European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124955
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ * GB * (M*alpe), zu der unter anderem das Grundstück * gehört. An dieses grenzt im Osten und Südosten das Grundstück * (K*alpe) an, das zu zwei Dritteln im ideellen Miteigentum des Erstbeklagten und zu einem Drittel im Miteigentum des Zweitbeklagten steht. Der Grenzverlauf zwischen diesen Grundstücken wurde erstmals mit der Vermessung in den Jahren 1829/1830 im Grundsteuerkataster erfasst; die Grundstücke sind nicht im Grenzkataster eingetragen.
Zwischen den Parteien ist der Grenzverlauf zwischen den genannten Grundstücken strittig. Die Fläche zwischen den wechselseitig behaupteten Grenzverläufen ist rund 16,4 ha groß und überwiegend mit Latschen, Fichten und Lärchen bewachsen.
Abgestellt auf die Topographie – mit Rücksicht auf das steil abfallende Gelände sowie die Geländestufen – verläuft die natürliche Grenze entlang der im S*‑Auszug (Beilage ./H) angeführten Punkte 8 und 9 bis 23 und 24. Im Bereich der Punkte 1 bis 5 laut Beilage ./H befinden sich Reste eines nicht mehr funktionsfähigen Weidezauns; seine Funktion ist nicht feststellbar; es könnte sich um einen Mitterhag (zum Schutz des Jungviehs), eine Absturzsicherung für das Vieh oder um einen Grenzzaun gehandelt haben. Zwischen den Punkten 1 und 3 laut Beilage ./H weisen zwei Bäume Einkerbungen auf, wobei nicht feststellbar ist, ob es sich dabei um Salzlecken oder Grenzzeichen handelte. In den letzten 30 und 40 Jahren wurde die strittige Fläche weder ausschließlich von den Beklagten und ihren Rechtsvorgängern noch von den Mitgliedern der Klägerin genutzt und bewirtschaftet, vielmehr beweideten Kühe beider Seiten diese Fläche. In den letzten 30 und 40 Jahren sowie in den Jahren davor jagten sowohl die Mitglieder und Jagdpächter der Klägerin als auch die Beklagten, ihre Rechtsvorgänger und ihre Pächter im strittigen Gebiet. In den letzten 40 Jahren führten die Beklagten, ihre Rechtsvorgänger und andere Verwandte auf der strittigen Fläche Schwendarbeiten (Schneiden von Latschen) durch.
Ab 1995 beantragte der Obmann der Klägerin für das Grundstück * AMA‑Förderungen, wobei der Antrag auch Weideflächen im strittigen Bereich umfasste. Im Jahr 2013 beantragten auch die Beklagten eine Förderung für einen Teilbereich des Grundstücks *, weshalb es wegen der Doppelbeantragung zu einer Auszahlungssperre im Förderungssystem der AMA kam.
Die Klägerin begehrte, den Beklagten zu verbieten, hinsichtlich der in ihrem Eigentum stehenden strittigen Grundfläche des Grundstücks * AMA‑Fördergelder zu beantragen sowie weiters durch sonstige Inanspruchnahme oder Nutzung als Alm- und Weidefläche ihr Eigentum zu verletzen. Zudem sollen die Beklagten verpflichtet werden, den in der Vermessungsurkunde Beilage ./A beschriebenen, dem Grundsteuerkataster entsprechenden Grenzverlauf anzuerkennen. Der Grenzverlauf zwischen beiden Alpen bestimme sich nach der natürlichen Grenze, die im Wesentlichen jener laut Grundsteuerkataster entspreche. Dieser Grenzverlauf liege auch der Feststellung der Eigenjagdgebiete und der planlichen Abbildung im Almbuch zugrunde. Bis Herbst 2012 habe es über die strittige Grundfläche keine Diskussionen gegeben. Dort hätten auch keine fremden Personen gejagt oder ihr Weidevieh aufgetrieben.
Die Beklagten entgegneten, dass die strittige Fläche in ihrem Eigentum stehe. Die tatsächliche Grenze bestimme sich nach Grenzzeichen und Zäunen, die allerdings teilweise vom Obmann der Klägerin entfernt worden seien. Die strittige Fläche sei ausschließlich von den Beklagten und deren Rechtsvorgängern zur Viehweide, zur Jagdausübung und zur Vornahme von Schwendarbeiten verwendet worden.
Das Erstgericht wies – im zweiten Rechtsgang – das Klagebegehren zur Gänze ab. Nach der (überbundenen) Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei für die wahre Grenze der Wille der Parteien maßgebend, der sich an sichtbaren natürlichen Grenzen manifestieren könne. Naturgrenzen seien demnach zum Zeitpunkt der Anlegung des Grundbuchs in der Natur bestehende, von den damaligen Nachbarn akzeptierte Grenzen. Da die als natürliche Grenze festgestellte Grenze von den Nachbarn nicht akzeptiert gewesen sei, sei der Klägerin der Nachweis nicht gelungen, dass sich die strittige Fläche in ihrem Eigentum befinde.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Mit dem Begriff „Naturgrenze“ meine das Erstgericht die topographisch auffälligere Linie, aber nicht jene, die von den Nachbarn zur Begrenzung der Liegenschaften gewollt und akzeptiert gewesen sei. Topographisch markante Linien könnten allenfalls ein Indiz, aber kein Nachweis für die eigentumsrechtliche Grenze sein. Der Umstand, dass eine topographisch markante Linie in den Grundsteuerkataster und in darauf aufbauende Urkunden aufgenommen worden sei, ohne dass feststehe, dass diese Linie je als Grenze von den Parteien gewollt und akzeptiert gewesen sei, reiche für den Eigentumsnachweis nicht aus. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Rechtsansicht, dass der Mappendarstellung – selbst wenn sie einer topographisch markanten Linie entspreche – keine Verbindlichkeit zukomme, mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang stehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragen die Beklagten, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil das Berufungsgericht in der Frage, welche Kriterien für die Feststellung des eigentumsrechtlichen Grenzverlaufs maßgebend sind, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Dementsprechend ist die Revision – im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags – auch berechtigt.
Die Klägerin führt in ihrer Revision aus, dass das Berufungsgericht die Bedeutung von Naturgrenzen und Mappengrenzen verkenne, wenn es hinsichtlich des natürlichen Grenzverlaufs zwischen zwei Grundstücken, der noch dazu mit den Mappengrenzen übereinstimme, zusätzlich eine Akzeptanz der natürlichen Grenze durch die betroffenen Nachbarn verlange. Tatsächlich sei ihr der Nachweis gelungen, dass sich die strittige Fläche in ihrem Eigentum befinde. Sie habe nicht nur die Naturgrenze und die Mappengrenze für sich, sondern könne sich auch auf die Feststellungen der Eigenjagdgebiete, den Almkataster und die Beantragung der AMA‑Förderungen bis zum Jahr 2013 berufen.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1.1 Zwischen den Parteien ist der Grenzverlauf zwischen den Almgrundstücken * der Klägerin und * der Beklagten strittig. Während die Klägerin vom Grenzverlauf entlang der im S*‑Auszug (Beilage ./H) angeführten Punkten 8 und 9 bis 23 und 24 ausgeht, behaupten die Beklagten den Grenzverlauf entlang der Punkte 1 = 24 und 2 bis 7 und 8.
1.2 Das Berufungsgericht suggeriert, dass das Erstgericht lediglich die – für die Feststellung des Eigentums nicht maßgebende – Mappengrenze laut Grundsteuerkataster festgestellt habe, die (zufälligerweise) der topographisch markanten Linie entspreche. Dabei missversteht das Berufungsgericht die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts. Aus diesen ergibt sich eindeutig, dass das Erstgericht – auf Basis von zwei Sachverständigengutachten – die natürliche Grenze festgestellt hat, wobei es in seiner Beweiswürdigung die Topographie des Geländes (steil abfallendes Gelände und Geländestufen) als maßgebendes Kriterium herangezogen hat. Dementsprechend führt das Erstgericht ausdrücklich aus, dass im Verfahren – auf Basis der Sachverständigengutachten – erhoben worden sei, wo die natürliche Grenze zwischen den beiden Alpen der Streitteile verläuft. Der Sachverständige DI L* sei in seinem Gutachten zum Schluss gekommen, dass im Bereich zwischen den Punkten 9 und 11 sowie zwischen den Punkten 11 und 15 laut Beilage ./H das Gelände hin zur K*alpe steil abfalle und daher von einem natürlichen Grenzverlauf gesprochen werden könne, dass der von der klagenden Partei behauptete Grenzverlauf markanter sei, weil sich zwischen den Punkten 9 und 21 laut Beilage ./H eine Geländestufe befinde, und dass die von den Beklagten behauptete Grenze im Bereich zwischen den Punkten 7 und 3 nicht unmittelbar an einer Geländekante und auch nicht entlang der Höhenschichtlinien verlaufe. Auch der Sachverständige DI W* habe bestätigt, dass die sich aus der Topographie ergebende Grenze eindeutig entlang der von der Klägerin behaupteten Grenze verlaufe. Bereits im ersten Rechtsgang sei festgestellt worden, dass die natürliche Grenze entlang der im S*‑Auszug (Beilage ./H) angeführten Punkte 8 und 9 bis 23 und 24 verlaufe, und dass die Grundsteuerkatastergrenze mit geringfügigen Abweichungen dieser natürlichen Grenze entspreche.
Es ist daher keineswegs so, dass das Erstgericht die Mappengrenze in die Natur übertragen hätte. Vielmehr hat es nach Maßgabe der in der Natur bestehenden Geländestufen den Verlauf der natürlichen Grenze ermittelt, wobei sich gezeigt hat, dass diese Grenze im Wesentlichen (außer einer Abweichung über 20 m) mit den Grenzen laut Grundsteuerkataster übereinstimmt.
2.1 Besteht Streit über den eigentumsrechtlichen Grenzverlauf, so ist die richtige Grenze laut aktuellem Grundbuchsstand festzustellen. Dabei ist nach der Rechtsprechung nicht auf die Mappengrenzen abzustellen. Sind die Grundstücksgrenzen nicht im Grenzkataster eingetragen und besteht zwischen den Grundnachbarn keine Einigkeit, so bestimmt sich der eigentumsrechtliche Grenzverlauf nach unbedenklichen objektiven Grenzzeichen (zB Grenzsteine, Metallmarken, Grenzpflöcke) oder nach der Naturgrenze (zB Mauern, Zäune, Bäume, Böschungskanten, natürliche Grenzlinien; siehe dazu RIS‑Justiz RS0049554; 8 Ob 143/15k; 4 Ob 53/18z).
In der Entscheidung 6 Ob 230/98m hat der Oberste Gerichtshof zur Naturgrenze in einer gebirgigen Almregion ausgeführt, dass für den Grenzverlauf nicht die Papiergrenzen, sondern die Naturgrenzen, das heißt der in der Natur festzustellende Verlauf der Grenzen, maßgebend sind. Solche „natürlichen Grenzen“ können in den Almregionen und im Gebirge beispielsweise ein Grat, eine Wasserscheide, ein Bach in der Talsohle oder sonstige auffällige Gegebenheiten in der Natur, wie zB Felsen, Bäume, Berggipfel, Bergrücken oder Schluchten, bilden.
2.2 Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass Naturgrenzen nur zum Zeitpunkt der Anlegung des Grundbuchs von den damaligen Nachbarn akzeptierte Grenzen sein könnten, ist verfehlt. Vielmehr ist in dieser Hinsicht nur der zur Zeit der Grundbuchsanlegung in der Natur bestehende oder seither rechtswirksam in der Natur veränderte Grenzverlauf maßgebend (RS0011236). Für die Feststellung der Naturgrenze kommt es damit auf die Akzeptanz der Parteien nicht an. Es ist zwar durchaus möglich, dass es im Fall der ursprünglichen Bestimmung des Grenzverlaufs durch die Naturgrenze nachträglich durch eine Einigung der Nachbarn zu einer Veränderung des ursprünglichen eigentumsrechtlichen Grenzverlaufs kommt (vgl 3 Ob 24/14x). Dies bedeutet aber nicht, dass die Akzeptanz der Naturgrenze konstitutives Merkmal für deren Maßgeblichkeit wäre. Die rechtliche Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass eine topographisch markante Linie ohne Akzeptanz der Parteien als eigentumsrechtlicher Grenzverlauf nicht in Betracht komme, lässt sich somit nicht aufrechterhalten.
2.3 Im Anlassfall kommen für die Bestimmung des eigentumsrechtlichen Grenzverlaufs auffällige Gegebenheiten in der Natur, wie Gebirgs- oder Böschungskanten, Bergrücken oder Schluchten oder auch Geländestufen als natürliche Grenzlinien in Betracht. Die Frage, wo nach Maßgabe dieser Kriterien die natürliche Grenze zwischen den Alpen der Parteien konkret verläuft, ist eine Frage der Würdigung aller Beweise (zB Sachverständigengutachten, Kataster- und Grundbuchsmappe, Kulturgattungen), die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann. Bei den von der Klägerin zusätzlich ins Treffen geführten Urkunden (behördliche Festlegung der Jagdgebiete, Almkataster, AMA‑Förderanträge) handelt es sich ebenfalls um Beweismittel.
Nach den Feststellungen des Erstgerichts verläuft die natürliche Grenze nach Maßgabe der Geländestufen entlang der im S*‑Auszug (Beilage ./H) angeführten Punkte 8 und 9 bis 23 und 24, wobei diese natürliche Grenze mit geringfügigen Abweichungen der Grundsteuerkatastergrenze entspricht. Dies ist der Grenzverlauf, von dem die Klägerin im Verfahren ausgegangen ist. Sie hat damit ihr Eigentum an der strittigen Fläche nachgewiesen.
2.4 Die Beklagten können sich nicht auf die Reste des nicht mehr funktionierenden Weidezauns, die Einkerbungen an zwei Bäumen oder auf die Weidegrenze oder sonstige Nutzungsgrenze berufen. Die Funktion des Weidezauns im Bereich der Punkte 1 bis 5 laut Beilage ./H war nicht feststellbar; es könnte sich auch um einen Zaun zum Schutz des Jungviehs oder um eine Absturzsicherung handeln. Auch die Herkunft der Einkerbungen an zwei Bäumen zwischen den Punkten 1 und 3 laut Beilage ./H war nicht feststellbar; dabei könnte es sich auch um Salzlecken handeln. Die Kuhweide und die Jagd wurde auf der strittigen Fläche von den Angehörigen beider Parteien ausgeübt; es lagen somit wechselseitige Nutzungshandlungen vor. Ganz allgemein bringt die Bewirtschaftung einer Fläche grundsätzlich keinen Eigentumsanspruch zum Ausdruck, weil eine derartige Nutzung auch im Rahmen einer Servitut oder heimlich erfolgen kann (vgl 9 Ob 18/08z). Das Gleiche gilt für die ihrem Umfang nach nicht feststellbaren Schwendarbeiten der Beklagten.
3. Zusammenfassend hält die Beurteilung des Berufungsgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. Die Voraussetzungen für eine abschließende Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofs sind allerdings noch nicht gegeben:
Das von der Klägerin erhobene Unterlassungsbegehren bezieht sich auf die Grundfläche laut Beilage ./B. Den Entscheidungen der Vorinstanzen lässt sich nun nicht mit ausreichender Sicherheit entnehmen, ob der Grenzverlauf laut Beilage ./B mit jenem in Beilage ./H entlang der Punkte 8 und 9 bis 23 und 24 übereinstimmt. Dazu wird das Erstgericht noch Klarheit schaffen müssen. In dieser Hinsicht wäre mit der Klägerin zu erörtern, ob sie etwa eine Vermessungsurkunde oder einen Lageplan eines Zivilgeometers, der den eigentumsrechtlichen Grenzverlauf laut Beilage ./H wiedergibt, zur Grundlage ihres Begehrens machen will. Dabei kann es sich aber nicht um die Vermessungsurkunde laut Beilage ./A handeln, weil diese den Grenzverlauf laut Grundsteuerkataster wiedergibt, die eigentumsrechtliche Grenze in einem Punkt davon aber abweicht.
Außerdem hat die Klägerin ein weiteres Begehren erhoben, das auf die Anerkennung des Grenzverlaufs – laut der allerdings nicht maßgebenden Beilage ./A – abzielt. Dazu wird mit der Klägerin zu erörtern sein, welche Rechtsfolge sie mit diesem Begehren anstrebt und um welche Art des Begehrens es sich dabei handelt.
Aufgrund des Erörterungsbedarfs und des Umstands, dass auch der Oberste Gerichtshof die Parteien mit einer Rechtsansicht, die sie nicht bedacht haben, nicht überraschen darf (8 Ob 109/16m), waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Bei der Frage des eigentumsrechtlichen Grenzverlaufs handelt es sich jedoch um einen abschließend erledigten Streitpunkt.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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