European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0040OB00077.75.1216.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.164,56 S (einschließlich 240 S Barauslagen und 142,56 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Erstbeklagte war am 10. Jänner 1974 Halter des bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs, polizeiliches Kennzeichen *. Der Kläger wurde an diesem Tag bei einem vom Erstbeklagten als Lenker seines PKWs, verschuldeten Verkehrsunfall erheblich verletzt. Der Erstbeklagte wurde deswegen rechtskräftig der Übertretung nach dem § 431 StG schuldig erkannt. Kläger und Erstbeklagter waren zur Unfallszeit Dienstnehmer der V*. Der Kläger wurde am Unfallstag von seinem Dienstvorgesetzten angewiesen, in einem ca. 3 km vom normalen Arbeitsplatz entfernt gelegenen Betriebsgebäude unter Leitung des Erstbeklagten Archivarbeiten zu verrichten. Der Erstbeklagte erbot sich, den Kläger mit seinem Privat‑PKW zum Einsatzort, wo die Archivarbeiten zu verrichten waren, zu bringen. Nach Beendigung dieser Arbeiten ereignete sich der gegenständliche Verkehrsunfall auf der Rückfahrt zum normalen Arbeitsplatz. Es war vereinbart, daß der Kläger nach Dienstschluß (Abstempeln seiner Arbeitskarte) die Heimfahrt in seinem PKW antreten würde. Der Erstbeklagte erhielt die Fahrt von seinem eigentlichen Arbeitsplatz zum Einsatzort und zurück von seinem Dienstgeber durch Benzingutscheine vergütet. Das Mitnehmen von Arbeitskollegen bei derartigen Fahrten innerhalb des Werksgeländes ist üblich.
Der Kläger begehrt von den Beklagten 35.000 S an Schmerzengeld, weil er beim gegenständlichen Unfall Rippenbrüche und eine Prellung der Lendenwirbelsäule erlitten habe, die ihn über lange Zeit in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt und starke Schmerzen verursacht hätten.
Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung im wesentlichen mit der Begründung, daß der Erstbeklagte im Unfallszeitpunkt dem Kläger gegenüber als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG anzusehen gewesen sei und ihm daher der Haftungsausschluß nach dieser Bestimmung zugute komme, zumal der Unfall vom Erstbeklagten nicht vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Überdies sei das vom Kläger begehrte Schmerzengeld unangemessen hoch.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es war der Auffassung, daß der Erstbeklagte dem Kläger gegenüber zum Unfallszeitpunkt Aufseher im Betrieb gewesen sei. Da sich der Unfall im Betriebsgelände der V* noch während der Dienstzeit zugetragen habe, läge keine Teilnahme am allgemeinen Verkehr vor. Der Kläger sei nicht als Außenstehender vom Erstbeklagten mitgenommen worden, sondern letzterer sei für das Wohl des ihm zugeteilten Klägers, dem gegenüber ihm ein Weisungsrecht zugestanden sei, verantwortlich gewesen. Daß die Mitnahme des Klägers durch den Erstbeklagten nicht aus reiner Gefälligkeit erfolgt sei, ergebe sich daraus, daß der Erstbeklagte für diese Fahrt vom gemeinsamen Dienstgeber der Streitteile Bezingutscheine erhalten habe und diese Art der Personenbeförderung im Werksgelände der V* üblich sei. Dafür, daß der Erstbeklagte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe, lägen keinerlei Anhaltspunkte vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es gelangte nach Neudurchführung des Verfahrens gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerGes zu denselben Feststellungen wie das Erstgericht und teilte auch dessen Rechtsansicht. Es verwies vor allem darauf, daß der Kläger dem Erstbeklagten zur Durchführung von Archivarbeiten zugeteilt und ihm während deren Dauer unterstellt war. Daß der Erstbeklagte den Kläger mit seinem PKW zur Arbeitsstätte und von dort wieder zurück zum gewöhnlichen Arbeitsplatz zu bringen habe, sei dem Erstbeklagten zwar nicht vom gemeinsamen Dienstgeber ausdrücklich aufgetragen worden, habe aber der Betriebsübung entsprochen. Der Dienstgeber habe diese Vorgangsweise nicht nur gebilligt, sondern sogar gewünscht, was sich daraus ergebe, daß er derartige Fahrten den Dienstnehmern durch Zuteilung von Bezingutscheinen vergütete. Die Mitnahme des Klägers im PKW des Erstbeklagten sei daher nicht eine bloße Gefälligkeit des Erstbeklagten, sondern ein Teil der innerbetrieblichen Organisation im Interesse sowohl der Dienstnehmer als auch des Dienstgebers gewesen. Der Erstbeklagte sei daher auch für die Zeit der Rückfahrt von der Arbeitsstätte zum gewöhnlichen Arbeitsplatz, während welcher sich der Unfall ereignete, gegenüber dem Kläger als Aufseher im Betrieb anzusehen gewesen. Daher seien beide Beklagte gemäß § 333 Abs. 4 ASVG von einer Haftung für den Schaden des Klägers befreit. Eine Teilnahme am öffentlichen Verkehr sei nicht vorgelegen und eine vorsätzliche Schadenszufügung sei nicht einmal behauptet worden.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Als aktenwidrig rügt der Kläger, daß davon ausgegangen worden sei, der Kläger habe außer Streit gestellt, daß der Erstbeklagte die Fahrt von seinem eigentlichen Arbeitsplatz zum Einsatzort und zurück von seinem Dienstgeber in Form von Benzingutscheinen vergütet erhalten habe; tatsächlich sei der Außerstreitstellung hinzugefügt gewesen, daß diese Vergütung „im nachhinein“ erfolgte. Dazu ist richtig, daß der Wortlaut der Außerstreitstellung, die im Berufungsverfahren wiederholt wurde (AS 18, 44), auch die Worte „im nachhinein“ enthält. Der Frage, ob die Fahrten zur Beförderung von Arbeitnehmern im Werksgelände erst im nachhinein vergütet wurden, ist aber für die rechtliche Beurteilung nicht erheblich, sodaß schon aus diesem Grunde der behauptete Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nicht vorliegt. Dasselbe gilt für die Frage, ob jeweils die einzelne Fahrt vergütet wurde oder allgemein für Fahrten im Betriebsgelände zum angeführten Zweck Benzingutscheine vom Dienstgeber gegeben wurden. Es liegt daher auch die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die vom Kläger darin gesehen wird, daß zu dieser Frage beantragte Beweise nicht aufgenommen wurden, nicht vor.
In der Rechtsrüge macht der Kläger geltend, daß ihn der Erstbeklagte nicht über Auftrag des gemeinsamen Dienstgebers, sondern aus persönlichem Entgegenkommen im PKW mitgenommen habe und die Arbeiten, zu denen der Kläger dem Erstbeklagten zugeteilt war, zu dieser Zeit bereits abgeschlossen gewesen seien, sodaß zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten während der Fahrt keine besonderen Rechtsbeziehungen mehr bestanden hätten, die es rechtfertigten, den Erstbeklagten als Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs. 4 ASVG gegenüber dem Kläger anzusehen.
Demgegenüber ist darauf zu verweisen, daß die Frage, ob der Lenker eines Kraftfahrzeuges Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs. 4 ASVG ist, nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden muß. Es kommt darauf an, ob dem betreffenden Lenker ein gewisser Pflichtenkreis zukommt, der über die Verantwortlichkeit nach den für den Straßenverkehr geltenden Vorschriften hinausgeht (ArbSlg 8943, ZVR 1974/59 ua). Wer als Betriebsangehöriger über entsprechenden Auftrag des Dienstgebers oder seines Vertreters andere Betriebsangehörige in seinem PKW zu verschiedenen Arbeitsstätten des Unternehmens zu befördern hat, ist Aufseher im Betrieb, weil er in diesem Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienen, eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation, die sich auf die mitgeführten Betriebsangehörigen erstreckt, zu erfüllen hat (ArbSlg 8943, ZVR 1974/97 ua). Maßgeblich ist, daß die Beförderung des Arbeitskollegen nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben erfolgte. Dabei ist nicht wesentlich, ob die Fahrt selbst besonders aufgetragen wurde; es genügt vielmehr, daß sie in den Rahmen der Gesamterledigung der übertragenen Aufgabe gehört und – wenigstens nach der bestehenden Übung – auch deren Durchführung dient. Das kann beim festgestellten Sachverhalt für den vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, weil vom Dienstgeber angeordnet war, daß der Kläger dem Beklagten bei der Durchführung einer Arbeit auf einem von der gewöhnlichen Arbeitsstätte entfernten Platz helfe, und es der Übung entsprach, daß der Dienstnehmer, der für die Fahrt zwischen der gewöhnlichen Arbeitsstätte und dem Arbeitsplatz im Einzelfalle den eigenen Personenkraftwagen benützt, Dienstnehmer die zur selben Arbeit eingeteilt wurden, in seinem Fahrzeug mitnimmt, wofür er auch Benzingutscheine erhielt. Hiebei kommt es nicht darauf an, ob die Vergütung solcher Fahrten im vorhinein oder im nachhinein erfolgte und ob jede einzelne Fahrt vergütet wurde oder eine Pauschalvergütung erfolgte. Wesentlich war vielmehr, daß das Interesse des Dienstgebers daran erkennbar war, daß Dienstnehmer mit eigenem Personenkraftwagen Arbeitskollegen auf solchen Fahrten mitnehmen, damit die Erledigung der übertragenen Arbeiten gefördert wird, weil die Anreise zum eigentlichen Arbeitsplatz vereinfacht und die dafür erforderliche Zeit verkürzt werden konnte. Wenn durch diese Vorgangsweise die Erledigung der aufgetragenen Arbeit auch für den Dienstnehmer, der kein eigenes Fahrzeug hatte, angenehmer und bequemer wurde, so ändert dies nichts daran, daß damit auch betriebliche Interessen gefördert wurden. Damit gingen aber die Pflichten und Befugnisse des Lenkers des Fahrzeuges, der solche Fahrten durchführte, über jene hinaus, die einen Fahrzeuglenker schon auf Grund der für den Straßenverkehr geltenden Vorschriften treffen. Das dienstliche Interesse, das solche Fahrten von rein persönlichen Gefälligkeiten des Fahrzeuglenkers gegenüber einem Arbeitskollegen unterscheidet, ist in allen Fällen zu bejahen, in denen die Vorgangsweise der Betriebsübung entspricht und (auch) im betrieblichen Interesse liegt. Daraus folgt, daß der Erstbeklagte im Zeitpunkt des Unfalles, aus dem der Schadenersatzanspruch abgeleitet wird, gegenüber dem Kläger Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs. 4 ASVG war, sodaß er – und damit auch die Zweitbeklagte – von einer Haftung für den eingetretenen Schaden befreit ist. Da es auf diese Eigenschaft im Unfallszeitpunkt ankommt (ArbSlg 8919 ua), ist es auch nicht wesentlich, ob der Kläger dem Erstbeklagten auch sonst untergeordnet war. Die Eigenschaft des Erstbeklagten als Aufseher im Betrieb gegenüber dem Kläger ergibt sich vielmehr schon aus seinen Pflichten und Befugnissen bei der Beförderung des Klägers vom gewöhnlichen Arbeitsplatz zu dem Platz, an dem die aufgetragene Arbeit zu verrichten war, und für die Rückfahrt von diesem Platz zum gewöhnlichen Arbeitsplatz.
Die Ansicht, daß sich der Unfall nicht bei der Teilnahme am öffentlichen Verkehr ereignete, wird in der Revision nicht mehr bekämpft, sodaß es genügt, darauf zu verweisen, daß die Untergerichte dies mit Recht verneint haben.
Damit erweist sich die Revision als unberechtigt, sodaß ihr ein Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)