OGH 4Ob564/91

OGH4Ob564/9119.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl in der Vormundschaftssache der mj. Silvana J*****, geboren ***** 1989, infolge Revisionsrekurses der Mutter und gesetzlichen Vertreterin des Kindes Gudrun S*****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 19. August 1991, GZ 1 R 383/91-38, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hermagor vom 10. Juli 1991, GZ P 51/90-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Beschlußfassung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 13. Dezember 1990 erhöhte das Erstgericht den vom Vater für die mj. Silvana J*****, geboren ***** 1989, monatlich zu leistenden Unterhalt mit Wirkung ab 16. August 1990 auf S 2.000 monatlich. Es sei nicht glaubwürdig, daß der Unterhaltspflichtige in seinem früheren Beruf als Bauhilfsarbeiter keinen Arbeitsplatz finden könne und wegen seines Gesundheitszustandes zur Leistung solcher Arbeiten außerstande sei. Der Vater ziehe aus seiner Tätigkeit in einem - von einem Verein betriebenen - Fitneß-Center beträchtliche Einkünfte; seinen Angaben, daß er von Gelegenheitsarbeiten lebe, sei nicht zu folgen. Bei Anwendung des Anspannungsgrundsatzes sei von einem erzielbaren Einkommen von S 15.000 monatlich auszugehen.

Am 21. Mai 1991 stellte das Kind durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin den Antrag, den Vater zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltes von S 3.000 zu verpflichten, der Sache nach also ein Unterhaltserhöhungsbegehren. Der Unterhaltspflichtige ziehe aus dem Holzverkauf von zwei eigenen Liegenschaften, aus der Viehzucht (- die Landwirtschaft gehöre zwar dem Vater des Unterhaltspflichtigen, doch fließe diesem selbst der Ertrag zu -), aus der Tätigkeit als Unterhaltungsmusiker bei verschiedenen Veranstaltungen sowie aus der Leitung des bereits erwähnten Fitneß-Centers ein Einkommen von mindestens S 20.000 netto monatlich; jedenfalls wäre er in der Lage, ein solches Einkommen zu erzielen.

Das Erstgericht wies den Unterhaltserhöhungsantrag nach Vernehmung des Unterhaltspflichtigen, jedoch unter Übergehung der weiteren Beweisanträge der Mutter, ab. Seit der letzten Unterhaltsfestsetzung seien die Bedürfnisse des Kindes nicht so gestiegen, daß dies eine Erhöhung des bisher festgesetzten Unterhaltsbetrages rechtfertige. Mit S 2.000 monatlich könne der durchschnittliche Bedarf eines zweijährigen Kindes hinlänglich gedeckt werden. Der Vater beziehe S 3.549 Notstandshilfe monatlich; weitere Einkünfte seien nicht nachgewiesen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Erstgericht habe zwar die Behauptung, daß der Vater S 20.000 netto monatlich verdiene, nicht näher geprüft, doch liege darin kein Feststellungsmangel, weil seit der Schaffung des letzten Unterhaltstitels keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei; das Erstgericht habe dem Beschluß vom 13. Dezember 1990 ohnehin die Annahme zugrunde gelegt, daß der Vater ein Einkommen von S 15.000 monatlich erzielen könne. Auch ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von S 20.000 würde einen die Bedürfnisse des Kindes übersteigenden Unterhalt von mehr als S 2.000 nicht rechtfertigen. Der Regelbedarf des Kindes betrage rund S 1.600. Ein höheres Einkommen des Unterhaltspflichtigen dürfe nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die angemessene Grenze des § 140 ABGB hinaus zu alimentieren.

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs des Kindes ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, daß die Bezirkshauptmannschaft Hermagor-Jugendamt (im Sinne des seit 1. Juli 1989 geltenden § 212 Abs 2 ABGB) Sachwalter des Kindes für die Festsetzung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche wurde (vgl. EvBl 1991/51). Durch die Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers wird jedoch die Vertretungsbefugnis des sonstigen gesetzlichen Vertreters nicht eingeschränkt (§ 212 Abs 4 ABGB); es besteht daher konkurrierende Vertretungsbefugnis (RZ 1991/55). In solchen Fällen gilt zwar § 154a ABGB sinngemäß; da jedoch das letzte vorausgegangene Unterhaltsfestsetzungsverfahren mit der Erhöhung des Unterhaltes auf S 2.000 monatlich rechtskräftig abgeschlossen war, ist die Mutter im nunmehrigen Verfahren vertretungsberechtigt, weil sie die erste Verfahrenshandlung gesetzt hat (§ 154a Abs 1 ABGB; RZ 1991/55).

Gemäß § 140 Abs 1 ABGB (iVm § 166 ABGB) haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des (unehelichen) Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Elternteil, der den Haushalt führt, in welchem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag; darüber hinaus hat er zum Unterhalt des Kindes beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müßte, als seinen Lebensverhältnissen angemessen wäre (Abs 2). Bei der Unterhaltsbemessung kommt es daher vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; andererseits muß aber auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden (JBl 1991, 40 = ÖA 1991, 78 mwN). Einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, gibt das Gesetz nur durch die Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern sowie deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach ihren Kräften beizutragen; ein konkretes Berechnungssystem kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Da somit eine gesetzliche Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Berechnungssystems nicht besteht, kann der Oberste Gerichtshof auch nicht Regeln der Unterhaltsbemessung derart in ein System verdichten, daß sich eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall ergibt; er kann vielmehr in Fragen der Unterhaltsbemessung nur aussprechen, auf welche Umstände es ankommt (Petrasch, ÖJZ 1989, 743 ff (748)). Demgemäß kann der Oberste Gerichtshof auch keine Prozentsätze festlegen; derartige Werte können nur bei der konkreten Berechnung eines Unterhaltsanspruches im Interesse der gleichen Behandlung gleichartiger Fälle herangezogen, nicht aber generell als Maßstab für die Unterhaltsbemessung festgelegt werden (JBl 1991, 40 = ÖA 1991, 78; RZ 1991/50; ÖA 1991, 102 ua; auch RZ 1991/26). Der Zuspruch bloß des Regelbedarfes ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Eltern würde dem Gesetz widersprechen (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 5 a zu § 140; JBl 1991, 40 = ÖA 1991, 78; ÖA 1991, 102); andererseits darf hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht dazu führen, daß der Unterhaltsberechtigte über die Angemessenheitsgrenze des § 140 ABGB hinaus alimentiert wird (JBl 1991, 40 = ÖA 1991, 78).

Wo diese Angemessenheitsgrenze jeweils liegt, kann aber wiederum nicht für alle möglichen Fälle eines hohen Einkommens der Unterhaltspflichtigen mit Hilfe eines konkreten Berechnungssystems festgestellt werden. Vertragliche oder in einem Vielfachen des sogenannten Regelbedarfes ausgedrückte absolute Obergrenzen für die Festsetzung des Kindesunterhaltes sind mit den in § 140 ABGB normierten Bemessungskriterien nicht vereinbar; diese gestatten daher insbesondere auch keinen allgemeinen "Unterhaltsstop" beim 2,5-fachen oder einem sonstigen Vielfachen der sogenannten Regelbedarfssätze (6 Ob 533/91). Unter dem "Regelbedarf" ist dabei jener Bedarf zu verstehen, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Bestreitung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und Urlaub hat (ÖA 1991, 100).

Was die Bedürfnisse der Minderjährigen anlangt, so kann zunächst - als Hilfsmittel für die Lösung der Tatfrage - von dem nach der Verbrauchsausgabenstatistik ermittelten Regelbedarf von 1.670 S monatlich (für Kinder von 0 bis 3 Jahren) ausgegangen werden. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, daß das Kind schon im 3. Lebensjahr steht und sich damit in seinen Bedürfnissen allmählich der nächsten Altersgruppe (3 bis 6 Jahre) nähert, für welche der Regelbedarfssatz seit 1. Juli 1991 mit S 2.130 errechnet wurde. Die vom BMJ mit Note vom 11. April 1991 bekanntgegebenen, vom Österreichischen Statistischen Zentralamt errechneten Haushaltsausgaben für Kinder von 0 bis 10 Jahren betragen - allerdings einschließlich der (anteiligen) Miete - schon bei Gesamthaushaltsausgaben von S 12.000 S 3.090, bei Gesamthaushaltsausgaben von S 16.000 S 4.350 und bei solchen von S 20.000 S 5.650 (ÖA 1991, 52). Diese Berechnungen beruhen zwar nicht auf dem jeweiligen Einkommen des Unterhaltspflichtigen, sondern auf den jeweiligen tatsächlichen Gesamthaushaltsausgaben; sie zeigen aber doch, daß der auf Kinder entfallende Anteil an den Haushaltsausgaben mit der Höhe des zur Verfügung stehenden Einkommens regelmäßig entsprechend ansteigt.

Da dem Kind bisher bei einer - nach den Behauptungen - deutlich geringeren Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nur ein knapp über dem Regelbedarf liegender Unterhalt zugesprochen wurde, könnte es für die Unterhaltsbemessung nicht ohne Auswirkungen bleiben, wenn sich das Einkommen des Unterhaltspflichtigen seit der letzten Unterhaltsfestsetzung (welche mit Wirkung vom 16. August 1990 vorgenommen wurde) von monatlich S 15.000 auf S 20.000, also um 1/3, erhöht hätte. Eine Unterhaltsbemessung, die eine solche Erhöhung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen außer Betracht läßt, würde dem Grundsatz des § 140 ABGB widersprechen, daß neben den Bedürfnissen des Kindes auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen Berücksichtigung zu finden hat, zumal im vorliegenden Fall von einer "Überalimentierung" des Kindes über der Angemessenheitsgrenze des § 140 ABGB nicht die Rede sein kann.

Im fortgesetzten Verfahren wird somit festzustellen sein, ob der Vater tatsächlich S 20.000 monatlich verdient oder unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes verdienen könnte. Das Unterhaltserhöhungsverfahren ist daher noch nicht spruchreif; die Beschlüsse der Vorinstanzen sind aufzuheben, und die Rechtssache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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