European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00055.15I.0422.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin verfügt über eine Bewilligung nach dem NÖ Spielautomatengesetz 2011 zur Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung mittels Automaten. Sie betreibt auch am Standort Neunkirchen solche Automaten.
Der Beklagte betreibt in Neunkirchen eine Tankstelle. Darin ließ er von einem slowakischen Unternehmen ein Gerät für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung aufstellen. Auf diesem Gerät können Glücksspiele, bei welchen die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich vom Zufall abhängt, gespielt werden. Diese Entscheidung wird nicht im Gerät selbst getroffen, sondern auf einem auf Malta befindlichen Server des slowakischen Unternehmens. Weder der Beklagte noch das slowakische Unternehmen besitzen eine Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten bzw zur Durchführung von Ausspielungen in Form der elektronischen Lotterie im Sinne des § 12a GSpG.
Die Klägerin beantragte, den Beklagten zu verpflichten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in der Tankstelle des Beklagten, solange weder er noch der Betreiber der Geräte über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügt. Weiters erhob die Klägerin ein Veröffentlichungsbegehren. Das Verhalten des Beklagten sei ein Rechtsbruch nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG und somit eine sonstige unlautere Geschäftspraktik, die den Wettbewerb zum Nachteil der Klägerin beeinflusse.
Der Beklagte wendete ein, der Terminal werde durch das slowakische Unternehmen aufgrund einer gewerberechtlichen Bewilligung in der Slowakei betrieben. Die Verbotsbestimmungen des GSpG seien im Übrigen unanwendbar, weil das Glücksspielmonopol unionsrechtswidrig sei. Es verletze die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das in der Tankstelle des Beklagten aufgestellte Gerät sei eine Videolotterie im Sinne des § 12a GSpG. Ein solcher Automat dürfe ohne Konzession in Österreich nicht betrieben werden. Der Beklagte habe somit einen Rechtsbruch im Sinne des § 1 Abs 1 Z 1 UWG begangen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH stehe das im GSpG angeordnete Monopol des Bundes der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gemäß Art 56 AEUV dann entgegen, wenn die nationale Regelung nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung verfolge und nicht tatsächlich dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen. Die Prüfung, ob die nationale Regelung diesen Anforderungen entspreche, erfordere gesicherte Feststellungen. Die Beweislast treffe dabei den Rechtsverletzer, hier also den Beklagten. Der Beklagte habe dazu in erster Instanz kein ausreichendes Vorbringen erstattet. Es sei ihm daher nicht gelungen nachzuweisen, dass die gesetzliche Bestimmung, gegen welche er verstoßen habe, unionsrechtswidrig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Klage abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Er macht im Wesentlichen ‑ unter Berufung auf die Entscheidung 4 Ob 200/14m ‑ geltend, dass die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht grundsätzlich als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen sei.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
1.1. Der Beklagte stützt sich insbesondere auf die Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV, weil er für das slowakische Unternehmen, welches die Ausspielungen legal durchführe, Supportleistungen erbringe.
1.2. Ist dieser Sachverhalt erweisbar, läge ein transnationales Element vor, aufgrund dessen sich auch der Beklagte im Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit befände. Denn ein an ihn gerichtetes Verbot behinderte die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit durch eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft (4 Ob 251/14m mwN). Im fortgesetzten Verfahren ist daher zu prüfen, ob das slowakische Unternehmen aus wirtschaftlicher Sicht Betreiber des bzw der Automaten ist und ob es in der Slowakei zum Anbieten ähnlicher Spiele befugt ist, denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH können sich nur solche Unternehmen auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, die im Staat ihrer Niederlassung rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringen (4 Ob 251/14m mwN).
1.3. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der sich darauf beruft. Es obliegt daher dem Beklagten, ein Vorbringen zu der nach slowakischem Recht zu beurteilenden Berechtigung seines Geschäftspartners zu erstatten. Ein solches Vorbringen fehlt. Dennoch kommt eine stattgebende Sachentscheidung nicht in Betracht, weil auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf, die sie bisher nicht beachtet hatten und die auch nicht erörtert wurde (RIS‑Justiz RS0037300 [T9]). Auch die Klägerin behauptet nicht, in erster Instanz diese Schwäche des Vorbringens der Beklagten aufgezeigt zu haben (vgl 8 Ob 135/06w, SZ 2007/106; RIS‑Justiz RS0037300 [T41]).
2. Aus diesen Gründen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
2.1. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht zunächst nach Erörterung mit den Parteien und allfälliger weiterer Beweisaufnahme Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die strittigen Automaten tatsächlich vom slowakischen Unternehmen betrieben werden und ob dieses nach slowakischem Recht dazu befugt ist. Trifft das zu, könnte sich grundsätzlich auch der Beklagte auf die Dienstleistungsfreiheit berufen. In diesem Fall wäre zu prüfen, ob die konkrete Ausgestaltung des Glücksspielmonopols tatsächlich gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt.
2.2. Insofern ist auf die in 4 Ob 200/14m angestellten Erwägungen zu verweisen, wonach die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht grundsätzlich als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen ist, sodass sich Fragen zu einer derartigen Darlegungspflicht (Behauptungslast) nicht stellen. Können aber bei Regelungen, bei denen sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft den Beklagten die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionsrechtswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Beklagten in diesem Punkt ausreichendes Vorbringen erstattet. Da allerdings die Geltung oder Anwendbarkeit eines Gesetzes letztlich nicht von Behauptungen oder Beweisanboten einer Partei abhängen kann, wird das Erstgericht dann, wenn es aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Glücksspielrechts haben sollte, auch von Amts wegen entsprechende Beweise aufnehmen und Feststellungen treffen müssen. Verbleiben letztendlich Zweifel über die zu prüfenden Tatsachen, liegt also ein non liquet vor, geht das zu Lasten des damit beweisbelasteten Beklagten.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
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