OGH 4Ob168/21s

OGH4Ob168/21s16.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers H* K*, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beklagte V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 19.168,36 EUR sA, aus Anlass der Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 7. Juli 2021, GZ 2 R 81/21a‑13, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 26. April 2021, GZ 36 Cg 8/21k‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00168.21S.1216.000

 

Spruch:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 30. 5. 2018 von einem Privaten einen von der Beklagten hergestellten Pkw mit Dieselmotor samt Manipulationssoftware. Bereits vor dem Kauf wurde beim Fahrzeug ein Software-Update (Thermofenster) durchgeführt.

[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten den Klagsbetrag von rund 20.000 EUR Zug um Zug gegen die Rückstellung des Pkw. Dabei stützt er sich auf Schutzgesetzverletzung, arglistige Täuschung, absichtliche sittenwidrige Schädigung und unlautere Geschäftspraktik (§ 1 UWG), culpa in contrahendo und Garantie. In eventu begehrt er die Zahlung von 6.300 EUR und die Feststellung, dass ihm die Beklagte für jeden Schaden aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung zu haften habe. Die Beklagte habe durch ihr vorsätzliches, sittenwidriges und arglistiges Verhalten einen nachteiligen Vertragsabschluss herbeigeführt. Der Kläger habe den Kaufpreis für ein gesetzeskonformes und einwandfreies Fahrzeug bezahlt, tatsächlich aber ein manipuliertes Fahrzeug erhalten. Trotz Software-Updates bestünde am Fahrzeug weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung und es würden die vorgeschriebenen Grenzwerte der maßgeblichen Abgasnorm überschritten.

[3] Die Beklagte wendete ein, das Software-Update sei keine unzulässige Abschalteinrichtung. Angesichts der Medienberichterstattung sei davon auszugehen, der Kläger habe das Fahrzeug in Kenntnis der installierten Software gekauft. Aufgrund der umfassenden Aufklärung der Öffentlichkeit könne kein Vorsatz und kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten angenommen werden.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Nach dem Aufkommen des VW-Abgasskandals habe die Beklagte an einer umfangreichen Lösung gearbeitet. Zum Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs durch den Kläger könne von einer arglistigen Vorgangsweise oder von einer Täuschung seitens der Beklagten nicht mehr ausgegangen werden. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung (Software‑Update zwecks Einbau einer Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters) sei nicht von vornherein durch Arglist geprägt. In Gesamtbetrachtung sei das Verhalten der Beklagten nicht als sittenwidrig zu qualifizieren.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil noch keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob eine öffentlich bekannt gemachte und breit in den Medien berichtete Äußerung des Herstellers über eine Mangelhaftigkeit (hier Manipulation) von Produkten die Sittenwidrigkeit seines Verhaltens beseitige.

[6] Mit Beschluss vom 17. 3. 2020, 10 Ob 44/19x, hat der Oberste Gerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?

3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?

Rechtliche Beurteilung

[7] Diesem Vorabentscheidungsersuchen liegt ein Sachverhalt zugrunde, der mit dem hier zu entscheidenden vergleichbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere Fälle als dem unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist daher das vorliegende Verfahren zu unterbrechen (vgl 6 Ob 120/21x mwN).

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