Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Rekursgerichtes wird in seinem Ausspruch über die Herabsetzung des vom Vater für die mj. Manuela zu leistenden Unterhaltes auf S 1.500,-- mtl. ab 1. August 1990 (Abs. 3 der Entscheidung) aufgehoben; der zweiten Instanz wird insoweit eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters aufgetragen.
Text
Begründung
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters vom 9. Oktober 1990 (samt Ergänzung vom 28. Februar 1991), die für die mj. Manuela mit S 2.000,-- monatlich festgesetzte Unterhaltsleistung rückwirkend ab Beginn ihrer Lehrzeit "angemessen" herabzusetzen, ab.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und setzte den von ihm für die mj. Manuela zu leistenden Unterhalt ab 1. August 1990 auf S 1.500,-- monatlich herab; es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Die zweite Instanz berücksichtigte bei ihrer Entscheidung das neue Vorbringen des Vaters im Rekurs, daß die mj. Manuela - außer der vom Erstgericht festgestellten Lehrlingsentschädigung als Friseurlehrling im 3. Lehrjahr in der Höhe von S 4.250,-- monatlich - auch ein Einkommen aus Trinkgeldern beziehe. Der Rekurswerber hatte dazu behauptet, daß dieses Trinkgeld erfahrungsgemäß S 1.300,-- bis S 1.600,-- monatlich ausmache, so daß die mj. Manuela jedenfalls mit Sicherheit ein zusätzliches Einkommen von S 700,-- monatlich beziehe.
Das Rekursgericht war der Ansicht, daß das Trinkgeldeinkommen eines Lehrlings im 3. Lehrjahr "nach der allgemeinen Gerichtserfahrung" mindestens rund S 1.500,-- monatlich ausmache. Selbst unter Berücksichtigung der von der mj. Manuela nachgewiesenen lehrbedingten Ausgaben von S 8.500,-- im Jahr ergebe sich daraus - über die Lehrlingsentschädigung hinaus - ein zusätzliches Trinkgeldeinkommen von S 700,-- monatlich; der Unterhaltsbemessung sei daher ein Gesamteinkommen des Kindes von S 5.000,-- monatlich zugrunde zu legen.
Diese Entscheidung bekämpft die Minderjährige mit
ao. Revisionsrekurs. Mit der Bedachtnahme auf die vom Vater behaupteten Trinkgeldbezüge habe die zweite Instanz eine Neuerung berücksichtigt, die der Entscheidung bei richtiger Auslegung des § 10 AußStrG im Sinne der ständigen Rechtsprechung nicht zugrunde zu legen gewesen wäre. Die Berücksichtigung dieser Neuerung durch die zweite Instanz habe auch dazu geführt, daß die Minderjährige zur Frage dieses angeblichen zusätzlichen Einkommens nicht mehr gehört wurde. Da sie unregelmäßig in zwei Friseurgeschäften eingesetzt werde und daher keine Stammkunden habe, erhalte sie nur ein ganz geringfügiges Trinkgeld von S 100,-- bis S 150,-- monatlich; auch fehle es an einem entsprechend präzisierten Herabsetzungsantrag des Vaters. Beide Verfahrensfragen seien erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 14 Abs. 1 AußStrG.
Der ao. Revisionsrekurs ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.
Eine unrichtige Anwendung des § 10 AußStrG durch das Rekursgericht liegt allerdings nicht vor:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 10 AußStrG ist es den Parteien unbenommen, in Vorstellungen und Rekursen neue Umstände und Beweismittel anzuführen. Diese Bestimmung wird von der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre dahin verstanden, daß sich die Neuerungserlaubnis - jedenfalls im Antragsverfahren - nur auf Tatsachen beziehe, die bereits vor der Beschlußfassung des Erstrichters eingetreten sind (EFSlg 44.516, 52.617, 55.474, 58.247 f uva; Hagen, Die Rechtsmittel im Verfahren außer Streitsachen, JBl 1968, 193; Dolinar, Österr.
Außerstreitverfahrensrecht 171 f). Auch dürfen nach dem Gesetzeswortlaut nur neue Umstände (also Tatsachen) und Beweismittel angeführt, nicht jedoch neue Sachanträge gestellt werden, auf welche sich die Neuerungserlaubnis daher nicht erstreckt (EvBl 1974/226; NZ 1990, 276). Schließlich kann dem Gesetzgeber auch nicht die Absicht unterstellt werden, daß er den Parteien das Vorbringen neuer Tatsachen ermöglichen wollte, die zu ihren bisherigen Behauptungen im Widerspruch stehen (vgl EFSlg 52.616, 55.476); § 10 AußStrG ist vielmehr so zu verstehen, daß zu bisher unbewiesen gebliebenen Behauptungen neue Beweismittel angeboten werden können und die Möglichkeit besteht, das bereits vorliegende Tatsachenmaterial zu berichtigen oder zu ergänzen (EFSlg 58.246; zu allem 5 Ob 545/91).
Der Vater hat seinen Herabsetzungsantrag auf die teilweise Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes als Friseurlehrling gestützt; er durfte daher in seinem Rekurs an die zweite Instanz als zulässige Neuerung vorbringen, daß die Minderjährige neben der Lehrlingsentschädigung auch ein beträchtliches Trinkgeld beziehe, wurde doch damit das vorliegende Tatsachenmaterial lediglich ergänzt.
Dem Vater schadet es auch nicht, daß er sich in seinem Herabsetzungsantrag die Bezifferung des Ausmaßes der Herabsetzung bis zum Vorliegen der Erhebungen über die Höhe des Einkommens der Minderjährigen vorbehalten hat; tatsächlich wäre er nach dem Vorliegen der Einkommenserhebungen schon vom Erstgericht zur Bezifferung seines Begehrens aufzufordern gewesen.
Mit Recht wendet sich jedoch die Revisionsrekurswerberin dagegen, daß sie zu der vom Unterhaltsverpflichteten behaupteten Höhe ihres Trinkgeldeinkommens nicht gehört wurde. Das rechtliche Gehör wird in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (SZ 54/124; EFSlg. 58.465; SZ 62/129). Da dadurch die Rechtssicherheit beeinträchtigt wird, ist eine solche Verletzung auch im Rahmen eines ao. Revisionsrekurses wahrzunehmen.
Das vom Rekursgericht "nach der allgemeinen Gerichtserfahrung" angenommene Trinkgeldeinkommen eines (Friseur?)Lehrlings im
3. Lehrjahr kann nur auf Erfahrungssätzen beruhen, die das Gericht in ähnlichen vorausgegangenen Verfahren gewonnen hat. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist es zwar zulässig, derartige Erfahrungssätze zur Tatsachenfeststellung heranzuziehen; solange aber die Minderjährige zu den erst im Rekursverfahren behaupteten Trinkgeldeinkommen nicht gehört wurde, darf nicht von geschätzten Durchschnittswerten ausgegangen werden, weil nicht feststeht, ob ein Sachverhalt vorliegt, der eine solche Durchschnittsbetrachtung überhaupt rechtfertigt.
Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben.
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