OGH 4Ob660/75

OGH4Ob660/753.2.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Leidenfrost als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger, Dr. Friedl, Dr. Resch und Dr. Kuderna als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* F*, Steinmetz, * vertreten durch Dr. Wolfgang Graf, Rechtsanwalt in Linz wider die beklagte Partei L* F*, im Haushalt, * vertreten durch Dr. Wilfried Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7. Oktober 1975, GZ. 3 R 107/75‑24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23. April 1975, GZ. 8 Cg 48/74‑18 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00660.75.0203.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 1.492,96 (einschließlich S 110,56 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am * 1968 vor dem Standesamt F* die Ehe geschlossen. Diese Ehe ist aufseiten des Klägers die zweite, nachdem dessen erste Ehe durch den Tod der Ehefrau aufgelöst worden war; auf Seiten der beklagten Partei hingegen ist sie die erste Ehe. Aus der ersten Ehe des Klägers stammen die Kinder Annemarie, geboren * 1964, und Erika, geboren * 1967. Die beklagte Partei brachte in die Ehe das außereheliche Kind Erwin, geboren * 1955, mit. Die Streitteile sind österreichische Staatsangehörige.

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Er brachte hiezu vor: Es sei zwar richtig, daß er bis zum Jahre 1973 übermäßig dem Alkohol zugesprochen habe, die Beklagte habe diese gelegentlichen Eheverfehlungen jedoch aufgebauscht; schließlich habe die Beklagte dem Kläger gegenüber erklärt, er müsse zusammen mit seinen beiden ehelichen Kindern die Wohnung, F*, verlassen; die Beklagte habe dem Kläger grundlos Eifersuchtsszenen gemacht; Ende 1972 habe sie – ebenfalls grundlos – Anzeigen bei verschiedenen Behörden gegen den Kläger erstattet und ein Entmündigungsverfahren eingeleitet. Nach der vom Kläger in der Zeit vom 2. März 1973 bis 19. April 1973 freiwillig durchgeführten Entwöhnungskur habe sich die Beklagte geweigert, die eheliche Gemeinschaft mit dem Kläger wieder aufzunehmen.

Die Beklagte trat dem Scheidungsbegehren entgegen, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und führte aus: Die Differenzen zwischen ihnen seien vor allem auf den Alkoholmißbrauch durch den Kläger zurückzuführen; seit der Durchführung der Entwöhnungskur meide allerdings der Kläger den Alkohol, sodaß eine Grundlage für die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft gegeben sei; die Ehe sei daher auch nicht unheilbar zerrüttet. Für den Fall der Scheidung beantragte die Beklagte den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers, da dieser bis zur Durchführung seiner Entwöhnungskur dem Alkohol verfallen gewesen und in diesem Zustand tage- und nächtelang nicht nach Hause gekommen sei; in seinem Rauschzustand habe er die Beklagte beschimpft und mißhandelt; er habe den Unterhalt vernachlässigt, ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten und schließlich die eheliche Gemeinschaft eigenmächtig aufgehoben.

Das Erstgericht wies das Scheidungsbegehren ab, wobei es von folgendem wesentlichen Sachverhalt ausging:

Bis zum Jahr 1970 verlief die Ehe der Streitteile harmonisch. Der Kläger wandte sich dann jedoch immer mehr dem Alkoholgenuß zu. In den Jahren 1970 und 1971 ist der Kläger des öfteren in betrunkenem Zustand nach Hause in die eheliche Wohnung F*, gekommen. Die Beklagte machte in einem solchen Fall dem Kläger wegen seines Zustandes Vorhaltungen, worauf es jeweils zwischen den Ehegatten zu Streitigkeiten kam. Im April 1971 schlug der Kläger anläßlich einer solchen Auseinandersetzung in alkoholisiertem Zustand den Ofen in der Wohnung der Streitteile zusammen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wollte der Kläger der Beklagten auch eine Ohrfeige versetzen, was jedoch durch das Dazwischentreten des Schwagers der Beklagten A* R* unterblieben ist. Ein anderes Mal hatte der Kläger im Verlaufe von Streitigkeiten mit der Beklagten das Bett, in welchem die Beklagte gerade gelegen ist, ausgehoben und hiebei beschädigt.

Am 12. März 1972 ist der Kläger um etwa 14.00 Uhr wieder in alkoholisiertem Zustand nach Hause gekommen. Die Beklagte machte ihm deshalb Vorwürfe; es kam zwischen beiden zu einer Auseinandersetzung, die in ein Handgemenge ausartete. Hiebei fuhr die Beklagte dem Kläger in die Haare und der Kläger versetzte der Beklagten einen Schlag gegen den Oberkörper; durch diesen Schlag wurde die Beklagte nicht verletzt; sie zog sich lediglich eine Rötung an der Stirn zu.

1970 und 1972 war der Kläger wegen einer Medikamentenvergiftung insgesamt zweimal in stationärer Behandlung im Krankenhaus F*. Die vom Kläger genommenen Medikamente hatten sich nämlich mit dem von ihm konsumierten Alkohol nicht vertragen, wodurch es zu dieser Erkrankung gekommen ist.

Ende 1972 sprach der Kläger immer mehr dem Alkohol zu und es kam deshalb immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten. Der Kläger kam häufig abends in alkoholisiertem Zustand nach Hause, worauf es zwischen den Ehegatten zu Auseinandersetzungen kam, welche der Kläger zum Anlaß nahm, die eheliche Wohnung wiederum zu verlassen, um nach einem neuerlichen Gasthausbesuch erst in den Morgenstunden nach Hause zu kommen. Ursprünglich sperrte die Beklagte beim Fortgehen des Klägers die Wohnung ab und öffnete dem Kläger, wenn er zurückkehrte. Später sperrte die Beklagte, wenn der Kläger abends wegging, die Türe nicht mehr ab, sodaß der Kläger bei seiner Rückkehr in die Wohnung gelangen konnte. Manchmal war der Kläger so betrunken, daß ihn die Beklagte und ihr Sohn in das Zimmer tragen mußten.

1969 und 1970 hatte der Kläger der Beklagten öfters damit gedroht, daß er sich umbringen werde. Hiebei bat er die Beklagte, sie möge ihm vor allem wegen seines zunehmenden Alkoholkonsums verzeihen. Die Beklagte tat dies auch, weil sie befürchtete, der Kläger werde ansonsten die Selbstmorddrohungen verwirklichen.

Im gemeinsamen Haushalt der Streitteile in F* wohnte auch die Mutter der Beklagten T* L*. Der Kläger hatte sich im Einvernehmen mit der Beklagten im Jahre 1970 in E* ein Haus gekauft. Vereinbarungsgemäß wollten die Streitteile mit den Kindern in dieses Haus übersiedeln. Im September 1972 geschah dies auch tatsächlich. In diesem gemeinsamen Haushalt wohnte auch die Mutter der ersten Frau des Klägers, A* F*. Die Beklagte hat in der Folge einige Monate gemeinsam mit dem Kläger in diesem Haus gewohnt. Sie hat ihm auch die gesamte Hauswirtschaft geführt.

Am 22. November 1972 kam es zwischen den Streitteilen zu einer wörtlichen Auseinandersetzung. Die Beklagte, die sich tagsüber in der Wohnung F*, aufgehalten hatte, kehrte mit ihrem Sohn in die eheliche Wohnung in E* zurück und traf im Haus Frau P* an. Die Beklagte vermutete daraufhin, daß der Kläger mit dieser Frau ein Verhältnis unterhalte, verließ hierauf noch am selben Tag die eheliche Wohnung in E* und verblieb in ihrer früheren Wohnung F*. In der Folge kam die Beklagte noch ab und zu nach E*, um dort zusammen zu räumen und die Wäsche zu waschen.

Die Beklagte ist mit den Kindern des Klägers gut ausgekommen. Sie hat sie während des Zusammenlebens der Streitteile ordentlich gekleidet und verpflegt. Die Beklagte hat auch den ehelichen Haushalt ordentlich geführt. Die Kinder des Klägers wurden daher von der Beklagten in keiner Weise vernachlässigt. Dennoch wurde in der Folge seitens des Klägers den beiden Kindern verboten, die Beklagte aufzusuchen.

Anläßlich einer Tagsatzung zu einem Vergleichsversuch der Streitteile beim Bezirksgericht Freistadt stellte die Beklagte den Antrag, die Trunksucht des Klägers gerichtsärztlich begutachten zu lassen und allenfalls eine Entwöhnungskur anzuordnen. Der Kläger hatte daraufhin erklärt, an einer solchen Entwöhnungskur interessiert zu sein.

Im Verfahren 1 Nc 101/72 des Bezirksgerichtes Freistadt wurde vom medizinischen Sachverständigen Dr. H* S* festgestellt, daß beim Kläger ein chronischer Alkoholabusus vorliege. Vom Sachverständigen wurde dem Kläger eine Alkoholentwöhnungskur vorgeschlagen. Der Kläger erklärte sich noch in der Tagsatzung vom 21. Dezember 1972, bei welcher der genannte Sachverständige dieses Gutachten abgegeben hatte, mit der Unterbringung in der Entwöhnungsanstalt K* einverstanden und nahm zur Kenntnis, daß im Falle der Nichtabsolvierung der empfohlenen Entwöhnungskur mit der Einleitung eines Entmündigungsverfahrens zu rechnen wäre.

Am 19. Jänner 1973 gab die Beklagte beim Bezirksgericht Freistadt zu Protokoll, der Kläger spreche weiterhin übermäßig dem Alkohol zu und durchzeche oft ganze Nächte, sodaß er am folgenden Tag nicht in der Lage sei, seiner Arbeit nachzugehen.

Vom 2. März 1973 bis 19. April 1973 unterzog sich der Kläger einer Entwöhnungskur in K*. Nach der Rückkehr von dieser Kur genoss der Kläger keinen Alkohol mehr; es kam seither auch zu keinen Vorfällen wegen Alkoholkonsums.

Nach der Rückkehr von K* besuchte der Kläger mit J* G* die Beklagte und fragte sie, ob sie nicht wieder zu ihm nach E* ziehe. Die Beklagte, die den Kläger bei seiner Ankunft nicht grüßte, gab ihrem Mann zu verstehen, daß sie nichtmehr zu ihm nach E* ziehe. Von den Kindern des Klägers wurde bei dieser Zusammenkunft nichts gesprochen.

Ein von der Beklagten gegen den Kläger in die Wege geleitetes Strafverfahren wegen Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber den beiden ehelichen Kindern des Klägers in der Zeit vom 1. August 1972 bis 25. Jänner 1973 endete mit Freispruch.

Am 28. Februar 1973 schlossen die Streitteile vor dem Bezirksgericht Freistadt einen Vergleich, in dessen Punkt 1.) festgehalten ist: ... „seit etwa November 1972 leben die Ehegatten faktisch getrennt, zumal der Beklagte aus der im Hause der Klägerin befindlichen Ehewohnung in sein eigenes Haus weggezogen ist.“

Im Jänner 1974 fragte die Beklagte den Kläger anläßlich eines Besuches, ob sie nicht wieder zusammenziehen könnten. Der Kläger antwortete, er stehe einer Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft nicht im Wege, müsse aber zuerst seine Kinder fragen. Im Jänner 1975 fragte die Beklagte den Kläger nochmals, ob er wieder mit ihr zusammenleben würde, doch hat der Kläger dies abgelehnt. Die Beklagte erklärte auch in der Streitverhandlung vom 26. März 1975, die eheliche Gemeinschaft mit dem Kläger wieder aufnehmen zu wollen.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Beklagte treffe keinerlei Verschulden an der Zerrüttung der Ehe; die Weigerung der Beklagten vom 22. November 1972, in der Wohnung E* zu verbleiben, stelle keine schwere Eheverfehlung dar, da das Antreffen der Frau P* in diesem Hause den Anschein hervorrufen mußte, daß der Kläger zu dieser Frau in ehewidrigen Beziehungen stehe; auch die Tatsache, daß die Beklagte bei der Rückkehr von K* dem Kläger zu verstehen gegeben habe, sie werde nicht mehr zu ihm ziehen, könne der Beklagten nicht angelastet werden, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, ob die Entwöhnungskur Erfolg habe. Die von der Beklagten gegen den Kläger bei verschiedenen Behörden erstatteten Anzeigen seien nicht grundlos erfolgt. Das Erstgericht wies daher das Scheidungsbegehren des Klägers ab.

Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht fand den festgestellten Sachverhalt unbedenklich. Es verwies auch darauf, daß mit Recht nicht festgestellt worden sei, daß die Beklagte deswegen nicht von der Wohnung im Hause F* in die Wohnung im Hause E* ziehen wollte, weil sie bei ihrer in der F* Wohnung lebenden Mutter bleiben wollte. Es sei auch unbedenklich anzunehmen, daß die Beklagte am 22. November 1972 deswegen nicht in der Wohnung im Hause E* verblieb, weil sie vermutete, daß der Kläger ehewidrige Beziehungen zu Frau P* unterhalte. Daß die Beklagte dies tatsächlich vermutete, sei auch dann anzunehmen, wenn sie der Kläger selbst aufgefordert hatte, zu ihm in das Haus E* zu kommen, und sie dort auch Herrn P* antraf, da der Kläger mit Frau P* vor seiner Verehelichung zumindest ehewidrige Beziehungen unterhielt und die Beklagte in anderen Verfahren angegeben habe, daß sie vor dem Öffnen der Haustür 10 Minuten warten mußte und das ganze Verhalten des Klägers und der Frau P* auffällig gewesen sei. Schließlich sei auch eine Feststellung des Inhaltes, die Beklagte habe den Kläger bei seiner Rückkehr von der Entwöhnungskur beschimpft, mit Recht nicht getroffen worden. Rechtlich war das Berufungsgericht der Auffassung, daß das Zusammentreffen mit Frau P* am 22. November 1972 in der Wohnung im Hause E* die Beklagte an sich noch nicht berechtigt hätte, als Reaktion darauf die eheliche Gemeinschaft zu verlassen; die Beklagte hätte vielmehr versuchen müssen, Klarheit darüber zu erlangen, ob ihr Verdacht über das Bestehen ehewidriger Beziehungen auch begründet ist. Es müsse aber berücksichtigt werden, daß der Kläger durch den Alkoholmißbrauch, die Vernachlässigung, Bedrohungen und Mißhandlungen der Beklagten und die Sachbeschädigungen die Ehe bereits schwersten Belastungen ausgesetzt habe. Bei dieser Sachlage müsse die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch die Beklagte doch als berechtigte Reaktionshandlung darauf angesehen werden, daß sie Frau P* in der Wohnung im Hause E* antraf. Überdies habe der Kläger selbst zum Ausdruck gebracht, daß er die Handlungsweise der Beklagten nicht als ehezerstörend empfand, da bei Abschluß des Vergleiches vom 28. Februar 1973 ausdrücklich festgehalten worden war, daß die Ehegatten seit November 1972 getrennt leben, zumal der Kläger aus der im Hause der Beklagten gelegenen Ehewohnung (also der F* Wohnung) in sein eigenes Haus (also jenes in E* gezogen sei. Die Weigerung der Beklagten, nach der Rückkehr des Klägers von der Entwöhnungskur die eheliche Gemeinschaft sofort wieder aufzunehmen, sei keine schwere Eheverfehlung gewesen. Die Beklagte sei mit Rücksicht auf die schweren Eheverfehlungen des Klägers vor der Entwöhnungskur berechtigt gewesen, zunächst abzuwarten, ob der Erfolg dieser Kur dauernd sein werde. Daß sie die Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft nicht endgültig abgelehnt habe, ergebe sich daraus, daß sie in der Folge mehrfach versucht habe, eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu erreichen. Es sei kein Anhaltspunkt dafür gegeben, daß diese Versuche nicht ernstlich gemeint gewesen, sondern aus prozeßtaktischen Gründen unternommen worden seien. Wollte man aber in der Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft am 22. November 1972 oder in der Weigerung der Beklagten, die eheliche Gemeinschaft nach der Rückkehr des Klägers von der Entwöhnungskur wieder aufzunehmen, schwere Eheverfehlungen der Beklagten erblicken, wäre das Scheidungsbegehren dennoch nicht berechtigt, weil die Ehe Verfehlungen der Beklagten erst durch das schuldhafte Verhalten des Klägers hervorgerufen worden seien und die Verfehlungen des Klägers unverhältnismäßig schwerer seien als die der Beklagten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern, allenfalls ein Mitverschulden des Klägers festzustellen oder das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Revision zunächst, das Berufungsgericht habe ohne unmittelbare Beweisaufnahme Beweise anders gewürdigt als das Erstgericht, da es davon ausgegangen sei, daß der Kläger selbst die Beklagte am 22. November 1972 aufforderte, in die Wohnung im Hause E* zu kommen, und daß die Beklagte dort auch den Mann der Frau P* angetroffen habe, obgleich das Erstgericht die diesbezüglichen Feststellungen nicht getroffen habe. Das Berufungsgericht sei dann durch Verwertung des Inhaltes von Beiakten, also ohne unmittelbare Beweisaufnahme, zur Auffassung gelangt, das Erstgericht habe die Schlußfolgerung ziehen dürfen, daß die Beklagte trotz dieser Umstände wirklich vermutete, der Kläger unterhalte mit Frau P* nach wie vor ein ehewidriges Verhältnis. Demgegenüber ist darauf zu verweisen, daß das Erstgericht ausdrücklich feststellte, die Beklagte habe, als sie am 22. November 1972 Frau P* im Hause E* antraf, vermutet, der Kläger unterhalte mit dieser ein ehewidriges Verhältnis und daß sie dies zum Anlaß nahm, nicht mehr in dieses Haus zurückzukehren. Dasselbe hat auch das Berufungsgericht angenommen und somit die Feststellung des Erstgerichtes übernommen. Es hat lediglich näher begründet, warum es diese Feststellung unbedenklich findet und Umstände angeführt, die dafür maßgebend waren, die Feststellung des Erstgerichtes zu billigen. Es ist daher nicht richtig, daß das Berufungsgericht Beweise anders als das Erstgericht gewürdigt habe. Das Berufungsgericht hat vielmehr nur eine ausführlichere Begründung für die Beweiswürdigung gegeben. Wenn sich das Berufungsgericht dabei auch auf Beiakten bezog, liegt darin keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes wegen Unterlassung einer Beweiswiederholung oder Beweisergänzung durch das Berufungsgericht setzte nämlich voraus, daß es die Beweise anders als das Erstgericht würdigte (Fasching ZP IV 184 f, 311). Die Beurteilung, ob die Beklagte trotz des Umstandes, daß sie der Kläger selbst aufforderte, in die Wohnung im Hause E* zu kommen, und daß sie dort auch den Mann der Frau P* antraf, die Vermutung haben konnte, daß ihr Mann mit Frau P* ein ehewidriges Verhältnis unterhalte, gehört in das Gebiet der Beweiswürdigung, die im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg bekämpft werden kann. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze kann bei dieser Feststellung jedenfalls nicht erkannt werden, weil dem Kläger, als er die Beklagte aufforderte, in die Wohnung im Hause E* zu kommen, noch keineswegs bekannt sein mußte, daß Frau P* und ihr Mann dort anwesend sein werden, und die Anwesenheit des Mannes der Frau P* die Vermutung ehewidriger Beziehungen zwischen ihr und dem Kläger noch keineswegs ausschloß. Daß es bei diesem Anlaß tatsächlich zu ehewidrigen Vorfällen gekommen wäre, haben die Untergerichte ohnehin nicht festgestellt. Die Vermutung ehewidriger Beziehungen konnte aber bei der Beklagten schon deswegen aufkommen, weil zwischen ihrem Mann und Frau P* früher tatsächlich ehewidrige Beziehungen bestanden.

Die Revision macht weiter geltend, das Erstgericht habe die Aussage des Zeugen G* überhaupt nicht verwertet und das Berufungsgericht habe diesem Zeugen, ohne ihn zu vernehmen, die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Dem ist entgegenzuhalten, daß das Erstgericht sich ausdrücklich auch auf die Aussage des Zeugen G* bezog (AS 112) und daher auch dessen Aussage verwertete. Wenn es dennoch die von ihm bekundeten Beschimpfungen nicht feststellte, so folgt daraus zwingend, daß es dem Zeugen in dieser Hinsicht nicht geglaubt hat. Das hat das Berufungsgericht für richtig gehalten und daher, wie das Erstgericht, keine Grundlage für die vom Kläger vermissten Feststellungen über die behaupteten Beschimpfungen erkannt. Es hat somit auch in diesem Punkte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes gebilligt und sie nur ausführlicher begründet. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist daher auch hier aus den bereits dargelegten Gründen nicht gegeben.

In rechtlicher Hinsicht macht die Revision zunächst geltend, daß die Beklagte die Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft am 22. November 1972 nur damit begründet habe, daß sie Frau P* in der Wohnung im Hause E* antraf; das habe aber die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft durch die Beklagte nicht gerechtfertigt.

Dem ist entgegenzuhalten, daß die Beurteilung, ob eine schwere Eheverfehlung vorliegt, die einen Scheidungsgrund darstellt, nach dem Gesamtverhalten des beklagten Ehegatten zu erfolgen hat (EFSlg 13792). Es ist daher nicht wesentlich, welches Motiv die Beklagte für die Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft angeführt hat, sondern ob der Vorwurf begründet ist, sie habe die häusliche Gemeinschaft ohne Grund und unter solchen Umständen aufgelöst, daß ihr ihr Verhalten als schwere Eheverfehlung angelastet werden muß. Dazu wurde wiederholt darauf verwiesen, daß die Verletzung der Folgepflicht nur dann ein Scheidungsgrund ist, wenn sie schuldhaft erfolgte, ein Verschulden aber dann nicht gegeben ist, wenn die Weigerung der Frau, ihrer Folgepflicht zu entsprechen, zwar objektiv unberechtigt war, aber im guten Glauben an ihre Berechtigung erfolgte (RZ 1965 8 u.a.). Richtig ist allerdings, daß nicht jeder, sondern nur ein besonders schwerer auf Seite des Ehemannes gelegener Scheidungsgrund die Frau von der Folgepflicht entbindet (SZ 28/145 u.a.). Es müssen aber auch in dieser Hinsicht die Umstände des Falles berücksichtigt werden. Dazu ist im vorliegenden Fall wesentlich, daß die Beklagte nicht aus der ehelichen Wohnung fortzog, sondern in der bisherigen ehelichen Wohnung (in F*) verblieb und der Kläger selbst offensichtlich nicht besonders darauf drängte, daß die Beklagte in die (neue) Ehewohnung im Hause E* komme. Sonst wäre es nicht verständlich, daß er verhältnismäßig kurze Zeit nach dem Vorfall vom 22. November 1972 sich zu einer Unterhaltsleistung an die Beklagte verpflichtete, wobei ausdrücklich festgehalten wurde, daß er aus der „im Hause der Beklagten befindlichen Ehewohnung“ (also jener in F*) in sein eigenes Haus (in E*) weggezogen sei. Die Beklagte konnte jedenfalls unter diesen Umständen mit Rücksicht darauf, daß der Kläger vor dem 22. November 1972 zahlreiche schwere Eheverfehlungen begangen hatte, annehmen, der Kläger bestehe nicht ernstlich darauf, daß sie zu ihm in die Wohnung im Hause E* ziehe. Er hat dies auch erst wieder nach seiner Rückkehr von der Entwöhnungskur verlangt. Dazu haben aber die Untergerichte mit Recht darauf verwiesen, daß der Beklagten zugestanden werden mußte, daß sie zunächst abwarte, ob der Erfolg der Entwöhnungskur von Dauer sein werde. Die Behauptung der Revision, die Beklagte habe eine Aufnahme der häuslichen Gemeinschaft „abrupt“ und in einer Weise abgelehnt, die keine Sinnesänderung habe erwarten lassen, ist durch den festgestellten Sachverhalt nicht gedeckt. Gerade in diesem Punkt sind die Untergerichte der Aussage des Zeugen G*, auf den sich die Revision beruft, nicht gefolgt, sodaß seine Darstellung der rechtlichen Beurteilung nicht zugrundegelegt werden kann. Das Recht, den Erfolg der Entwöhnungskur abzuwarten, kann der Beklagten auch nicht unter Berufung auf ihre Beistandspflicht abgesprochen werden; darauf könnte sich der Kläger nur berufen, wenn nicht die Beklagte auf Grund seines früheren Verhaltens mit Grund eine Wiederholung seiner schwerwiegenden und vielfachen Eheverfehlungen zu befürchten gehabt hätte. Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß es in erster Linie von der Willenseinstellung des Klägers abhing, ob er hinsichtlich des Alkoholmißbrauches wieder rückfällig wird. Als sich in der Folge herausstellte, daß in dieser Hinsicht beim Kläger tatsächlich eine bleibende Besserung eingetreten war, hat die Beklagte selbst wiederholt angeregt, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Eine Feststellung, daß diese Versuche nicht ernstlich gemeint gewesen, sondern nur aus prozeßtaktischen Gründen geschehen seien, haben die Untergerichte ausdrücklich abgelehnt. Auf die diesbezügliche Unterstellung der Revision ist daher nicht einzugehen.

Dem Vorbringen der Revision, daß dann, wenn die Weigerung der Beklagten, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, wegen des vorangegangenen Verhaltens des Klägers berechtigt gewesen sei, die Folgerung zu ziehen sei, daß das Scheidungsbegehren gerechtfertigt sei, ist entgegenzuhalten, daß ein Verhalten der Beklagten, zu dem sie berechtigt war, jedenfalls nicht als schwere Eheverfehlung und damit als Scheidungsgrund angesehen werden kann.

Da somit nach dem festgestellten Sachverhalt ein Scheidungsgrund nicht erwiesen ist, wurde das Scheidungsbegehren des Klägers mit Recht abgewiesen. Eine Erörterung der Frage, ob dieses Begehren trotz Vorliegens eines Scheidungsgrundes auf Seiten der Beklagten auch deswegen abzuweisen gewesen wäre, weil es gemäß § 49 Satz 2 EheG. mit Rücksicht auf die Art der eigenen Verfehlungen des Klägers sittlich nicht gerechtfertigt wäre, konnte daher unterbleiben.

Der Revision war vielmehr ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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