OGH 4Ob531/91

OGH4Ob531/9128.5.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. S***** K*****, geboren *****1990, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt als Sachwalterin gemäß § 215 ABGB, vertreten durch Dr. Georg Krasser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 28. Jänner 1991, R 552/90-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kirchschlag vom 6. November 1990, P 9/90-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

G***** K***** brachte am *****1990 im Krankenhaus ***** ihr uneheliches Kind S***** zur Welt. G***** K***** war dem Magistrat Wiener Neustadt (Jugendamt) seit Jahren bekannt, da sie wegen der ungünstigen Verhältnisse in ihrem Elternhaus im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe im nö Landesjugendheim ***** untergebracht worden war und vom Dezember 1978 bis Juni 1980 die Schwerstbehindertenstufe der allgemeinen Sonderschule besucht hatte. Ihr Intelligenzquotient lag damals bei 74. Nach einem psychologischen Gutachten vom Juli 1980 war sie von der Persönlichkeit her sehr einfach geartet, intellektuell reduziert und auch kaum kritikfähig.

Da eine Oberschwester und der Vorstand der Kinderabteilung des Krankenhauses ***** auf Grund des äußeren Eindrucks der debilen Kindesmutter befürchteten, sie werde nach der Entlassung aus der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des Krankenhauses das Kind nicht ordentlich versorgen können, verständigte das Krankenhaus die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt, welche am 26.6.1990 mit Zustimmung der unehelichen Mutter die Übergabe des Kindes an die Pflegeeltern G***** und A***** F***** veranlaßte.

G***** K***** lebt seit 1988 mit J***** B*****, geboren *****1934, in Lebensgemeinschaft. J***** B***** hat die Vaterschaft zum mj. S***** anerkannt.

Die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt (Jugendwohlfahrtsträger) beantragte am 6.7.1990 gemäß § 215 Abs 1 ABGB, die Unterbringung des mj. S***** bei den Pflegeeltern pflegschaftsbehördlich zu genehmigen und dem Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 176a ABGB die Obsorge für das Kind zu übertragen. Die Mutter strebe nunmehr gemeinsam mit dem unehelichen Vater die Übernahme des Kindes in eigene Pflege und Erziehung an; sie sei jedoch auf Grund ihrer Persönlichkeit zur Pflege und Erziehung des Kindes nicht in der Lage.

Der uneheliche Vater trat den Anträgen des Jugendwohlfahrtsträgers mit dem Antrag entgegen, ihm die Obsorge über den mj. S***** zu übertragen; auch die Mutter widersprach den Anträgen der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt, stimmte aber dem Antrag ihres Lebensgefährten zu. Die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt hielt ihre Bedenken gegen die Übergabe des Kindes an den Vater wegen der reduzierten Persönlichkeit und der retardierten Intelligenz der Mutter aufrecht und beantragte die Begutachtung der Mutter durch einen Psychologen. Auch der Vater habe keine praktischen Erfahrungen in der Erziehung eines Kleinstkindes; er halte sich viel außer Haus auf.

Das Erstgericht wies die Anträge des Jugendwohlfahrtsträgers ab und übertrug die Elternrechte nach § 144 ABGB zur Gänze dem Kindesvater. Es traf folgende weitere Feststellungen:

Der derzeit arbeitslose Vater war von Beruf ÖBB-Bediensteter. Er bewohnt mit der Kindesmutter in F*****, M*****straße 4, ein Areal, dessen Wohntrakt gepflegt ist. Die Mutter ist dem mj. S*****, den sie auf dem Pflegeplatz regelmäßig besucht, liebevoll zugetan.

Nach Ansicht des Erstgerichtes habe das Beweisverfahren keine Bedenken gegen die persönliche Eignung des Vaters zur Überhahme der Obsorge ergeben. Er verfüge über eine hinreichend geeignete Unterkunft, stehe im besten Mannesalter, habe eine abgeschlossene Berufsausbildung und sei mit den Problemen der Fürsorge und Erziehung von Kindern ausreichend vertraut. Gründe, dem Vater "das Recht der Obsorge zu entziehen", seien nicht erkennbar.

Die vom Jugendwohlfahrtsträger angeführten, eher als Einzelfälle zu wertenden Fakten ließen keinen Schluß auf die prinzipielle Unfähigkeit der Mutter zu, ihr Kind zu betreuen und zu pflegen. Die Motive für die Antragstellung durch den Jugendwohlfahrtsträger seien nicht in einem konkreten Verhalten der Mutter, sondern in deren behördenbekannten Vorleben zu suchen; dieses Vorleben spreche aber nicht gegen die Belassung des Kindes in der Fürsorge der Mutter.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Gemäß § 166 ABGB komme die Obsorge für das uneheliche Kind der Mutter allein zu. Sei die Obsorge dem Elternteil, dem sie allein zukommt, entzogen, dann habe das Gericht zu entscheiden, ob die Obsorge ganz oder teilweise dem anderen Elternteil zukommen soll. Der andere Elternteil habe einen Anspruch auf Übertragung der Obsorge, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspreche. Dem Vater dürfe wegen seines Alters von 56 Jahren die Übertragung der Obsorge nicht vorenthalten werden, sehe doch § 145 ABGB bei Verhinderung beider Elternteile sogar den Übergang der Elternrechte auf Großeltern vor. Allein wegen seines Alters könne daher dem Vater die Fähigkeit, die Obsorge für sein Kind auszuüben, nicht von vornherein abgesprochen werden. Wäre der mj. S***** ein eheliches Kind, dann würde dem Vater schon auf Grund des Gesetzes die Obsorge allein zustehen. Die "Entziehung" der elterlichen Rechte dürfe nur als äußerste Notmaßnahme vorgenommen werden, keinesfalls aber wegen des Alters des Vaters. Der Vater habe seinen Antrag mit der Absicht begründet, sein Kind selbst zu erziehen und darauf verwiesen, daß er sich dazu durchaus in der Lage sehe. Daß er bisher als Pensionist viel außer Haus beschäftigt gewesen sei, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Infolge der Lebensgemeinschaft der Eltern werde zwar die Mutter auf die tatsächliche Ausübung der Pflege und Erziehung Einfluß haben; wie weit sie fähig ist, einen Teil dieser Aufgabe tatsächlich zu übernehmen, werde der nunmehr für das Wohl des Kindes verantwortliche Vater beurteilen müssen. Er werde unter Berücksichtigung des Kindeswohles darüber entscheiden müssen, ob und wie weit er die Pflege und die Erziehung der Mutter überlassen könne. Ob es im Interesse des Kindes liegt, die Obsorge der Mutter überhaupt zu entziehen und dem Vater zu übertragen, sei auf Grund des vorliegenden Rechtsmittels nicht zu prüfen, da die Mutter die vom Erstgericht getroffene Entscheidung nicht bekämpft habe. Auf Grund der Erhebungen des Jugendwohlfahrtsträgers sei jedoch anzunehmen, daß die Mutter durch die mit der Obsorge verbundenen Pflichten tatsächlich überfordert würde, so daß sie sich mit der faktischen Einflußnahme auf die Obsorge begnügen wolle. Insgesamt liege es daher nicht im Interesse des Kindes, die Obsorge bei der Mutter zu belassen.

Diesen Beschluß bekämpft die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt als gemäß § 215 Abs 1 ABGB berechtigter Jugendwohlfahrtsträger mit außerordentlichem Revisionsrekurs wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Rechtsmittelwerberin beantragt, den Beschluß des Rekursgerichtes aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die zweite Instanz zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmen ist, daß die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen keine hinreichende Grundlage für die Beurteilung bilden, ob die angeordnete Maßnahme dem Wohl des Kindes dient; er ist auch berechtigt.

Nicht berechtigt ist allerdings die wegen Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 15 Z 1 AußStrG) erhobene Rüge: Nach dem Akteninhalt liegt die von der Revisionsrekurswerberin behauptete (frühere) Entscheidung des Erstgerichtes, mit der - im Widerspruch zur nunmehrigen Entscheidung - die Unterbringung des mj. S***** bei den Pflegeeltern pflegschaftsbehördlich genehmigt worden sein soll, nicht vor. Nach dem Bericht des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 28.3.1991 (dessen Richter zum Teil mit der Urlaubsvertretung beim Erstgericht betraut waren) handelte es sich bei dem behaupteten Beschluß um einen "offensichtlich auf einen Übertragungsirrtum zurückzuführenden Beschlußentwurf", der von der Kanzlei vorbereitet und irrtümlich auch ausgefertigt wurde, ohne daß er (von der als Urlaubsvertreterin zuständigen Richterin) unterfertigt worden wäre. Es lag daher eine "Nichtentscheidung" (siehe dazu Fasching, LB2 Rz 1575 ff) vor, die keine Entscheidungswirkungen auslöste, ohne daß sie erst aufgehoben oder ihre Wirkungslosigkeit gerichtlich festgestellt werden müßte (Fasching aaO Rz 1570). Auch ein Einschreiten eines unzuständigen Richters eines anderen Gerichtes liegt mit Rücksicht auf die Bestellung von Richtern des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt zu Urlaubsvertretern beim Bezirksgericht Kirchschlag nicht vor (§ 77 Abs 2 RDG).

Auch in Rechte der Pflegeeltern hat der angefochtene Beschluß nicht eingegriffen. Pflegeeltern üben gemäß § 186 Abs 1 ABGB ihre Rechte auf Grund einer Ermächtigung durch die unmittelbar Erziehungsberechtigten (§ 137a) oder durch den Jugendwohlfahrtsträger (§ 176a) aus. Zur Übergabe in fremde Pflege kommt es also entweder durch die oder mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten (§ 137a ABGB) oder durch gerichtliche Verfügungen nach § 176a ABGB. Bei einem Vertrag allein des Erziehungsberechtigten mit einem Dritten, mit dem Kinder in Pflege übergeben werden, handelt es sich um einen Werkvertrag oder freien Dienstvertrag der Obsorgeberechtigten mit Dritten, die als Erfüllungsgehilfen und daher weisungsgebunden tätig werden und Rechte gegenüber dem Kind nur im fremden Namen ausüben. Die Obsorgeberechtigten können in diesem Fall das Kind jederzeit auf Grund ihrer uneingeschränkten Rechte nach § 144 ABGB zurückfordern (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 186; EvBl 1991/59). Bei einem namens des Kindes durch die gesetzlichen Vertreter geschlossenen Vertrag werden hingegen Obsorgerechte und -pflichten (§ 137a ABGB) übertragen und das Rückforderungsrecht eingeschränkt. Die Pflegeeltern handeln dann auf die Dauer des Vertrages im eigenen Namen. Die Aufhebung des Pflegschaftsvertrages kann deshalb nur durch Übereinkommen der Parteien, also kraft Vertragsrechtes oder durch eine gerichtliche Entscheidung, erfolgen (Pichler in Rummel aaO; EvBl 1991/59). Ein solcher Vertrag liegt hier nicht vor; die Mutter hat vielmehr lediglich gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde ihre Zustimmung zur Unterbringung des Kindes bei den Pflegeeltern erteilt, worauf diesen das Kind übergeben wurde. Die bisherigen Pflegeeltern können die Ausübung ihrer Rechte aber auch nicht auf eine Ermächtigung durch den Jugendwohlfahrtsträger stützen, da die Unterbringung vom Gericht nicht nach § 215 Abs 1 ABGB genehmigt und der Antrag auf Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger (§ 176a ABGB) abgewiesen wurde.

Berechtigt ist aber das Rechtsmittel, soweit damit als Feststellungsmangel geltend gemacht wird, daß bei der Entscheidung der Vorinstanzen mangels ausreichender Aufklärung des Sachverhaltes das Kindeswohl unbeachtet geblieben ist. Gemäß § 166 ABGB kommt die Obsorge für das uneheliche Kind der Mutter allein zu. Sowohl nach dem Antrag der Revisionsrekurswerberin als auch nach dem Gegenantrag des unehelichen Vaters ist die Mutter zur Obsorge für das Kind auf Grund ihres Geisteszustandes nicht geeignet. Der Jugendwohlfahrtsträger befürchtet deshalb eine Gefährdung des Wohles des Kindes in einem Ausmaß, daß er die gänzliche Entfernung des Kindes aus seiner bisherigen Umgebung für notwendig hält; er beantragt deshalb, ihm die Obsorge für das Kind gemäß § 176a ABGB (ganz) zu übertragen. Der uneheliche Vater und Lebensgefährte der Mutter strebt hingegen die Übertragung der Obsorge auf ihn an.

Ist einem Elternteil, dem die Obsorge für das Kind (an sich) allein zukäme, diese Obsorge ganz oder teilweise entzogen, so hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, ob die Obsorge ganz oder teilweise dem anderen Elternteil zukommen soll. Diese Bestimmung gilt gemäß § 166 Satz 2 ABGB auch für das uneheliche Kind. Während der Übergang der Obsorge bei Behinderung eines Elternteils auf den anderen ebenfalls obsorgeberechtigten Elternteil kraft Gesetzes erfolgt, ist im Fall der Behinderung bei jenem Elternteil, der bisher allein die Obsorge hatte, ein Gerichtsbeschluß darüber notwendig, ob die Obsorge ganz oder zum Teil auf den anderen Elternteil zu übertragen ist (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 20 zu § 145). Diese Entscheidung setzt hier voraus, daß der Mutter die Obsorge (ganz) entzogen ist, doch hindert dies nicht, daß über beide Fragen in einem Beschluß entschieden wird. Im Fall einer Übertragung der Obsorge auf den Jugendwohlfahrtsträger nach § 176a ABGB schließt die Entscheidung über die Obsorge die Entziehung der Obsorge des bisher Obsorgeberechtigten im selben Umfang in sich ein.

Das Rekursgericht geht - ohne über die Frage, ob der Mutter die Obsorge zu entziehen war, (in Berichtigung des erstgerichtlichen Beschlusses) spruchmäßig zu entscheiden - unbekämpft davon aus, daß die Mutter auf Grund ihres Geisteszustandes durch die Erfüllung der mit der Obsorge verbundenen Pflichten überfordert wäre. Ob wegen dieser Behinderung der Mutter die Obsorge dem unehelichen Vater zukommt (§§ 145, 166 Satz 2ABGB), war unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden; zur Beurteilung der Frage, ob diese Maßnahme dem Wohl des Kindes entspricht, oder ob im Sinne des Antrages der Revisionsrekurswerberin wegen der Behinderung der Mutter seine Entfernung aus der bisherigen Umgebung erforderlich ist (§ 176a ABGB), reichen die bisher von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen nicht aus.

Mit Recht macht die Revisionsrekurswerberin geltend, daß sich die Vorinstanzen vor allem mit der Eignung des Vaters, die Obsorge des ständiger Wartung und Pflege bedürftigen Kleinstkindes zu übernehmen, aber auch mit dem Ausmaß der Behinderung der Mutter (das auch für die Beurteilung der Eignung des Vaters, ihre Stelle einzunehmen, entscheidend ist) nicht befaßt hat. Der allgemeine Hinweis, daß ein Mann mit 56 Jahren zur Übernahme dieser Aufgabe nicht zu alt ist, und daß die bisherige häufige Abwesenheit des Vaters von seiner Wohnung (wegen seines Altmaterialhandels) nicht gegen seine Eignung zur Erziehung des Kindes spreche, reicht für die Beurteilung der Frage, ob die Übertragung der Obsorge an den Vater dem Wohl des Kindes entspricht, nicht aus. Auch das Rekursgericht übersieht nicht, daß die geistig behinderte Mutter infolge der Lebensgemeinschaft der Eltern de facto auch weiterhin an der Pflege und Erziehung des Kindes nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten teilnehmen wird. So sehr das im (therapeutischen) Interesse der Mutter zu begrüßen wäre, so erfordert doch gerade diese Situation von dem an die Stelle der Mutter tretenden Vater, daß er alle mit der Pflege eines Kleinstkindes verbundenen Pflichten jederzeit selbst zu übernehmen vermag, soweit die Mutter dazu außerstande ist, und daß er außerdem die Mutter laufend überwacht, um beurteilen zu können, wie weit er ihr auf Grund ihres Zustandes die Pflege und Erziehung des Kindes überlassen kann, ohne daß dessen Wohl beeinträchtigt oder sogar gefährdet wird. Eine solche Aufgabe erfordert ein hohes Maß an persönlicher Eignung, da sich der Vater gleichzeitig mit der Betreuung des Kindes auch um das Wohl seiner behinderten Lebensgefährtin kümmern muß. Mit dem Hinweis, daß nicht einmal behauptet worden sei, daß der Vater zu einer derartigen Überwachung außerstande wäre, verkennt das Rekursgericht, daß es die Beachtung des Kindeswohls erfordert, von Amts wegen die Eignung des Vaters zur Übernahme der Obsorge durch geeignete Beweismittel zu überprüfen und positiv festzustellen.

Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob der Vater mit der Pflege und Betreuung eines Kleinstkindes einigermaßen vertraut ist und die notwendige Verläßlichkeit besitzt, sich dieser Aufgabe so weit zu widmen, als es wegen der geistigen Behinderung seiner Lebensgefährtin erforderlich ist. Das Erstgericht hat zwar seine Feststellungen auch auf den Akt der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt gestützt, sich aber mit den in diesem Akt enthaltenen, für den Vater ungünstigen Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt. So soll die geschiedene Frau des Vaters das Jugendamt darüber informiert haben, daß er in seine Wohnung ständig irgendwelche Personen aufnimmt, mit denen er dort Trinkgelage abhält. Nach dem Bericht des Jugendamtes soll sich der Vater um die Erziehung seiner ehelichen Kinder nur wenig gekümmert haben, so daß er vermutlich auch keine praktischen Erfahrungen in der Kindererziehung hat. Schließlich geht aus einer im Akt des Jugendamtes erliegenden Strafregisterauskunft (welche allerdings noch der Identitätsprüfung bedarf) hervor, daß der Vater von 1977 bis 1989 mehrmals wegen (schwerer) Körperverletzung (dreimal), fahrlässiger Körperverletzung und Diebstahls (zweimal) gerichtlich verurteilt worden ist. Wenn diese Vorstrafen den Vater auch nicht grundsätzlich von der Übertragung der Obsorge ausschließen, können sie doch für die Beurteilung seiner Verläßlichkeit in bezug auf die Pflege und Erziehung eines Kleinstkindes von Bedeutung sein.

Mit all diesen bisher unerörtert gebliebenen Beweisergebnissen werden sich die Vorinstanzen bei der Prüfung der Frage, ob der Vater geeignet ist, an der Stelle der Mutter die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise zu übernehmen, auseinanderzusetzen haben.

Die notwendige Verfahrensergänzung erfordert eine Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren nach Erörterung mit den Beteiligten und Aufnahme der geeigneten Beweismittel - insbesondere auch nach Einholung einschlägiger Sachverständigengutachten - die erforderlichen Feststellungen über die Eignung des Vaters zur Übernahme der Obsorge für das Kind zu treffen haben; allenfalls wird auch zum Geisteszustand der Mutter ein Sachverständiger zu hören sein. Wenn auch bereits feststeht, daß die Mutter wegen ihrer Behinderung die Obsorge für das Kind nicht behalten kann, ist doch die Feststellung ihres Geisteszustandes für die Frage von Bedeutung, in welchem Ausmaß die mit der Pflege und Erziehung des Kindes verbundenen Pflichten vom Vater erfüllt werden müßten.

Sollte danach die Obsorge über das Kind dem Vater nicht zur Gänze übertragen sein oder darüberhinaus sogar die Voraussetzungen des § 176a ABGB vorliegen, wird das Erstgericht über die Anträge des Jugendwohlfahrtsträgers zu entscheiden haben.

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