OGH 4Ob175/98h

OGH4Ob175/98h14.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Victor J*****, und der mj. Laura-Magdalena J*****, beide vertreten durch das Amt für Jugend und Familie 10. Bezirk, Wien 10, Van der Nüllgasse 20, als besonderer Sachwalter, wegen Unterhaltsvorschusses, infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. März 1998, GZ 43 R 162/98m-35, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 19.August 1997, GZ 8 P 39/97t-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Den Minderjährigen wird vom 1.Juni 1997 bis 31.Mai 2000 ein monatlicher Unterhaltsvorschuß von je S 2.750.-, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c) bb) erster Fall, § 108 ASVG, gewährt.

Die nach dieser Entscheidung erforderlichen Verfügungen obliegen dem Erstgericht."

Text

Begründung

Der uneheliche Vater hat sich mit Vereinbarung vom 12.6.1997 (ON 17) verpflichtet, seinen Kindern Victor und Laura ab 1.2.1997 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von je S 2.750.- zu zahlen. Dieser Unterhaltsverpflichtung lag zugrunde, daß der Vater als Geschäftsführer ein durchschnittliches Einkommen von S 25.000.- brutto erzielte; er ist nach seinen eigenen Angaben österreichischer Staatsbürger, kaufmännischer Angestellter, gesund und voll arbeitsfähig und mit drei weiteren Sorgepflichten (für eine großjährige Studentin, ein neun- und ein fünfzehnjähriges Kind) belastet (ON 6 iVm ON 1). Er ist seit Februar 1997 arbeitslos gemeldet und bezieht seit Juli 1997 Notstandshilfe in der Höhe von S 4.134.- monatlich (ON 21).

Der Unterhaltssachwalter beantragte am 19.6.1997 (ON 15 und ON 16) gem. §§ 3, 4 Z 1 UVG die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Höhe des Titels mit dem Vorbringen, die Führung einer Exekution scheine aussichtslos, weil laut Auskunft des Arbeitsmarktservices die Notstandshilfe so gering sei, daß keine Abzüge vorgenommen werden könnten; den Familienzuschlag beziehe die Kindesmutter. Auf Grund des Anspannungsgrundsatzes werde einer Reduzierung nicht zugestimmt.

Das Erstgericht wies die Anträge gem. § 7 UVG mit der Begründung ab, es bestünden nach der Aktenlage im Hinblick auf sein derzeitiges Einkommen und die weiteren Sorgepflichten begründete Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit des Vaters.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es sei davon auszugehen, daß die vom Vater eingegangene Unterhaltsverpflichtung von vornherein zu hoch sei, beziehe dieser doch seit 7.7.1997 nur eine tägliche Notstandshilfe von S 137,80. Dieser Umstand sei grundsätzlich geeignet, begründete Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu erwecken. Die Aktenlage biete hingegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, den Anspannungsgrundsatz nach § 140 Abs 1 ABGB anzuwenden.

Der Unterhaltssachwalter stellte den Antrag an das Rekursgericht, einen ordentlichen Revisionsrekurs zuzulassen, worauf das Rekursgericht seinen Ausspruch über die Revisionsrekurszulässigkeit dahin abänderte, daß es den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig erklärte.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht bei seiner Entscheidung das ihm bereits vorliegende Gutachten ON 28 unbeachtet gelassen und in einer die Rechtssicherheit gefährdenden Weise die Anspannungsverpflichtung des Vaters unrichtig beurteilt hat; er ist auch berechtigt.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder (der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend) zu hoch festgesetzt ist. § 19 und § 20 UVG ergänzen diese Vorschriften durch die Möglichkeit, bereits bewilligte Vorschüsse bei geänderten Verhältnissen herabzusetzen oder einzustellen. Der auf Grund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuß soll daher der jeweiligen (materiellen) gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen, wobei die Richtsatzhöhe gemäß § 6 Abs 1 UVG nicht überschritten werden darf (EvBl 1992/16). Gemäß § 11 Abs 2 UVG hat zwar der Vorschußwerber die Voraussetzungen der Gewährung von Vorschüssen bloß glaubhaft zu machen; das Verfahren soll ohne weitwendige Ermittlungen abgewickelt werden (RZ 1991/44). Bestehen aber (aus Gründen der Offenkundigkeit oder nach der Aktenlage) begründete Bedenken gegen die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht, dann hat das Gericht, allenfalls nach

Durchführung amtswegiger Erhebungen (8 Ob 554/91; EvBl 1993/34 =

EFSlg 69.486; 2 Ob 555/94 = ÖJZ-LSK 1995/48), einen dem Gesetz

entsprechenden niedrigeren Betrag, als er im Exekutionstitel bestimmt ist, als Vorschuß festzusetzen oder, falls kein Unterhaltsanspruch mehr besteht, die Unterhaltsvorschüsse überhaupt zu versagen (6 Ob 676/90; 8 Ob 554/91; EvBl 1992/16). Wenn solche Erhebungen ohne größere Verzögerung nicht durchgeführt werden können, ist der Vorschuß zunächst zu bewilligen, gleichzeitig aber ein Verfahren zur Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse einzuleiten (EvBl 1993/34).

Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (EFSlg 66.648; 2 Ob 555/94 = ÖA 1995, 66; 7 Ob 48/98d), liegen noch keine begründeten Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG vor, wenn die Voraussetzungen für die Anspannung des Unterhaltsschuldners gegeben sind. Sind die Voraussetzungen für eine Anspannung allerdings nicht (mehr) gegeben, dann können die Unterhaltsvorschüsse trotz Fortbestehens des (höheren) Titels eingestellt oder herabgesetzt werden (4 Ob 2068/96p). Freilich käme eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf ein erzielbares Einkommen dann nicht in Betracht, wenn er (bei Arbeitslosigkeit und Meldung als Arbeitssuchender) auch bei Einsatz aller seiner persönlichen Fähigkeiten, also seiner Leistungskraft unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Könnens, nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz zu erlangen (ÖA 1992, 51; 4 Ob 2068/96p; 8 Ob 191/97i). Wer nämlich - aus welchen Gründen immer (Krankheit, Haft, Schwangerschaft, Alter) - zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, dem kann wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit kein potentielles Einkommen unterstellt werden (Schwimann aaO mwN; 4 Ob 544/91 = ÖA 1992, 51 U23; zuletzt 4 Ob 120/98w). Anhaltspunkte für einen derartigen Sachverhalt sind dem Akt aber nicht zu entnehmen.

Nach der Aktenlage, im - maßgeblichen - Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichtes, insbesondere unter Berücksichtigung der Ausbildung und der bisherigen Lebensumstände des Vaters sowie des Gutachtens ON 28, bestehen vielmehr (unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß das Bewilligungsverfahren ohne weitwendige Ermittlungen durchzuführen ist) keine begründeten Bedenken iS des § 7 Abs 1 Z 1 UVG gegen die Annahme, daß die in der Vereinbarung vom 12.6.1997 festgesetzte Unterhaltspflicht auch den tatsächlichen Verhältnissen des Vaters entspricht. Ein Grund, die in Titelhöhe beantragten Unterhaltsvorschüsse zu versagen, liegt damit nicht vor.

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