OGH 4Ob2386/96b

OGH4Ob2386/96b14.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Schönherr, Barfuß, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000,--), infolge Rekurses des Klägers gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 25. Oktober 1996, GZ 3 R 172/96b-12, mit dem das zu GZ 38 Cg 27/96y des Handelsgerichtes Wien anhängige Provisorialverfahren unterbrochen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die Rekursbeantwortung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird ersatzlos aufgehoben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Vereinszweck des Klägers ist es, die Medienvielfalt und Initiativen zur Beseitigung von Monopolen sowie die wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder, insbesondere durch Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, zu fördern. Mitglieder sind insbesondere Zeitschriftenverleger, Rundfunkanstalten, Druckereien, Film- und Videoproduzenten, Banken etc.Die Mitglieder werden laufend über das Medienrecht und neueste einschlägige Entscheidungen informiert. Vertrauensanwälte beraten die Mitglieder und unterstützen sie bei der Gestaltung ihrer Werbung. Der Kläger bekämpft im Interesse seiner Mitglieder gerichtlich und außergerichtlich Wettbewerbsverstöße.

Die Beklagte ist Verlegerin und Medieninhaberin der Zeitschrift "T*****Today". Sie hat ihren Sitz in H*****. "T*****Today" wird auch in Österreich verkauft. Auf der Titelseite der Ausgabe Nr. 7/96 wurde ein Gewinnspiel angekündigt:

"Superpreis: Das Porsche Cabrio 911

Millionen Rätsel

Preise bis zum Sommer im Gesamtwert von 1 Million Mark"

Auf den Seiten 4 und 5 derselben Ausgabe wurde das Gewinnspiel näher beschrieben:

"So machen Sie mit:

Achten Sie im Programmteil von T***** doch einfach auf die Glücksfelder. Neben einem Spielfilm oder einer Reportage stellen wir Ihnen eine Frage, die sich direkt auf die dort besprochene Sendung bezieht. Einfach beantworten und das Lösungswort in den Coupon (siehe unten) eintragen. Aus den Lösungsworten beider Programmwochen (waagrecht) ergibt sich ein Glückswort (senkrecht). Schreiben Sie dieses Glückswort und Ihren Absender auf eine Postkarte, und schicken Sie diese an:

...."

Der Kläger begehrt zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr beim Vertrieb des Magazins "T*****" in Österreich ein Gewinnspiel auf der Titelseite anzukündigen, bei dem Preise nicht unerheblichen Wertes, insbesondere ein Porsche Cabrio 911, zu gewinnen sind, wenn zur Teilnahme der Erwerb eines Heftes des "T*****" notwendig oder zumindest förderlich ist, insbesondere wenn die Teilnahmebedingungen und die Gewinnfrage im Blattinnern veröffentlicht werden.

Mitglieder des Klägers seien ausschließlich Unternehmen, zu denen auch Verlage gehörten, die Tageszeitungen und Monatsmagazine herausgeben. In den Zeitungen und Magazinen würden Fernseh-Programme mit Begleittexten veröffentlicht; zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehe ein Wettbewerbsverhältnis. Die Gewinnspielankündigungen der Beklagten verstießen gegen § 9a UWG.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen.

Der Kläger habe nicht bescheinigt, auch derzeit noch Mitglieder aus der Medienbranche zu haben. Ohne Bekanntgabe der Namen seiner Mitglieder lasse sich seine Aktivlegitimation nicht prüfen. Das Gewinnspiel sei nach deutschem Recht zulässig. § 9a UWG widerspreche Art 30 EGV; das Zugabenverbot sei eine unzulässige "Maßnahme gleicher Wirkung". Es sei weder nach Art 36 EGV noch sonst gerechtfertigt. Die Beklagte regte an, das Verfahren bis zur Erledigung des über Antrag des Handelsgerichtes Wien vom 15.9.1995, GZ 24 Cg 88/95i, zu C-568/95 des EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens zu unterbrechen.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab.

Der Kläger sei nicht aktiv legitimiert. Er habe seine Klagebefugnis im Sicherungsantrag nicht schlüssig dargelegt. Der Kläger habe nicht bescheinigt, welche Mitglieder er derzeit habe und daß er eine seinem Vereinszweck entsprechende Förderungstätigkeit ausübe. Es sei auf die deutsche Rechtsprechung Rücksicht zu nehmen, wonach dem Prozeßgegner ermöglicht werden müsse, die Angaben des Klägers nachzuprüfen.

Das Rekursgericht unterbrach das Verfahren bis zum Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in dem über Antrag des Handelsgerichtes Wien vom 15.9.1995, GZ 24 Cg 88/95i (C-568/95 des EuGH) in einem vergleichbaren Fall eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren bzw. bis zu einer allfälligen Zurückziehung des Vorabentscheidungsantrages (§ 90a Abs 2 GOG).

Aus den vom Kläger vorgelegten Urkunden seien ergänzende Feststellungen zu treffen; daraus ergebe sich für das Provisorialverfahren die Aktivlegitimation des Klägers. Die Beklagte habe nicht behauptet, daß sich die Mitgliederstruktur des Klägers wesentlich geändert habe. An der Aktivlegitimation des Klägers vermöge auch der Hinweis auf die deutsche Rechtsprechung nichts zu ändern. Nach § 13 dUWG seien Wettbewerbsverbände nur dann aktiv legitimiert, wenn ihnen eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehörten, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben.

Das Verfahren sei in analoger Anwendung des § 190 ZPO und § 90a GOG bis zu Beendigung des zu C-568/95 beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens zu unterbrechen. Gegenstand dieses vergleichbaren, aber zwischen anderen Parteien anhängigen Verfahrens sei die Frage: "Ist Art 30 EGV dahin auszulegen, daß er der Anwendung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates A entgegensteht, die es einem im Mitgliedstaat B ansässigen Unternehmen untersagen, die dort hergestellte periodisch erscheinende Zeitschrift auch im Mitgliedstaat A zu vertreiben, wenn darin Preisrätsel oder Gewinnspiele enthalten sind, die im Mitgliedstaat B rechtmäßig veranstaltet werden". Wenngleich ein Vorabentscheidungsurteil des EuGH zunächst die im Ausgangsverfahren tätig gewordenen Gerichte binde, habe es Präjudizwirkung für andere Rechtsstreitigkeiten. Eine bereits vorgegebene Auslegung dürfe nicht ignoriert werden. Trotz Parteienverschiedenheit erscheine es geboten, das Verfahren wegen der präjudiziellen Wirkung der Vorabentscheidung zu unterbrechen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt. Die Rekursbeantwortung der Beklagten war zurückzuweisen, weil keiner der Ausnahmefälle des § 402 Abs 1 EO, § 521a ZPO vorliegt.

Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung für Rechtsmittel gegen Beschlüsse, die das Rekursgericht aus Anlaß eines Rekursverfahrens oder im Zusammenhang damit faßt. Eine dem § 519 ZPO entsprechende Regelung besteht für das Rekursverfahren nicht (s Kodek in Rechberger, ZPO § 528 Rz 1). Die Vorschriften über die Anfechtbarkeit von Beschlüssen des Berufungsgerichtes, mit denen über die Zurückweisung der Klage entschieden wurde, werden analog angewendet, wenn über ein Rechtsschutzbegehren, das auf die abschließende Erledigung des Verfahrens gerichtet ist, durch ein Rekursgericht abweisend entschieden wurde (EvBl 1996/20 = RZ 1996/33 = JUSExtra OGH-Z 1950). Beschlüsse, für die eine gesetzliche Grundlage fehlt, sind aber jedenfalls anfechtbar. Zu prüfen ist daher, ob ein Verfahren über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 190 ZPO unterbrochen werden kann:

Gemäß § 402 Abs 4 EO sind die Bestimmungen über das Exekutionsverfahren im Provisorialverfahren sinngemäß anzuwenden, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Nach § 78 EO sind auch im Exekutionsverfahren die allgemeinen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung (ua) über das Verfahren und die mündliche Verhandlung anzuwenden, soweit die Exekutionsordnung nichts anderes anordnet. Nach dem Wortlaut des Gesetzes haben daher auch die Bestimmungen über die Unterbrechung des Verfahrens für die Exekution zu gelten; sie sind jedoch unanwendbar, soweit die Exekutionsordnung besondere Regelungen trifft (Heller/Berger/Stix, Kommentar zur Exekutionsordnung4, 760 f). Auch soweit gegenteilige Regelungen fehlen, können diese Bestimmungen aber nur insoweit auch für das Provisorialverfahren gelten, als sie mit dessen Wesen vereinbar sind (§ 402 Abs 4 EO: "sinngemäß").

Eine Unterbrechung des Verfahrens wegen Präjudizialität eines anderen Rechtsstreites (§ 190 ZPO) ist mit dem Zweck des Provisorialverfahrens, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, unvereinbar. Das Sicherungsverfahren wird zwar ex lege unterbrochen, wenn über das Vermögen einer Partei das Konkursverfahren eröffnet wird (stRsp ua ÖBl 1988, 30; ÖBl 1995, 280, jeweils mwN); es kann aber nicht wegen Präjudizialität eines anderen Rechtsstreites unterbrochen werden. § 190 ZPO kann daher auch nicht sinngemäß angewandt werden, wenn über eine im Provisorialverfahren zu entscheidende Frage ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig ist. Für einen solchen Fall ist die Unterbrechung des Verfahrens nicht im Gesetz vorgesehen.§ 90a GOG trifft nur eine Regelung für das Ausgangsverfahren: Hat ein Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt, so darf es bis zum Einlangen der Vorabentscheidung nur solche Handlungen vornehmen oder Entscheidungen und Verfügungen treffen, die durch die Vorabentscheidung nicht beeinflußt werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten (§ 90a GOG idF BGBl 1995/349; vgl auch §§ 57, 62 VfGG). Es ist daher gar nicht zu prüfen, ob die Unterbrechung wegen eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens zweckmäßig ist. Gegen eine solche Unterbrechung sprächen aber folgende Erwägungen:

Zur Vorlage einer Auslegungs- oder Gültigkeitsfrage an den EuGH sind alle Gerichte der Mitgliedstaaten berechtigt; dazu verpflichtet sind nur die Gerichte letzter Instanz. Auch sie können jedoch von der Vorlage absehen, wenn die Frage in einem gleichgelagerten Fall bereits Gegenstand einer Vorabentscheidung war oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (Gamerith, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EGV in Wettbewerbssachen, ÖBl 1995, 51 [57] mwN; SZ 68/168 = ÖBl 1996, 88 - Knoblauch-Kapseln [Krüger] mwN). Von der Vorlage kann aber nicht schon dann abgesehen werden, wenn die Frage Gegenstand eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens ist. In einem solchen Fall ist - allenfalls unter Hinweis auf das bereits anhängige Verfahren - ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen zu stellen (s Kohlegger, Einwirkungen des "Vorabentscheidungsverfahrens" auf das österreichische Zivilverfahren, ÖJZ 1995, 761, 811 [818] mwN). Der EuGH entscheidet über mehrere Vorabentscheidungsersuchen zur gleichen Frage in einer Entscheidung; ist bereits eine Entscheidung ergangen und wird in der Folge die entschiedene Frage (in einem anderen Verfahren) erneut zur Vorabentscheidung vorgelegt, so beschränkt sich der EuGH darauf, auf die frühere Entscheidung zu verweisen (Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EG-Vertrag2, 154 mwN).

Vor Entscheidung der Vorlagefrage ist nur durch ein im jeweiligen Verfahren gestelltes Vorabentscheidungsersuchen gewährleistet, daß die Vorlagefrage auch tatsächlich mit Wirkung für jedes dieser Verfahren entschieden wird. Einerseits kann das vorlegende Gericht das Vorabentscheidungsersuchen jederzeit zurückziehen (s § 90a Abs 2 GOG), andrerseits ist durch die Vorlage die bindende Wirkung des Vorabentscheidungsurteils sichergestellt. Das Vorabentscheidungsurteil bindet im Ausgangsverfahren das vorlegende Gericht und auch jedes andere Gericht, das in demselben Rechtsstreit zu entscheiden hat ("inter-partes"-Wirkung). Noch nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob das Vorabentscheidungsurteil Bindungswirkung auch außerhalb des Ausgangsverfahrens entfalten kann ("erga-omnes"-Wirkung). Das gilt vor allem für Auslegungsurteile des EuGH; ihre Präjudizwirkung ähnelt der von höchstrichterlichen Urteilen im nationalen Recht. Ausnahmsweise kann der EuGH einem Vorabentscheidungsurteil auch nur Wirkung ex nunc zuerkennen, wenn (zB) eine Gemeinschaftsregelung in einer von dem bisherigen Verständnis und der bisherigen Praxis abweichenden Weise ausgelegt wird und dadurch weitreichende Folgen entstehen (Borchardt in Lenz, Kommentar zum EG-Vertrag, Art 177 Rz 37 ff; Wohlfahrt in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art 177 Rz 71 ff; Krück in Groeben/Tiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag4, Art 177 Rz 85 ff; Dauses aaO 148 ff, jeweils mwN).

Daß eine bindende Vorlageentscheidung ergeht, ist daher nur für das Ausgangsverfahren sichergestellt. Dazu kommt, daß sich der EuGH in der Regel auf die Prüfung der vorgetragenen Argumente und gewisser von Amts wegen zu beachtender Gründe beschränkt (Dauses aaO 156). Im Vorlagebeschluß soll daher möglichst detailliert auf alle Sachverhaltselemente eingegangen werden, die geeignet erscheinen, die Voraussetzungen für eine sachdienliche Antwort des EuGH zu schaffen (Dauses aaO 126). Auch aus diesem Grund wäre es unzweckmäßig, wegen eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens davon abzusehen, dem EuGH vorlagepflichtige Fragen zur Entscheidung vorzulegen.

Dem Rekurs war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO; § 52 Abs 1 ZPO.

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