OGH 4Ob99/23x

OGH4Ob99/23x25.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. März 2023, GZ 3 R 194/22d‑35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00099.23X.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen trugen auf Antrag des klagenden Verbraucherschutzvereins der beklagten Anbieterin von Internetprodukten auf, die irreführende Geschäftspraktik (§ 2 UWG) zu unterlassen, für ihre Internet-Produkte eine Datenübertragungsgeschwindigkeit zu behaupten, wenn sie in ihren Produktinformationen für diese Produkte eine normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit angibt, die den ursprünglich behaupteten Wert unterschreitet, es sei denn, sie weist darauf ausreichend deutlich hin – wobei der bloße Hinweis „alle Geschwindigkeitsangaben sind als Maximalangabe zu verstehen“ oder „bis zu“ nicht ausreicht, wenn die in den Entgeltbestimmungen oder Leistungsbeschreibungen angegebene normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit mehr als geringfügig, insbesondere mehr als 10 % unter der behaupteten (Maximal-)Angabe liegt. Weiters wurde der Kläger zur Urteilsveröffentlichung in der „Kronen Zeitung“ ermächtigt und die Beklagte dazu auf ihren Websites verpflichtet.

[2] Dem lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Beklagte ihre Internetprodukte im Internet mit einer Datenübertragungsgeschwindigkeit von 300 MBits/s bewarb, während sie durch unauffällig gestaltete Hinweise darüber informierte, dass die normalerweise zur Verfügung stehende Datenübertragungsgeschwindigkeit wesentlich geringer ist, nämlich nur 59,73 % bzw 68,26 % des behaupteten Ausmaßes erreicht.

[3] Die Beklagte beantragt mit ihrer außerordentlichen Revision die Klagsabweisung samt Urteilsgegenveröffentlichung und regt ein EuGH‑Vorabentscheidungsersuchen an. Es bestehe divergierende zweitinstanzliche Rechtsprechung darüber, ob die Verwendung von „bis zu“ einen unzulässigen Anlockeffekt ausschließe. Weiters fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob die Klagebefugnis des Klägers nach § 14 UWG neben Verbrauchern auch den rein unternehmerischen Bereich umfasse; sowie auch zum Verhältnis zwischen der RL‑UGP bzw deren Umsetzung in § 2 UWG und der Netzneutralitäts-Verordnung (EU) 2015/2120 (TSM‑VO).

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Revision ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

[5] 1.1. Ob eine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769; RS0112921 [T5]). Diese Revisionsvoraussetzung fällt weg, wenn die strittige Rechtsfrage bereits durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geklärt wurde (RS0112769 [T12]), wobei eine (ausführlich begründete) Entscheidung für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung ausreicht (RS0103384 [T5]). Dies ist hier in Bezug auf die in der Revision aufgezeigten Rechtsfragen der Fall.

[6] 1.2. Der Senat hat in der kürzlich ergangenen Entscheidung 4 Ob 80/23b, der ein nahezu identischer Sachverhalt und ein fast wortgleiches Klagebegehren zugrunde lagen, die Werbung des dort beklagten Internetproviders mit einer bestimmten Datentransfergeschwindigkeit, die üblicherweise nur zu 57,78 % bzw zu 51,2 % erreicht wird, als irreführende Geschäftspraktik gemäß § 2 UWG beurteilt. Dabei wurde auch klargestellt, dass ein bloßer Hinweis auf eine Maximalgeschwindigkeit („bis‑zu‑Angaben“) in der dort zu beurteilenden Konstellation nicht ausreicht. Die dementsprechende Beurteilung der Vorinstanzen im hier gegenständlichen Fall deckt sich mit dieser Rechtsprechung und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[7] 2. Zur Frage der Aktivlegitimation erwog die genannte Entscheidung (mit ausführlicher Begründung), dass kein Anlass besteht, die Aktivlegitimation des Konsumentenschutzverbands im Zusammenhang mit (auch für Verbraucher) irreführender Werbung auf den B2C‑Bereich zu beschränken. Dieses weite Verständnis der Klagebefugnis ergibt sich ua schon aus dem Gesetzestext.

[8] 3.1. Weiters wurde zu 4 Ob 80/23b ausgeführt, dass die Rechtsfolgen der TSM‑VO auf der einen Seite und der UGP‑RL bzw des UWG auf der anderen Seite einander nicht ausschließen. Es ist einem Internetserviceprovider nämlich ohne Weiteres möglich, gemäß Art 4 Abs 1 lit d TSM‑VO die beworbene Geschwindigkeit im Vertrag anzuführen, auch wenn er seine Werbung mit Datentransfergeschwindigkeiten in Entsprechung von § 2 UWG so formuliert, dass sie beim Durchschnittsverbraucher keine unzutreffenden Erwartungen weckt. Normzweck der TSM‑VO ist die gleichberechtigte und nichtdiskriminierende Behandlung des Datenverkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten, der Schutz von und die Vertrauensbildung bei Endnutzern, der Erhalt des „Ökosystems“ Internet als Innovationsmotor sowie die Angleichung der Preise und anderen Bedingungen in der Union (ErwG 1). Diese Zwecke stehen in keinem Gegensatz zu den Zielen des UWG bzw der RL‑UGP, sondern werden durch die Vermeidung irreführender Werbung sogar optimal gefördert.

[9] 3.2. Der Anregung der Beklagten auf Einleitung eines EuGH‑Vorabentscheidungsverfahrens zur Frage des Zusammenspiels zwischen UGP‑RL (bzw UWG) und TSM‑VO ist nicht nahezutreten, weil die Anwendung des Unionsrechts offenkundig ist (RS0082949 [T2, T3, T7]), zumal die TSM‑VO und die UGP‑RL unterschiedliche Regelungsgegenstände haben und (wie ausgeführt) nebeneinander zur Anwendung kommen können, ohne miteinander in Konflikt zu geraten.

[10] 4. Auch im Zusammenhang mit der Leistungsfrist und der Urteilsveröffentlichung zeigt die Revision keine (groben) Fehlbeurteilungen des Berufungsgerichts auf.

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