Spruch:
Der Irrtum des Dienstgebers bei Ausspruch der Kündigung über die Dauer der Beschäftigung des Dienstnehmers ist ein unbeachtlicher Motivirrtum.
Entscheidung vom 21. Oktober 1969, 4 Ob 63/69.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Am 15. April 1966 ist die Klägerin als Angestellte in die Dienste der Beklagten getreten. Etwa Mitte November 1968 hat die Beklagte das Dienstverhältnis der Klägerin zum 31. Dezember 1968 gekundigt. Mit der am 2. Jänner 1969 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin den der Höhe nach unbestrittenen Betrag von 8910 S samt 4% Zinsen ab Klagstag aus dem Titel der Kündigungsentschädigung mit der Begründung, daß die Beklagte das im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung schon über zwei Jahre lang bestandene Dienstverhältnis unter Verletzung der Kündigungsvorschrift des § 20 (2) AngG. vorzeitig gelöst habe. Am 15. November 1968 hätte die Kündigung des Dienstverhältnisses nur mehr zum 31. März 1969 erfolgen dürfen.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie führte aus, daß die Kündigung des Dienstverhältnisses der Klägerin zum 31. Dezember 1968 auf ein Versehen zurückzuführen sei; es sei übersehen worden, daß die Klägerin im Kündigungszeitpunkt bereits länger als zwei Jahre beschäftigt war. Am 30. Dezember 1968 habe die Klägerin ersucht, ihre Abrechnung für den nächsten Tag fertigzustellen. Bei dieser Gelegenheit habe die Klägerin erklärt, daß sie auch Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis 1. März 1969 habe, weil ihre Kündigung zum 31. Dezember 1968 verfehlt sei. Dadurch sei sie (die Beklagte) erst auf den ihr unterlaufenen Irrtum aufmerksam geworden. Am nächsten Tag habe über ihr Ersuchen ihr Sohn Dr. Paul D. die Klägerin gefragt, ob sie bereits einen neuen Posten oder sonst Dispositionen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1968 getroffen habe. Als die Klägerin dies verneinte, habe Dr. D. im Namen der Beklagten die Kündigung auf den 31. März 1969 richtiggestellt und die Klägerin ersucht bis dahin zu arbeiten. Dies habe die Klägerin abgelehnt.
Bei der ersten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung am 14. Jänner 1969 habe die Klägerin zugegeben, daß sie bereits Ende November 1968 gewußt hätte, daß sie am 13. oder 14. November nicht zum 31. Dezember 1968 gekundigt werden könnte. Richtig sei, daß die Klägerin am 30. Dezember 1968 erstmalig der Beklagten gegenüber erklärt hätte, daß der Kündigungstermin wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist verfehlt sei. Die Beklagte hätte der Klägerin am 30. Dezember 1968 angeboten, den Kündigungstermin per 31. März 1969 zu berichtigen. Dies sei von der Klägerin abgelehnt worden. Sie hätte allerdings am 30. Dezember 1968 noch keinen neuen Dienstposten gehabt und habe ihn auch heute noch nicht.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte gemäß dem Klagebegehren. Dabei legte es den von der Klägerin bei der ersten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung zugegebenen Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß jedenfalls auch die mit einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist ausgesprochene Kündigung das Dienstverhältnis zum angegebenen Termin beendete. Dem Dienstnehmer sei im Regelfall nicht erkennbar, ob die verfehlte Kündigung absichtlich oder auf Grund eines Irrtums erfolgte. Eine Verpflichtung des Dienstnehmers, den Dienstgeber auf eine rechtswidrige Kündigung aufmerksam zu machen bestehe nicht. Dem gekundigten Dienstnehmer stehe es frei, einer einvernehmlichen Verlängerung des Dienstverhältnisses zuzustimmen oder nicht. Unbeachtlich sei, ob der gekundigte Dienstnehmer bereits Dispositionen für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses getroffen habe. Der Klagsanspruch sei daher gemäß § 29 AngG. gegeben.
Das Berufungsgericht führt die Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerG. von neuem durch. Es legte seiner Entscheidung, mit der das Begehren der Klägerin abgewiesen wurde, den schon vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde. Es beurteilte diesen in rechtlicher Beziehung wie folgt:
Vertragliche Verpflichtungen besonderer Art, die die Klägerin daran gehindert hätten, bis 31. März 1969 den Dienst zu versehen, hätten nicht bestanden. Noch am 14. Jänner 1969 im Zeitpunkte des Schlusses der Verhandlung erster Instanz habe die Klägerin keinen neuen Dienstposten gehabt. Ein Rechtfertigungsgrund, der die Klägerin zur Verweigerung der bis 31. März 1969 verlangten Dienstleistungen berechtigt hätte, wäre nach rechtzeitiger Aufklärung des Irrtums, worin sich die Beklagte bezüglich des Kündigungstermines befunden hatte, nicht mehr vorgelegen. Die Klägerin wäre daher verpflichtet gewesen, ihre Dienstleistungen bis zum 31. März 1969 fortzusetzen. Die zunächst zum 31. Dezember 1968 ausgesprochene Kündigung habe ihre Wirksamkeit für den nächsten zulässigen Kündigungstermin zum 31. März 1969 behalten, als vom gekundigten Dienstnehmer noch während des aufrechten Dienstverhältnisses verlangt worden sei, seine Dienstleistungen bis 31. März 1969 fortzusetzen (Arb. 6430, 8082). Die Klägerin stütze ihren Anspruch auf § 29 AngG. Diese Gesetzesbestimmung normiere die Schadenshöhe, die vom Dienstgeber dem Dienstnehmer auch dann zu leisten sei, falls das Dienstverhältnis durch Kündigung mit einer kürzeren als der gesetzlich zulässigen Kündigungsfrist beendet werde. § 29 AngG. finde auf bestimmte Schadenersatzansprüche aus einem bestandenen Dienstverhältnis Anwendung. Auch der Klagsanspruch sei ein Schadenersatzanspruch. Der Klägerin gebühre kein Ersatz, weil sie verpflichtet gewesen wäre, ihre Dienste bis zum 31. März 1969 fortzusetzen, aber auch weil grundsätzlich der vermeintlich Geschädigte verpflichtet sei, nach Kräften den Eintritt eines möglichen Schadens von dem Vertragspartner abzuwenden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zunächst ist klarzustellen, welche Wirkung die Kündigung eines ohne Zeitbestimmung eingegangenen Dienstverhältnisses hat (§ 20 AngG.), wenn sie mit einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist ausgesprochen wurde. In den Entscheidungen Arb. 6044, 6485, 6866, 7584, 7889 wird der Standpunkt eingenommen, daß das Dienstverhältnis zum ausgesprochenen Termin aufgelöst werde; in anderen Entscheidungen (Arb. 6430, Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Arb. 8082) wird bei vorschriftswidriger Kündigung das Fortbestehen des Dienstverhältnisses bis zum nächsten zulässigen Kündigungstermin angenommen, weil die verfehlte Kündigung als Kündigung zum nächsten zulässigen Termin ungedeutet wird. Wenn der Dienstgeber nach § 29 AngG. den Angestellten ohne wichtigen Grund vorzeitig entläßt, endet das Dienstverhältnis jedenfalls in den dort angeführten Fällen (Entlassung vor Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der bestimmten Vertragszeit oder Entlassung vor Ablauf der Zeit, die durch ordnungsgemäße Kündigung durch den Dienstgeber hätte verstreichen müssen) und hat der Angestellte nur Anspruch auf Entgelt und Schadenersatz. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß ein Dienstverhältnis gegen den Willen eines Teiles unerwünscht ist (vgl. Spielbüchler in JBl. 1968 S. 485 f.). Derselbe Gedanke legt jedoch auch die analoge Anwendung der im § 29 AngG. vorgesehenen Regelung auf Fälle, in denen mit einer kürzeren als der gesetzlich oder vertragsmäßigen Frist gekundigt wird, nahe. Es ist also im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß grundsätzlich mit der Kündigung der Beklagten das Dienstverhältnis zu dem dort angeführten Termin beendet werden konnte. Wenn Spielbüchler a. a. O. die Auffassung vertritt, daß der Wille, das Dienstverhältnis faktisch ohne Rücksicht auf seine normale Endigung zu beenden, grundsätzlich nur bei einer Entlassung (Austritt) anzunehmen sei, im Falle einer verfehlten Kündigung äußere er sich erst dann, wenn auf Grund dieser Kündigung tatsächlich ein Ausschluß von Beschäftigung und Entgelt erfolge, so kann dem nicht ohne weiteres gefolgt werden. Dies würde gegen den Grundsatz verstoßen, daß die dem andern Teil erklärte und diesem zugekommene Kündigung einseitig nicht mehr widerrufen werden kann (Klang[2] V S. 313). Wenn der Dienstgeber mit der Kündigung seinen Willen erklärt, das Dienstverhältnis zum Kündigungstermin beenden zu wollen, so kann der Gekundigte zunächst darauf vertrauen, daß dies auch tatsächlich der Wille des Dienstgebers ist. Wäre dies nicht der Fall, dann kann der Dienstgeber die mit Willensmängeln behaftete Kündigung wie jedes andere Rechtsgeschäft nach allgemeinen Regeln anfechten (§ 876 ABGB., Klang[2] IV/1 S. 153, Nikisch I[3] S. 704, Hueck - Nipperdey I; S. 557). Wenn sich der Mangel der Kündigung in der Rechtssphäre des Dienstgebers zugetragen hat, ist es auch gerechtfertigt, daß er das fehlerhafte Rechtsgeschäft nach den Irrtumsregeln anficht und nicht einfach nach Erkenntnis seines Irrtums erklärt, die Kündigung gelte für den nächsten zulässigen Termin und bis dahin auch das Dienstverhältnis. Dadurch würde der Dienstnehmer genötigt, seine Schadenersatzansprüche ohne Rücksicht auf die für ihn günstigeren Regeln des § 29 AngG. geltend zu machen, obwohl deren analoge Anwendung auch auf die Fälle der verfehlten Kündigung gerechtfertigt ist.
Im vorliegenden Fall ist das Berufungsgericht offenbar davon ausgegangen, daß die Beklagte aus einem wesentlichen Geschäftsirrtum (§ 871 ABGB.), der aber noch rechtzeitig (vor dem 31. Dezember 1968) aufgeklärt wurde, statt zum 31. März 1969 zum 31. Dezember 1968 gekundigt hatte. Diese Annahme ist freilich in den Feststellungen der Untergerichte nicht begrundet. Die Beklagte hat das zwar behauptet, doch ist ein Irrtum derselben nicht festgestellt worden. Die Meinung der Klägerin, die Irrtumsregeln kämen nicht zur Anwendung, weil die Beklagte ihren Irrtum selbst verschuldet habe, übersieht, daß zwischen entschuldbarem und unentschuldbarem Irrtum nicht zu unterscheiden ist (Klang[2] IV/1 S. 118).
Daß die Klägerin einige Zeit nach der Kündigung Kenntnis davon erlangte, daß die Kündigungsfrist verfehlt war und trotzdem davon gegenüber der Beklagten nichts erwähnte, kann nicht als Handeln wider die guten Sitten (§ 1295 (2) ABGB.) beurteilt werden, weil ein Widerruf der Kündigung, obwohl sie erklärt und dem anderen Teil zugekommen ist, regelmäßig nicht mehr möglich ist (Klang[2] V S. 313 und 326). Die Anwendung der allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts über die Rettungspflicht des Geschädigten kommt im Hinblick auf die positiven Bestimmungen des § 29 AngG., die ja im Absatz 1 gleichfalls die Rettungspflicht des Dienstnehmers behandeln, im Absatz 2 aber eine Ausnahme für den Zeitraum von drei Monaten, den klagsgegenständlichen Anspruch machen, nicht in Betracht.
Es muß nun geprüft werden, ob der geltendgemachte Irrtum wesentlich im Sinne der §§ 871, 876 ABGB. sein könnte. Nach Gschnitzer in Klang[2] IV/1 S. 117 (S. 154) muß sich beim Geschäftsirrtum die unrichtige Vorstellung des Irrenden auf innerhalb, beim Motivirrtum auf außerhalb des Geschäftes liegende Punkte beziehen. Während der Geschäftsirrtum den Erklärungsirrtum gleichgestellt wird, ist der Motivirrtum nach § 901 ABGB. bei entgeltlichen Geschäften unerheblich, außer er wäre durch List veranlaßt oder das Motiv ausdrücklich zur Bedingung gemacht. Die Beklagte behauptet nun, die Kündigung zum unrichtigen Termin hätte auf einem Versehen beruht, sie hätte übersehen, daß die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits länger als zwei Jahre bei ihr beschäftigt gewesen sei und daß nicht unter Einhaltung einer sechswöchigen, sondern einer zweimonatigen Kündigungsfrist die Kündigung auszusprechen gewesen wäre. Dieser Irrtum kann zwar nicht als Rechtsfolgeirrtum angesehen werden (vgl. Gschnitzer a. a. O. S. 139 f.), denn die Beklagte beruft sich nicht darauf, über die Folgen der verfehlten Kündigung geirrt zu haben, sondern auf einen für die Wahl des Kündigungstermins maßgebenden Irrtum über die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Es ist aber die Frage, ob dieser Irrtum einen innerhalb des Geschäfts liegenden Punkt betrifft, also Geschäftsirrtum ist, oder ob ein hier unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt. Das letztere trifft zu, weil es sich bei der Ermittlung der für die Kündigung maßgebenden Zeitdauer des Dienstverhältnisses doch nur um Umstände handelt, die nach der Verkehrsauffassung der Kundigende auf eigene Gefahr festzustellen hat und über die er eine Aufklärung von anderen nicht erwartet (vgl. Ehrenzweig I/1[2] S. 227) und die Beklagte selbst zugibt, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung nicht wußte, daß diese verfehlt war, geschweige denn davon Kenntnis hatte, auf welchem Motiv sie beruhte (vgl. Klang[2] IV/1 S. 329). Daraus folgt aber, daß eine Anfechtung der Kündigung wegen Irrtums im Wege der Einrede durch die Beklagte ausgeschlossen ist.
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