OGH 4Ob184/82

OGH4Ob184/8211.1.1983

SZ 56/1

Normen

ArbVG §62 Z1
JournG §1 Abs1
MedienG §1 Z6
ArbVG §62 Z1
JournG §1 Abs1
MedienG §1 Z6

 

Spruch:

"Zeitungsunternehmung" iS des § 1 Abs. 1 JournalistenG ist eine zum Zweck der Herausgabe einer periodischen Druckschrift erfolge Zusammenfassung rechtlicher, organisatorischer und wirtschaftlicher Mittel zu einer mit dem Erscheinen des Blattes verknüpften Betriebseinheit; sie umfaßt insbesondere die Verlagsrechte, den good will, die Mitarbeiter, technische Mittel und den Zeitungstitel. Ein bloßer Wechsel des Betriebsinhabers, der die Betriebsidentität nicht berührt, ist keine dauernde Einstellung des Betriebes iS des § 62 Z 1 ArbVG

OGH 11. 1. 1983, 4 Ob 184/82 (LGZ Wien 44 Cg 118/82; ArbG Wien 9 b Cr 757/81) = ZAS 1984, 26 (Aichinger)

Text

Der Kläger begehrt der beklagten GesmbH gegenüber die Feststellung des aufrechten Bestehens seines Arbeitsverhältnisses. Er sei am 1. 8. 1968 als Angestellter in die Dienste des Zeitungsverlages "Fritz M Wiener Wochenblatt" getreten. Mit Wirkung zum 1. 1. 1981 habe die Beklagte diesen Verlag einschließlich des Klägers übernommen. Dieser sei seit 9. 4. 1979 Mitglied des Betriebsrates des Verlages gewesen. Der sich daraus ergebende Schutz bestehe über den Betriebsinhaberwechsel hinaus fort, weil eine Betriebsstillegung nicht erfolgt sei. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 11. 3. 1981 ausgesprochene, dem damals auf Urlaub befindlichen Kläger am 27. 3. 1981 zugestellte Entlassung sei daher mangels Zustimmung des Einigungsamtes rechtsunwirksam, sodaß das Arbeitsverhältnis fortbestehe.

Die Beklagte beantragt Abweisung das Klagebegehrens. Sie habe von Fritz M lediglich die Rechte zur Herausgabe und zum Vertrieb der Zeitung "Wiener Wochenblatt" erworben. Bei der Herausgabe und dem Verlag dieser Zeitung habe es sich um eine von vielen Aktivitäten gehandelt, die der Einzelkaufmann M unter der Firma "Zeitungsverlag Fritz M" (Alleininhaber Fritz M) entfaltet habe. Die Beklagte habe sich bereit erklärt, die an der Herausgabe und dem Vertrieb der vorgenannten Zeitung beteiligten Arbeitnehmer, darunter auch den Kläger, zu übernehmen. Der alte Betriebsrat bestehe im Betrieb der Beklagten nicht fort, weil für die Herausgabe und den Verlag dieser Zeitung durch Fritz M weder eine organisatorische noch eine technische Einheit noch ein einheitlicher Betriebszweck bestanden habe und der Herausgabe der Zeitung im Rahmen der Aktivitäten des Fritz M keine Eigenständigkeit zugekommen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Fritz M war bis zum Ende des Jahres 1980 Inhaber des Zeitungsverlages Fritz M. In diesem Verlag wurde die Zeitung "Wiener Wochenblatt" herausgegeben. Zum Ende des Jahres 1980 verkaufte Fritz M die Zeitungsunternehmung "Wiener Wochenblatt" an die Beklagte. Der vorgenannte Zeitungsverlag hatte mit Ausnahme der Herausgabe des "Wiener Wochenblattes" keine einzige Aktivität entfaltet. Der Kläger war seit 30. 4. 1979 Betriebsratsobmann des Angestelltenbetriebsrates des genannten Zeitungsverlages. Mit Schreiben der Beklagten vom 19. 12. 1980 wurde dem Kläger, der von Fritz M vorher gekundigt worden war, mitgeteilt, daß diese Kündigung nicht aufrechterhalten werde. Der Kläger wurde von der Beklagten mit allen Rechten und Pflichten übernommen. Mit Schreiben der Beklagten vom 11.3. 1981 wurde er ohne jede Begründung und ohne Zustimmung des Einigungsamtes entlassen.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, die Beklagte habe nicht bloß den Zeitungstitel "Wiener Wochenblatt" von Fritz M erworben, sondern die diesbezügliche Zeitungsunternehmung. Durch den Betriebsinhaberwechsel sei die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates nicht erloschen, sodaß auch der Kündigungs- und Entlassungsschutz fortbestehe. Da die Beklagte die für die Entlassung des Klägers somit notwendige Zustimmung des Einigungsamtes nicht eingeholt habe, bestehe das Arbeitsverhältnis des Klägers weiterhin aufrecht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 30 000 S übersteige. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGerG neu durch, traf die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht und billigte dessen rechtliche Beurteilung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Vorauszuschicken ist, daß die beklagte GesmbH, am 4. 11. 1982 infolge beendeter Liquidation im Handelsregister gelöscht wurde und damit die Parteifähigkeit verloren hat. § 155 Abs. 1 ZPO gilt aber auch für den "Tod einer juristischen Person", sodaß das gegenständliche Verfahren, in dem die Beklagte rechtsanwaltlich vertreten ist, nicht unterbrochen wurde (SZ 35/112 mit weiteren Hinweisen).

Die Beklagte vertritt in ihren Rechtsmittelausführungen lediglich die Meinung, die untergerichtlichen Feststellungen rechtfertigten nicht die Annahme, sie habe von Fritz M ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte mit Betriebsrat übernommen und der Kläger habe seine Funktion als Betriebsratsmitglied beibehalten.

Dieser, von der Beklagten nicht näher begrundeten Meinung kann nicht beigestimmt werden. Da der Kläger bis zu der von den Untergerichten festgestellten Übernahme der Zeitungsunternehmung durch die Beklagte Mitglied des Betriebsrates war, ist zu prüfen, ob durch diese Übernahme die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates des Zeitungsverlages Fritz M vorzeitig geendet hat. Die Gründe, die eine vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrates zur Folge haben, sind in § 62 ArbVG aufgezählt. Von den dort angeführten Gründen kommt hier an sich nur die Z 1, nämlich die dauernde Einstellung des Betriebes, in Betracht. Eine solche Betriebseinstellung setzt aber voraus, daß der Betrieb untergegangen ist. Wenn hingegen trotz einer Änderung von Betriebselementen nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen angenommen werden kann, daß der alte Betrieb fortbesteht - daß somit die Betriebsidentität gegeben ist -, liegt eine Einstellung des Betriebes iS des § 62 Z 1 ArbVG nicht vor. Ein bloßer Betriebsinhaberwechsel, der die Betriebsidentität unberührt läßt, bedeutet daher keine Betriebseinstellung (Floretta im ArbVG-Handkommentar 348 f., 828, 842; Arb. 7466, 5653, 5568; SZ 53/171 ua.).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Kläger und - nach ihrem eigenen Vorbringen - die an der Herausgabe und dem Vertrieb der Zeitung "Wiener Wochenblatt" beschäftigten Arbeitnehmer übernommen und die Zeitungsunternehmung "Wiener Wochenblatt" erworben. Zu prüfen bleibt daher die Frage, ob der Betrieb, innerhalb dessen diese Zeitungsunternehmung geführt wurde, ungeachtet des Erwerbes durch die Beklagte seine Identität behalten hat. Hiebei ist vom Betriebsbegriff des § 34 ArbVG auszugehen (Floretta aaO 348). Nach dieser Bestimmung gilt als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht. Die Wesenselemente des Betriebes sind der Betriebsinhaber, die Betriebsmittel, die Beschäftigten, der Betriebszweck, die einheitliche Betriebsorganisation und der Dauercharakter (Strasser im ArbVG-Handkommentar 200, 207). Grundsätzlich wird die Betriebsidentität durch den Wechsel des Betriebsinhabers nicht berührt; gleichgültig ist dabei, ob mit der Belegschaft neue Arbeitsverträge abgeschlossen werden (wie es die Beklagte behauptet hat) oder nicht. Die Kontinuität oder die Unterbrechung der Arbeitsverhältnisse ist für die Betriebsidentität ebensowenig maßgebend wie eine Standortverlegung (Strasser aaO). Bei der Beantwortung der Frage, wann die Betriebsidentität noch gegeben und bei welcher Veränderung sie als beseitigt anzusehen ist, muß von den oben angeführten Hauptelementen des Betriebes ausgegangen werden. Die Änderung eines dieser Elemente vermag die Betriebsidentität grundsätzlich nicht zu beseitigen. Ändern sich aber mehrere Elemente des Betriebes gleichzeitig, dann wird meistens das Entstehen eines neuen Betriebes anzunehmen sein (Strasser aaO 207). Für die Beantwortung dieser nach den Umständen des einzelnen Falles zu beantwortende Frage ist weitgehend die Verkehrsauffassung von Bedeutung (Arb. 5653; vgl. auch Arb. 7466; Strasser aaO).

Im vorliegenden Fall war der Kläger Obmann des Angestelltenbetriebsrates des Zeitungsverlages Fritz M. Die Beklagte hat aber nicht diesen Zeitungsverlag, sondern die darin verlegte Zeitungsunternehmung "Wiener Wochenblatt" erworben. Unter einer Zeitungsunternehmung ist eine zum Zwecke der Herausgabe einer periodischen Druckschrift erfolgte Zusammenfassung rechtlicher, organisatorischer und wirtschaftlicher Mittel zu einer mit dem Erscheinen eines bestimmten Blattes verknüpften Betriebseinheit zu verstehen. Nicht der Verlag, in dem eine bestimmte Zeitung erscheint, oder die Druckerei, in der sie gedruckt wird, ist die Zeitungsunternehmung, sondern jene Einheit von Mitteln, die ausschließlich auf die Herausgabe eines bestimmten Blattes gerichtet sind. Vom Standpunkt des Verlages gesehen ist es ein bestimmtes Verlagsobjekt, aus der Sicht der Allgemeinheit betrachtet ist es eine bestimmte Zeitung. Diese komplexe rechtliche und wirtschaftliche Einheit umfaßt insbesondere die Verlagsrechte, den good will, die Mitarbeiter, technische Mittel und den Zeitungstitel (Kuderna, RdA 1964, 341 ff., insbesondere 348 f.).

Für die Beantwortung der Frage nach der Betriebsidentität sind im vorliegenden Zusammenhang die Feststellungen von Bedeutung, wonach die Beklagte von Fritz M nicht bloß den Zeitungstitel, sondern die Zeitungsunternehmung "Wiener Wochenblatt" erworben hat, und daß der Zeitungsverlag Fritz M nur eine einzige Aktivität entfaltet hat, nämlich die Herausgabe und den Vertrieb des "Wiener Wochenblattes". Wenn auch nicht dieser Verlag von der Beklagten erworben wurde, sondern die vorgenannte Zeitungsunternehmung so bildete diese doch den einzigen Gegenstand der geschäftlichen Tätigkeit dieses Verlages. Daraus folgt, daß mit Ausnahme des Betriebsinhabers und der organisatorischen Grundform, nämlich des Verlages, alle übrigen wesentlichen Elemente des Betriebes unverändert fortbestehen. Dies trifft insbesondere auf die Betriebsmittel, die Beschäftigten (gleichgültig, ob alle oder nur ein großer Teil davon übernommen wurden), auf den Betriebszweck, die einheitliche Betriebsorganisation (in bezug auf die Zeitungsunternehmung) und den Dauercharakter zu. Da der genannte Verlag ausschließlich mit der Herausgabe und dem Vertrieb dieser Zeitung befaßt war, diese Tätigkeit jedoch von der Beklagten unverändert fortgesetzt wurde, kommt dem Umstand, daß nur die Zeitungsunternehmung, nicht aber der Verlag auf die Beklagte übergegangen ist, für die Frage der Betriebsidentität ebensowenig Bedeutung zu wie der Betriebsinhaberwechsel. Nach der Verkehrsauffassung und nach den oben dargelegten Grundsätzen besteht der Betrieb im allein maßgebenden betriebsverfassungsrechtlichen Sinn weiter fort, wogegen der Zeitungsverlag die gegenständliche Zeitungsunternehmung nicht mehr fortführen könnte. Daraus folgt wieder, daß die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates nicht vorzeitig geendet hat, sodaß der Schutz der §§ 120 bis 122 ArbVG dem Kläger im Zeitpunkt der Entlassung zugestanden ist. Da die Beklagte die nach §§ 120, 122 ArbVG erforderliche Zustimmung des Einigungsamtes zur Entlassung des Klägers nicht eingeholt hat, ist diese rechtsunwirksam geblieben, sodaß das Arbeitsverhältnis mangels einer späteren rechtswirksamen Vertragsauflösung - eine solche wurde von den Parteien nicht behauptet - im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in zweiter Instanz (1. 7. 1982) aufrecht bestanden hat. Die Untergerichte haben daher dem Feststellungsbegehren mit Recht stattgegeben.

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