OGH 4Ob554/95

OGH4Ob554/957.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michael S*****, geboren am 26.Februar 1988, ***** vertreten durch Dr.Stefan Kofler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr.Walter Hell, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1,459.664 S sA und Feststellung (Gesamtstreitwert: 1,759.664 S), infolge der Rekurse der klagenden Partei und der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 3.Mai 1995, GZ 3 R 57/95-68, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15.Juni 1994, GZ 15 Cg 333/93k-57, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 26.2.1988 im Landeskrankenhaus I***** geborene Kläger wies bei seiner Geburt eine perinatale Asphyxie auf. Als deren Folgen leidet er an einem Zustand nach subependymaler, intraventrikulärer und ausgedehnter parendimatöser Hirnblutung, nach cerebralen Anfällen mit BNS-Krämpfen, zeitweisen vokalen Krampfanfällen und an einem schweren psychomental-motorischen Entwicklungsrückstand; er wird lebenslang blind sein.

Als Ursache für die Asphyxie des Klägers kommen entweder die schwere Plazentainsuffizienz seiner Mutter oder die zweifache straffe Nabelschnurumschlingung, welche er bei der Geburt aufwies, in Betracht. Als Folge der Plazentainsuffizienz wäre die Asphyxie des Klägers zu verhindern gewesen, wenn sich seine Mutter bei Beginn der Wehen (noch) in stationärer Behandlung des Landeskrankenhauses I***** befunden hätte. Sie war dort nämlich ab 14.2.1988 stationär aufgenommen, aber am 24.2.1988 wieder entlassen worden, obwohl sich die Plazentainsuffizienz aufgrund der in der Zeit vom 15. bis 24.2.1988 stationär durchgeführten Untersuchungen und deren Ergebnisse erkennbar gemacht hatte; die Mutter des Klägers hätte daher am 24.2.1988 aus der stationären Behandlung nicht entlassen werden dürfen. Bei ihrer Wiederaufnahme am 26.2.1988 war der Blasensprung bereits erfolgt und es hatten die Wehen eingesetzt. Die Geburt des Klägers erfolgte sodann 50 Minuten nach der Aufnahme der Mutter durch Kaiserschnitt.

Der Kläger begehrt vom beklagten Land als Krankenhausträger 1,459.664 S sA an Schmerzengeld für den Zeitraum bis 26.8.1998 (500.000 S) und als Ersatz für den in der Vergangenheit entstandenen erhöhten Betreuungsaufwand seiner Eltern sowie den Aufwand seiner bisherigen medizinischen Versorgung; ferner erhebt er ein Begehren auf Feststellung der vollen Ersatzpflicht des beklagten Landes für alle - offenbar gemeint: künftigen - Schäden, die im Zusammenhang mit den Vorfällen vor und bei seiner Geburt noch entstehen werden. Dem ärztlichen Personal des Krankenhauses seien schwerwiegende Fehler unterlaufen, welche zur Geburtsschädigung des Klägers geführt hätten. Obwohl den Ärzten bekannt gewesen sei, daß es schon bei der Geburt seines Bruders M***** am 16.12.1985 Komplikationen gegeben habe, hätten sie die notwendigen Untersuchungen in der Zeit des stationären Aufenthaltes der mit ihm schwangeren Mutter nicht mit der nötigen Sorgfalt ausgeführt und - trotz Vorliegens entsprechender pathologischer Befunde - die Plazentainsuffizienz der Mutter nicht erkannt und diese am 24.2.1988 entlassen. Das hätte aber nicht geschehen dürfen. Wäre die Mutter weiterhin in stationärer Behandlung verblieben, hätte bei Einhaltung der gebotenen ärztlichen Sorgfalt die Gefahr der Asphyxie rechtzeitig erkannt und der Geburtsvorgang früher eingeleitet werden können; der Kläger wäre dann gesund zur Welt gekommen. Im Landeskrankenhaus sei auch dadurch gegen die Dokumentationspflicht verstoßen worden, daß ein Teil der Krankengeschichte, nämlich die CTG-Protokolle, vernichtet wurden. Allfällige Zweifel im Geschehensablauf gingen daher zu Lasten des beklagten Krankenhausträgers.

Das beklagte Land beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Mutter und Kind seien nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit der gehörigen Sorgfalt behandelt worden. Die erste Schwangerschaft der Mutter sei unauffällig verlaufen; das gelte auch für die zweite Schwangerschaft zum Kläger für die Zeit bis zum 15.2.1988. Die Entlassung der Mutter aus der stationären Behandlung am 24.2.1988 sei aus ärztlicher Sicht gerechtfertigt gewesen, hätten doch die ordnungsgemäß durchgeführten Untersuchungen keine Anzeichen für einen abnormalen Schwangerschaftsverlauf und auch keinen Hinweis auf eine drohende Schädigung des Kindes erbracht. Ursache des Geburtsschadens des Klägers sei eine - für das Krankenhauspersonal bis dahin weder erkennbare noch vermeidbare - Nabelschnurumschlingung gewesen.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Schmerzengeldanspruch (offenbar gemeint: das ganze Leistungsbegehren) und das Feststellungsbegehren dem Grunde nach je zur Hälfte zu Recht bestünden. Es traf - über den eingangs geschilderten Sachverhalt hinaus - (ua) noch folgende Feststellungen:

Obwohl im Landeskrankenhaus I***** bei Risikoschwangerschaften - und um eine solche handelte es sich infolge der den Ärzten bekannten Schwierigkeiten bei der ersten Schwangerschaft der Mutter des Klägers im Jahre 1985 - üblicherweise zwei- bis dreimal täglich CTG-Untersuchungen durchgeführt und suspekte oder pathologische CTGs mit der Krankengeschichte aufbewahrt werden, habe während des stationären Aufenthalts der Mutter des Klägers ab 14.2.1988 täglich nur eine CTG-Untersuchung stattgefunden. Obwohl die CTGs pathologisch gewesen seien, seien sie nicht aufbewahrt, sondern vernichtet worden, weshalb eine Beurteilung der CTG-Streifen nur mehr anhand der Fieberkurve vorgenommen werden könne. Die Mutter des Klägers sei während des ganzen stationären Aufenthalts nur ein einziges Mal - am 18.2.1988 - von einem Oberarzt untersucht worden, welcher die CTG-Befunde bis dahin als normal "befundet" und ihre Entlassung verfügt habe, obwohl die Befunde vom 18.2.1988 in der Fieberkurve auf das Vorliegen einer Gestose hindeuteten. Nicht feststellbar sei, auf wessen Anordnung die Mutter aber dennoch weiter in stationärer Behandlung blieb und wer schließlich ihre Entlassung am 24.2.1988 verfügt habe, obwohl damals die Befunde auf eine erhöhte Eiweißausschüttung von 300 mg/dzl hinwiesen.

Die Nabenschnurumschlingung des Klägers und die Plazentainsuffizienz der Mutter stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang; die Folgen der Nabelschnurumschlingung seien durch die Plazentainsiffizienz nicht verstärkt worden. Eine Nabenschnurumschlingung sei vor der Geburt nicht erkennbar; eine frühzeitige Erkennung wäre auf einen reinen Zufall zurückzuführen. Das Verfahren habe nicht ergeben, ob die schwere Plazentainsuffizienz oder die zweifache straffe Nabelschnurumschlingung der ausschlaggebende Faktor für die schwere kindliche Asphyxie waren oder ob beide Ursachen zusammengewirkt haben.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß in der vorzeitigen Entlassung der Mutter aus der stationären Behandlung ein ärztlicher Behandlungsfehler liege, weil pathologische Befunde vorgelegen seien, aus denen die Plazentainsuffizienz bereits erkennbar gewesen wäre. Für eine solche Vernachlässigung der ärztlichen Sorgfaltspflicht habe der beklagte Krankenhausträger gemäß § 1313a ABGB einzustehen. Neben der Plazentainsuffizienz der Mutter komme aber auch die - dem Kläger als Zufall zuzurechnende - Nabelschnurumschlingung als eine weitere mögliche Ursache für den Geburtsschaden in Betracht, weshalb insoweit alternative Kausalität vorliege. Konkurriere ein dem Geschädigten zurechenbarer Zufall mit einem vom Schädiger zu vertretenden Haftungsgrund, sei in entsprechender Anwendung des § 1304 ABGB eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 vorzunehmen, wenn sich - wie hier - verschiedene Anteile der beiden möglichen Ursachen nicht feststellen ließen.

Das Berufungsgericht faßte einen Aufhebungsbeschluß und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es bejahte schon das Vorliegen der von beiden Parteien geltend gemachten primären Verfahrensmängel, weil das Erstgericht die beantragten Einvernahmen der Kindesmutter und des Zeugen Dr.Walter R***** unterlassen habe. Darüber hinaus lägen aber auch rechtliche Feststellungsmängel vor: Nur dann, wenn wirklich zwei verschiedene, etwa gleich wahrscheinliche Ursachen für den eingetretenen Schaden in Betracht kämen, von denen aber jede für sich allein den Schaden herbeigeführt haben könnte, liege ein Fall der alternativen Kausalität vor, welcher in analoger Anwendung des Grundgedankens des § 1302 ABGB und des in § 1304 ABGB verankerten Prinzips zur Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 führen könne. Im vorliegenden Fall konkurriere jedoch eine bei fachgerechter ärztlicher Behandlung vermeidbare Gefährdung, also eine durch einen ärztlichen Kunstfehler veranlaßte Ursache (Plazentainsuffizienz der Mutter), mit der Nabelschnurumschlingung des Klägers bei seiner Geburt. Es müsse daher im Sinne des Sachvorbringens des Klägers auch noch geprüft und festgestellt werden, ob der ärztliche Behandlungsfehler (vorzeitige Entlassung der Mutter aus der stationären Behandlung) nicht doch die von der Nabenschnurumschlingung des Klägers ausgehende Gefährdung wesentlich erhöht habe. Bejahendenfalls hätte nämlich das beklagte Land auch dann für den ganzen Schaden einzustehen, wenn für die Asphyxie des Klägers dessen Nabelschnurumschlingung ursächlich gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobenen Rekurse der Parteien sind entgegen den wechselseitig gestellten Zurückweisungsanträgen schon deshalb zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der alternativen Kausalität zwischen einem entweder aus einem ärztlichen Kunstfehler oder aus einem in der Sphäre des Patienten gelegenen "Zufall" resultierenden Schaden - zumindest dem ersten Anschein nach - uneinheitlich ist; die Rekurse sind aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Der vom Kläger gerügte Mangel des Berufungsverfahrens liegt schon deshalb nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO), weil ungeachtet der primären Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens die Sache auch aus rechtlichen Gründen noch nicht spruchreif ist, sondern einer Ergänzung und Klarstellung bedarf, welche aber nur mit Hilfe des Sachverständigen erfolgen kann, weshalb deren Aufhebung in die erste Instanz unumgänglich ist.

Ein den Spitalsärzten anzulastendes Fehlverhalten, für welches der Krankenhausträger dem Patienten als Partner und - im Falle einer Schwangerenbehandlung und der Geburtshilfe - auch dem von den Schutzwirkungen des mit der Mutter geschlossenen Behandlungsvertrages umfaßten Kind zu haften hat (§ 1313a ABGB), liegt dann vor, wenn die Ärzte nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen sind oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt haben (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 25 zu § 1299;

JBl 1987, 104 und 670; SZ 62/53 = RZ 1989/101; JBl 1992, 520 [Apathy]

= VersR 1992, 1498 [Gaisbauer]; SZ 67/9 = RdM 1994, 121 = JBl 1995, 245 uva; zuletzt etwa RdM 1995, 91 [Kopetzki] = JBl 1995, 453 [Steiner]). Den Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität in bezug auf den eingetretenen Schaden hat im Sinne der allgemeinen Schadenersatzregeln grundsätzlich der Patient zu

führen (Reischauer aaO Rz 26 zu § 1298; SZ 62/53 = RZ 1989/101; SZ

67/9 = RdM 1994, 121 = JBl 1995, 245; RdM 1995, 91 [Kopetzki] = JBl

1995, 453 [Steiner]). Gerade für den Kausalitätsbeweis bei möglicherweise mit Behandlungsfehlern zusammenhängenden Gesundheitsschäden von Patienten sieht der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung wegen der besonderen Schwierigkeit des exakten Beweises den Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) als ausreichend an (SZ 63/90; JBl 1993, 316 mwN; JBl 1994, 540 [R.Bollenberger] uva; zuletzt etwa 4 Ob 1529/95; vgl für Geburtsschäden bereits: JBl 1953, 18; JBl 1960, 188). In diesem Zusammenhang liegt entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes auch bereits eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Auswirkungen einer Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht auf die Beweislast vor; diese Verletzung hat im Prozeß beweisrechtliche Konsequenzen, die dazu führen, daß dem Patienten zum Ausgleich der durch die Verletzung der Dokumentationspflicht eingetretenen größeren Schwierigkeiten, einen ärztlichen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine der Schwere der Dokumentationspflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zugute kommt, um auch für die Prozeßführung eine gerechte

Rollenverteilung im Arzt-Patienten-Verhältnis zu schaffen (SZ 67/9 =

RdM 1994, 121 = JBl 1995, 245 mwH). Im vorliegenden Fall sind die

einen Bestandteil der Krankengeschichte der Mutter bildenden CTG-Streifen entgegen § 10 Abs 1 KAG (s. Ellinger/Missliwetz, Die Verpflichtung zur Führung ärztlicher Aufzeichnungen, RZ 1994/124) nicht mindestens 10 Jahre aufbewahrt worden. Diese Dokumentationspflichtverletzung hat sich aber nicht ausgewirkt, ist dem Kläger doch ohnehin der Beweis für das Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers in bezug auf den einen als Ursache für seinen Geburtsschaden in Betracht kommenden Tatbestand (Plazentainsuffizienz) gelungen. Aus diesem Grund kann hier auch jene Rechtsprechung nicht zum Tragen kommen, derzufolge der Gegner den Anscheinsbeweis bereits dadurch erschüttern kann, daß er Tatsachen beweist, die einen Schluß auf einen anderen Geschehensablauf zulassen, welcher zumindest gleich wahrscheinlich ist, und danach die (volle) Beweislast an den Kläger zurückfällt (siehe die Nachweise bei Reischauer aaO Rz 4 zu § 1296).

Der vorliegende Fall ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß neben der - bei gehöriger ärztlicher Behandlung vermeidbaren und daher nur als Folge des ärztlichen Behandlungsfehler allenfalls wirksam gewordenen - Plazentainsuffizienz der Mutter als Ursache für den eingetretenen Geburtsschaden des Klägers auch noch eine Nabelschnurumschlingung in Frage kommt, ohne daß feststellbar war, welcher dieser beiden Umstände den Geburtsschaden tatsächlich verursacht hat. F.Bydlinski hat bereits darauf verwiesen, daß eine derartige Konstellation gerade im Zusammenhang mit ärztlichen "Kunstfehlern" häufig auftritt und offenbar mit den besonderen Schwierigkeiten verläßlicher Kausalitätsfeststellung in bezug auf Vorgänge im lebenden individuellen Organismus, wohl aber auch mit der Problematik medizinischer Begutachtung unter Berufsgenossen, zusammenhängt (JBl 1992, 352). Er hat für derartige Fälle der alternativen Kausalität (vgl Koziol-Welser10 I 369), zu welcher auch die Konkurrenz zwischen einem schuldhaften Verhalten einerseits und einem sich in der Person des Geschädigten ereignenden Zufall, den dieser gemäß § 1311 Satz 1 ABGB zu tragen hätte, andererseits gehört, mehrmals überzeugend nachgewiesen, daß auf sie das aus § 1302 ABGB ableitbare Grundprinzip der Anerkennung möglicher Verursachung als Zurechnungselement und der aus § 1304 ABGB gewonnene Grundgedanke des Prinzips der Schadensteilung entsprechend anzuwenden sind (F.Bydlinski in JBl 1959, 1 ff [insbes.8 ff, 13]; derselbe, Probleme der Schadensverursachung [1964] 87 ff sowie in Beitzke-FS [1979], 6 [30 ff] und in Frotz-FS [1993], 3 ff; ihm folgend Koziol, Haftpflichtrecht2 I 66 ff mwN unter Auseinandersetzung mit den dagegen erhobenen Einwänden Welsers, ZfRV 1968, 42 ff).

Auch der Oberste Gerichtshof ist jüngst dieser Lehre F.Bydlinskis mit ausführlicher Begründung gefolgt und hat ausgesprochen, daß der Schaden beim Zusammentreffen schuldhaften Handelns des Schädigers und vom Geschädigten zu vertretender Umstände (Zufallsereignisse und sonstige in den Bereich des Geschädigten fallende Ereignisse) gemäß § 1304 ABGB zu teilen ist, und zwar mangels näherer Bestimmbarkeit im Verhältnis 1 : 1 (EvBl 1994/13). Diese Entscheidung betraf zwar keinen ärztlichen Kunstfehler, es liegt aber auch zu Fällen der Arzthaftung bereits eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor, die sich mit der Lehre Bydlinskis beschäftigt hat:

In der Entscheidung vom 7.5.1985, 2 Ob 544/85 (JBl 1986, 576 [Deutsch] -Schockbehandlung), referierte der Oberste Gerichtshof zwar die Lehre F.Bydlinskis, nahm aber zu ihr nicht abschließend Stellung, weil eine dafür erforderliche Tatsache nicht behauptet worden war (vgl dazu die kritische Stellungnahme F.Bydlinskis in Frotz-FS 7 f). In der Entscheidung vom 9.11.1989, 7 Ob 648/89 (JBl 1990, 524 [Holzer] = EvBl 1990/74 = KRSlg 727 - Zytostatikainjektion), folgte der Oberste Gerichtshof der Lehre Bydlinskis und nahm eine Schadensteilung von 1 : 1 vor. Die Entscheidung wurde in der Anmerkung von Holzer scharf kritisiert, der (ua) den Vorwurf erhob, daß gar nicht ersichtlich gemacht worden sei, worin hier eine alternative Konkurrenzsituation zwischen Haftungsgrund und Zufall gelegen sein sollte. In diesem Punkt hat sich F.Bydlinski (in Frotz-FS 9) der Kritik angeschlossen. Sinngleich hat auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 10.10.1991, 6 Ob 604/91 (JBl 1992, 522 = EvBl 1993/32 = KRSlg 753 - Gasbrandinfektion), ausgesprochen, daß sich in dem von ihm zu beurteilenden Fall das schon in der Entscheidung JBl 1986, 576 - Schockbehandlung ausführlich erörterte Problem der alternativen Kausalität gar nicht stelle, weil bei einem erwiesenen ärztlichen Kunstfehler die Beweislastumkehr einzutreten habe, dem beklagten Krankenhausträger aber der Beweis nicht gelungen sei, daß der Behandlungsfehler mit größter Wahrscheinlichkeit für die eingetretenen Folgen unwesentlich geblieben sei. Soweit der dort erkennende Senat daher unter Bezugnahme auf die Kritik Holzers die Entscheidung JBl 1990, 524 - Zytostatikainjektion ablehnte, handelt es sich um ein bloßes obiter dictum. Heid/Rudolf (Rechtsprechungsübersicht: Arzthaftung, ecolex 1993, 658 ff [661]) sehen die Entscheidung "Gasbrandinfektion" sogar als Bestätigung der Meinung F.Bydlinskis; anders Kleewein (Zurechnungszusammenhang und Normadäquanz in der Arzthaftung, ÖJZ 1993, 161 ff), der jedoch offenbar vom Bestehen der Kausalität ausgeht und folglich zur Adäquanz argumentiert (s dazu R.Bollenberger in JBl 1994, 545). In der zur Arzthaftung in bezug auf den in Rede stehenden Problemkreis jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8.7.1993, 2 Ob 590/92 (JBl 1994, 540 [R.Bollenberger] - Speiseröhre), hat der dort erkennende Senat in der - jedoch irrigen - Annahme (s R.Bollenberger aaO), daß er schon in der Entscheidung JBl 1986, 576 - Schockbehandlung die Lehre F.Bydlinskis abgelehnt habe, und mit dem Hinweis auf die bereits mit der Entscheidung JBl 1992, 522 - Gasbrandinfektion abgelehnte Auffassung der Entscheidung JBl 1990, 524 - Zytostatikainjektion, sowie unter Berufung auf Kleewein (aaO) ausgesprochen, daß Auswirkungen einer Krankheitsanlage des Patienten oder einer vor Beginn der - mit einem Kunstfehler verbundenen - ärztlichen Behandlung, vorhanden gewesenen schadensgeneigten Konstitutionsschwäche prinzipiell vom Schädiger zu tragen seien, zumal der extrem weite Schutzbereich der Leben und Gesundheit von Personen betreffenden Normen es durchaus vertretbar erscheinen lasse, das vom Geschädigten selbst zu tragende Risiko auf ein Minimum zu beschränken. Damit wurde aber am Problem der Verursachung, insbesondere der alternativen Kausalität, vorbeiargumentiert, weil es nach herrschender Auffassung ohnehin klar ist, daß eine schadensbegünstigende Konstitutionsschwäche des Geschädigten den Schädiger nicht entlastet; damit ist in Wahrheit nur die Adäquanz des eingetretenen Schadens bejaht worden, welche aber eine entsprechende Verursachung zur Voraussetzung hätte (R.Bollenberger aaO).

Es liegt daher zum Problemkreis der alternativen Kausalität bei ärztlichen Behandlungsfehlern, insbesondere zur Konkurrenz zwischen einem Haftungsgrund aus einem Behandlungsfehler und einem vom Geschädigten zu vertretenden Zufall nur eine scheinbar uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor; in Wahrheit fehlt eine solche Rechtsprechung auf diesem Gebiet noch.

Der erkennende Senat folgt aus den in der Entscheidung EvBl 1994/13 angeführten Gründen der Lehre F.Bydlinskis und Koziols, weil nur sie eine dem Gerechtigkeitsgebot entsprechende Problemlösung gewährleistet. Demgegenüber wären nämlich bei alternativer Konkurrenz zwischen einem Erfolg aus schuldhaftem Handeln und einem Zufall nur - unverständliche und unbillige - Extremlösungen denkbar: Man könnte sonst nur entweder die Meinung vertreten, daß der Geschädigte mangels eindeutiger Feststellbarkeit, welches der beiden Ereignisse tatsächlich kausal war, jeden Ersatzanspruch verliere oder daß der Schädiger ungeachtet der gar nicht feststehenden Kausalität seines Verhaltens dem Geschädigten vollen Ersatz zu leisten habe. Beides widerspräche aber den tragenden Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechtes, welche jedoch bei der hier vertretenen Lösung jedenfalls insoweit gewahrt bleiben, als sie mit den den §§ 1302, 1304 ABGB zugrundeliegenden Wertungen im Einklang stehen.

Dennoch hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die Sache noch nicht im Sinne des Zwischenurteils des Erstgerichtes spruchreif ist. Wenn nämlich den Ärzten des Landeskrankenhauses Innsbruck als Behandlungsfehler vorwerfbar ist, daß sie die Plazentainsuffizienz als eine der beiden in Betracht kommenden Ursachen für den konkret eingetretenen Geburtsschaden des Klägers nicht erkannt haben, diese Ursache aber ausgeschaltet worden wäre, wenn die Mutter in der - medizinisch gebotenen - stationären Behandlung behalten worden wäre, was dann zur Folge gehabt hätte, daß die Geburt sofort nach Einsetzen des Blasensprunges und der Wehen mittels Kaiserschnittes - also entsprechend früher - stattgefunden hätte, stellt sich die Frage, ob es in diesem Fall beim Kläger dann überhaupt zu einer Nabelschnurumschlingung gekommen wäre. Diese Komplikation kann nämlich erst im Zuge des Geburtsvorganges am 26.2.1988 eingetreten sein, weil der Kläger sonst wohl schon im Mutterleib abgestorben wäre. Es bedarf daher - mit Hilfe des medizinischen Sachverständigen - noch einer Klärung der Frage, ob nicht die am 26.2.1988 eingetretene Nabelschnurumschlingung bei einer im Hinblick auf die Plazentainsiffizienz der Mutter medizinisch indizierten früheren Einleitung der Geburt entweder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überhaupt unterblieben oder doch ihr Eintritt zumindest eher unwahrscheinlich gewesen wäre. Dann läge nämlich gar keine alternative Kausalität vor; dem Kläger wäre vielmehr der Beweis der Ursächlichkeit des ärztlichen Behandlungsfehlers gelungen, wäre er doch in diesem Falle im Sinne seiner Behauptungen "gesund zur Welt gekommen"; der beklagte Krankenhausträger hätte demnach in diesem Fall für den ganzen Geburtsschaden des Klägers zu haften.

Abgesehen davon, daß es schon wegen der vom Berufungsgericht aufgegriffenen primären Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens zu einer Aufhebung des Ersturteils kommen mußte, ist diese auch wegen der dargelegten Feststellungsmängel gerechtfertigt.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des Aufhebungsbeschlusses, wenngleich dabei die dem Erstgericht überbundene Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im Sinne der obigen Ausführungen zu modifizieren war.

Der Vorbehalt der Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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