OGH 4Ob274/01z

OGH4Ob274/01z29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Alfred Mohr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heinrich H*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Gabor, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 300.000 S) und Zahlung von 1,300.000 S, infolge außerordentlicher Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 21. Mai 2001, GZ 2 R 224/00a, 2 R 75/01s-24, womit infolge Berufung des Beklagten das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 21. Juli 2000, GZ 17 Cg 13/99i-20, abgeändert wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

1. Aus Anlass der Revision wird das angefochtene Urteil, soweit das Begehren, es werde festgestellt, dass der Beklagte schuldig sei, die aus seiner Abwerbetätigkeit entstehenden und noch nicht geltend gemachten entgangenen Honorarzahlungen aus der Steuerberatungstätigkeit für die vom Beklagten abgeworbenen Klienten als Schadenersatz zu zahlen, abgewiesen wird (Punkt II b des Spruchs), als nichtig aufgehoben.

2. Der Revision wird nicht Folge gegeben und Punkt II a des angefochtenen Urteils bestätigt.

3. Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 1.911,28 EUR (darin 318,55 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Zu Beginn des Jahres 1998 vereinbarten der Geschäftsführer der Klägerin und der Beklagte, eine GmbH (= die Klägerin) zu gründen und in der Folge den gesamten Klientenstock des Beklagten auf die GmbH zu übertragen. Als Kaufpreis wurden "offiziell" 6,000.000 S (einschließlich Umsatzsteuer) vereinbart, "inoffiziell", dh den Finanzbehörden gegenüber nicht offengelegt, kamen weitere 3,400.000 S hinzu. Die Vertragspartner haben nicht geregelt, wer die auf den "inoffiziellen" Teil entfallende Umsatzsteuer tragen sollte, sollten die Finanzbehörden von der tatsächlichen Höhe des Kaufpreises erfahren.

Gegenstand des Kaufvertrags sollte "der gesamte, in der bisherigen Steuerberatungskanzlei des Verkäufers geführte und bearbeitete Klientenstock laut Klientenliste (Klient und Jahreshonorar)" sein. Die Zahlung (des "offiziellen" Kaufpreisteils) wurde wie folgt geregelt:

"2.

Vom vereinbarten Kaufpreis werden 4,500.000 S bei Vertragsabschluss mit bestätigtem Bankscheck bezahlt. Die Umsatzsteuer von 1,000.000 S wird im Verrechnungswege über die Steuerkonten der Vertragspartner beglichen.

Der Restkaufpreis von 500.000 S wird spätestens 3 Monate nach Vertragsabschluss fällig. Von diesem Restkaufpreis wird der Jahresumsatz der Klienten abgezogen, die bis 31. 3. 1998 die Vollmacht zur steuerlichen Vertretung nicht unterfertigt haben. In diesem Fall darf der Verkäufer den betreffenden Klienten weiterbetreuen. Grundlage des zu übertragenden Klientenstockes ist die Debitorenliste zum 31. 12. 1997.

Wechselt ein veräußerter Klient innerhalb von 12 Monaten wieder an den Verkäufer oder an eine Gesellschaft, an der dieser beteiligt ist, zurück, so ist der Klient zu gleichen Konditionen wieder zurückzukaufen."

Der Geschäftsführer der Klägerin und der Beklagte haben ab Jänner 1998 den bisherigen Klienten des Beklagten Schreiben geschickt, in denen (ua) festgehalten wurde, dass der Sitz der nunmehr die Klienten des Beklagten betreuenden Gesellschaft an der Kanzleiadresse des Partners des Beklagten sein würde, dass aber das bisherige Büro des Beklagten als Standort für Anlieferung und Abholung aufrecht erhalten werde.

Etwa ab Mitte des Jahres 1998 kam es vermehrt zu Zerwürfnissen zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und dem Beklagten. Beim Geschäftsführer der Klägerin verstärkte sich der Verdacht, dass der Beklagte vereinbarungswidrig wieder gezielt eine eigene Steuerberatungstätigkeit entfalte. Bei Kontrollanrufen im Büro des Beklagten stellte sich heraus, dass sich dessen als Sekretärin tätige Tochter mit "Steuerberatungsbüro" meldete. Nachdem der Geschäftsführer der Klägerin dem Beklagten gegenüber zunächst darauf bestanden hatte, dass dieser seine Steuerberatungstätigkeit ausschließlich als Konsulent der Klägerin in deren Geschäftsräumlichkeiten ausübe, kam es im November 1998 zum völligen Bruch.

Nach Ablauf der in Punkt 2 des Kaufvertrags festgesetzten Einjahresfrist langten bei der Klägerin eine Reihe von gleichlautenden Kündigungsschreiben ein. Diese Kündigungsschreiben hatte der Beklagte zumindest zum Teil entworfen und den kündigungswilligen Kunden der Klägerin auf deren Verlangen ausgefolgt. Die Klägerin reagierte mit Aufklärungsschreiben, in denen sie aus ihrer Sicht die Gründe für die Auflösung der Zusammenarbeit mit dem Beklagten darlegte. Zahlreiche Kunden hielten die Kündigung unter Hinweis auf ihre Unzufriedenheit mit den Leistungen der Klägerin aufrecht.

Soweit der Beklagte vor Februar 1999 Gespräche mit kündigungswilligen Kunden geführt hat, hat er darauf hingewiesen, dass eine Kündigung der der Klägerin erteilten Vollmacht frühestens im Jänner 1999 möglich sei. Danach hat er diesen Kunden erklärt, dass sie sich nunmehr wieder von ihm steuerlich vertreten lassen könnten. In einzelnen Fällen hat der Beklagte Kunden auch von sich aus gefragt, ob sie nicht wieder zu ihm kommen wollten. Unschlüssige Klienten hat er um eine Entscheidung ersucht, von wem sie sich vertreten lassen wollen.

Die Klägerin begehrt 1,300.000 S und die Feststellung, dass der Beklagte schuldig sei, die aus seiner Abwerbetätigkeit entstehenden und noch nicht geltend gemachten entgangenen Honorarzahlungen aus der Steuerberatungstätigkeit für die vom Beklagten abgeworbenen Klienten als Schadenersatz zu zahlen. Der Beklagte habe vorsätzlich in sittenwidriger Weise Kunden der Klägerin abgeworben. Der Klägerin sei bisher ein Schaden von mindestens 1,300.000 S entstanden; der künftige Schaden lasse sich noch nicht überblicken. Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Es sei vereinbart worden, dass der Vertrag mit dem Übergang von "7 Millionen Klienten-Jahres-Umsätzen" bis Ende März 1998 als erfüllt anzusehen sei. Am 25. 3. 1998 sei festgehalten worden, dass der vereinbarte Umsatz übergeleitet worden sei. Der als Depot zurückbehaltene Kaufpreis sei bis auf einen Restbetrag von 49.698,91 S ausgezahlt worden. Gegen Ende des Jahres 1998 habe der Geschäftsführer der Klägerin vereinbarungswidrig Rückzahlungsansprüche erhoben. Es sei immer klar gewesen, dass der Beklagte weiterhin als Steuerberater tätig sein werde. Die Klienten hätten die der Klägerin erteilte Vollmacht gekündigt, weil sie mit deren Leistung unzufrieden gewesen seien. Vom mit 11,000.000 S zuzüglich Umsatzsteuer vereinbarten Kaufpreis hafteten noch 3,800.000 S aus. Dieser Betrag werde compensando eingewandt.

Das Erstgericht erkannte das Zahlungsbegehren mit "Teilurteil" (richtig: Teilzwischenurteil) als dem Grund nach zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend. Dem Beklagten sei durch den Kaufvertrag die weitere Tätigkeit als Steuerberater nicht untersagt. Ein unlauteres Verhalten des Beklagten bei der Wiedergewinnung von Kunden sei nicht bewiesen worden. Der Klägerin stehe daher zwar kein Schadenersatzanspruch, wohl aber ein Verwendungsanspruch zu. Erkennbare Absicht der Vertragsteile sei es gewesen, den Klientenstock des Beklagten auf Dauer auf die Klägerin zu übertragen. Wenn der Klientenstock als wesentlicher Bestandteil des übertragenen Unternehmens so knapp nach Ablauf der Zeit, für die eine vertragliche Regelung getroffen wurde, zum Teil an den Beklagten zurückgehe, so benütze dieser die Sache, die nach dem Parteiwillen und Vertragszweck bei der Klägerin verbleiben sollte und wofür er einen entsprechenden Kaufpreis bereits erhalten habe, zum eigenen Vorteil. Die Höhe des Verwendungsanspruchs werde in analoger Anwendung der vertraglichen Regelung zu ermitteln sein. Der aufrechnungsweise eingewandte Gegenanspruch bestehe nicht zu Recht, weil der Beklagte die behaupteten Kaufpreisvereinbarungen nicht bewiesen habe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands des Feststellungsbegehrens 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Zahlungsbegehren sei unschlüssig, weil die Klägerin ihre Ansprüche aus der Abwerbung von Klienten nicht hinreichend konkretisiert habe. Auch das Feststellungsbegehren sei nicht schlüssig. Die Klägerin habe nicht vorgebracht, welche künftigen Schäden aus welchem Grund derzeit noch nicht zu überblicken sein sollen. Ein Verbesserungsverfahren sei nicht durchzuführen, weil eine sachliche Erledigung nicht ausgeschlossen sei. Das Klagebegehren sei mangels Schlüssigkeit mit "negativem Versäumungsurteil" abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass der gegen dieses Urteil gerichteten außerordentlichen Revision der Klägerin ist eine dem Berufungsgericht unterlaufene Nichtigkeit wahrzunehmen; die Revision ist daher zulässig; sie ist im Übrigen aber nicht berechtigt.

1. Zur Nichtigkeit

Das Erstgericht hat mit Teil(zwischen)urteil erkannt, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe; über das Feststellungsbegehren hat es nicht abgesprochen. Damit konnte das Feststellungsbegehren auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sein, so dass das Berufungsgericht über das Feststellungsbegehren als Erstgericht entschieden hat.

Das Berufungsgericht hat damit als funktionell unzuständiges Gericht entschieden. Die funktionelle Zuständigkeit ist der Parteienvereinbarung entzogen; eine Heilung der Unzuständigkeit eines funktionell unzuständigen Gerichts gemäß § 104 Abs 3 JN ist daher ausgeschlossen (Mayr in Rechberger, ZPO² § 104 JN Rz 13f). Die Entscheidung eines unheilbar unzuständigen Gerichts ist gemäß § 477 Abs 1 Z 3 ZPO nichtig; dieser Nichtigkeitsgrund ist auch dann verwirklicht, wenn ein Gericht funktionell unzuständig ist (6 Ob 579/86 = SZ 60/238).

Nichtigkeitsgründe sind in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen; ein nichtiges Urteil ist aufzuheben (Kodek in Rechberger, ZPO² § 477 Rz 2f). Das angefochtene Urteil war daher insoweit aufzuheben, als das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren abgewiesen hat. Über das Feststellungsbegehren wird nunmehr das Erstgericht zu entscheiden haben.

2. Zur Revision der Klägerin

Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren als unschlüssig abgewiesen, weil die Klägerin nicht angegeben hat, "aus den Abwerbungen welcher konkreten Personen welche konkreten Ansprüche im einzelnen abgeleitet werden". Dieser Auffassung hält die Klägerin zu Recht entgegen, dass es für die Schlüssigkeit einer Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiellrechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (3 Ob 197/97k = ecolex 1999/344; 7 Ob 113/98p = MietSlg 51.666 ua; Rechberger in Rechberger, ZPO² § 226 Rz 13 mwN). Selbst wenn aber die vom Berufungsgericht vermissten Angaben dazu führten, dass die Klage unschlüssig wäre, hätte - wie die Klägerin zu Recht ausführt - das Klagebegehren nicht sofort abgewiesen werden dürfen, sondern hätte eine Verbesserung angeregt werden müssen (Fucik in Rechberger, ZPO² § 182 Rz 1 mwN).

Die unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht bleibt jedoch letztlich ohne Auswirkungen, weil das Klagebegehren nicht berechtigt ist:

Die Klägerin hat ihren Anspruch zuerst auf den Titel des Schadenersatzes und, nachdem sich gezeigt hatte, dass sie das von ihr behauptete unlautere Abwerben von Kunden durch den Beklagten nicht beweisen kann, auch auf Bereicherung gestützt. Ein Bereicherungsanspruch kann nur erhoben werden, wenn die Vermögensverschiebung nicht gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung kann (ua) durch Vertrag gegeben sein (Schwimann/Apathy, ABGB² § 1041 Rz 10 mwN).

Nach dem zwischen den Streitteilen zustandegekommenen Vertrag hat die Klägerin den gesamten Klientenstock des Beklagten gekauft. Vom vereinbarten Kaufpreis sollte sowohl der Jahresumsatz mit den Klienten, die bis 31. 3. 1998 keine Vollmacht für die Klägerin unterfertigt haben, als auch der Jahresumsatz mit den Klienten abgezogen werden, die innerhalb von 12 Monaten wieder an den Beklagten oder an eine Gesellschaft, an der er beteiligt ist, zurückwechseln. Der Kaufpreis sollte demnach dem Jahresumsatz mit jenen Klienten des Beklagten entsprechen, die der Klägern eine Vollmacht erteilen und das Vollmachtsverhältnis mindestens 12 Monate lang aufrechterhalten. In diesem Umfang ist der Kaufpreis durch den Vertrag gerechtfertigt.

Daraus folgt, dass der Klägerin kein Bereicherungsanspruch zusteht, soweit vormalige Klienten des Beklagten nach Ablauf von 12 Monaten die der Klägerin erteilte Vollmacht kündigen und wieder zum Beklagten zurückkehren. Soweit die Klägerin einen Schadenersatzanspruch geltend macht, scheitert ihr Anspruch daran, dass es ihr nicht gelungen ist, ihre Behauptung zu beweisen, der Beklagte habe "Klienten in unverschämter und sittenwidriger Weise abgeworben" und damit sowohl wettbewerbswidrig als auch treuwidrig gehandelt. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts hat die Klägerin ihren Anspruch nicht auch darauf gestützt, dass Klienten gar nicht zu ihr gewechselt seien. Daraus entstehende Minderungsansprüche waren laut Punkt 2 des Vertrags mit dem spätestens 3 Monate nach Vertragsabschluss fällig werdenden Restkaufpreis von 500.000 S zu verrechnen. Sie waren nicht Gegenstand der Klage; es bedarf daher keiner Prüfung, ob - wie der Beklagte behauptet - der Jahresumsatz mit den eingebrachten Klienten den Kaufpreis jedenfalls erreicht hat. Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren demnach im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Revision musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten waren auf Grundlage des Streitwerts des Zahlungsbegehrens zu berechnen.

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