Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile schlossen am 10.Mai 1980 vor dem Standesamt Wels die Ehe, der keine Kinder entstammen.
Der in der C*** gebürtige Beklagte kam 1977 nach Österreich und suchte hier um politisches Asyl an. Er arbeitete zunächst in Linz und in Wels; im Herbst 1979 nahm er eine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland an. Die Klägerin, die er bereits 1977 kennengelernt hatte, war im Frühjahr 1980 schwanger. Eine Woche vor dem geplanten Hochzeitstermin erlitt sie eine Fehlgeburt. Der Beklagte war nach der Eheschließung zunächst noch in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, ehe er im Dezember 1980 endgültig nach Wels zurückkehrte. Er fand dort erst im Frühling 1981 eine Beschäftigung. Diese Arbeit machte ihm allerdings keine Freude. Er erklärte der Klägerin immer wieder, daß er lieber in der Bundesrepublik Deutschland oder in Kanada arbeiten möchte. Die Klägerin lehnte es jedoch ab, auszuwandern, weil sie in Wels eine gesicherte Existenz hatte. Im Winter 1981/82 war der Beklagte wieder arbeitslos. Seit dem Frühling 1982 ist er durchgehend, nunmehr als Angestellter der OKA beschäftigt. Im Februar 1981 erlitt die Klägerin neuerlich eine Fehlgeburt. Damals war der Beklagte wieder arbeitslos, half aber dennoch nicht im Haushalt mit. Er war auch nicht über die Schwangerschaft der Klägerin erfreut, weil er zuerst eine größere Wohnung beschaffen wollte. Der Beklagte engagierte sich schon damals stark für eine Auslandsorganisation emigrierter Landsleute in Österreich und für die Organisation Amnesty International. Er entfaltete auch häufig religiöse Aktivitäten, opferte den Großteil seiner Freizeit für diese Interessen und vernachlässigte deshalb die Klägerin. Dieses Verhalten setzte er bis zur Einbringung der Klage fort.
1983 bezogen die Streitteile eine größere Wohnung. 1984 wurde die Klägerin am Unterleib operiert. Kurz darauf kamen der Vater des Beklagten für sechs Wochen sowie ein Freund des Beklagten für eine Woche auf Besuch; diese Personen wohnten bei den Streitteilen. Die Klägerin mußte damals für alle den Haushalt führen; der Beklagte unterstützte sie dabei kaum.
Ab Herbst 1984 besuchte die Klägerin einen Kurs für Werbedesign, um im Falle der Geburt eines Kindes einer leichteren beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können. Der Beklagte kritisierte dieses Vorhaben.
Im Laufe der Zeit kam es zwischen den Eheleuten immer wieder, auch nur wegen Kleinigkeiten, zu Streitigkeiten. Ursache dafür war, daß der Beklagte dazu neigte, die Verhältnisse in Österreich zu kritisieren, nur seinen Neigungen nachging, die Mithilfe im Haushalt vernachlässigte und so die Klägerin einer ständigen Doppelbelastung in Beruf und Haushalt aussetzte. Im Dezember 1984 oder Jänner 1985 fand der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen statt. Die Klägerin war in der Folge an einer Aufnahme geschlechtlicher Beziehungen mit dem Kläger nicht mehr interessiert. Anläßlich einer Ballveranstaltung im Februar 1985, bei welcher sich der Beklagte wieder nicht um die Klägerin gekümmert hatte, lernte die Klägerin Siegfried S*** kennen, mit dem sie sich später regelmäßig traf und in der Folge geschlechtliche Beziehungen aufnahm. Die Klägerin informierte den Beklagten davon erst im Jänner 1986 und teilte ihm auch mit, daß sie sich scheiden lassen wolle. Der Beklagte war damit nicht einverstanden und wollte durch verstärktes religiöses Engagement die Ehe wiederherstellen; so unternahm er eine Wallfahrt nach Lourdes, um dafür zu beten. Seit 1986 verbringt die Klägerin ihre Freizeit größtenteils mit Siegfried S***. Im September 1986 kam es zwischen dem Beklagten und Siegfried S*** zu einer tätlichen Auseinandersetzung; seit diesem Zwischenfall lebt die Klägerin fast ausschließlich bei Siegfried S***: Der Beklagte hat Dritten gegenüber geäußert, daß die Klägerin "vom Teufel besessen" sei.
Mit ihrer am 19.Februar 1986 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Der Beklagte habe sie stets persönlich vernachlässigt und ihr vorgeworfen, mit ihm nicht ausgewandert zu sein. Er widme seine gesamte Freizeit der Mitarbeit bei Hilfsorganisationen und seinen religiösen Aktivitäten. Die Klägerin habe unter dieser Vernachlässigung und der doppelten Belastung durch Beruf und Haushalt stets gelitten. Der Beklagte habe sie am 12.September 1986 mehrmals tätlich angegriffen und im Sommer 1986 mit Äußerungen wie "leichte Dame" und "mit einer Hure will ich nichts zu tun haben" bedacht. Dritten Personen gegenüber habe er geäußert, daß die Klägerin vom Teufel besessen sei. Die Eheverfehlungen der Klägerin habe der Beklagte nicht mehr als ehezerstörend empfunden. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Scheidungsklage, hilfsweise die Scheidung aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin. Er habe keine schweren Eheverfehlungen begangen. Dagegen habe die Klägerin zu Siegfried S*** ehebrecherische Beziehungen aufgenommen, was sie ihm erst ein Jahr später eingestanden habe. Die Klägerin habe ihm seine allfälligen Eheverfehlungen verziehen und sie nicht als ehezerstörend empfunden. Das Scheidungsbegehren der Kägerin sei angesichts ihrer ehebrecherischen Beziehungen zu Siegfried S*** sittlich nicht gerechtfertigt.
Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin. Aus dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt leitete es rechtlich ab, daß der Beklagte durch die Vernachlässigung der Klägerin schwere Eheverfehlungen gemäß § 49 EheG begangen habe, so daß das Scheidungsbegehren der Klägerin berechtigt sei. Daß die Motive des Beklagten für sein politisches und gesellschaftliches Engagement, das zur Vernachlässigung der Klägerin geführt habe, achtenswert seien, ändere daran nichts, weil die dauernde Vernachlässigung des Ehepartners mit dem Wesen der Ehe nicht vereinbar sei. Der Beklagte habe aber auch nicht an der Führung des gemeinsamen Haushalts mitgewirkt; auch das sei ihm als schwere Eheverfehlung anzulasten. Dazu kämen die Belastungen, denen der Beklagte die Klägerin ausgesetzt habe. Dieses Verhalten des Beklagten habe dazu beigetragen, daß die Klägerin schließlich ehebrecherische Beziehungen zu einem anderen Mann aufgenommen habe. Das Scheidungsrecht der Klägerin sei nicht verfristet, weil der Beklagte die Eheverfehlungen bis zur Einbringung der Klage fortgesetzt habe. Wegen der Schwere der von der Klägerin zu verantwortenden Eheverfehlungen, die letztlich auch zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hätten, sei jedoch das überwiegende Verschulden der Klägerin auszusprechen gewesen. Das Scheidungsbegehren sei trotz der von der Klägerin zu vertretenden Eheverfehlungen sittlich gerechtfertigt, weil der Beklagte schon wesentlich früher durch sein Verhalten zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es übernahm nach teilweiser Beweiswiederholung die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte im wesentlichen auch dessen rechtliche Beurteilung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung der Scheidungsklage abzuändern.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach Auffassung des Beklagten habe er keine schweren Eheverfehlungen zu vertreten. Die Klägerin habe bis Anfang 1985 seine Lebensweise toleriert und sich nie deutlich gegen seine Aktivitäten ausgesprochen, sondern nur durch ihr Gesamtverhalten zu verstehen gegeben, daß sie damit nicht einverstanden sei und eine Besserung erwarte. Seine Aktivitäten beruhten auf moralisch achtenswerten Motiven. Schließlich wäre auch zu berücksichtigen gewesen, daß es ihm als Ausländer schwer gefallen sei, sich in Österreich einzugewöhnen. Dem ist folgendes zu erwidern:
Ein Ehegatten kann gemäß § 49 Satz 1 EheG die Scheidung begehren, wenn der andere durch eine sonstige schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Eheverfehlungen sind Handlungen und Unterlassungen, die sich gegen das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Pflichten richten (EFSlg 51.576 uva). Zu beurteilen ist dabei die innere Einstellung des verletzenden Ehegatten sowie die Wirkung seines Verhaltens auf den verletzten Ehegatten, das freilich auch objektiv geeignet sein muß, eine Zerrüttung der Ehe herbeizuführen (EvBl 1973/179). Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Scheidungsgrund nach § 49 EheG vorliegt, ist nicht jeder einzelne vom Kläger als Eheverfehlung geltend gemachte Tatbestand für sich allein, sondern das Gesamtverhalten des beklagten Ehegatten, soweit darin vom Kläger eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen (EFSlg 11.860; EFSlg 13.792). Auch eine Mehrheit an sich nicht schwerer Eheverfehlungen kann in ihrer Gesamtheit einen Scheidungsgrund bilden (EFSlg 51.579). Das häufige Alleinlassen des anderen Ehegatten ist selbst dann eine schwere Eheverfehlung, wenn der Grund nicht in einem ehrlosen oder unsittlichen Verhalten liegt (vgl. EFSlg 46.156). Ein Ehepartner, der keine Fühlung mit dem anderen sucht und nur seinen eigenen Interessen lebt, handelt ehewidrig (EFSlg 41.184). Auch die Verletzung der Pflicht zur gemeinsamen Haushaltsführung (§ 95 ABGB) ist eine schwere Eheverfehlung (EFSlg 38.707).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Beklagte bis zur Erhebung der Scheidungsklage nur seinen Interessen nachging, sich nicht um die Klägerin kümmerte und die Pflicht zur gemeinsamen Haushaltsführung verletzte. Soweit der Beklagte dabei einzelne Geschehnisse herausgreift, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es ist auch nicht richtig, daß die Klägerin seine Lebensweise toleriert hätte. Der Beklagte muß in der Revision selbst zugestehen, daß ihm die Klägerin durch ihr Gesamtverhalten schlüssig zu verstehen gegeben hat, damit nicht einverstanden zu sein und Besserung zu erwarten. Wegen des Verhaltens des Beklagten kam es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen. Daß die Motive des Beklagten für die Pflege seiner Interessen durchaus moralisch achtenswert sind, ändert nichts am Vorliegen einer schweren Eheverfehlung, weil nicht bloß ehrloses oder unsittliches Verhalten, sondern jedes mit dem Wesen der Ehe nicht vereinbare Verhalten eine Eheverfehlung ist. Die Vernachlässigung der Klägerin kann der Beklagte aber auch nicht mit Anpassungsschwierigkeiten als Ausländer in Österreich entschuldigen. Daß die Klägerin unter der Vernachlässigung durch den Beklagten litt und diese dazu beitrug, die Ehegatten zu entfremden, steht ebenfalls fest. Dem Beklagten fallen daher schwere Eheverfehlungen zur Last. Nach den weiteren Ausführungen der Revision habe die Klägerin die Verfehlungen des Beklagten verziehen oder sie nicht als ehezerstörend empfunden. Allein daraus aber, daß die Streitteile ungeachtet der Vernachlässigung der Klägerin durch den Beklagten bis Jänner 1985 regelmäßig geschlechtlich verkehrten, kann ein Verzeihen nicht abgeleitet werden; in der Vollziehung des Geschlechtsverkehrs ist nämlich ein solches Verzeihen nur dann zu erblicken, wenn aus dem Gesamtverhalten des gekränkten Ehegatten hervorgeht, daß er dadurch unzweideutig zum Ausdruck bringen wollte, die Eheverfehlung des anderen Teiles nicht mehr als solche zu empfinden (EFSlg 51.636). Auch daraus, daß die Klägerin das Verhalten des Beklagten über längere Zeit ertrug, kann nicht geschlossen werden, daß sie die Eheverfehlungen des Beklagten verziehen hätte (vgl. EFSlg 51.637). Den Feststellungen der Vorinstanzen ist auch deutlich zu entnehmen, daß die Klägerin dem Beklagten ungeachtet der Fortsetzung des Geschlechtsverkehrs bis Jänner 1985 durch ihr Gesamtverhalten zu verstehen gegeben hat, mit seinem Verhalten nicht einverstanden zu sein. Inwiefern sie dies deutlicher zum Ausdruck hätte bringen müssen, vermag der Beklagte nicht zu begründen. Unrichtig ist auch der Einwand, die Klägerin habe das Verhalten des Beklagten nicht als ehezerstörend empfunden; nach den Feststellungen fühlte sich die Klägerin nämlich vernachlässigt und wandte sich nur deshalb einem anderen Mann zu. Daß die Klägerin dann selbst kein Interesse an der Wiederaufnahme der Beziehungen zum Beklagten mehr hatte, ändert daran nichts.
Schließlich behauptet der Revisionswerber noch mangelnde sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens der Klägerin, weil die Verfehlungen der Klägerin unverhältnismäßig schwerer seien, seine hingegen auf moralisch achtbaren Motiven beruhten. Auch dieser Argumentation kann nicht beigepflichtet werden:
Nach § 49 Satz 2 ABGB kann ein Ehegatte, der selbst eine Verfehlung begangen hat, die Scheidung nicht begehren, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. An der sittlichen Rechtfertigung mangelt es, wenn entweder die Verfehlung des Beklagten durch schuldhaftes Verhalten des Klägers hervorgerufen wurde, ein Zusammenhang beider Verfehlungen besteht oder die Verfehlungen des Klägers unverhältnismäßig schwerer wiegen (EFSlg 48.772). Im vorliegenden Fall kann aber von einer Verwirkung des Rechtes der Klägerin auf Scheidung keine Rede sein: Die Eheverfehlungen des Beklagten wurden weder durch ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin hervorgerufen noch vom Verhalten der Klägerin irgendwie beeinflußt (vgl. EFSlg 46.184). Wenn auch Ehebruch die schwerste Eheverfehlung ist, kommt dem Ehebruch der Klägerin im vorliegenden Fall gegenüber den Eheverfehlungen des Beklagten kein unverhältnismäßiges Gewicht im Sinne des § 49 Satz 2 ABGB zu, weil die Klägerin mit der ehebrecherischen Beziehung erst begonnen hat, als die Ehe der Streitteile als Folge der fortgesetzten Vernachlässigung der Klägerin durch den Beklagten bereits schwer beeinträchtigt war. Den nach Eintritt der Zerrüttung der Ehe begangenen Eheverfehlungen kommt aber nur eine verminderte Bedeutung zu (vgl. EFSlg 48.771). Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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