OGH 4Ob9/01d

OGH4Ob9/01d13.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Waltraud B*****, vertreten durch Gugerbauer & Partner, Rechtsanwälte KEG in Schwanenstadt, gegen die beklagte Partei Klaus B*****, vertreten durch Dr. Jörg Brunhuemer, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen einstweiligen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 20. September 2000, GZ 21 R 305/00b‑15, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Gmunden vom 24. Juli 2000, GZ 1 C 61/00t‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0040OB00009.01D.0213.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 4.871,04 S (darin 811,84 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Begründung:

 

Die 1975 geschlossene Ehe der Streitteile ist aufrecht, ihr entstammen drei bereits selbsterhaltungsfähige Kinder.

Die Klägerin begehrt monatlichen Unterhalt von 5.000 S und ‑ verbunden mit dieser Klage ‑ einstweiligen Unterhalt in derselben Höhe. Sie habe Ende 1998 die gemeinsame Ehewohnung verlassen, weil ihr ein Zusammenleben mit dem Beklagten aufgrund seines lieblosen Verhaltens nicht mehr zumutbar gewesen sei. Der Beklagte habe es abgelehnt, Unterhaltszahlungen zu leisten. Er habe der gesonderten Wohnungsnahme zunächst bis Juni 1999 ausdrücklich und danach konkludent zugestimmt. Ein weiteres Zusammenleben mit dem Beklagten sei der Klägerin nicht zumutbar.

Der Beklagte beantragte Klageabweisung und Abweisung des Sicherungsantrags. Das Begehren der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich. Sie habe die Ehewohnung unberechtigt verlassen, weil sie nach eigenen Angaben habe frei sein wollen, um sich selbst zu verwirklichen. Der Beklagte habe einer vorläufigen Trennung bis 30. 6. 1999 letztlich zugestimmt und zugesagt, bis zu diesem Zeitpunkt keine rechtlichen Folgen daraus ableiten zu wollen. Nach Ablauf dieser Frist habe er die Klägerin wiederholt, zuletzt am 18. 5. 2000, zur Rückkehr aufgefordert. Sie habe eine Rückkehr immer wieder zugesagt, schließlich aber die Unterhaltsklage eingebracht. Eine Unterhaltsverletzung falle ihm nicht zur Last.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es stellte noch fest, die Klägerin sei am 24. 12. 1998 aus der Ehewohnung ausgezogen, weil sie das Zusammenleben mit dem Beklagten nicht habe aushalten können. Sie habe sich von ihm aus vielfältigen Gründen unterdrückt gefühlt. So habe sie den Eindruck gehabt, er wolle ihr den langjährigen Wunsch, den Führerschein zu machen, ausreden. Sie habe auch angenommen, er kontrolliere sie aus Eifersucht. Sie habe auch darunter gelitten, dass der Beklagte sie nicht sofort am Nachmittag nach einer Operation, sondern erst am darauffolgenden Abend im Krankenhaus besucht habe. Allerdings habe er sie nach zwei Nierenoperationen täglich im Krankenhaus besucht. Sie habe auch den Eindruck gehabt, dass der Beklagte sie immer "niederpöppelte" und niederschrie, wenn es Probleme mit den Kindern gegeben habe; in der Kindererziehung habe sie sich allein gelassen gefühlt. Der Beklagte habe einer vorübergehenden Trennung bis 30. 6. 1999 zugestimmt. Er habe es im Juni auch akzeptiert, dass die Klägerin ihm mitgeteilt habe, sie sei derzeit nicht in der Lage zurückzukehren. Den am 13. 7. 1999 eingebrachten Antrag auf einvernehmliche Scheidung hätten die Ehegatten am 28. 12. 1999 zurückgezogen. Im Winter 1999/2000 habe der Beklagte öfter in der Wohnung der Klägerin genächtigt, es sei auch wieder zu Geschlechtsverkehr gekommen, sie hätten Weihnachten miteinander verbracht. Die Klägerin habe erklärt, sie werde bis März 2000 zurückkommen. Am 30. 4. 2000 habe ihm die Klägerin jedoch mitgeteilt, sie werde nicht zurückkommen, sie könne sich eine Partnerschaft mit ihm nicht mehr vorstellen. Daraufhin habe der Beklagte auf Anraten seines Anwalts die Klägerin mit Schreiben vom 18. 5. 2000 aufgefordert, binnen 14 Tagen zurückzukehren, widrigens er rechtliche Schritte einleiten werde. Die Klägerin habe daraufhin die Unterhaltsklage eingebracht.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht die Berechtigung der Klägerin, gesondert Wohnung zu nehmen. Der Beklagte habe zwar einer Trennung zunächst zugestimmt, diese Zustimmung dann aber widerrufen. Die Klägerin habe triftige Gründe für die Aufgabe der Haushaltsgemeinschaft, die ihr ein Zusammenleben mit dem Beklagten unzumutbar erscheinen ließen, nicht dartun können.

Das Rekursgericht bestätigte die Abweisung des Sicherungsantrages und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der hier maßgebenden Rechtsfrage, ob nach dem für eine Unterhaltsverwirkung gebotenen strengen Maßstab bei Verweigerung der Wiederaufnahme der Haushaltsgemeinschaft in einer subjektiv als zerrüttet angesehenen Ehe ein Unterhaltsverlangen als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, wenn objektiv gerechtfertigte Gründe für die Verweigerung der Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht angenommen werden können, erhebliche Bedeutung zukomme. Es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die einseitige Weigerung der Wiederaufnahme der Haushaltsgemeinschaft nach vorangehender einvernehmlicher Trennung als krasse, zur Unterhaltsverwirkung führende Eheverfehlung anzulasten sei. Der gesetzliche Unterhaltsanspruch des § 94 ABGB erlösche unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauch dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls aus schuldhaften krassen Eheverfehlungen eine derart deutliche Eheablehnung durch den Unterhaltsberechtigten anzunehmen sei, dass die Aufrechterhaltung des Unterhaltsanspruches für den Verpflichteten grob unbillig wäre. Entscheidendes Kriterium sei der völlige Verlust oder die ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens durch den Unterhaltsberechtigten. Die Voraussetzung des Rechtsmissbrauchs sei auch bei einem böswilligen oder grundlosen Auszug verwirklicht, wenn ein Ehegatte die Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft eindeutig vorwerfbar herbeiführt oder eine vorübergehende Trennung in vorwerfbarer Weise aufrecht hält. Für die Unterhaltsverpflichtung sei daher maßgeblich, ob objektiv hinlängliche Gründe für die Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft oder für die Verweigerung ihrer Wiederaufnahme gegeben waren. Dabei komme es auf die vom anderen Ehegatten hervorgerufene Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens bzw auf andere nach objektiven Kriterien zu beurteilende wichtige Gründe in der Person des ausziehenden Ehegatten an. Die Aufforderung eines Ehegatten zur Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft dürfe nur aus wichtigen Gründen abgelehnt werden. Maßgeblich sei daher, ob nach einer objektiven Wertung und nach subjektiven Maßstäben des Ausziehenden die Heimtrennung als grob schuldhafte Verletzung der in § 90 ABGB normierten Pflicht zum gemeinsamen Wohnen gewertet werden müsse. Der bescheinigte Sachverhalt lasse keinen hinlänglich objektiven Grund erkennen, der einen berechtigten Anlass für die Aufrechterhaltung der Heimtrennung hätte bilden können. Der Klägerin mögen zwar nach einem subjektiven Maßstab Gründe für eine Ablehnung der Wiederherstellung der Haushaltsgemeinschaft vorgelegen sein, es hätten sich jedoch objektiv gesehen keine ausreichenden Gründe im Verhalten des Beklagten ergeben, die sie berechtigt hätten, die Haushaltsgemeinschaft auf Dauer aufzuheben. Ihr Unterhaltsbegehren sei daher als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Voraussetzung für die Bewilligung des einstweiligen Unterhalts nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist die von der Antragstellerin zu behauptende und zu bescheinigende Verletzung der Unterhaltspflicht (Kodek in Angst EO § 382 Rz 39 mwN). Gegen den Unterhaltsanspruch gerichtete materiellrechtliche Einwendungen wie jene der Verwirkung sind auch im Verfahren über einen Antrag auf einstweiligen Unterhalt zu berücksichtigen (Kodek aaO Rz 44 mwN), wobei die Behauptungs‑ und Bescheinigungslast für die den Rechtsmissbrauch begründende Ehewidrigkeit den unterhaltspflichtigen Gatten trifft (Schwimann, Unterhaltsrecht2 134; EFSlg 58.684; 5 Ob 569/93; RIS‑Justiz RS0013487).

Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 zweiter Halbsatz ABGB erlischt der Unterhaltsanspruch zur Gänze, wenn seine Geltendmachung besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Nach den dazu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen bewirkt nicht jede schwere Eheverfehlung Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche erlöschen vielmehr nur in besonders krassen Fällen, in welchen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene (7 Ob 608/77, RIS‑Justiz RS009759). Entscheidendes Beurteilungskriterium dabei ist nach Lehre und ständiger Rechtsprechung die schuldhafte Ablehnung der Ehe durch den Unterhaltsberechtigten (der sogenannte völlige Verlust oder die ihm nahekommende "Verflüchtigung" des Ehewillens) (EFSlg 73178, RIS‑Justiz RS0009766, Schwimann aaO 131). Dies wird in Lehre und Rechtsprechung damit begründet, dass die Unterhaltsverpflichtung nur ein Teil der wechselseitigen Eheverpflichtungen sei. Es wäre daher sittenwidrig, jenem Ehegatten, der schuldhaft die gebotene Ehegesinnung vermissen lasse, den finanziellen Vorteil aus der Ehe zu belassen, obwohl er selbst nicht zur Erfüllung der ihn treffenden ehelichen Verpflichtung bereit sei (Schwimann aaO 131; Stabentheiner in Rummel, ABGB3 Rz 16 zu § 94; EFSlg 53.008, 53.009 und 64.902). Den Verlust (bzw die ihm nahekommende Verflüchtigung) des Ehewillens hat der Oberste Gerichtshof in Fällen des subjektiv vorwerfbaren Verlassens der Ehewohnung ohne Zustimmung des anderen Ehegatten und ohne objektiv vorhandenen Grund sowie auch in Fällen der Aufrechterhaltung einer vorübergehenden Trennung unter den genannten Umständen bejaht (3 Ob 582/81; 3 Ob 634/81; 7 Ob 674/89). In Fällen (zunächst) gerechtfertigter Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft hat der Oberste Gerichtshof auch schon erkannt, dass es einen Rechtsmissbrauch bedeuten könne, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte eine ernstliche Aufforderung, in die Ehewohnung zurückzukehren, ohne triftigen Grund ablehnt (6 Ob 634/81; RZ 1990/49).

Angesichts der mit dem Beklagten getroffenen Vereinbarung und seiner nachfolgenden stillschweigenden Zustimmung kann die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft an sich noch keine den Missbrauchseinwand begründende Eheverfehlung bilden. Nach den Feststellungen war der Beklagte mit der Auflösung der Haushaltsgemeinschaft zunächst und solange einverstanden, als die Klägerin ihm versicherte, zurückkehren zu wollen, und er damit noch Hoffnung auf eine Weiterführung der Ehe hatte. Erst ihre Mitteilung, sie werde nicht zurückkommen, weil sie sich eine Partnerschaft mit ihm nicht mehr vorstellen könne, hat ihn dazu veranlasst, sie ernstlich zur Rückkehr aufzufordern. Die Weigerung der Klägerin, die Haushaltsgemeinschaft wieder aufzunehmen, lässt den völligen Verlust ihres Ehewillens unzweifelhaft erkennen. Ob das Unterhaltsbegehren der Klägerin angesichts dieser Weigerung als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen ist, hängt daher davon ab, ob für die Aufrechterhaltung der Trennung triftige Gründe vorhanden sind, und die Weigerung ihr subjektiv vorzuwerfen ist.

Das Rekursgericht hat zutreffend erkannt, dass im bescheinigten Verhalten des Beklagten kein wichtiger Grund für die Aufrechterhaltung der Trennung gefunden werden kann. Das Erstgericht hat zwar Eindrücke und subjektive Empfindungen der Klägerin wiedergegeben (die sich unterdrückt, kontrolliert und im Stich gelassen gefühlt hatte), es hat jedoch nicht als bescheinigt angesehen, dass der Beklagte ein derartiges Verhalten auch tatsächlich an den Tag gelegt hätte. Das Bescheinigungsverfahren hat auch nicht ergeben, dass die Klägerin infolge jahrelanger Streitigkeiten und Spannungen so zermürbt gewesen wäre, dass eine Wiederaufnahme der Haushaltsgemeinschaft aus wichtigen Gründen hätte unterbleiben dürfen. Ihre Weigerung, die Haushaltsgemeinschaft wieder aufzunehmen, ist ihr daher auch subjektiv vorwerfbar.

Ob ‑ wie die Revisionsrekurswerberin meint - tatsächlich eine so tiefgreifende Zerrüttung zwischen den Streitteilen eingetreten ist, die einen wichtigen Grund für die Aufrechterhaltung der Trennung bedeuten könnte, wird abschließend erst im Hauptverfahren geklärt werden können. Wenngleich die Streitteile Mitte 1999 einen einvernehmlichen Scheidungsantrag eingebracht hatten, ist eine derartige tiefgreifende Zerrüttung im Bescheinigungsverfahren schon deshalb nicht hervorgekommen, weil sie diesen Antrag Ende 1999 einvernehmlich zurückgezogen haben. Überdies hat die Klägerin wiederholt im Zusammenhang mit einer offenkundigen Verbesserung ihrer Beziehungen zum Beklagten eine Rückkehr in Aussicht gestellt. Das Rekursgericht ist daher ‑ zumindest für das Sicherungsverfahren - zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Klägerin subjektiv zur Begründung ihres Auszugs herangezogenen Gründe nicht ausreichen, um eine auf Dauer getrennte Wohnungnahme zu rechtfertigen. Die fehlende Bereitschaft der Klägerin, die sie in der Ehe treffenden Verbindlichkeiten zu erfüllen, lassen ihr Begehren auf einstweiligen Unterhalt als rechtsmissbräuchlich erscheinen.

Dem Revisionsrekurs der Klägerin wird ein Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1, § 52 ZPO.

 

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