OGH 4Ob94/04h

OGH4Ob94/04h25.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* AG, *, vertreten durch attorneys at law leuprecht & zoller Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. E* GmbH KG, *, 2. Erich L* GmbH, *, 3. N* GmbH & Co KG, *, alle vertreten durch Tinzl & Frank Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 38.662,75 EUR sA und Feststellung (Streitwert 36.336,42 EUR), infolge Revision der Erst- und Zweitbeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2004, GZ 2 R 236/03b‑69, mit dem infolge Berufung der Erst- und Zweitbeklagten das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 10. September 2003, GZ 15 Cg 127/01f‑62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2004:E73621

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Erst- und die Zweitbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 2.025,35 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 337,56 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 24. 2. 1998 feuerte ein bei der Klägerin Haftpflicht versicherter (in der Folge: Versicherungsnehmer) bei einer Faschingsveranstaltung in F* Feuerwerksraketen ab. Dabei stieg der letzte gezündete Feuerwerkskörper nicht auf, sondern explodierte verfrüht. Ein etwa 10 bis 15 m vom Abschusspunkt entfernter Zuschauer wurde durch einen Splitter des explodierenden Feuerwerkskörpers am rechten Auge schwer verletzt.

Der Versicherungsnehmer der Klägerin wurde rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB schuldig erkannt, weil er im Ortsgebiet entgegen § 4 Abs 4 Pyrotechnikgesetz Feuerwerksraketen gezündet und keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den Zuschauern eingehalten hatte. Die Klägerin befriedigte als Haftpflichtversicherin Schadenersatzansprüche des verletzten Zuschauers und Regressansprüche von dessen Krankenversicherer. Sie hat an Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung, für Verdienstentgang und an Ersatz verschiedener Kosten insgesamt 77.543,51 EUR gezahlt.

Die Erstbeklagte vertreibt Feuerwerkskörper, die sie aber nicht selbst herstellt; die Zweitbeklagte ist ihre persönlich haftende Gesellschafterin. Die Drittbeklagte erzeugt Feuerwerkskörper; ihre Feuerwerkskörper werden neben denen anderer Hersteller von der Erstbeklagten vertrieben.

Die Drittbeklagte versieht die von ihr hergestellten Feuerwerkskörper mit folgendem Aufdruck:

„Rakete mit dem Leitstab so in eine feststehende, geeignete Halterung (zB Rohr) stecken, dass die Rakete ungehindert senkrecht aufsteigen kann. Schutzhülse entfernen. Das äußerste Ende der Zündschnur entzünden und sich rasch entfernen. Nur im Freien verwenden! In Deutschland und in Österreich ist die Abgabe an Personen unter 18 Jahren verboten."

Die Drittbeklagte war von 5. 8. 1971 bis zum Schluss der Verhandlung an der Erstbeklagten und an der Zweitbeklagten beteiligt; ihr Geschäftsführer war vom 21. 5. 1993 bis 4. 12. 2002 auch alleinvertretungsbefugter Geschäftsführer der Zweitbeklagten.

Schreiben der Klägerin an die Erstbeklagte mit der Aufforderung, zum Schadensfall grundsätzlich Stellung zu nehmen, beantwortete die Drittbeklagte mit Schreiben vom 30. 6. 1999 dahin, dass die Firma Erstbeklagte zur N*‑Unternehmensgruppe gehöre und das diesbezügliche Anliegen durch die N*‑Unternehmenszentrale bearbeitet werde. Mit Schreiben vom 12. 7. 1999 nahm die Drittbeklagte inhaltlich zum Schadensfall Stellung.

Die vom Versicherungsnehmer der Klägerin abgefeuerten Feuerwerksraketen stammten aus einem Papierwarengeschäft, das sämtliche Feuerwerkskörper von der Erstbeklagten bezieht. Die Raketen werden in Plastiksäcken geliefert, die an der oberen Seite mit einen Pappestreifen verschlossen sind. Im Sortiment des Geschäfts befanden sich auch einzelne Feuerwerkskörper, die nicht in Plastiksäcke verpackt, sondern nur zu mehreren mit einem Klebeband verbunden waren. Bis Silvester 1997 wurden die Feuerwerkskörper im Geschäft zum Verkauf angeboten; danach wurde der Restbestand in einem trockenen, unbeheizten Lagerraum aufbewahrt. Die Raketen wurden durch allfällige Minustemperaturen nicht geschädigt; der hölzerne Leitstab der Raketen war weder abgebrochen noch geknickt; auch zu sonstigen Beschädigungen kam es nicht.

Es steht nicht fest, ob die verfrüht explodierte Rakete von der Drittbeklagten oder von einem anderen Lieferanten der Erstbeklagten hergestellt wurde. Ebenso wenig steht fest, ob auf der Rakete der Hersteller, der Importeur oder der Firmenwortlaut der Erstbeklagten aufgedruckt war.

Bis zum Faschingsumzug bewahrte der Vater des Versicherungsnehmers der Klägerin die Raketen in einem Karton in einem geschlossenen und trockenen Raum auf. Auch während dieser Zeit wurden die Raketen nicht beschädigt. Der Versicherungsnehmer der Klägerin erhielt die Raketen unmittelbar vor dem Feuerwerk von seinem Vater.

Die Raketen wurden in einer Baggerschaufel gezündet, die etwa 2 bis 4 m angehoben war. Der Bagger war in einer Seitenstraße zum Dorfplatz abgestellt. Auf der Baggerschaufel waren 6 abgeschnittene Wasserrohre mit einer Länge von ca 30 bis 40 cm und einem Durchmesser von 2 cm in einem Abstand von etwa jeweils 40 cm zueinander unmittelbar nach der Schneidkante (30 bis 40 cm im Schaufelinneren) angeschweißt. Dabei waren alle Rohre in gleicher Weise senkrecht bis ganz leicht nach vorne geneigt an der Baggerschaufel stabil angebracht. Die Enden der Wasserrohre waren nicht gezackt. Es steht nicht fest, ob die Tatsache, dass die Baggerschaufel angehoben war, die Gefahr erhöht hat.

Die Zuschauer wurden nicht angewiesen, einen Sicherheitsabstand einzuhalten. Der Vater des Versicherungsnehmers sorgte nur dafür, dass sich niemand unmittelbar unter oder neben der Baggerschaufel aufhielt. Der Unfall wäre vermieden worden, wäre ein Sicherheitsabstand von 50 m von der Baggerschaufel eingehalten worden.

Die Raketen wurden in die Rohre gesteckt und vom Versicherungsnehmer der Klägerin gezündet. Beim Abfeuern ist kein Handhabungsfehler unterlaufen; die Raketen wurden vor dem Abschuss nicht mechanisch beschädigt. Weder der Versicherungsnehmer der Klägerin noch dessen Gehilfe haben den Aufdruck auf den Feuerwerkskörpern gelesen. Die letzte Rakete detonierte nach einem kurzen Zischen in einer Höhe von 2 bis 4 m und verletzte - wie eingangs geschildert - einen Zuschauer.

Die Rakete war im Zeitpunkt des Inverkehrbringens mit einem Fehler im Effekt- oder im Treibsatz behaftet. Dadurch kam es zur verfrühten Detonation und in der Folge zur schweren Verletzung des Zuschauers.

In Fachkreisen ist bekannt, dass Feuerwerkskörper derartige Mängel aufweisen können. Ob die Mängel bei Kontrollen während oder nach der Produktion bei den Herstellern erkennbar sind, steht nicht fest. Ebenso wenig steht fest, ob und allenfalls mit welchem Inhalt auf der verfrüht explodierten Rakete eine Gebrauchsanweisung aufgedruckt war.

In ihrem Schreiben an die Erstbeklagte vom 10. 6. 1999 wies die Klägerin darauf hin, dass es sich offensichtlich um einen Produktfehler gehandelt habe. Auch in ihrem weiteren Schreiben vom 5. 7. 1999 erklärte die Klägerin, davon auszugehen, dass die Erstbeklagte für den fehlerhaften Feuerwerkskörper aus dem Titel der Produkthaftung einzustehen habe.

Am 2. 11. 1999 forderte der Klagevertreter die Erstbeklagte auf, eine Stellungnahme zu den von seinem Mandaten bzw vom Haftpflichtversicherer seines Mandanten erhobenen Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz abzugeben und eine allfällige Haftpflichtversicherung bekannt zu geben. Mit Schreiben vom 5. 2. 2001 erklärte der Haftpflichtversicherer der Erstbeklagten, bis 30. 6. 2001 auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Die Klägerin gab ihrerseits einen Verjährungsverzicht gegenüber der Rechtsvertreterin des verletzten Zuschauers ab und erklärte, diesem alle zukünftigen Schäden zu ersetzen, die ursächlich mit dem gegenständlichen Vorfall in Zusammenhang stehen. Das Schmerzengeld sei global abgegolten, außer es ergebe sich in Zukunft ein atypischer, im Moment nicht erkennbarer Verlauf des an sich konsolidierten Zustands des Verletzten. Der Verdienstentgang sei endgültig und vorbehaltlos abgegolten.

Der Verletzte wurde mehrmals am rechten Auge operiert und behandelt. Es gelang jedoch nicht, das Augenlicht zu erhalten. Das rechte Auge ist auf Dauer erblindet.

Die Klägerin begehrt, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, ihr 31.288,53 EUR sA zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagten der Klägerin zur ungeteilten Hand für sämtliche Schäden, resultierend aus dem Vorfall vom 24. 2. 1998 am Hauptplatz in F*, nämlich dem Abschuss einer Rakete und der dadurch bewirkten Verletzung des Richard E*, zu 50 % zu haften haben. Ihren Versicherungsnehmer treffe ein Mitverschulden von 50 %. Mit Schreiben vom 10. 6. 1999 habe die Frist für die Benennung der Vorlieferanten zu laufen begonnen. Bis zur Klage seien 2 Jahre vergangen, so dass die Namhaftmachung sämtlicher Hersteller der von der Erstbeklagten vertriebenen Feuerwerkskörper jedenfalls verspätet sei. Die Erst- und die Zweitbeklagte hätten nach § 1 Abs 2 PHG für den Schaden zu haften. Der Vorlieferant habe zu beweisen, dass die fehlerhafte Ware nicht von ihm stamme. Es sei lebensfremd zu erwarten, dass man die Etikettierung eines jeden Feuerwerkskörpers durchlesen müsse, um im Schadensfall den Hersteller ermitteln zu können. Die Drittbeklagte habe mit ihren Schreiben vom 30. 6. und 12. 7. 1999 zu erkennen gegeben, für allfällige Schäden zu haften. Da der Gesamtschaden noch nicht absehbar sei, sei das Feststellungsbegehren berechtigt.

Die Drittbeklagte wandte die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein; alle Beklagten beantragen, das Klagebegehren abzuweisen. Die Rakete sei vermutlich ein Feuerwerkskörper der Klasse III gewesen; solche Feuerwerkskörper würden von ihnen nicht vertrieben. Sämtliche der von der Erstbeklagten vertriebenen Feuerwerkskörper wiesen einen Mantel aus Pappe auf; Pappeteilchen könnten die Netzhaut nicht durchdringen. Sollte die Rakete aus dem Sortiment der Erstbeklagten stammen, so sei kein Produktfehler, sondern ein Anwendungsfehler vorgelegen. Den Versicherungsnehmer der Klägerin treffe das Alleinverschulden. Die verfrühte Detonation könne auch darauf zurückzuführen sein, dass die Rakete bis zum Kopf in das Abschussrohr eingesetzt worden sei oder dass sie unsachgemäß gelagert gewesen sei. Durch die Lagerung im Schnee vor dem Abschuss sei der Treibsatz durchnässt worden; durch die Enge in der Baggerschaufel sei es möglicherweise zu einer Beschädigung des Leitstabs der Rakete gekommen. Ein allfälliger Produktfehler sei nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar gewesen. Die Produkte der Erstbeklagten seien mit einer detaillierten Gebrauchsanweisung versehen. Die Beklagten seien nie aufgefordert worden, den Hersteller zu nennen. Die Erstbeklagte habe im Verfahren aber ohnehin sämtliche Hersteller bekannt gegeben. Die Drittbeklagte sei nicht passiv legitimiert. Sie stehe lediglich in einem wirtschaftlichen Naheverhältnis zur Erstbeklagten. Die Forderung sei verjährt. Die Kosten der Rechtsvertretung und von Gutachten seien nach den Bestimmungen des Produkthaftungsgesetzes nicht ersatzfähig. Der Verletzte habe nach dem Unfall eine bessere Position erreicht und daher keinen Anspruch auf Ersatz eines Verdienstentgangs. Das Schmerzengeld sei überhöht. Ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung bestehe nicht, weil die Ansprüche pauschal abgegolten worden seien.

Das Erstgericht verwarf die von der Drittbeklagten erhobene Einrede der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit, erkannte die Erst- und die Zweitbeklagte schuldig, der Klägerin 31.288,53 samt 4 % Zinsen seit 29. 6. 2001 zu zahlen, gab dem Feststellungsbegehren gegen die Erst- und die Zweitbeklagte statt, wies das Begehren gegen die Drittbeklagte und das Zahlungsmehrbegehren gegen die Erst- und die Zweitbeklagte ab. Zusätzlich zu den eingangs wiedergegebenen Feststellungen traf das Erstgericht noch detaillierte Feststellungen zu den Verletzungsfolgen und zu den von der Klägerin erbrachten Leistungen. Das angerufene Gericht sei für die Klage gegen die Drittbeklagte sowohl nach Art 5 Z 3 EuGVVO als auch nach Art 6 Z 1 EuGVVO zuständig. Die Klägerin habe bewiesen, dass die Erstbeklagte die Rakete vertrieben habe. Sie sei damit ihrer Individualisierungspflicht ausreichend nachgekommen. Die Schreiben der Klägerin vom 10. 6. 1999 und 5. 7. 1999 hätten ausgereicht, um die Frist zur Benennung des Produzenten auszulösen. Die Erstbeklagte sei ihrer Benennungspflicht nicht nachgekommen. Die Benennung sämtlicher in Frage kommender Hersteller könne den Händler von der Inanspruchnahme nicht befreien. Die Erstbeklagte sei daher ebenso passiv legitimiert wie die Zweitbeklagte als ihre persönlich haftende Gesellschafterin. Passiv nicht legitimiert sei die Drittbeklagte, weil nicht feststehe, dass sie die Rakete hergestellt habe. Die schadensverursachende Rakete sei fehlerhaft im Sinne des § 5 PHG gewesen, weil auch für „Ausreißer" gehaftet werde. Zum selben Ergebnis gelange man bei Heranziehung der zum Anscheinsbeweis entwickelten Grundsätze. Der idealtypische Produktbesitzer könne davon ausgehen, dass die Rakete bei fehlerfreier Handhabung nicht in Bodennähe explodiere. Der Erstbeklagten sei es nicht gelungen, es als wahrscheinlich erscheinen zu lassen, dass der Fehler der Rakete erst nach dem Inverkehrbringen entstanden sei. Die Beklagten könnten sich auch nicht auf einen Haftungsausschluss nach § 8 PHG berufen, weil nicht feststehe, ob Fehler der Rakete nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens als Fehler erkannt werden konnten. Die Regressansprüche ihres Versicherungsnehmers seien auf die Klägerin übergegangen. Dessen Mitverschulden sei mit einer Quote von 50 % ausreichend Rechnung getragen. Der Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt, weil Regressansprüche erst in 30 Jahren verjährten. Nach § 1 PHG sei für Personenschäden zur Gänze einzustehen; für deren Umfang sei das ABGB maßgebend. Zu ersetzen seien die - der Höhe nach außer Streit gestellten - Leistungen an den Krankenversicherer für die Heilbehandlung und das Krankengeld. Es sei ein Schmerzengeld von 21.801,85 EUR angemessen; auch die von der Klägerin aus dem Titel des Verdienstentgangs geleisteten 21.801,85 EUR erschienen angemessen. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Ersatz der an den Krankenversicherer gezahlten Zinsen, der Kosten des Verletzten im Zuge der Privatbeteiligung und der nachfolgenden außergerichtlichen Schadensliquidierung, der Verteidigungskosten des Versicherungsnehmers der Klägerin im Strafverfahren, der Sachverständigengebühren im Strafverfahren und der Kosten von Privatgutachten, weil es sich dabei um bloße Vermögensschäden handle. Das Feststellungsbegehren bestehe zu Recht, weil die Haftungserklärung der Klägerin weitere Forderungen nicht ausschließe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Verjährungseinrede verstoße angesichts des von Erst- und Zweitbeklagter abgegebenen Verjährungsverzichts gegen Treu und Glauben. Der Anspruch der Klägerin sei aber auch davon unabhängig nicht verjährt, weil Regressansprüche erst in 30 Jahren verjährten, wobei die Frist erst mit der Zahlung zu laufen beginne. Mit der Benennung sämtlicher in Frage kommender Hersteller habe sich die Erstbeklagte nicht von ihrer Haftung nach § 1 Abs 1 PHG befreit. Der Forderungsübergang nach § 67 VersVG werde nicht dadurch gehindert, dass der Geschädigte seine Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer der Klägerin nicht auf das Produkthaftungsgesetz gestützt habe. Der Entscheidung 1 Ob 555/95 liege ein anderer Sachverhalt zugrunde. Im vorliegenden Fall mache die Klägerin keinen Anspruch nach § 12 PHG, sondern einen Anspruch nach § 1302 letzter Satz§ 896 ABGB geltend. Der Geschädigte habe sowohl einen verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruch als auch einen Schadenersatzanspruch nach dem Produkthaftungsgesetz gehabt. Die Solidarhaftung der Erst- und Zweitbeklagten und des Versicherungsnehmers der Klägerin ergebe sich aus § 10 PHG§ 67 VersVG gelte auch in der Haftpflichtversicherung. Dass der Verletzte keinen Schadenersatzanspruch nach dem Produkthaftungsgesetz geltend gemacht habe, schade der Klägerin nicht, weil es unbillig wäre, einen Rückgriffsanspruch davon abhängig zu machen, ob der Geschädigte (gegen einen Dritten) auch Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz erhebe oder ob er sich mit der Verschuldenshaftung eines Schädigers begnüge. Das Feststellungsbegehren bestehe zu Recht, weil weitere Schäden nicht ausgeschlossen seien. Schmerzengeld und Verdienstentgang seien angemessen.

 

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der Erst- und Zweitbeklagten (idF: Beklagte) ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob dem Haftpflichtversicherer nur dann ein Regressanspruch gegen einen nach dem Produkthaftungsgesetz Ersatzpflichtigen zusteht, wenn er einen auf das Produkthaftungsgesetz gestützten Anspruch befriedigt hat; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagten bekämpfen das angefochtene Urteil in zwei Punkten: Sie machen geltend, dass das Erstgericht zu Unrecht nach den Regeln des Anscheinsbeweises vorgegangen sei, und sie vertreten die Auffassung, dass die Klägerin nach § 12 PHG nicht zum Regress berechtigt sei, weil sie ihre Leistung nicht als Ersatzleistung nach dem Produkthaftungsgesetz erbracht habe.

1. Zum Anscheinsbeweis

Das Erstgericht hat festgestellt, dass die Rakete im Zeitpunkt des Inverkehrbringens im Effekt- oder im Treibsatz mit einem Fehler behaftet war. Es hat diese Feststellung darauf gestützt, dass die Rakete nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens weder bei der Lagerung vor dem Verkauf noch danach beschädigt wurde, dass auch beim Zünden der Rakete kein Fehler unterlaufen ist und dass derartige Mängel einer Rakete in Fachkreisen bekannt sind.

Das Erstgericht ist daher in Wahrheit nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises vorgegangen, sondern es konnte von den drei nach dem Unfallshergang in Frage kommenden Unfallsursachen - Produktfehler, nachträgliche Beschädigung oder Anwendungsfehler - aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens die beiden letztgenannten ausschließen, so dass als Unfallsursache allein ein Produktfehler verblieb. Damit bedarf es auch keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob es - wie die Beklagten geltend machen - keinen Erfahrungssatz gibt, wonach die verfrühte Explosion einer Rakete auf einen Produktfehler zurückzuführen sei und ob die Beklagten aufgezeigt haben, dass eine andere Unfallsursache zumindest gleich wahrscheinlich sei.

Richtig ist aber, dass das Erstgericht in der rechtlichen Beurteilung die Auffassung vertreten hat, eine Fehlerhaftigkeit der Rakete im Sinne des § 5 PHG ergebe sich auch bei Heranziehung der zum Anscheinsbeweis entwickelten Grundsätze. Die Fehlerhaftigkeit nach § 5 PHG ist jedoch nicht mit dem Fehler gleichzusetzen, die die Rakete im Effekt- oder im Treibsatz aufgewiesen hat. Ein Produkt ist nach § 5 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist. Ob die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Benützers enttäuscht werden, ist nach einem normativen Maßstab zu beurteilen, der Teil der rechtlichen Beurteilung ist. Neben gesetzlichen Wertungen und allgemein anerkannten Maximen und Standards sind vor allem die Rechtsüberzeugung und die Verkehrssitte der beteiligten Verkehrskreise heranzuziehen, wobei die Kenntnis der Rechtsüberzeugung und der Verkehrssitte in den Tatsachenbereich fällt. Soweit diese Kenntnis nicht Teil der allgemeinen Lebenserfahrung ist, sind Beweise über die tatsächlichen Ansichten und das Wissen der maßgeblichen Verkehrskreise aufzunehmen (1 Ob 644/92 = SZ 65/149; s auch Schwimann/Posch ABGB § 5 PHG Rz 6, jeweils mwN).

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Benützers enttäuscht werden, wenn eine Rakete mit einem Fehler im Effekt- oder im Treibsatz behaftet ist, der dazu führt, dass sie verfrüht und damit noch in Bodennähe explodiert. Diese Frage ist schon aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung zu bejahen, weil eine solche Rakete nicht gefahrlos verwendet werden kann und die Leben und Sicherheit nicht gefährdende Verwendung einer Rakete wohl das mindeste ist, was ein Benutzer erwartet. Insoweit waren daher weder Beweise aufzunehmen noch bedarf es eines Rückgriffs auf die Regeln des Anscheinsbeweises.

2. Zum Regressanspruch

Die Beklagten vertreten die Auffassung, dass die Klägerin ihren Regressanspruch nur auf § 12 PHG stützen könne. Voraussetzung eines Anspruches nach dieser Bestimmung sei aber, dass der Anspruchswerber selbst nach den Bestimmungen des Produkthaftungsgesetzes geleistet habe. Gemäß § 67 VersVG trete die Klägerin durch die von ihr geleistete Zahlung ausschließlich in die Rechtsstellung ihres Versicherungsnehmers ein und nicht auch in die Geschädigten.

§ 67 VersVG normiert, dass ein Schadenersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer übergeht, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Voraussetzung der Legalzession ist damit nicht die Befriedigung einer Forderung des Geschädigten, sondern die Befriedigung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers. Die Zahlung an den Geschädigten führt zum Übergang von sonst dem Versicherungsnehmer zustehenden, den Schadenersatzansprüchen gleichgestellten Regressansprüchen auf den Versicherer (7 Ob 52/83 = VersR 1984, 1184; 7 Ob 49/88 = SZ 61/259 ua).

Der Versicherungsnehmer der Klägerin ist dem Geschädigten nach dem festgestellten Sachverhalt aus Verschulden zum Schadenersatz verpflichtet; neben seine Haftung tritt die Haftung der Beklagten nach dem Produkthaftungsgesetz, die gemäß § 15 PHG die Haftung nach anderen Anspruchsgrundlagen unberührt lässt. Da sich die Anteile an der Schädigung nicht bestimmen lassen, besteht Solidarhaftung (§ 1302 ABGB). Ersetzt ein Solidarschuldner den gesamten Schaden, so steht ihm gegen den anderen Schuldner ein Ausgleichsanspruch zu, dessen Höhe sich nach § 896 ABGB richtet. Der Regressanspruch besteht unabhängig davon, ob die Gesamtschuld auf gemeinsamem Rechtsgrund beruht (1 Ob 28/74 = SZ 52/185; 1 Ob 40/83 = SZ 57/51; Gamerith in Rummel, ABGB³ § 896 Rz 1 mwN).

Der Regressanspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin gegen die Beklagten wird daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagten nach dem Produkthaftungsgesetz, der Versicherungsnehmer der Klägerin hingegen aus Verschulden haftet. Aus § 12 PHG folgt entgegen der Auffassung der Beklagten nichts Gegenteiliges:

§ 12 PHG regelt den Rückgriff unter mehreren für den Schaden durch ein fehlerhaftes Produkt Verantwortlichen, die gemäß § 10 PHG solidarisch haften. Den Versicherungsnehmer der Klägerin trifft keine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz, weil er die fehlerhafte Rakete weder hergestellt, noch in Verkehr gebracht, noch importiert hat und daher dem Personenkreis des § 1 PHG nicht angehört.

Das unterscheidet den vorliegenden Fall von dem der Entscheidung 1 Ob 555/95 (= SZ 69/17) zugrunde liegenden Sachverhalt. Danach hatte der Haftpflichtversicherer eines Installationsunternehmens an den Geschädigten Zahlungen geleistet. Dem Geschädigten wäre gegen das Installationsunternehmen - neben dem offenbar geltend gemachten vertraglichen Schadenersatzanspruch - wegen eines von diesem eingebauten fehlerhaften Ventils unter der Voraussetzung des § 1 Abs 2 PHG (keine Nennung des Vorlieferanten innerhalb angemessener Frist) auch ein Anspruch nach dem Produkthaftungsgesetz zugestanden. Der Oberste Gerichtshof vertrat die Auffassung, dass der Haftpflichtversicherer nach § 12 PHG nur regressberechtigt sei, wenn die von ihm für den Händler geleistete Zahlung aus dem Rechtsgrund des § 1 Abs 2 PHG erfolgt sei.

Im vorliegenden Fall bedarf es keiner näheren Auseinandersetzung mit dieser Frage. Die Klägerin macht nicht den in § 12 PHG geregelten Regressanspruch eines nach dem Produkthaftungsgesetz (potenziell) Ersatzpflichtigen, sondern den eines Verpflichteten geltend, der aus einem anderen Rechtsgrund solidarisch mit den nach dem Produkthaftungsgesetz Ersatzpflichtigen haftet.

Die Revision musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

 

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