Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Robert B***** wurde 1980 im Alter von 16 Jahren mit der Diagnose Erethische Idiotie und Epilepsie aus einem Heim, das ihn für nicht mehr tragbar ansah, dem Landes-Nervenkrankenhaus Hall in Tirol überstellt. Seine Anhaltung nach dem früher in Geltung gestandenen § 22 EntmO war (zuletzt) mit Beschluß des Erstgerichtes vom 24.8.1991, L 364/80-46, im Hinblick auf einen hochgradigen Schwachsinn für die Dauer von 12 Monaten für zulässig erklärt worden. Robert B***** leidet an einer geistigen Behinderung vom Grade einer Idiotie; er hat auch epileptische Anfälle. Eine über die Behinderung hinausgehende Geistes- oder Gemütskrankheit kann nicht festgestellt werden; bei den epileptischen Anfällen handelt es sich um ein eindeutig neurologisches Geschehen. Bei Robert B***** findet sich keine Wesensveränderung im Sinne einer beschreibbaren psychischen Komponente. Die bei ihm beobachteten Erethismen entsprechen dem Grad seiner geistigen Behinderung und beruhen nicht auf einer psychischen Krankheit.
Bei dieser Sachlage erklärte das Erstgericht die weitere Unterbringung Robert B*****s im Landes-Nervenkrankenhaus Hall in Tirol für unzulässig, da es an einer "psychischen Krankheit" im Sinne des § 3 Z 1 UbG fehle.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem vom ärztlichen Abteilungsleiter (§ 4 Abs 2 UbG) erhobenen Rekurs - welchem das Erstgericht aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte (§ 26 Abs 3 UbG) - nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach den unbekämpften Feststellungen habe Robert B***** keine psychische Krankheit; vielmehr sei er geistig behindert und leide an Epilepsie. Eine geistige Behinderung werde vom Unterbringungsgesetz nicht einer psychischen Krankheit gleichgesetzt und könne daher kein Grund für die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer Krankenanstalt für Psychiatrie sein. Im Gegensatz zu § 273 Abs 1 ABGB knüpfe das Unterbringungsgesetz ausschließlch an den Begriff der psychischen Krankheit an; der Gesetzgeber habe dies offensichtlich gewollt. Wenn - wie im Rekurs geltend gemacht werde - in Tirol keine Möglichkeit für die Betreuung und Versorgung des Behinderten Robert B***** bestehe, könne dies an der Rechtslage gleichfalls nichts ändern.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters mit dem Antrag, in Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen die Unterbringung für zulässig zu erklären.
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Rechtsmittellegitimation des Revisionsrekurswerbers ist zu bejahen. Das Unterbringungsgesetz räumt dem mit der Führung der Abteilung betrauten Arzt und seinem Vertreter (Abteilungsleiter: § 4 Abs 2 UbG) ausdrücklich das Recht zum Rekurs gegen den Beschluß, mit dem das Erstgericht die Unterbringung schon nach der ersten Anhörung des Kranken für unzulässig erklärt (§ 20 Abs 2 UbG), und gegen den Beschluß auf (endgültige) Unzulässigerklärung der Unterbringung (§ 26 Abs 3 UbG) ein. § 29 UbG regelt allerdings - anders als § 19 der Regierungsvorlage - das Revisionsrekursrecht des Abteilungsleiters nicht mehr ausdrücklich; § 29 Abs 3 UbG ordnet nur an, daß die Unterbringung sogleich aufzuheben ist, wenn sie das Rechtsmittelgericht für unzulässig erklärt. Damit sollte - laut JAB (1202 BlgNr 17. GP 10) - die in § 19 der RV dem Abteilungsleiter eröffnete Möglichkeit, die Entlassung des Kranken durch die Einbringung eines weiteren Rechtsmittels hinauszuschieben, beseitigt werden. Daß aber dem Abteilungsleiter überhaupt kein Recht auf Erhebung eines Revisionsrekurses zustünde, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Der Revisionsrekurs ist, da es an einer veröffentlichten Rechtsprechung zur Auslegung des § 3 UbG fehlt, zulässig (§ 14 Abs 1 AußStrG); er ist aber nicht berechtigt.
Gegenstand der Entscheidung ist die Frage, ob der Behinderte (weiterhin) in einer Krankenanstalt oder einer Abteilung für Psychiatrie, in der Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden, untergebracht werden darf, also seine Unterbringung im Geltungsbereich des Unterbringungsgesetzes (§ 2 UbG) zulässig ist. Daß das Landes-Nervenkrankenhaus Hall in Tirol eine Anstalt im Sinn des § 2 UbG ist, steht außer Zweifel. Nach § 3 UbG darf in einer solchen Anstalt nur untergebracht werden, wer
1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und
2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.
Materiell-rechtliche Voraussetzung der Unterbringung ist sohin ua das Vorliegen einer psychischen Krankheit. § 3 UbG erwähnt - im Gegensatz etwa zu § 273 Abs 1 ABGB - nicht daneben auch noch die geistig behinderten Personen. Aus der gleichzeitigen Novellierung des § 37 Abs 1 KAG - wo die bisherige Wortfolge "Geisteskranken, Geistesschwachen und Suchtkranken" durch die bloße Nennung "psychisch Kranker" ersetzt wurde - und dem Justizausschußbericht dazu (1204 BlgNR 17. GP 1) geht die Absicht des Gesetzgebers eindeutig hervor, daß geistig Behinderte in Hinkunft nur dann in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie aufgenommen werden dürfen, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten. Die bloße geistige Behinderung kann daher - selbst bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 3 UbG - die Aufnahme in eine solche Anstalt nicht rechtfertigen. Einer näheren Abgrenzung der - rechtlichen (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 273; Kopecki, Unterbringungsgesetz Rz 58; vgl EvBl 1974/214) - Begriffe der "psychischen Krankheit" und der "geistigen Behinderung" bedarf es aber hier nicht, weil nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen eine über die geistige Behinderung vom Grad einer Idiotie hinausgehende Geistes- oder Gemütskrankheit nicht erwiesen ist; die Epilepsie ist keine solche Krankheit (vgl Brockhaus Enzyklopädie19, 6. Band 465 f; SV Dr.Sindermann S. 38). Auch der Rechtsmittelwerber selbst geht davon aus, daß Robert B***** nicht an einer psychischen Krankheit leidet. Im Hinblick auf die eindeutig zum Ausdruck gebrachte Absicht des Gesetzgebers, nur die Aufnahme psychisch Kranker in Anstalten gemäß § 2 UbG zu gestatten, kommt mangels Vorliegens einer "planwidrigen Unvollständigkeit", also einer nicht gewollten Lücke (Bydlinski in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung), eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf bloß geistig Behinderte nicht in Frage (7 Ob 586/91); dies umso weniger, als auch Art 2 Abs 1 Z 5 des gleichfalls am 1.1.1991 in Kraft getretenen Bundesverfassungsgesetzes vom 29.11.1988 BGBl 684 über den Schutz der persönlichen Freiheit im gegebenen Zusammenhang eine Entziehung der persönlichen Freiheit auf die gesetzlich vorgesehene Weise nur für Menschen vorsieht, die wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährden, nicht aber für geistig Behinderte, auf die das gleiche zutrifft. Daß geistig Behinderte ohne Symptome einer psychischen Erkrankung auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Behinderung sich oder andere ernstlich und erheblich gefährden, nach dieser Rechtslage weder in einem geschlossenen Bereich angehalten noch sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden dürfen, mag unbefriedigend sein; die Änderung einer solchen Rechtslage ist aber nicht Sache der Rechtsprechung, sondern Aufgabe des Gesetzgebers (SZ 45/41; SZ 47/65; SZ 48/114; SZ 54/40 und 120; ÖBl 1984, 14 uva).
Der Rechtsmittelwerber beruft sich ausschließlich darauf, daß eine sofortige Entlassung des Behinderten aus der geschlossenen Abteilung von ärztlicher Seite in keiner Weise vertretbar wäre, weil der Patient ohne fremde Hilfe und auch ohne regelmäßige ärztliche Betreuung nicht einmal für kurze Zeit lebensfähig wäre, und sich derzeit außerhalb der geschlossenen Abteilung des Landes-Nervenkrankenhauses Hall in Tirol keinerlei Möglichkeit einer entsprechenden Betreuung, Versorgung und Behandlung des Patienten ergebe, so daß die sofortige Entlassung durch den Arzt gegen das Strafgesetz und das Ärztegesetz verstieße. Dem ist folgendes zu erwidern:
Die - im Hinblick auf die insoweit eindeutige Rechtslage zwingend notwendige - Entscheidung, daß die Unterbringung des Behinderten in einer Anstalt (§ 2 UbG) unzulässig ist, kann gewiß nicht bedeuten, daß der völlig hilflose Patient, um den sich nach der Aktenlage (vgl insbesondere auch den Akt L 364/80 des Erstgerichtes) offenbar weder die Eltern noch sonstige Verwandte kümmern, auf die Straße gestellt und damit dem sicheren Verderben preisgegeben werden dürfte. Die vom Gesetzgeber in Aussicht gestellte (JAB 1202 BlgNR 17. GP 3) Regelung der "zivilrechtlichen Voraussetzungen der Aufenthaltsbestimmung für psychisch Kranke und behinderte Menschen im Rahmen des Sachwalterrechts", wobei dem Sachwalter nach § 273 ABGB sowie dem Pflegschaftsgericht weitergehende Überwachungsbefugnisse eingeräumt werden sollen, steht freilich noch aus. Soweit nicht dennoch das Erstgericht im Zuge pflegschaftsbehördlicher Maßnahmen eine anderweitige Betreuung des Behinderten anordnen sollte, müßte der Betroffene, welcher ohne Zweifel nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu beschaffen, und ihn offenbar auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält, sich also in einer Notlage im Sinne des Tiroler Sozialhilfegesetzes LGBl 1973/105 befindet, den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden; dieses Gesetz sieht ausdrücklich auch eine Hilfe für pflegebedürftige Personen vor (§ 5 Abs 1 lit d und Abs 5).
Dem Revisionsrekurs mußte ein Erfolg versagt bleiben.
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