OGH 4Ob2233/96b

OGH4Ob2233/96b17.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek und Dr. Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Michael C*****, geboren am 9.Dezember 1979, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen als Unterhaltssachwalterin, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wr.Neustadt als Rekursgericht vom 2. Juli 1996, GZ 18 R 119/96w-97, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 22. April 1996, GZ 1 P 1362/95v-94, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Minderjährige befindet sich auf Grund des rechtskräftigen Beschlusses des Erstgerichtes vom 20. Februar 1996, in der Obsorge seines Vaters Wolfgang C*****.

Am 28. Februar 1996 beantragte der Minderjährige - durch die mit Beschluß vom 1. Oktober 1987, nach dem früheren § 22 Abs 2 JWG zum besonderen Sachwalter bestellte Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen -, seine eheliche, nunmehr wiederverehelichte, Mutter Doris L***** ab 1. Februar 1996 zu monatlichen Unterhaltsbeträgen von S 1.000 zu verpflichten. Sie stehe zwar derzeit in keinem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und habe für den 1994 geborenen Christian L***** zu sorgen; sie wäre aber in der Lage, ein Einkommen von mindestens S 10.000 netto monatlich im Jahresdurchschnitt zu erzielen. Der Minderjährige verdiene als Maurerlehrling monatlich rund S 6.628 netto ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen und Berufsschulkosten (ON 89).

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus. Da ihr Sohn aus zweiter Ehe am 12. Jänner 1996 erst zwei Jahre alt geworden sei, könne sie keiner Beschäftigung nachgehen. Ihr Mann verdiene als Maurer monatlich zwischen S 14.000 und S 15.000 netto und beziehe während des Winters durch zwei bis drei Monate nur Arbeitslosenentgelt von etwa S 10.000 monatlich. Hievon müßten die monatliche Miete (S 4.000 netto), Betriebskosten und eine Kreditrückzahlung von S 2.000 monatlich geleistet werden.

Das Erstgericht wies den Unterhaltsfestsetzungsantrag des Minderjährigen ab. Es stellte fest:

Doris L***** ist außer für den mj. Michael C***** noch für ihre am 18. Februar 1977 geborene Tochter Verena C***** und ihren Sohn Christian L*****, geboren am 12. Jänner 1994, sorgepflichtig. Sie erhielt nach der Geburt des mj.Christian L***** bis 12. Jänner 1996 ein Karenzgeld. Derzeit verfügt sie über keinerlei Einkünfte. Ihr Ansuchen um Sondernotstandshilfe wurde vom AMS Neunkirchen im Februar 1996 mangels Notstandes abgelehnt. Die Familie L***** (Felix, Doris und mj.Christian) lebt ausschließlich vom Einkommen Felix L*****s als Maurer in der Höhe von durchschnittlich (einschließlich Sonderzahlungen) knapp S 15.000 netto monatlich. Davon muß die Familie alle ihre Auslagen, insbesondere auch die Nettomiete von S 4.000 und die Rückzahlung auf den Wohnungskredit von monatlich S 2.000 leisten. Felix L***** ist es nicht möglich, seiner Frau Taschengeld zur Verfügung zu stellen, weil die gesamten Einkünfte für die unbedingt notwendigen Auslagen aufgehen. Der mj.Michael verdient als Maurerlehrling monatlich S 6.628 netto vierzehnmal jährlich.

Rechtlich meinte das Erstgericht, daß von der Mutter, die derzeit ihr erst zweijähriges Kleinkind zu betreuen hat, eine Teilzeitbeschäftigung nicht verlangt werden könne. Die Anspannung der Mutter auf ein fiktiv zu erzielendes Einkommen scheide daher aus. Da es auch die sonstigen Lebensumstände der Mutter nicht ermöglichten, über persönliches Taschengeld zu verfügen, habe sie keine Geldmittel, die der Unterhaltsbemessung zugrunde zu legen wären.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Gerichte zweiter Instanz hätten immer die Auffassung vertreten, daß einer Mutter bis zur Erreichung des dritten Lebensjahres ihres Kleinkindes eine Berufstätigkeit nicht zugemutet werden könne. Der Oberste Gerichtshof habe diese Frage nicht ausdrücklich beantwortet, jedoch gleichfalls ausgesprochen, daß bei der Prüfung der Anspannung eines Unterhaltspflichtigen auch die Einengung der Erwerbsmöglichkeiten durch Betreuungspflichten für Kleinkinder zu berücksichtigen sei. Da Doris L***** ihren rund zweieinhalbjährigen Sohn zu betreuen habe, könne der Mutter derzeit nicht einmal eine Teilzeitbeschäftigung zugemutet werden. Derzeit könne daher der Geldunterhaltsbedarf des mj. Michael und auch das (erst im Rekurs) behauptete Vorhandensein von Tagesbetreuungseinrichtungen und freien Teilzeitstellen (im Bereich des Wohnortes der Mutter) ungeprüft bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs des Minderjährigen ist nicht berechtigt.

Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Unterhaltsansprüche von Kindern aus zwei oder mehreren Ehen grundsätzlich gleichrangig (Schlemmer/Schwimann, ABGB I § 140 Rz 58; EFSlg 65.242 = Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 259 Z 2; EFSlg 68.017 = JBl 1993, 243). Erfüllt der den Kindern aus erster Ehe zum Geldunterhalt verpflichtete Elternteil - hier die Mutter - die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Kindern (dem Kind) aus der zweiten Ehe durch deren vollständige Betreuung im Haushalt, muß er seine Lebensverhältnisse derart gestalten, daß er sowohl seiner Geldalimentations- wie auch seiner Betreuungspflicht angemessen nachkommen kann. Es liefe ja dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider, ließe er den Kindern aus der zweiten Ehe die volle Unterhaltsleistung in Form der häuslichen Betreuung zuteil werden, wogegen er den Kindern aus der Vorehe den Geldunterhalt unter Berufung auf seine Einkommenslosigkeit verwehrte. Kann dem Elternteil angesichts der Größe des von ihm versorgten Haushalts sowie der Anzahl und des Alters der von ihm in diesem Haushalt betreuten Kinder eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden, so ist, wenn er sie nicht ausübt, im Sinne der Anspannungstheorie von jenem fiktiven Einkommen auszugehen, das dieser Elternteil vermöge seiner Berufsausbildung und der Arbeitsmarktverhältnisse zu erzielen imstande wäre (1 Ob 595/91 in Purtscheller/Salzmann aaO; NZ 1994, 132).

Schlemmer/Schwimann (aaO Rz 58) vertreten unter Hinweis auf Entscheidungen des LGZ Wien (EFSlg 42.857; 47.812; ebenso 70.985;

74.179 ua) die Auffassung, daß der Mutter eines Kindes bis zu einem Alter von drei Jahren keine Erwerbstätigkeit zugemutet werden könne, weil Kinder bis zu diesem Alter besonders der mütterlichen Zuwendung bedürften. In 1 Ob 595/91 hat der Oberste Gerichtshof die Ansicht der Vorinstanzen gebilligt, daß der Mutter von der Vollendung des dritten Lebensjahres ihres jüngsten Kindes an eine Teilzeitbeschäftigung zumutbar sei (Purtscheller/Salzmann aaO). Im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung von Gerichten zweiter Instanz wies der Oberste Gerichtshof - auf Grund des damals noch geltenden Art XLI WGN 1989 - in 5 Ob 1562/91 einen außerordentlichen Revisionsrekurs gegen einen im Sinne dieser Rechtsprechung ergangenen Beschluß eines Rekursgerichtes als unzulässig zurück (ÖA 1992, 55 F 2).

Der erkennende Senat hat hiezu erwogen:

Es mag zweifelhaft sein, ob eine Mutter, welche ein Kind im Alter von unter drei Jahren betreut, keinesfalls auf eine (Teilzeit-)Beschäftigung angespannt werden darf. Zwar ist die jüngst von Gitschthaler (Die Anspannungstheorie im Unterhaltsrecht - 20 Jahre später, ÖJZ 1996, 553 ff [563 FN 147]), vertretene Ansicht, diese Judikatur der Gerichte zweiter Instanz sei schon deshalb abzulehnen, weil auch Männern dieser Einwand nicht zusteht, nicht zu billigen. Selbstverständlich könnte bei Berechtigung dieses Rechtssatzes auch ein Mann, der statt der Mutter das Kleinkind betreut, nicht angespannt werden. Es sind aber durchaus Fälle vorstellbar, in denen es eher vertretbar erscheint, von der Mutter (oder dem den Haushalt führenden Vater) zu verlangen, daß sie (er) ein auch noch nicht dreijähriges Kind in einer Tagesheimstätte oder einer ähnlichen Einrichtung unterbringt, um arbeiten zu gehen, als daß die auf Geldunterhalt angewiesenen Kinder aus einer früheren Ehe in Not geraten. Aus dieser Wertung heraus ist auch der im Revisionsrekurs zitierte § 39 Abs 1 Z 2 AlVG 1977 in der derzeit geltenden Fassung zu verstehen, wonach Mütter oder Väter Anspruch auf Sondernotstandshilfe bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes haben, wenn sie wegen Betreuung ihres Kindes ..... keine Beschäftigung annehmen können, weil erwiesenermaßen für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht. Sobald eben eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für das Kleinkind vorhanden ist, hat das Interesse der Allgemeinheit, diese Sozialausgabe einzusparen, Vorrang vor den Bedürfnissen des Kleinkindes.

Im vorliegenden Fall kann aber kein Zweifel darüber aufkommen, daß es eine weit größere Härte bedeuten würde, müßte die Mutter ihr noch nicht drei Jahre altes Kind untertags (zumindest halbtags) in fremde Hände geben, um einer Arbeit nachgehen zu können, als wenn der Minderjährige nicht die begehrten S 1.000 bekommt. Er bezieht ja festgestelltermaßen monatlich fast 7.000 S. Selbst wenn man im Sinn der Rekursausführungen des Minderjährigen annehmen wollte, daß die Sonderzahlungen nicht vollständig einzurechnen seien, weil daraus Berufsschulkosten zu entrichten sind, würde das an dieser Einkommenshöhe nichts wesentliches ändern.

Bei einem Eigeneinkommen in der Höhe von monatlich mehr als S 6.600 - die Lehrlingsentschädigung ist nach herrschender Rechtsprechung (ÖA 1991, 53; SZ 63/101 = ÖA 1991, 77; EvBl 1990/134 = ÖA 1991, 16 uva) und Lehre (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 11a zu § 140; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 36 Z 3 bis 5; Schwimann, Unterhaltsrecht 63 f) eigenes Einkommen im Sinn des § 140 Abs 3 ABGB - wäre es nicht gerechtfertigt, die Mutter eines noch nicht dreijährigen Kindes dazu zu zwingen, eine Berufstätigkeit auszuüben, damit der Minderjährige noch einen zusätzlichen - im Sinne der Entscheidung des verstärkten Senates SZ 65/114 (Schwimann aaO 67) errechneten - Geldunterhalt erhält.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

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