European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00080.22A.0923.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin vertreibt die einzigen beiden in Österreich zugelassenen cannabis‑basierten Arzneimittelspezialitäten. Diese enthalten die Wirkstoffe Cannabidiol (CBD) und Dronabinol (THC).
[2] Die Muttergesellschaft der Beklagten stellt CBD und THC in Arzneistoffqualität her, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Arzneimitteln verwendet zu werden. Die Schwesterngesellschaft der Beklagten vertreibt diese Wirkstoffe im Internet an Arzneigroßhändler. Die Beklagte erbringt unter anderem Marketing‑ und Werbedienstleistungen für den Konzern. Sie fördert den Absatz von CBD und THC unter anderem über ihr passwortgeschütztes Online‑Portal, zu dem nur Ärzte, Apotheker und Arzneimittelhersteller Zutritt haben. Dort zeigen Broschüren und Videos pharmakologische Wirkeigenschaften, Therapieeffekte und Anwendungsmöglichkeiten von CBD und THC auf. Weiters finden sich darin neben Bestellinformationen für die auch als Wirkstoff‑Sets zur Herstellung von öligen Lösungen, Tropfen oder Kapseln erhältlichen Reinsubstanzen auch Hinweise zur Zubereitung magistraler Mischungen aus CBD und THC, wie zB Herstellungsanleitungen in Videoformat und tabellarische Dosierungsvorschläge.
[3] Die Beklagte bot vor Verfahrenseinleitung an, es zu unterlassen, CBD und THC im Zusammenhang mit magistralen Zubereitungen zu bewerben.
[4] Die Klägerin begehrt, der Beklagten die Bewerbung von CBD und THC durch vierzehn konkret genannte Aussagen zu ihren therapeutischen Effekten zu untersagen, sowie Urteilsveröffentlichung. Die Beklagte verletze die arzneimittelrechtlichen Werbebestimmungen des AMG und verschaffe sich so einen Wettbewerbsvorteil durch Rechtsbruch iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG. Zu den Unterlassungsbegehren stellte die Klägerin entsprechende Sicherungsanträge.
[5] Die Beklagte wandte ein, dass sie selbst keine Einnahmen aus der Aufklärung von Fachkreisen über den aktuellen Stand des Wissens zu CBD und THC erziele. Wirkstoffe seien seit der Novelle durch BGBl I 2013/48 außerdem keine Arzneimittel iSd AMG mehr und würden daher nicht vom Werbeverbot der §§ 50 ff AMG erfasst. Zumindest sei diese Rechtsansicht vertretbar.
[6] Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung, schränkte aber sechs der Unterlassungsgebote durch Zusätze zum Kontext der verbotenen Aussagen ein. Die Beklagte stelle auf ihrer Website nicht die pharmakologische Wirkungsweise von CBD und THC, sondern die Linderung von Beschwerden bestimmter Krankheitsbilder bei den Patienten in den Vordergrund und veröffentliche Dosiervorschläge. Deshalb würden auch die angesprochenen Fachkreise einen Teil der beanstandeten Aussagen der Beklagten als absatzfördernde Hinweise auf Präsentationsarzneimittel verstehen. Die übrigen Aussagen würden die Wirkstoffe als Bestandteil von magistralen Rezepturen betreffen, sodass mit ihnen sogar Arzneimittel im eigentlichen Sinn beworben würden. Die gegenteilige Rechtsansicht der Beklagten sei angesichts des weiten Werbebegriffs des AMG in der Rechtsprechung unvertretbar.
[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin gegen die einschränkenden Zusätze keine Folge. Dagegen sah es den Rekurs der Beklagten als berechtigt an und wies alle Sicherungsanträge ab. Das AMG unterscheide zwischen Arzneimitteln und Wirkstoffen, die Bewerbung von Wirkstoffen sei nicht untersagt. Die Beklagte fördere auf ihrer Website nur den Absatz von Wirkstoffen. Sie erwecke bei den angesprochenen Fachkreisen gerade nicht den Eindruck, dass CBD und THC als Reinsubstanz an Patienten verabreicht werden könnten, sodass nicht von einem Präsentationsarzneimittel auszugehen sei. Eine Bewerbung von bestimmten magistralen Mischungen erfolge durch die beanstandeten Aussagen auch nicht. Selbst falls Ärzte aufgrund der Inhalte der Website der Beklagten ihren Patienten verstärkt magistrale Mischungen mit CBD und THC verordnen würden, könnten diese nicht beeinflussen, ob die Verordnungen bei Apotheken eingelöst würden, die die Reinsubstanzen aus dem Konzern der Beklagten beziehen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin zielt auf die vollständige Stattgebung der Sicherungsanträge ab. Er zeigt aber keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher nicht zulässig.
[9] 1. Als erhebliche Rechtsfrage nennt die Klägerin, ob Wirkstoffwerbung eine unzulässige Bewerbung eines Präsentationsarzneimittels darstellen könne.
[10] 1.1. Gemäß § 1 Abs 1 AMG sind Arzneimittel nicht nur solche Stoffe, die tatsächlich zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung von physiologischen Funktionen oder zur medizinischen Diagnose verabreicht werden können (Z 2, sog Funktionsarzneimittel; vgl auch RS0051450 [T2]), sondern auch alle Stoffe oder Zubereitungen von Stoffen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (Z 1, sog Präsentationsarzneimittel, RS0126741).
[11] Dagegen wurden Wirkstoffe und Hilfsstoffe gemäß den Vorgaben der Richtlinie 2011/62/EU mit der Novelle durch BGBl I 2013/48 aus dem Arzneimittelbegriff herausgenommen und fallen damit – anders als nach der früheren Rechtslage – aus dem Anwendungsbereich der für Arzneimittel geltenden Vorschriften heraus (ErläutRV 2010 BlgNR 24. GP 7).
[12] Wirkstoffe sind nach der aktuellen Definition in § 1 Abs 4a AMG Stoffe oder Gemische von Stoffen, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung eines Arzneimittels verwendet zu werden und bei ihrer Verwendung in der Arzneimittelherstellung zu arzneilich wirksamen Bestandteilen des Arzneimittels zu werden. Konstitutives Element des Wirkstoffbegriffs ist also seine Zweckbestimmung für die Verwendung als arzneilich wirksamer Bestandteil im Rahmen der Arzneimittelherstellung (Steinböck in Cerha/Heissenberger/Steinböck, AMG [2020] § 2 Rz 57; vgl auch Fuhrmann in Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht³ [2020] § 2 Rz 205).
[13] 1.2. Für die Einordnung als Wirkstoff oder (Präsentations‑)Arzneimittel kommt es also darauf an, ob aus einem Stoff erst ein Arzneimittel hergestellt werden soll, oder ob er bereits als anwendungsbereites Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhafter Beschwerden eingesetzt werden soll.
[14] Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber nicht der subjektive Willen des Herstellers zur Zweckbestimmung, vielmehr sind objektivierte Maßstäbe anzulegen (RS0051450; vgl auch Steinböck in Cerha/Heissenberger/Steinböck, AMG [2020] § 2 Rz 57; vgl auch Fuhrmann in Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht³ [2020] § 2 Rz 205, nach dem die Bestimmung eines Stoffes als arzneilich wirksamen Bestandteil nicht ein irgendwie geartetes Bestimmungsrecht des Wirkstoffproduzenten oder des pharmazeutischen Unternehmers meine, sondern einen verobjektivierten Wirkstoffbegriff). Bei der Prüfung, ob ein Präsentationsarzneimittel vorliegt, ist nach der Rechtsprechung deshalb entscheidend, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Angaben zum Produkt auffassen, welchen Gesamteindruck sie vom Zweck des Produkts aufgrund von Verpackung und Werbeankündigungen bekommen (vgl RS0051461). Diese Prüfung kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl 4 Ob 117/16h) und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[15] 1.3. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die von der Beklagten mit ihrem passwortgeschützten Onlineportal angesprochenen Fachkreise CBD und THC als bloße Wirkstoffe einordnen und nicht davon ausgehen würden, dass diese auch als Reinsubstanzen Patienten verabreicht werden könnten, ist im Lichte dieser Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig. Selbst nach dem Vorbringen der Klägerin wies die Beklagte deutlich darauf hin, dass und wie CBD und THC zur Zubereitung von magistralen Mischungen zu nutzen seien. Allein die Darlegung von therapeutischen Effekten von CBD und THC führt in dieser Sachverhaltskonstellation nicht dazu, dass Fachkreise die Reinsubstanzen als Präsentationsarzneimittel statt als Wirkstoffe einstufen.
[16] 1.4. Die Abweisung der Sicherungsbegehren im vorliegenden Fall steht auch nicht in Widerspruch zu der im Rechtsmittel zitierten Entscheidung 4 Ob 81/07a. Das damalige Unterlassungsbegehren betraf nämlich an Verbraucher gerichtete Werbung für verschreibungspflichtige Funktionsarzneimittel, deren Handelsname zwar ungenannt blieb, die aber durch die Angabe von Wirkstoff und Hersteller identifizierbar waren.
[17] 2. Die Klägerin begründet die Zulässigkeit ihres Revisionsrekurses außerdem mit fehlender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bewerbung von magistralen Mischungen.
[18] 2.1. Im Sicherungsverfahren ist aber nicht die Zulässigkeit des Webauftritts der Beklagten schlechthin oder auch nur auf Basis des gesamten Tatsachenvorbringens zu prüfen, sondern ausschließlich, ob die von der Klägerin im Sicherungsantrag formulierten Unterlassungsansprüche auf Basis des von ihr behaupteten und bescheinigten Sachverhalts zu Recht bestehen. Unschlüssige Sicherungsanträge sind abzuweisen, ohne dass der gefährdeten Partei ein weiteres Vorbringen zu ermöglichen wäre (RS0005225 [T2, T5]; RS0005452 [T4, T15, T17]).
[19] 2.2. Sämtliche Unterlassungsbegehren der Klägerin beziehen sich ausschließlich auf die Bewerbung von CBD und THC durch konkret angeführte allgemeine Aussagen zu ihren therapeutischen Effekten. Ein Bezug zu magistralen Mischungen ist in den Begehren nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht angestrebt, wie ihr Rekurs gegen die präzisierende Fassung einiger Sicherungsbegehren durch das Erstgericht erhellt.
[20] 3. Im Ergebnis können die im Revisionsrekurs aufgezeigten Rechtsfragen deshalb im Sicherungsverfahren als nicht präjudiziell dahinstehen (vgl RS0088931 [T2]; RS0111271).
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