Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
"Der Antrag der Klägerin, der Beklagten für die Dauer des Rechtsstreits im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu verbieten,
1. für das Arzneimittel 'Simvastatin Genericon' zu werben mit der irreführenden Angabe 'Einsparpotenzial 10 Millionen Euro', wenn dabei nicht in gleichem Auffälligkeitswert darauf hingewiesen wird, dass dieses Potenzial nur bei einer 100‑%igen Substitution des Medikaments der Klägerin errechnet wird, eine derartige Substitution jedoch nur im Ausmaß von 10 bis 30 % üblicherweise erwartet werden kann;
2. bei Durchführung eines Preisvergleichs zwischen dem Arzneimittel 'Simvastatin Genericon' mit dem Arzneimittel 'ZOCORDR' der Klägerin den Begriff 'ZOCORDR' ohne Einwilligung der Klägerin zu verwenden,
wird abgewiesen."
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 3.237,66 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 539,61 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Klägerin und Beklagte sind Pharmaunternehmen. Die Klägerin vertreibt (ua) das Arzneimittel "ZOCORDR"; die Beklagte das Arzneimittel "Simvastatin Genericon". Beide Arzneimittel enthalten den Wirkstoff Simvastatin.
Die Beklagte warb am 26. 6. 2002 in Inseraten in der "Ärzte Woche" und der "Medical Tribune" wie folgt für das von ihr vertriebene Arzneimittel:
Die Pharmig, die seit 1954 bestehende Vereinigung pharmazeutischer Unternehmen, hat in einem Verhaltenskodex die gefestigte Standesauffassung des österreichischen Arzneimittelhandels niedergelegt. Sie sorgt dafür, dass der Verhaltenskodex nicht nur von ihren Mitgliedern, sondern in der gesamten Branche eingehalten wird. Der Fachverband der chemischen Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich hat in Vertretung aller österreichischen Arzneimittelhandelsunternehmen den Verhaltenskodex mitunterschrieben.
Punkt 1/101/ des Verhaltenskodex lautet:
"Den pharmazeutischen Firmen ist es nicht erlaubt, in ihren Schriften oder in ihrem Werbematerial auf Marken von Konkurrenzfirmen Bezug zu nehmen, es sei denn, die Bewilligung ist erteilt worden."
Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu untersagen,
1. für das Arzneimittel "Simvastatin Genericon" zu werben mit der irreführenden Angabe "Einsparpotenzial 10 Millionen Euro", wenn dabei (nicht) in gleichem Auffälligkeitswert darauf hingewiesen wird, dass dieses Potenzial nur bei einer 100‑%igen Substitution des Medikaments der Klägerin errechnet wird, eine derartige Substitution jedoch nur im Ausmaß von 10 bis 30 % üblicherweise erwartet werden kann;
2. bei Durchführung eines Preisvergleichs zwischen dem Arzneimittel "Simvastatin Genericon" mit dem Arzneimittel "ZOCORDR" der Klägerin den Begriff "ZOCORDR" ohne Einwilligung der Klägerin zu verwenden.
Die Klägerin werbe seit der Zulassung ihres Medikaments "ZOCORDR" insbesondere mit dem Slogan "Rettet Leben". In offenbarer Anlehnung an diese Werbung werbe die Beklagte mit der Aussage "Leben retten mit Simvastatin". Die blickfangartig herausgestellte Aussage "Einsparpotenzial 10 Millionen Euro" sei zur Irreführung geeignet, weil das tatsächliche Einsparpotenzial wesentlich geringer sei. Der aufklärende Hinweis sei nur ganz klein gedruckt und nur bei gezieltem Suchen und Studium der Vergleichsdaten erkennbar. Mit der Nennung der Marke "ZOCORDR" verstoße die Beklagte gegen den Verhaltenskodex der Pharmig; sie handle damit sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG. Die Bezugnahme auf die Marke sei auch deshalb unzulässig, weil die Beklagte damit die Marke, Bekanntheit und Marktposition der Klägerin missbräuchlich für eigene Zwecke nutze. Es werde der Eindruck erweckt, das Arzneimittel der Klägerin wäre grundlos sehr teuer. Dadurch schädige die Beklagte die Werbefunktion und den Ruf der Marke "ZOCORDR".
Das Erstgericht erließ - unter Einfügung des in sinnstörender Weise im Antrag fehlenden "nicht" - die einstweilige Verfügung ohne Anhörung der Beklagten. Die blickfangartig hervorgehobene Werbebotschaft "Einsparpotenzial 10 Millionen Euro" sei zur Irreführung geeignet, weil ein Arzneimittel üblicherweise nur zu 10 bis 30 % substituiert werde. Der aufklärende Hinweis sei kleingedruckt und relativ unauffällig. Durch die Nennung der Marke "ZOCORDR" habe sich die Beklagte bewusst über die ihr bekannte Standesauffassung ihrer Branchengenossen hinweggesetzt, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, auf den ihre Mitbewerber verzichteten. Sie habe damit gegen § 1 UWG verstoßen.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Um die Aussage "Einsparpotenzial 10 Millionen Euro" zu verstehen, sei kein spezifisches Fachverständnis notwendig. Der Auffälligkeitswert der aufklärenden Hinweise trete hinter dem Auffälligkeitswert der Hauptaussage völlig zurück. Ärzte würden Inserate in der Regel nur flüchtig durchlesen oder überblättern. Sie nähmen einschränkende Hinweise daher regelmäßig nicht zur Kenntnis. Potenzial bedeute im allgemeinen Sprachgebrauch "realistische Wahrscheinlichkeit". Die Verordnung BGBl 1995/570 regle die Schriftgröße für "Beipacktexte"; sie sei für Werbeinserate nicht maßgebend. Die Bezugnahme auf die Marke "ZOCORDR" sei nicht notwendig, um das Vergleichsobjekt zu bestimmen. Nach § 7 Abs 2 AMG sei als Kennzeichnung von Arzneispezialitäten, deren Bezeichnung ein Phantasiewort sei und die nur einen Wirkstoff enthalten, die wissenschaftlich übliche Bezeichnung des Wirkstoffs anzuführen. Die Regelung der Pharmig verstoße nicht gegen die Richtlinie über die Zulässigkeit vergleichender Werbung. Durch die Bezugnahme auf die Marke und die inhaltsgleiche Übernahme des Werbeslogans "Rettet Leben" werde der Ruf des Produkts "ZOCORDR" in der österreichischen Ärzteschaft in bewusster Anlehnung an dessen Image für eigene Zwecke ausgenutzt. Dass die Beklagte der Pharmig nicht angehöre, ändere nichts daran, dass sie an die einheitliche Standesauffassung gebunden sei. Die Einfügung des Worts "nicht" verstoße nicht gegen § 405 ZPO.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Die Beklagte macht geltend, dass der angefochtene Beschluss von der Rechtsprechung abweiche, wonach Richter die Wirkung einer Werbung nur dann selbst beurteilen dürfen, wenn sie den angesprochenen Verkehrskreisen angehören. Sie zitiert (ua) die Entscheidung 4 Ob 45/97i = ÖBl 1998, 238 - Zocord R, in der ausgesprochen wurde, dass die Frage, ob Fachkreise durch eine Werbebehauptung in Irrtum geführt werden können, eine Rechtsfrage ist, wenn es nicht auf das fachliche Verständnis der Angesprochenen, sondern auf die psychologische Wirkung der Werbebotschaft ankommt. Im zu entscheidenden Fall ging es nicht um das inhaltliche Verständnis der in der Werbung verwendeten Analysen und Studien, so dass das fachliche Verständnis der von der Werbung angesprochenen Ärzte nicht maßgebend war. Im vorliegenden Fall ist das fachliche Verständnis der Ärzte ebenso wenig gefordert, weil es um die Wirkung einer Aussage geht, für deren Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen. In einem solchen Fall ist - wie auch in der Entscheidung 4 Ob 45/97i ausgesprochen - die Beurteilung der Irreführung eine Rechtsfrage.
Zu beurteilen ist die Irreführungseignung der Aussage "Einsparpotenzial 10 Million Euro". Die Aussage ist nach allgemeinem Sprachgebrauch dahin zu verstehen, dass es möglich ist, 10 Millionen Euro einzusparen, und nicht, dass ein Einsparvolumen in dieser Größenordnung wahrscheinlich ist (s Langenscheidts Fremdwörterbuch online unter www.langenscheidt.aol.de: Potenzial = theoretische Leistungsfähigkeit). Die Aussage ist daher nicht mehrdeutig, so dass der vom Rekursgericht herangezogene Rechtssatz, wonach der Werbende bei undeutlichen Äußerungen die ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen müsse (stRsp ua 4 Ob 276/00t = ÖBl 2001, 228 [Kurz] - Vollschutzversicherung mwN), nicht anzuwenden ist. Bei dieser Sachlage kommt es auch nicht mehr darauf an, ob der Aufmerksamkeitswert des aufklärenden Hinweises ausreicht, um auch vom flüchtigen Leser wahrgenommen zu werden.
Zum ihr untersagten Preisvergleich mit "ZOCORDR" beruft sich die Beklagte auf § 2 Abs 3 UWG, wonach grundsätzlich jede vergleichende Werbung zulässig ist, die "unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder Waren oder Leistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht". Diese Bestimmung setze Gemeinschaftsrecht um wonach vergleichende Werbung auch unter namentlicher Nennung des Mitbewerbers und seiner Produkte grundsätzlich zulässig sei. Die Beklagte nennt in diesem Zusammenhang insbesondere die Richtlinie 97/55/EG .
Mit dieser Richtlinie wurde die Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichender Werbung geändert (ABl 1997 L 290/18). Nach Erwägungsgrund 14 kann es für eine wirksame vergleichende Werbung unerlässlich sein, Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers dadurch erkennbar zu machen, dass auf eine auf eine ihm gehörende Marke oder auf seinen Handelsnamen Bezug genommen wird. Die Grenze bildet Art 3a IrreführungsRL, wonach vergleichende Werbung den Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise ausnützen darf (lit g).
Im vorliegenden Fall vergleicht die Beklagte den (niedrigeren) Preis ihres generischen Arzneimittels mit dem (höheren) Preis des von der Klägerin vertriebenen Originalarzneimittels. Ein (werbewirksamer) Preisvergleich von generischen Arzneimitteln und Originalarzneimitteln setzt regelmäßig voraus, dass das Originalarzneimittel mit dem Namen bezeichnet wird, unter dem es auf dem Markt bekannt ist. Nur dann kann der Preisvergleich das Vorschreibeverhalten der Ärzte beeinflussen, weil dies die Information voraussetzt, welches Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff durch das billigere generische Arzneimittel ersetzt werden kann. Arzneimittel können auch regelmäßig nur durch die Marke identifiziert werden, wenn ihr Wirkstoff in Arzneimitteln verschiedener Erzeuger enthalten ist, wie dies beim Nachbau von Originalarzneimitteln durch generische Arzneimittel zwangsläufig der Fall ist. § 7 Abs 2 AMG steht entgegen der Auffassung des Rekursgerichts dazu nicht in Widerspruch, weil damit nicht bestimmt wird, dass Arzneispezialitäten mit nur einem Wirkstoff mit der wissenschaftlich üblichen Bezeichnung des Wirkstoffs zu bezeichnen wären, sondern nur festgelegt wird, welche Angaben auf den Außenverpackungen von Arzneispezialitäten anzubringen sind.
Die beanstandete Werbung beschränkt sich auf den Preisvergleich und das durch den Preisunterschied gegebene Einsparpotenzial; auf den von der Klägerin verwendeten Werbeslogan "Rettet Leben" wird im Inserat in keiner Weise Bezug genommen. Eine allfällige Übertragung des guten Rufs der Marke "ZOCORDR" auf das generische Arzneimittel der Beklagten durch den Preisvergleich könnte daher allein durch die Nennung der Marke bewirkt werden. Eine damit verbundene Rufausnützung ist jedoch nicht unlauter, weil sie zwangsläufig mit der für einen wirksamen Preisvergleich notwendigen Nennung der Marke verbunden ist.
Die gemeinschaftliche Regelung der vergleichenden Werbung gilt auch für die Werbung im Bereich der Humanarzneimittel. Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl 2001 L 311) in Erwägungsgrund 42 ausdrücklich bestimmt, dass die Bestimmungen der Richtlinie über die irreführende und vergleichende Werbung unberührt blieben.
Die festgestellte Standesauffassung im Bereich des Arzneimittelhandels steht damit im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht, soweit sie jede Bezugnahme auf Marken von Konkurrenzfirmen ohne entsprechende Bewilligung des Markeninhabers ausschließt. Sie ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass nur eine Bezugnahme ausgeschlossen ist, die den Ruf der Marke eines Mitbewerbers in unlauterer Weise ausnützt. Eine solche unlautere Rufausnützung ist ‑ wie oben dargelegt - im vorliegenden Fall nicht gegeben. Damit kann der Beklagten nicht untersagt werden, im festgestellten Preisvergleich die Marke "ZOCORDR" zu verwenden, ohne dass es noch darauf ankäme, ob ein allfälliger Verstoß gegen die Standesauffassung der Beklagten vorwerfbar wäre.
Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 292 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.
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