OGH 4Ob26/02f

OGH4Ob26/02f12.2.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrea K*****, vertreten durch Mag. Martin Paar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei D*****GmbH, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Reinhard Ratschiller, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 80.750 S sA, infolge Rekurses der Beklagten gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2001, GZ 1 R 301/01p-14, mit dem die Nichtigkeitsberufung der Beklagten gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 25. August 2000, GZ 10 C 1092/00m-5, verworfen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht wird aufgetragen, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss verwarf das Berufungsgericht die Nichtigkeitsberufung der Beklagten. Der Beklagten seien die Klage, die Ladung zur ersten Tagsatzung am 25. 8. 2000 und der Auftrag, binnen vier Wochen einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen, ordnungsgemäß zugestellt worden. Sämtliche Schriftstücke seien am 15. 8. 2000 einer eigens für diesen Vorgang von DKfm. Eckhardt M***** bevollmächtigten Person ausgefolgt worden. Nach dem Berufungsvorbringen sei Dkfm. Eckhardt M***** zwar im Zustellzeitpunkt nicht mehr Geschäftsführer, jedoch sporadisch im Büro der Beklagten in K***** tätig gewesen. Damit habe die Beklagte zugestanden, dass DKfm. Eckhardt M***** im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beklagte in deren Zentralverwaltung tätig gewesen sei. Seine Vollmacht, die Klage entgegenzunehmen, sei nicht in Abrede gestellt worden. Damit sei die Bevollmächtigung von DKfm. Eckhardt M***** zugestanden. Das Versäumungsurteil sei durch Hinterlegung bei Gericht rechtmäßig zugestellt worden. Die Berufungsfrist habe am 11. 10. 2000 geendet; die am 1. 3. 2001 zur Post gegebene Berufung sei verspätet.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichtete Rekurs der Beklagten ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig; er ist auch berechtigt. Die Beklagten rügen, dass ihnen keine Gelegenheit gegeben wurde, zu den Erhebungsergebnissen Stellung zu nehmen. Sie verweisen zutreffend auf die nunmehr ständige Rechtsprechung, wonach das rechtliche Gehör in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt wird, wenn einer Partei überhaupt die Möglichkeit genommen wurde, sich im Verfahren zu äußern, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen sich

die Beteiligten nicht äußern konnten (10 ObS 47/89 = SZ 62/129; 7 Ob

667/90 = SZ 64/1 ua). Wenn daher das Berufungsgericht Erhebungen über

behauptete Mängel des Verfahrens erster Instanz durchführt oder die Ergebnisse von vom Erstgericht durchgeführten Erhebungen verwerten will, so ist den Parteien Gelegenheit zu geben, zu den Erhebungsergebnissen Stellung zu nehmen (Kodek in Rechberger, ZPO² § 473 Rz 2 mwN).

Die Beklagten machen weiters geltend, durch die Vorgangsweise des Berufungsgerichts sei es ihnen verwehrt gewesen, darauf hinzuweisen, dass das Zustellzeugnis vom 15. 8. 2000 die Zustellung des Beschlusses ON 3 nicht ausweise. Sie hätten sich auch nicht dazu äußern können, wie DKfm. Eckhardt M***** dazu gekommen sei, Alexandra H***** zu bevollmächtigen, und ob er überhaupt bevollmächtigt gewesen sei, eigenhändig zuzustellende Schriftstücke zu übernehmen. Es sei unverständlich, wie das Berufungsgericht zum Ergebnis komme, dass die Beklagte die (wirksame) Bevollmächtigung von DKfm. Eckhardt M***** zugestanden habe.

Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Beklagten, dass DKfm. Eckhardt M***** auch nach seiner Abberufung als Geschäftsführer sporadisch im Büro der Beklagten in K***** tätig gewesen sei, und das Fehlen einer ausdrücklichen Bestreitung seiner Vollmacht, die Klage entgegenzunehmen, offenbar als Zugeständnis gewertet, dass dieser ein Generalbevollmächtigter im Sinne des § 173 dZPO in der bis 30. 6. 2002 geltenden Fassung gewesen sei. Die Beklagten rügen dies zu Recht:

Nach § 173 dZPO erfolgt die Zustellung an den Generalbevollmächtigten sowie in den durch den Betrieb eines Handelsgewerbes hervorgerufenen Rechtsstreitigkeiten an den Prokuristen mit gleicher Wirkung wie an die Partei selbst. Generalbevollmächtigter ist eine Person, die für alle Vermögensangelegenheiten oder für einen größeren Kreis solcher Angelegenheiten umfassend bevollmächtigt ist (Baumbach/Lauterbach, ZPO60 § 173 Rz 3 mwN). Die bloße Tatsache, dass ein ehemaliger Geschäftsführer (sporadisch) im Büro anwesend ist, lässt nicht auf das Bestehen einer Generalvollmacht schließen. Einer ausdrücklichen Bestreitung seiner Vollmacht, eine Klage entgegenzunehmen, bedarf es daher nicht. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob das Empfangsbekenntnis vom 15. 8. 2000 die Zustellstücke vollständig aufgezählt hat oder doch - wie das Zustellgericht behauptet (S 43) - auch der Beschluss vom 3. 7. 2000 zugestellt wurde. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Berufungsgericht - nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten zu den Erhebungsergebnissen - mit den Ausführungen der Beklagten und damit erneut mit der Frage der Verspätung der Berufung und - sollte ihre Rechtzeitigkeit zu bejahen sein - mit dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund zu befassen haben. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob das Empfangsbekenntnis vom 15. 8. 2000 die Zustellstücke vollständig aufgezählt hat oder doch - wie das Zustellgericht behauptet (S 43) - auch der Beschluss vom 3. 7. 2000 zugestellt wurde.

Dem Rekurs war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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