OGH 4Ob31/83

OGH4Ob31/8326.4.1983

SZ 56/69

Normen

BAG §3 Abs1 litc
BAG §15 Abs4 litd
GewO 1994 §41 Abs1 Z4
GewO 1994 §44
KO §25 Abs1
KO §77 Abs1
BAG §3 Abs1 litc
BAG §15 Abs4 litd
GewO 1994 §41 Abs1 Z4
GewO 1994 §44
KO §25 Abs1
KO §77 Abs1

 

Spruch:

Die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Lehrberechtigten beendet das Lehrverhältnis nicht ex lege; sie ist aber für den Lehrling ein wichtiger Grund zum vorzeitigen Austritt nach § 25 Abs. 1 KO und berechtigt ihn überdies gemaß § 15 Abs. 4 lit. d des Berufsausbildungsgesetzes zur vorzeitigen Lösung des Lehrverhältnisses, wenn der Lehrberechtigte durch die Konkurseröffnung unfähig wird, seine Verpflichtungen aus dem Gesetz oder aus dem Lehrvertrag zu erfüllen

Die vom Konkursgericht - als jederzeit widerrufbare Sicherungsmaßnahme nach § 77 Abs. 1 KO - zugleich mit der Eröffnung des Konkurses angeordnete Sperre und Versiegelung der Geschäftsräume und der Kassa des Gemeinschuldners berührt die auf dem Fortbetriebsrecht gemäß § 41 Abs. 1 Z. 4, § 44 GewO beruhende Befugnis des Masseverwalters zur Ausübung der Funktion des Lehrberechtigten und damit zur weiteren Ausbildung der Lehrlinge nicht

OGH 26. 4. 1983, 4 Ob 31/83 (KG Leoben 1 Cg 21/82; ArbG Knittelfeld Cr 10/82)

Text

Zwischen der Klägerin und dem Elektrohaus Z mit dem Sitz in K wurde am 2. 10. 1978 ein Lehrvertrag im Lehrberuf "Einzelhandelskaufmann" abgeschlossen, nach welchem die dreijährige Lehrzeit der Klägerin am 15. 9. 1978 begonnen hatte und demgemäß am 14. 9. 1981 enden sollte. Auf das Lehrverhältnis war der Kollektivvertrag der Handelsangestellten Österreichs anzuwenden.

Über das Vermögen der Lehrberechtigten wurde am 24. 3. 1981 zu S 12/81 des Kreisgerichtes Leoben der Konkurs eröffnet und der beklagte Rechtsanwalt zum Masseverwalter bestellt. Gleichzeitig verfügte das Konkursgericht zur Sicherung der Masse, daß die Geschäftsräume und die Kassen der Gemeinschuldnerin durch einen Beamten des Bezirksgerichtes Knittelfeld abzusperren und zu versiegeln und die Schlüssel sodann dem Masseverwalter zu übergeben seien.

Die Klägerin wäre auch nach der Konkurseröffnung ihren Verpflichtungen aus dem Lehrvertrag nachgekommen, wenn sie dazu die Möglichkeit gehabt hätte. Sie gab keine Austrittserklärung nach § 15 Abs. 4 lit. d des Berufsausbildungsgesetzes, BGBl. 1969/142 (BAG), ab; vielmehr besuchte sie in der Zeit vom 11. 5. bis 29. 6. 1981 die Landesberufsschule Hartberg und erwarb dort ein mit 3. 7. 1981 datiertes "Jahres- und Abschlußzeugnis", in welchem ihr ein ausgezeichneter Ausbildungserfolg bescheinigt wurde.

Mit Schreiben vom 7. 4. 1981 teilte der beklagte Masseverwalter der Klägerin mit, daß er genötigt sei, das Lehrverhältnis "unter Einhaltung der kürzesten gesetzlichen Kündigungsfrist" aufzukundigen. Der Vater der Klägerin antwortete am 10. 4. 1981, daß er das Kündigungsschreiben des Masseverwalters nicht zur Kenntnis nehmen könne, weil die Klägerin Lehrling und nicht Angestellte sei. Bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse wurde die Klägerin am 2. 4. 1981 zum 24. 3. 1981 abgemeldet. Die Gewerbeberechtigung der Gemeinschuldnerin wurde zufolge Rücklegung am 6. 7. 1981 gelöscht. Die Klägerin hat am 13. 7. 1981 eine neue Stelle angetreten.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung von 15 054.54 S netto sA. Da das Lehrverhältnis weder durch die Konkurseröffnung noch durch die - unzulässige - Kündigung des Masseverwalters, sondern erst durch die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung am 3. 7. 1981 beendet worden sei (§ 14 Abs. 2 lit. d BAG), habe die Klägerin für die Zeit vom 25. 3. bis 3. 7. 1981 Anspruch auf Lehrlingsentschädigung (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen) sowie Urlaubsentschädigung im Gesamtbetrag von 15 054.54 S netto.

Der Beklagte hat dieses Begehren nur dem Gründe nach bestritten. Durch die mit der Konkurseröffnung verbundene Betriebseinstellung sei er weder berechtigt noch in der Lage gewesen, die Klägerin weiter auszubilden; das Lehrverhältnis habe deshalb am 24. 3. 1981 kraft Gesetzes geendet.

Das Erstgericht erkannte iS des Klagebegehrens und stellte ergänzend fest, daß die von der Klägerin nach der Konkurseröffnung im Betrieb der Gemeinschuldnerin noch geleisteten Arbeiten weder im Auftrag des Masseverwalters noch in dem der Gemeinschuldnerin geleistet worden seien; es habe sich vielmehr um eine Hilfeleistung bei der Vornahme der Inventur durch das BG Knittelfeld im Auftrag des Konkursgerichtes gehandelt, welche von dem einschreitenden Gerichtsorgan veranlaßt und auch besonders entlohnt worden sei.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß das Lehrverhältnis der Klägerin durch die zugleich mit der Konkurseröffnung angeordnete Sperre des Betriebes der Gemeinschuldnerin gemäß § 14 Abs. 2 lit. d BAG ex lege beendet worden sei. Dennoch stehe der hier geltend gemachte Betrag der Klägerin aus dem Titel des Schadenersatzes nach § 1162b ABGB zu, zumal Gründe vorgelegen wären, welche die Klägerin zur Erklärung des vorzeitigen Austritts berechtigt hätten. Infolge Berufung des Beklagten wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab. Auch das Gericht zweiter Instanz war der Meinung, daß die zugleich mit der Konkurseröffnung verfügte Betriebssperre das Lehrverhältnis gemäß § 14 Abs. 2 lit. d BAG beendet habe. Mit dieser einer Disposition des Lehrberechtigten entzogenen gerichtlichen Maßnahme habe jede Möglichkeit einer betrieblichen Tätigkeit ihr Ende gefunden; durch sie sei die Befugnis zur Ausübung jener Tätigkeit erloschen, in deren Rahmen der Lehrling ausgebildet werden sollte. Ob der Masseverwalter gewerberechtlich befugt gewesen wäre, das Unternehmen weiterzuführen, sei unerheblich, wenn er konkursrechtlich keine Möglichkeit dazu gehabt habe. Sei aber das Lehrverhältnis der Klägerin mit der Konkurseröffnung ex lege erloschen, dann fehle es an den Voraussetzungen für eine Anwendung des § 1162b ABGB oder des § 1155 ABGB; das Zahlungsbegehren der Klägerin sei vielmehr mangels gesetzlicher Grundlage abzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof stellte über die Revision der Klägerin das Ersturteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß jedenfalls seit dem Inkrafttreten der BAG-Novelle 1978, BGBl. 232, am 1. 8. 1978 (Art. IV Z 3 lit.d dieser Novelle) die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Lehrberechtigten das Lehrverhältnis nicht ex lege beendet; sie ist aber für den Lehrling ein wichtiger Grund zum vorzeitigen Austritt nach § 25 Abs. 1 KO und berechtigt ihn überdies - auch nach dem Verstreichen der einmonatigen Frist dieser Gesetzesstelle - gemäß § 15 Abs. 4 lit. d BAG zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses, wenn der Lehrberechtigte durch die Konkurseröffnung tatsächlich unfähig wird, seine Verpflichtung aus dem Gesetz oder aus dem Lehrvertrag zu erfüllen (so bereits 4 Ob 29/80; vgl. dazu Eß zur BAG-Nov. 1978, 708 BlgNR 14. GP 28, abgedruckt bei Kinscher, BAG[2], 78 Anm. 1 zu § 14 Abs. 2 lit. d, 83 Anm. 1 und 2 zu § 15 Abs. 4 lit. d; ebenso Winkler, Das Lehrverhältnis im Konkurs des Lehrberechtigten, ZAS 1979, 123 ff., insbesondere 124, 129 bei und in FN 91). Der vorliegende Fall ist nun dadurch gekennzeichnet, daß das Konkursgericht zugleich mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Lehrberechtigten auch die Sperre des Betriebes der Gemeinschuldnerin verfügt hat. Beide Vorinstanzen haben in dieser gerichtlichen Anordnung mehr als nur eine tatsächliche Behinderung des Lehrberechtigten an der weiteren Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber der Klägerin gesehen; da dem Lehrberechtigten damit auch rein rechtlich die Befugnis zur Ausübung jener Tätigkeit genommen worden sei, in deren Rahmen die Klägerin ausgebildet werden sollte, habe die vom Gericht verfügte Betriebssperre gemäß § 14 Abs. 2 lit. d BAG das gegenständliche Lehrverhältnis kraft Gesetzes beendet. Dieser Auffassung kann der OGH nicht folgen. Die vom Konkursgericht zugleich mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Elektrohauses Z angeordnete Sperre und Versiegelung der Geschäftsräume und der Kassen der Gemeinschuldnerin ist eine - jederzeit widerrufbare - Sicherungsmaßnahme iS des § 77 Abs. 1 KO (s. dazu Bartsch - Pollak, KO, AO, AnfO[3] I 377 § 77 KO Anm. 19; Bartsch - Heil, Grundriß des Insolvenzrechts[4] 160 f. RN 239). Sie entzieht zwar während der Zeit ihres aufrechten Bestehens dem Lehrberechtigten die tatsächlichen Grundlagen für eine Fortsetzung einer Ausbildungstätigkeit und eröffnet damit dem Lehrling die Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragsauflösung nach § 15 Abs. 4 lit. d BAG. Die auf dem "Fortbetriebsrecht" der § 41 Abs. 1 Z 4, § 44 GewO beruhende Befugnis des Masseverwalters zur Ausübung der Funktion des Lehrberechtigten und damit zur weiteren Ausbildung der Lehrlinge - durch einen gemäß § 3 Abs. 1 lit. c BAG zu bestellenden Ausbilder - wird aber durch eine solche Betriebssperre in keiner Weise berührt; sie endet vielmehr erst mit dem Erlöschen der nach § 2 Abs. 2 lit. a BAG erforderlichen Gewerbeberechtigung, also insbesondere mit deren rechtskräftiger Entziehung durch die Behörde gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 3 GewO.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin eine Austrittserklärung nach § 15 Abs. 4 lit. d BAG nicht abgegeben; die vom Masseverwalter am 7. 4. 1981 ausgesprochene (außerordentliche) Aufkündigung des Lehrverhältnisses ist - wie schon das Berufungsgericht richtig erkannt hat - rechtsunwirksam geblieben (s. dazu insbesondere EvBl. 1982/63 = RdA 1983, 30). Daraus folgt aber iS der zutreffenden Ausführungen der Revision, daß das Lehrverhältnis der Klägerin ungeachtet der Konkurseröffnung und der damit verbundenen Betriebssperre bis zur Zurücklegung der Gewerbeberechtigung vom 3. 7. 1981 aufrecht fortbestanden hat. Die Klägerin hat daher bis zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Lehrlingsentschädigung (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen) und Urlaubsentschädigung in der unbestrittenen Gesamthöhe von 15 054.54 S netto sA.

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