OGH 4Ob64/24a

OGH4Ob64/24a19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Mag. Florin Reiterer, Mag. Martin Ulmer, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Unterlassung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 30. November 2023, GZ 3 R 228/23m‑47, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bezau vom 30. Mai 2023, GZ 5 C 123/20g‑41, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00064.24A.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin und der Beklagte sind Eigentümerin und Hälfteeigentümer benachbarter Grundstücke.

[2] Die Klägerin begehrte in zwei unterschiedlichen, erst im zweiten Rechtsgang verbundenen Verfahren, dem Beklagten einerseits das Betreten und andererseits das Befahren ihres Grundstücks zu untersagen.

[3] Der Beklagte wandte unter anderem ein, eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens ersessen zu haben.

[4] Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht beiden Klagen statt. Eine Dienstbarkeit sei weder ausdrücklich noch schlüssig vereinbart worden. Die Ersitzung würde voraussetzen, dass der Beklagte während der gesamten Ersitzungszeit in Bezug auf einen gültigen Titel gutgläubig war. Dies liege hier nicht vor.

[5] Das Berufungsgericht hob diese Entscheidungen auf und trug dem Erstgericht ergänzende Feststellungen auf, um „unabhängig von einer hier nicht vorliegenden (ausdrücklichen) Vereinbarung einer Dienstbarkeit – die Ersitzung eines Geh- und Fahrrechts im Sinne der dargelegten Judikatur zu prüfen“.

[6] Im zweiten Rechtsgang untersagte das Erstgericht dem Beklagten rechtskräftig (nur) das Befahren des Grundstücks der Klägerin. Das Mehrbegehren der Untersagung des Betretens des Grundstücks wies es ab. Da der Beklagte und seine Ehegattin von 1978 bis zumindest Oktober 2019 unwidersprochen konkret beschriebene Teilflächen zu Fuß genutzt hätten, hätten sie die Dienstbarkeit des Gehens ersessen.

[7] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung in eine gänzliche Klagsstattgebung, untersagte also das Befahren sowie das Betreten der Liegenschaft. Der Beklagte berufe sich zur Begründung seiner Redlichkeit nur darauf, an der Nutzung der Teilflächen über viele Jahre hinweg nicht gehindert worden zu sein. Dies könne schon zwingend für den Beginn der Ersitzungszeit nicht gelten. Es sei daher nicht im Zweifel von einem redlichen Rechtsbesitz auszugehen.

[8] Es ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil es möglicherweise von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Vermutungsregel in den Entscheidungen 7 Ob 549/77 und 5 Ob 47/71 abgewichen sei: Hindere niemand den Rechtsbesitzer bei der Besitzausübung oder werde dafür während der Ersitzungszeit kein Entgelt verlangt, so weise dies auf die Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers hin.

Rechtliche Beurteilung

[9] Ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts ist die Revision des Beklagten in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig.

[10] 1. Thema im Revisionsverfahren ist nur noch die Redlichkeit des Beklagten und seiner Familie beim Begehen der Liegenschaft der Klägerin, um zum Garten hinter dem Haus zu gelangen.

[11] 2. Der Beklagte rügt als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang von seiner Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluss abgewichen sei, obwohl es daran gebunden sei.

[12] 2.1. Die Beantwortung jener Fragen, die vom Rechtsmittelgericht, das die Aufhebung verfügt hat, auf der Grundlage des gegebenen Sachverhalts bereits abschließend entschieden wurden, kann aufgrund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Abschließend erledigte Streitpunkte können im fortgesetzten Verfahren somit nicht mehr aufgerollt werden (RS0042031).

[13] Welche Verfahrensergebnisse im Aufhebungsbeschluss als abschließend erledigt angesehen wurden, hängt ebenso wie die Frage, worauf das weitere Verfahren nach der Aufhebung und Zurückverweisung beschränkt ist, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (RS0042031 [T20]; RS0042411 [T8]) und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage.

[14] 2.2. Das Berufungsgericht bezeichnete in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang keinen Themenkomplex ausdrücklich als erledigten Streitpunkt. Auch aus dem Auftrag ans Erstgericht, im fortgesetzten Verfahren „die Ersitzung eines Geh- und Fahrrechts im Sinne der dargelegten Judikatur zu prüfen“, ist gerade nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht ein Geh- und/oder Fahrrecht bereits dem Grunde nach bejaht und nur ergänzende Feststellungen zu seinem konkreten Umfang aufgetragen hätte.

[15] Dass das Berufungsgericht sich im zweiten Rechtsgang nicht an die Existenz eines Geh- und/oder Fahrrechts gebunden erachtete und deren Ersitzung daher auch gänzlich verneinte, ist jedenfalls vertretbar.

[16] 3. Als unrichtige rechtliche Beurteilung rügt der Beklagte, dass das Berufungsgericht von der höchstgerichtlichen Vermutungsregel abgewichen sei: Nach den Entscheidungen 7 Ob 549/77 und 5 Ob 47/71 könne die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung klar angenommen werden, wenn niemand die Benützung hindere oder dafür während der Ersitzungszeit ein Entgelt verlange.

[17] 3.1. Im vorliegenden Fall gibt es eine konkrete Feststellung zu den Gründen, warum sich der Beklagte für berechtigt hält, Teilflächen des Grundstücks der Klägerin zu begehen. Sie lautet: „Der Beklagte ist der Ansicht, zur Nutzung der Teilflächen 1 und 2 ohne entsprechende Vereinbarung berechtigt zu sein, weil er daran über viele Jahre nicht gehindert wurde“.

[18] Für eine Vermutung ist daher kein Raum.

[19] 3.2. Die Auslegung von Urteilsfeststellungen im Einzelfall bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891).

[20] Die Interpretation des Berufungsgerichts, dass der Beklagte begann, das damals unbewohnte Grundstück (damals: des Rechtsvorgängers) der Klägerin zu begehen, ohne sich dafür für berechtigt zu halten, ist sowohl angesichts des Wortlauts der Feststellung als auch des Akteninhalts vertretbar.

[21] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Die verzeichneten Kosten waren zu korrigieren, weil der Streitwert nur 5.000 EUR beträgt.

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