87 von Böhm in JBl.1988, 461). In den vorgenannten beiden Entscheidungen wurde auch bereits des näheren dargelegt, daß die Rechtsverfolgung im Ausland grundsätzlich zumutbar ist, wenn nur ein dort eingeleiteter Rechtsstreit zur Durchsetzung der Forderung des Klägers führen kann, in welchem Fall der Kläger die mit einer Prozeßführung im Ausland verbundenen Schwierigkeiten sowie die Probleme, die daraus entstehen könnten, daß die Kollisionsnormen und die Sachnormen des materiellen Schadenersatzrechtes der UdSSR von den österreichischen Bestimmungen abweichen oder daß nach dem Prozeßrecht der UdSSR andere Verfahrensgrundsätze gelten als in Österreich, auf sich nehmen muß. Nur derartige Schwierigkeiten und Probleme, nicht aber die Annahme, eine Befassung von Gerichten der UdSSR würde auf jeden Fall zu einer Rechtsverweigerung führen, hat die klagende Partei nunmehr behauptet und bescheinigt. Es fehlen vor allem Anhaltspunkte dafür, daß allfällige Schadenersatzansprüche ohne Erhebung einer Feststellungsklage in drei Jahren ab dem Reaktorunfall verjähren würden, auch wenn bisher ein Schaden noch nicht eingetreten und auch ein künftiger Schadenseintritt noch nicht mit Sicherheit vorhersehbar ist (vgl. dazu Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 317 und Brunner-Schmidt in VersR 1986, 842). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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