Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
"Der Antrag der klagenden Partei, der beklagten Partei zur Sicherung des Anspruchs auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen, worauf das Klagebegehren gerichtet ist, mit einstweiliger Verfügung ab sofort und bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Verfahrens zu verbieten, Venenverweilkanülen entsprechend den Dauerbeilagen Beilage B 1 und B 2, gleichgültig mit welchem Farbcodes versehen, im geschäftlichen Verkehr anzubieten oder zu vertreiben, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.905,04 EUR (darin 817,52 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin vertreibt Venenverweilkanülen unter der Bezeichnung "Venflon 2", ihr Patentschutz ist bereits abgelaufen. Einschlägige ISO-Normen geben eine Reihe von Gestaltungsmerkmalen für diese Produkte vor: So die Abmessungen der Kegelverbindungen am Ende der Kanüle und den Innendurchmesser des Katheters, wofür bestimmte Farben als Codes vorgeschrieben sind; ferner wird Sterilisation und eine sterile Verpackung verlangt. Nicht genormt ist die Länge der Nadel und - davon abhängig - die Länge des Katheters und dessen Außendurchmesser.
Die Beklagte vertreibt gleichfalls Venenverweilkanülen in Österreich und bewirbt diese mit dem Satz "designed nach einem großen Vorbild". Ihre Erzeugnisse sind jenen der Klägerin in allen charakteristischen Einzelheiten sehr ähnlich. Völlig übereinstimmend sind der Zuspritzport, die Verschlusskappe für Nadel und Blutstopfen und die Größe der Verpackung. Sie unterscheiden sich nur insoweit, als sich die Spitze des Katheters beim Produkt der Beklagten auf einer Länge von 4 bis 5 mm verjüngt, während diese Verjüngung beim Produkt der Klägerin auf einer Länge von 10 bis 12 mm erfolgt; auch der Stahlnadelschliff ist jeweils anders geartet. Auf der Rückseite der Verpackung lassen sich insofern Unterschiede erkennen, als die Produkte der Klägerin die Bezeichnung "Venflon 2", jene der Beklagten "a.r.t. VEN" tragen. Sowohl die Produkte der Klägerin als auch jene der Beklagten werden in Schachteln zu je 50 Stück vertrieben und insgesamt in Kartons zu je 500 Stück ausgeliefert, wobei Verpackungen und Kartons die jeweilige Produktbezeichnung der Streitteile tragen. Venenverweilkanülen dienen der Verwendung durch Fachpersonal. Abnehmer sind Krankenhäuser und Einkaufsverbände derartiger Anstalten, Pflegeheime und niedergelassene Ärzte. Die Kanülen werden zu etwa 90 % über von Spitalserhaltern formulierte Ausschreibungen verkauft, wobei das gewünschte Produkt in diesen Ausschreibungen regelmäßig als "Venenverweilkanülen wie Venflon oder gleichwertig" bezeichnet wird.
Auf dem österreichischen Markt sind noch zwei weitere Hersteller von Venenverweilkanülen (B. Braun und Johnson & Johnson) vertreten. Ihre Produkte entsprechen der ISO-Norm, weisen aber im Vergleich zum Produkt der Klägerin unterschiedliche Designs der Flügel an den Seiten der Kanüle auf (diese Flügel dienen der Befestigung der Kanüle am Arm des Patienten), haben unterschiedliche Verschlusskappen, unterschiedliche Halterungen und eine gewisse unterschiedliche Gestaltung der Verpackung. Sie haben auch Zuspritzports, die den von den Streitteilen vewendeten nicht entsprechen.
Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrt die Klägerin, der Beklagten für die Dauer des Rechtsstreits mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, Venenverweilkanülen entsprechend den Augenscheinsgegenständen Beilagen B 1 und B 2, gleichgültig mit welchen Farbcodes versehen, im geschäftlichen Verkehr anzubieten oder zu vertreiben. Sie macht geltend, die Beklagte ahme das Produkt der Klägerin sklavisch nach. Für eine derartige Gestaltung bestehe keine technische Notwendigkeit, zumal zahlreiche andere Anbieter in ausreichendem Maß Abstand hielten.
Die Beklagte beantragt Abweisung des Sicherungsantrags. Nach dem Ablauf des Patentschutzes eines Arzneimittels seien Generika allgemein üblich und notwendig, um die Medikamentenkosten zu senken und das Gesundheitssystem finanzierbar zu erhalten. Dasselbe müsse auch für den Markt von Medizinprodukten gelten. Auf diesem Markt würden zahlreiche Venenverweilkanülen angeboten, deren Design jenem des klägerischen Produkts entsprächen. Das Produkt der Beklagten sei keineswegs eine Kopie, sondern unterscheide sich von jenem der Klägerin in zahlreichen Details. Im Übrigen sei eine Verwechselbarkeit schon deshalb nicht gegeben, weil Venenverweilkanülen überwiegend aufgrund von Ausschreibungen oder vergleichbaren Verfahren gekauft würden und die beteiligten Unternehmer wüssten, von wem die angebotenen Produkte stammten. Auch in Spitälern und Ordinationen könne es nicht zu Verwechslungen kommen, weil die Produkte in Überkartons geliefert würden, auf welchen ebenso wie auf den Unterseiten der Verpackungen Firma und Produktbezeichnung aufschienen.
Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen bejahte es einen Verstoß gegen § 1 UWG. Die Beklagte habe die Gestaltung des klägerischen Produkts bewusst nachgeahmt, was sich schon aus ihrer Werbung "designed nach einem großen Vorbild" ergebe, und führe die Gefahr von Verwechslungen über die betriebliche Herkunft ihres Produkts herbei; eine andersartige Gestaltung wäre ihr zumutbar. Dem Produkt könne auch eine gewisse wettbewerbliche Eigenart nicht abgesprochen werden; der technische Freiraum bei der Gestaltung der Kanülen sei ausreichend groß, um individuelle schöpferische Leistungen zu ermöglichen. Trotz der durch die ISO-Normen vorgegebenen Gestaltung blieben noch genügend Merkmale, die geeignet seien, dem Verkehr eine Unterscheidung zu ermöglichen. Im Übrigen vertreibe die Beklagte ihre Kanülen nicht nur auf Bestellung, sondern biete sie jedenfalls auch von sich aus in Abnehmerkreisen an.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Von der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts ausgehend bejahte auch das Rekursgericht die wettbewerbliche Eigenart des Produkts der Klägerin und die Gefahr von Verwechslungen. Mögen auch Venenverweilkanülen zu etwa 90 % über Ausschreibungen verkauft werden, so dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass ein nicht gerade unerheblicher Prozentsatz von 10 % auf anderen Wegen an Ärzte, Apotheker oder private Anwender verkauft werde. Dass die Gefahr von Verwechslungen hinsichtlich dieses Personenkreises ausgeschlossen wäre, sei nicht bescheinigt. Auch eine unterscheidungskräftige Verpackung reiche für sich allein nicht aus, um die Gefahr von Verwechslungen hintanzuhalten. Der Einwand der Beklagten, das Unterlassungsgebot sei angesichts seines Hinweises auf die Beilagen nicht ausreichend bestimmt, sei als Neuerung unbeachtlich.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Rekursgericht von den zur vermeidbaren Herkunftstäuschung entwickelten Grundsätzen der Rechtsprechung abgewichen ist; er ist auch berechtigt.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, die Verwechslungsgefahr als Voraussetzung der ihr vorgeworfenen vermeidbaren Herkunftstäuschung scheide schon deshalb aus, weil sie die Venenverweilkanülen in den von der Klägerin beanstandeten Fällen auf Grund von Ausschreibungen angeboten habe. Der Besteller habe daher die Herkunft des Produkts gekannt. Dem ist zuzustimmen.
Das Nachahmen eines fremden Produkts, das keinen Sonderrechtsschutz genießt, ist an sich nicht wettbewerbswidrig. Ein Verstoß gegen § 1 UWG ist nur dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, aus denen sich die Sittenwidrigkeit der Handlung ergibt (stRspr ÖBl 1997, 34 - Mutan-Beipackzettel; ÖBl 1998, 17 - Schokobananen; ÖBl 2001, 116 - Norwegerpullover). Das ist unter anderem dann der Fall, wenn der Nachahmende das Vorbild nicht nur als Anregung zu eigenem Schaffen benützt, sondern seinem Produkt ohne ausreichenden Grund die Gestaltungsform eines fremden Erzeugnisses gibt und dadurch die Gefahr von Verwechslungen hervorruft. Der Nachahmer muss von dem nachgeahmten Erzeugnis im Rahmen des Möglichen, vor allem dann, wenn ihm eine große Anzahl von Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung steht, angemessen Abstand halten. Eine "vermeidbare Herkunftstäuschung" setzt voraus, dass eine bewusste Nachahmung vorliegt, die Gefahr von Verwechslungen herbeigeführt wird und eine andersartige Gestaltung zumutbar gewesen wäre (ÖBl 2001, 116 - Norwegerpullover mwN). Verwechslungsgefahr ist dabei anzunehmen, wenn dem nachgeahmten Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart und eine gewisse Verkehrsbekanntheit zukommt (ÖBl 1999, 14 - Longarone; ÖBl 2001, 116 - Norwegerpullover je mwN).
Die Vorinstanzen haben die wettbewerbliche Eigenart der von der Klägerin gestalteten Venenverweilkanülen zutreffend bejaht. Mögen auch einschlägige Normen einige technische Details vorgeben, bleiben doch eine Reihe von Möglichkeiten offen, um das Erzeugnis ausreichend unterscheidungskräftig zu gestalten. Diese Möglichkeiten hat die Klägerin auch genutzt, um ihr Produkt individuell und eigenartig zu gestalten. Zuspritzport, Verschlusskappe für Nadel und Blutstropfen wie auch die Produktverpackung weisen ausgeprägt eigenartige Merkmale auf, die weder allgemein üblich noch technisch in dieser Weise vorbestimmt sind. Diese Merkmale sind geeignet, Herkunftsvorstellungen auszulösen. Die Venenverweilkanülen der Beklagten übernehmen diese charakteristischen Details. Dass auch bei Venenverweilkanülen eine unterschiedliche Gestaltung möglich ist, ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten Vergleichsprodukten anderer Konkurrenzunternehmer.
Der Senat hat allerdings in vergleichbaren Fällen schon mehrfach erkannt, dass die Verwechslungsgefahr fehlt, wenn der Abnehmer über die Herkunft des nachgeahmten Produkts genau Bescheid weiß, etwa weil der Nachahmende auf Bestellung des Abnehmers gearbeitet hat (ecolex 1993, 758 - Makramee-Spitzen; ÖBl 1996, 23 - Hotelpässe; ÖBl 1999, 14 - Longarone). Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist dem gleichzuhalten. Bescheinigt ist, dass Venenverweilkanülen der Anwendung durch Fachpersonal dienen. Abnehmer sind Krankenhäuser und Einkaufsverbände derartiger Anstalten, Pflegeheime und niedergelassene Ärzte, wobei etwa 90 % der Kanülen auf Grund von Ausschreibungen der Spitalserhalter verkauft werden. In diesen Fällen scheidet daher die Gefahr von Verwechslungen von vornherein aus, weil der Abnehmer auf Grund der Ausschreibung und des von ihm erteilten Zuschlags die Herkunft des Produkts genau kennt.
Auch bei den übrigen 10 % scheidet aber eine Verwechslungsgefahr aus. Venenverweilkanülen werden in Kliniken, Pflegeheimen oder Arztpraxen durch Fachpersonal angewendet, wobei schon die Verwendung dieses Behelfs an sich eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Dieser bei medizinischem Fachpersonal regelmäßig vorauszusetzenden erhöhten Aufmerksamkeit wird auch die Produktbezeichnung und der deutliche Herstellerhinweis auf der im Zuge der Anwendung erst zu öffnenden Einzelverpackung nicht entgehen, zumal die Verwendung der steril abgepackten Kanüle unmittelbar nach Öffnung der Verpackung erfolgen muss. Soweit das Rekursgericht die Verwechslungsgefahr in seiner rechtlichen Beurteilung aus der Überlegung bejaht, dass unter den 10 % nicht nach Ausschreibung beziehenden Kunden auch private Anwender seien, weicht es sowohl von den Behauptungen der Streitteile als auch vom bescheinigten Sachverhalt und den dazu angeführten Bescheinigungsmitteln ab.
Ist aber die von der Beklagten übernommene Gestaltung - mag sie auch jene des fremden Produkts ohne ausreichenden Grund nachahmen - nicht geeignet, die Gefahr von Verwechslungen mit dem Produkt der Klägerin hervorzurufen, fehlt es an der wesentlichen Voraussetzung für die Erlassung der auf § 1 UWG gestützten Sicherungsverfügung. Auf die im außerordentlichen Revisionsrekurs weiters aufgeworfene Frage der Bestimmtheit des von der Klägerin begehrten Unterlassungsgebots braucht deshalb nicht mehr eingegangen zu werden.
Dem Revisionsrekurs der Beklagten wird Folge gegeben und der Sicherungsantrag in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.
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