OGH 4Ob610/71

OGH4Ob610/7114.9.1971

SZ 44/129

Normen

Vierte Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich Art7 Nr 14
HGB §117
HGB §127
HGB §132
HGB §140
HGB §145f
HGB §146
HGB §147
Vierte Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich Art7 Nr 14
HGB §117
HGB §127
HGB §132
HGB §140
HGB §145f
HGB §146
HGB §147

 

Spruch:

Zulässige Aufkündigung der Gesellschaft durch den nach § 140 HGB auf Ausschließung geklagten Gesellschafter

Nach Auflösung der Gesellschaft, also im Liquidationsstadium, ist für Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters durch einstweilige Verfügung kein Raum mehr

Schwierigkeiten im Verhältnis unter den Liquidatoren sind nach §§ 145 ff (insbesondere § 147) HGB zu beheben

Grundsätzlich sind sämtliche Gesellschafter Liquidatoren, auch solche, denen die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht nach §§ 117, 127 HGB durch das Gericht entzogen worden sind

OGH 14. 9. 1971, 4 Ob 610/71 (OLG Innsbruck 1 R 108/71; LG Feldkirch 1 a

Cg 95/70)

Text

Die Kläger brachten gegen den Beklagten eine Klage auf Ausschließung des Beklagten aus der F-OHG nach § 140 HGB ein. Zur Sicherung ihres Anspruches beantragten sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wodurch dem Beklagten die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Firma entzogen und der Erstkläger zur alleinigen Geschäftsführung und Vertretung der Firma ermächtigt werde.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung ab; das Rekursgericht bewilligte die einstweilige Verfügung dem eingeschränkten Rekursantrag gemäß, wonach dem Beklagten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage, längstens bis 31. 12. 1971, die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis entzogen wird. Der Oberste Gerichtshof hob auf Grund des Revisionsrekurses des Beklagten die Entscheidung der Gerichte erster und zweiter Instanz auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Das Erstgericht wies mit Beschluß vom 22. 6. 1971 den im seinerzeitigen Rekurs eingeschränkten Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung neuerlich ab, ohne die aufgetragene Verfahrensergänzung vorzunehmen, und verpflichtete die Kläger zum Kostenersatz an den Beklagten. Es begrundete seine Entscheidung damit, daß seit dem 1. 6. 1971 eine geänderte Rechtslage vorliege, da der Beklagte die Gesellschaft zum 3I. 5. 1971 aufgekundigt habe. Damit sei die offene Handelsgesellschaft seit dem 1. 6. 1971 aufgelöst, die bisherigen Befugnisse zur Geschäftsführung und Vertretung seien erloschen, und es habe die Liquidation stattzufinden. Damit habe der Antrag der Kläger, dem Beklagten die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zu entziehen, keinen Sinn mehr, da diese Befugnisse auf die Liquidatoren übergegangen seien.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses der Kläger diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, nach Rechtskraft seines Beschlusses das Verfahren zu ergänzen und neuerlich zu entscheiden.

Hiezu führte das Rekursgericht aus:

Aus dem angefochtenen Beschluß ergebe sich, daß der Beklagte die Gesellschaft mit Schreiben vom 16. 4. 1970 zum 31. 5. 1971 aufgekundigt habe. Das Erstgericht habe die Wirksamkeit der Kündigung angenommen, ohne jedoch entsprechende Feststellungen getroffen zu haben. Die Wirksamkeit einer Kündigung hänge von verschiedenen Umständen ab. Aus dem Sachvorbringen selbst könne wohl geschlossen werden, daß eine Gesellschaft auf unbestimmte Zeit gegeben sei. Nach § 132 HGB könne die Kündigung eines Gesellschafters aber nur für den Schluß eines Geschäftsjahres erfolgen und müsse mindestens 6 Monate vor diesem Zeitpunkt stattfinden. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei aber nicht geklärt. Es fehle auch jedwede Stellungnahme der Kläger, ob sie die Kündigung als wirksam erachteten.

Falls die Rechtswirksamkeit der Kündigung zu bejahen wäre, würden sich daraus aber nur Folgen bei einer Auflösungsklage ergeben. In diesem Fall wäre für den Klageanspruch kein Raum mehr, weil die Auflösungsklage dasselbe Ziel verfolge und im wesentlichen nichts anderes als eine außerordentliche Kündigung darstelle. Die Kläger wollten aber mit ihrer Klage nicht die Auflösung der Gesellschaft, sondern deren Fortsetzung ohne den Beklagten. Ihr Klagebegehren gehe demnach auch auf Ausschließung des Beklagten aus der offenen Handelsgesellschaft. Dieser Anspruch erlösche aber nicht mit der Auflösung der Gesellschaft, sondern wirke auch in das Liquidationsstadium hinein, weil die Gesellschafter ein erhebliches Interesse daran haben können, die Liquidation sachgemäß und ohne Störung durchzuführen. Die Ausschließungsklage werde deshalb sogar zugelassen, wenn sich die Gesellschaft bereits in Liquidation befindet. Bis zur Entschließung über die Ausschließungsklage, während deren das Gesellschaftsleben durch die beantragte einstweilige Verfügung geregelt werden solle, könnte auch der im kleineren Rahmen gehaltene Anspruch im Sicherungsverfahren nicht verneint werden, weil sonst die ordnungsgemäße Liquidation gefährdet wäre, falls es zu einer solchen infolge Auflösung der Gesellschaft komme. Die Voraussetzungen der §§ 117 und 127 HGB als selbständige Klageansprüche kämen sohin hier nicht zur vollen Anwendung.

Da nach der Behauptung des Beklagten die Auflösung der Gesellschaft mit Ablauf des 31. 5. 1971 eingetreten sein solle, die Kläger ihren Anspruch auf Ausschluß des Beklagten aber schon wesentlich früher geltend gemacht hätten, könne die Wirksamkeit der Kündigung aber bei Aufrechterhaltung der Klage schon deshalb nicht eintreten, weil im Falle des Obsiegens der Kläger der Zweck der Bestimmung des § 140 HGB, nämlich das Fortbestehen der Gesellschaft unter zwangsweiser Entfernung des Beklagten, vereitelt würde. Nach § 138 HGB sei es den Gesellschaftern gestattet, um die Auflösung der Gesellschaft zu vermeiden und das Unternehmen als solches zu halten, im Gesellschaftsvertrag zu vereinbaren, daß dann, wenn ein Gesellschafter kundigt, die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen solle. Der Gesellschafter, in dessen Person der Auflösungsgrund eingetreten ist, scheide zum Auflösungstermin aus der Gesellschaft aus. Diese Bestimmung versage jedoch, wenn der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Abrede nicht enthalte oder wenn, wie hier, überhaupt kein Gesellschaftsvertrag vorliege. In diesen Fällen greife jedoch die Bestimmung des § 140 HGB ergänzend ein. Das Gesetz ermögliche es somit den übrigen Gesellschaftern, den betreffenden Gesellschafter aus der Gesellschaft auszuschließen. Die vertragstreuen oder schutzwürdigen Gesellschafter sollten dadurch vor der Auflösung der Gesellschaft und einer Abwicklung unter Mitwirkung des störenden Gesellschafters bewahrt werden, wenn die Gesellschaft aus mehr als zwei Personen besteht und nach der Ausschließung noch mindestens zwei Gesellschafter vorhanden sind.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Rekursgericht hat entgegen der Auffassung des Erstgerichtes eine ordnungsgemäße Aufkündigung der offenen Handelsgesellschaft durch den Beklagten zum 31. 5. 1971 nicht als bescheinigt angenommen. Seine Bedenken beruhen darauf, daß nicht geklärt sei, ob die Kündigung für den Schluß des Geschäftsjahres erfolgte und mindestens sechs Monate vor diesem Zeitpunkt stattfand (§ 132 HGB). Dies sei nicht ausreichend geklärt, zumal jegliche Stellungnahme der Kläger hiezu fehle.

Es trifft zu, daß zur Frage der Aufkündigung der Gesellschaft zum 31. 5. 1971 außer den vorliegenden Urkunden, auf die das Rekursgericht selbst verweist, nur Behauptungen des Beklagten in Schriftsätzen und seine Angaben als Auskunftsperson vorliegen. Wenn diese zur Widerlegung des geltend gemachten Anspruchs bestimmten Gegenbescheinigungsmittel dem Rekursgericht nicht hinreichend erschienen, so kann darüber nicht hinweggegangen werden, weil der OGH auch im Provisorialverfahren nicht Tatsacheninstanz ist. Es wird also erforderlich sein, daß das Erstgericht dem Beklagten Gelegenheit gibt, weitere Bescheinigungsmittel dafür, daß infolge wirksamer Aufkündigung der offenen Handelsgesellschaft sich diese seit 1. 6. 1971 im Liquidationsstadium befindet, vorzubringen, und daß es überhaupt dazu die Stellungnahme der Kläger einholt.

Es ist richtig, daß nach Lehre und Rechtsprechung (vgl Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft[3], 324; HS 1390/76; EvBl 1970/205 uä) die Ausschließung eines Gesellschafters auch noch nach der Auflösung der offenen Handelsgesellschaft beantragt werden kann. Dies kann aber nichts daran ändern, daß eine ordnungsgemäß gekundigte Gesellschaft ins Liquidationsstadium tritt. Daß bei einer Klageführung auf Ausschließung eines Gesellschafters nach § 140 HGB die Aufkündigung der Gesellschaft durch den auszuschließenden Gesellschafter nicht mehr möglich wäre, wie das Rekursgericht anzunehmen scheint, ist im Gesetz nicht vorgesehen und würde eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des Kündigungsrechts bedeuten. Inwiefern dieses einer Beschränkung durch Vereinbarung unterliegen kann, ergibt sich aus Art 7 Nr 14 EVHGB, wonach eine Erschwerung der Kündigung nur durch Verlängerung der Kündigungsfrist vereinbart werden kann. Daraus ist aber abzuleiten, daß nach dem Willen des Gesetzes im allgemeinen auch nicht durch andere Umstände außerhalb einer Vereinbarung eine Beschränkung des Kündigungsrechts eintreten kann.

Sollte sich demnach herausstellen, daß die offene Handelsgesellschaft durch Kündigung aufgelöst ist und sich im Liquidationsstadium befindet, dann wäre für die durch einstweilige Verfügung beantragte Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Beklagten tatsächlich kein Raum mehr, weil ihm diese Befugnisse als Gesellschafter nicht mehr zustehen. Sie stehen vielmehr grundsätzlich den Liquidatoren zu (Hueck aaO 365), für die der Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung und der Gesamtvertretung gilt (§ 150 Abs 1 HGB). Grundsätzlich sind sämtliche Gesellschafter Liquidatoren, auch solche, denen die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht nach §§ 117, 127 HGB durch das Gericht entzogen worden sind (vgl Hueck aaO 360). Es wäre daher nicht angängig, nach Auflösung der Gesellschaft einem Gesellschafter durch einstweilige Verfügung die Geschäftsführung- und Vertretungsbefugnis zu entziehen, weil sie ihm als solche ja nicht mehr zukommt. Treten Schwierigkeiten zwischen den Liquidatoren auf, so kann Abhilfe gemäß den Bestimmungen der §§ 145 ff HGB, insbesondere nach § 147 HGB, geschaffen werden.

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