OGH 4Ob2084/96s

OGH4Ob2084/96s30.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.Griß als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Annika P*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des außerehelichen Vaters Günther F*****, vertreten durch Dr.Josef Unterweger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 8.Februar 1996, GZ 25 R 484/95-48, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wolkersdorf vom 19.Oktober 1995, GZ P 33/95-42, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die in dem das Unterhaltsmehrbegehren der Mutter von monatlich S 100 ab 1.September 1992 abweisenden Teil als unangefochten unberührt bleiben, werden in ihrem Zuspruch der monatlichen Unterhaltsverpflichtungen bis S 2.300 für die Zeit vom 1.Juni bis 31.August 1992, bis S 2.600 für die Zeit vom 1.September 1992 bis 30.Juni 1995 und von S 3.100 ab 1.Juli 1995 bestätigt, im Umfang des Zuspruches von weiteren je S 400 monatlich für die Zeit vom 1.Juni 1992 bis 30.Juni 1995 jedoch aufgehoben; insoweit wird dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 8.7.1988, 2 P 384/82-13, war der Vater der Minderjährigen zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.700 ab 1.Juli 1988 verpflichtet worden.

Am 30.5.1995 beantragte die Mutter im Hinblick auf das höhere Einkommen des Vaters und die gestiegenen Bedürfnisse der Tochter, die Unterhaltsverpflichtung des Vaters rückwirkend ab 1.Juni 1992 zu erhöhen, und zwar auf S 2.700 vom 1.Juni bis 31.August 1992, auf S

3.100 vom 1.September 1992 bis 30.Juni 1995 und auf S 3.200 ab 1.Juli 1995 (ON 24). Die vom Vater in der Vergangenheit erbrachten Naturalleistungen seien Geschenke gewesen und daher nicht auf den Unterhalt anzurechnen. Die Aufwendungen des Vaters für Bekleidung und Schuhe der Minderjährigen hätten in den letzten drei Jahren rund S

3.500 bis S 4.000 betragen. Bei Besuchskontakten habe der Vater seiner Tochter auch Geldbeträge von S 50 bis S 100 gegeben. In den Ferien sei sie öfter ein bis zwei Wochen im Haushalt des Vaters betreut und versorgt worden (ON 36 a).

Der Vater sprach sich gegen die Unterhaltserhöhung aus. Eine rückwirkende Festsetzung des Unterhalts sei rechtlich nicht möglich. Er habe in wesentlich größerem Ausmaß zum Unterhalt seiner Tochter beigetragen, als es seiner gerichtlich festgesetzten Unterhaltspflicht von S 1.700 monatlich entsprochen habe. Er habe zum notwendigen Unterhalt des Kindes durch den Ankauf von Kleidung und Schuhwerk sowie durch Ausbesserungs- und Instandsetzungsarbeiten an den Sachen der Minderjährigen beigetragen. Er habe auch größere Anschaffungen wie Ski-Ausrüstung oder sonstige Sportgeräte je nach finanzieller Kraft entweder allein getragen oder mit der Mutter geteilt oder einen Preisanteil übernommen (ON 25, S. 65 f). Er habe der Minderjährigen zum Teil auch Lebensmittel mitgegeben, die sie zu Hause nicht bekommen hätte. Insgesamt beziffere er seine monatlichen Aufwendungen im Durchschnitt mit S 700 (ON 35).

Das Erstgericht sprach aus, daß der Vater schuldig sei, zum Unterhalt der Minderjährigen anstelle der bisher auferlegten Verpflichtung von S 1.700 monatlich in der Zeit vom 1.Juni bis 31.August 1992 einen Betrag von S 2.700 monatlich, vom 1.September 1992 bis zum 30.Juni 1995 monatlich S 3.100 und ab 1.Juli 1995 bis auf weiteres S 3.200 monatlich zu zahlen. Auf diese erhöhten Unterhaltsbeiträge habe der Vater S 1.700 monatlich rückstandsfrei bezahlt; außerdem habe er in der Zeit vom 1.Juni 1992 bis 30.Juni 1995 auf seine Unterhaltspflicht anrechenbare Naturalleistungen im Betrag von S 400 monatlich erbracht, so daß bis zum 30.Juni 1995 ein Rückstand von S 35.800 aushafte. Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Minderjährige lebt im Haushalt ihrer Mutter, von der sie betreut wird.

Der Vater war in der Zeit vom 1.Juni bis 31.August 1992 für zwei weitere eheliche Kinder und seine Ehefrau zur Gänze sorgepflichtig. Ab 1.September 1992 hatte er nur noch teilweise für seine Ehefrau zu sorgen, da diese seither halbtags beschäftigt ist und rund S 7.000 bis nicht ganz S 8.000 monatlich verdient. Als Beamter bezog der Vater folgendes Einkommen:

In der Zeit vom 1.Juni bis 31.August 1992 netto insgesamt S 58.779,30, also ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von S 19.593,10; in der Zeit vom 1.September 1992 bis 30.Juni 1995 netto insgesamt S 710.979,30, monatlich netto also im Durchschnitt S 20.911,15; in der Zeit vom 1.Jänner 1995 bis 30.Juni 1995 netto insgesamt S 128.930,30, also ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen für den laufenden Unterhalt von S 21.488,38.

Die vom Vater zusätzlich zum bisher festgesetzten Unterhalt von S

1.700 erbrachten Leistungen - Bekleidung, Sportgeräte, Bargeldbeträge und andere zum notwendigen Unterhalt dienende Aufwendungen - werden monatlich pauschal mit einem Betrag von S 400 festgesetzt. Tatsächlich hat der Vater durch die dafür notwendigen Aufwendungen in der Vergangenheit mehr als nur den Geldunterhaltsbetrag von S 1.700 monatlich geleistet. Diese Leistungen hätte der Vater in Kenntnis einer erhöhten Geldunterhaltsverpflichtung offensichtlich nicht erbracht. Da der Vater in der Vergangenheit auch andere zum Unterhalt notwendige Leistungen (Ankauf von Sportgeräten, Aufwendungen in kultureller Hinsicht für Ausflüge, Freizeit und Feriengestaltung) erbracht hat, werden diese Leistungen mit monatlich S 400 bewertet. Kleinere Zuwendungen, wie Süßigkeiten, Bücher, Videoas usw, haben hingegen Geschenkcharakter. Eine andere Festsetzung als nach freiem Ermessen ist nicht möglich.

Rechtlich meinte das Erstgericht, daß die von der Mutter begehrten Unterhaltsbeträge den üblichen Prozentkomponenten entsprächen. Die in der Vergangenheit erbrachten Naturalunterhaltsleistungen seien jedoch bei Ermittlung des Rückstandes in Anschlag zu bringen.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes infolge Rekurses der (durch ihre Mutter vertretenen) Minderjährigen und des Vaters dahin ab, daß es unter Abweisung des Unterhaltsmehrbegehrens von monatlich S 100 ab 1.September 1992 die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Zeit vom 1.Juni bis 31. August 1992 mit S 2.700, für die Zeit vom 1.September 1992 bis 30. Juni 1995 mit S 3.000 und ab 1.Juli 1995 mit S 3.100 bestimmte, ohne jedoch die Sachleistungen des Vaters in Abzug zu bringen. Der Rekurs der Mutter sei in Ansehung der Naturalleistungen berechtigt. Das Erstgericht meine zwar, daß der Vater diese Leistungen in Kenntnis seiner erhöhten Geldunterhaltsverpflichtung nicht erbracht hätte; es müsse sich aber dabei um regelmäßige Aufwendungen des Vaters handeln, die tatsächlich Unterhaltscharakter hätten. Der Vater habe jedoch weder konkret vorbringen können, in welchem Ausmaß er dem Kind tatsächlich freiwillige Zuwendungen erbracht hat, noch konkret angeben können, welchen Betrag er dafür habe aufwenden müssen. Es gehe auch nicht an, daß der Vater eigenmächtig irgendwelche Kleidungsstücke kaufe, die das Kind vielleicht gar nicht benötigt, und daß dies dann auf den zu leistenden Unterhalt angerechnet werden solle. Grundsätzlich seien keine gemischten Unterhaltsleistungen zuzusprechen. Naturalleistungen seien nur insoweit anzurechnen, als sie mit Zustimmung des erziehungsberechtigten Elternteils erfolgt sind. Die Naturalleistungen seien daher auf die Unterhaltspflicht des Vaters nicht anzurechnen, zumal der obsorgeberechtigte Elternteil damit nicht einverstanden gewesen sei. Die weiteren Rekursausführungen der Minderjährigen seien jedoch nicht berechtigt.

Dem Rekurs des Vaters sei insoweit zu folgen, als der Kinderabsetzbetrag der Kinderbeihilfe gleichzusetzen und wie eine für ein anderes Kind erhaltene Kinderbeihilfe aus der Bemessungsgrundlage herauszunehmen sei. Dementsprechend vermindere sich die Bemessungsgrundlage so weit, daß die Unterhaltsverpflichtung des Vaters um jeweils S 100 zu verringern sei. Entgegen den Rekursausführungen des Vaters könne aber Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden. Zu Recht habe das Erstgericht auch die pauschalierten Mehrkosten - also die Prüferzulage - zu 50 % in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Der vom Vater geltend gemachte Wohnraumsanierungskredit sei von der Bemessungsgrundlage nicht abzuziehen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil das Rekursgericht in der Frage der Berücksichtigung der Naturalleistungen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; er ist auch teilweise berechtigt.

Der Vater wendet sich in seinem Rechtsmittel ausschließlich gegen die

fehlende Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten

Naturalleistungen für das Kind in der Zeit vom 1.Juni 1992 bis zum

30. Juni 1995. Seine sonstigen bei den Vorinstanzen erhobenen Einwände

bringt er - mit Recht - nicht mehr vor. Nur im Hinblick auf den -

durch seine Ausführungen freilich nicht gedeckten -

Rechtsmittelantrag, den angefochtenen Beschluß abzuändern "und den

Antrag auf Festsetzung eines rückwirkenden Unterhalts abzuweisen",

sei darauf hingewiesen, daß nach der Entscheidung des verstärkten

Senates 6 Ob 544/87 = EvBl 1988/123 = JBl 1988, 586 (zust H.Pichler)

= EFSlg 57.045/3 = ÖA 1988, 79 = AnwBl 1989, 294/3132 (und der

seither ständigen Rechtsprechung) Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann.

Soweit sich der Vater gegen die Nichtberücksichtigung seiner Naturalleistungen wendet, ist ihm zuzustimmen:

Der Oberste Gerichtshof ist schon mehrmals der von Gerichten zweiter Instanz geäußerten Rechtsansicht, daß gemischter (dh aus Natural- und Geldleistung bestehender) Unterhalt grundsätzlich unzulässig sei, entgegengetreten. Diese Auffassung ist auch dann nicht berechtigt, wenn durch die Naturalleistungen die Unterhaltsbedürfnisse in einem Maß und in einer Art gedeckt werden, daß der Unterhaltsberechtigte zur Bestreitung eines vollständigen Unterhaltes nur noch eines geringeren als des festgesetzten Geldbetrages bedürfte (EvBl 1992/108 = ÖA 1992, 91; EvBl 1993/161 = EFSlg 70.581; ÖA 1994, 67 = EFSlg 72.228; 4 Ob 518/94 ua). Sachleistungen eines zum Geldunterhalt Verpflichteten können also durchaus berücksichtigt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat schon ausgesprochen, daß bei der Lösung der Frage, wie weit Sachleistungen bei der Ausmessung des für die Vergangenheit gebührenden Unterhalts zu berücksichtigen sind, alle Geld- und Naturalleistungen (mit Unterhaltscharakter) in Anschlag zu bringen sind. Davon ausgehend muß geprüft werden, ob der Unterhaltspflichtige diese Naturalleistungen auch dann erbracht hätte, wenn er bereits zur Zeit der Leistung von der ihn rückwirkend treffenden Unterhaltsverpflichtung Kenntnis gehabt hätte. Nur wenn er sie trotzdem erbracht hätte, kommt eine Anrechnung nicht in Betracht. Im Zweifel ist das aber nicht zu vermuten (EFSlg 66.369; 3 Ob 526/93 = ÖA 1994, 67 = EFSlg 72.228; 7 Ob 535, 536/93 = EFSlg 72.228; 9 Ob 502/94). Inwieweit demnach grundsätzlich anrechenbare Leistungen bei der rückwirkenden Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, richtet sich - wie der Oberste Gerichtshof gleichfalls schon ausgesprochen hat - nach den Umständen des Einzelfalls, wobei der gesamte Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten, also alle seine Unterhaltsbedürfnisse, den Lebensverhältnissen entsprechend ausgewogen, abgedeckt werden müßten und eine sachlich nicht gerechtfertigte Überalimentation in einem Teilbereich nicht zur Kürzung in einem anderen Teilbereich der Bedürfnisse führen dürfe (EF 66.369; ÖA 1994, 67 = EFSlg 72.228; 9 Ob 502/94).

Die vom Rekursgericht für die Nichtberücksichtigung der Naturalleistungen des Vaters herangezogenen Erwägungen stehen mit dieser Rechtsprechung in Widerspruch. Die angefochtene Entscheidung kann daher insoweit keinen Bestand haben. Aber auch die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes kommt in diesem Belang nicht in Frage:

Zutreffend hat die durch ihre Mutter vertretene Minderjährige in ihrem Rekurs die Annahme des Erstgerichtes, daß der Vater die Naturalleistungen in Kenntnis der erhöhten Geldunterhaltsverpflichtung offensichtlich nicht erbracht hätte und es sich bei den zusätzlich erbrachten Leistungen um Naturalunterhalt ohne Geschenkcharakter gehandelt habe, unter Hinweis darauf gerügt, daß der Vater selbst derartiges nicht ausgesagt habe (S. 183). Der Vater habe vor dem Verfahren solches niemals zum Ausdruck gebracht (S. 179).

Tatsächlich hat der Vater weder in seinem Schriftsatz (ON 25) noch bei seiner Vernehmung durch das Erstgericht (ON 35) ausdrücklich erklärt, daß er die mehrfach geschilderten Aufwendungen dann nicht gemacht hätte, wenn er die nachträgliche rückwirkende Unterhaltserhöhung vorausgesehen hätte. Derartiges läßt sich auch seiner mehrfach wiederholten Rechtsbehauptung nicht eindeutig entnehmen, daß sämtliche seiner Leistungen auf den Unterhalt anzurechnen seien.

Daß der Vater auch bei Kenntnis von der ihn rückwirkend treffenden Unterhaltserhöhung die Naturalleistungen erbracht hätte, ist zwar nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung im Zweifel nicht zu vermuten. Zunächst hat aber das Gericht zu versuchen, den Zweifel auszuräumen, der gerade hier deshalb vorlag, weil ja die Mutter ausdrücklich von einer bloßen Geschenkabsicht des Vaters gessprochen hat.

Schon aus diesem Grund war dem Revisionsrekurs, soweit er sich gegen die Nichtberücksichtigung der Naturalleistungen in der Höhe von S 400 je Monat wendet, Folge zu geben und insoweit mit einer Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen vorzugehen. Daß schon das Erstgericht die darüber hinausgehende Forderung des Vaters (S 700 monatlich statt nur S 400) verneint hatte, blieb bereits im Rekurs des Vaters unbekämpft und ist daher nicht mehr Gegenstand des Unterhaltsbemessungsverfahrens.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Eltern der Minderjährigen ergänzend zu der rechtlich erheblichen Frrage zu vernehmen haben, ob der Vater die Naturalleistungen auch dann erbracht hätte, wenn er von der ihn treffenden rückwirkenden Unterhaltsverpflichtung gewußt hätte. Die Mutter wird zu befragen sein, welche konkreten Umstände dafür sprechen, daß der Vater diese Leistungen auf jeden Fall erbracht hätte.

Außerdem wird das Erstgericht den Vater aufzufordern haben, möglichst genaue, ins einzelne gehende Angaben über seine Zuwendungen an die Minderjährige zu machen und allenfalls vorhandene Belege vorzulegen. Nach der Aktenlage kann nämlich noch nicht gesagt werden, daß der Vater solche Angaben auch dann nicht machen könnte, wenn er vom Gericht dazu eingehender befragt würde. Die Mutter wird sodann zu den Angaben des Vaters im einzelnen zu hören sein.

Im übrigen aber - also im Zuspruch des erhöhten Unterhaltsbetrages abzüglich von S 400 monatlich für die Zeit vom 1.Juni 1992 bis zum 30. Juni 1995 - war der angefochtene Beschluß zu bestätigen.

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