OGH 4Ob165/98p

OGH4Ob165/98p30.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** KG, *****, vertreten durch Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P***** AG, *****, vertreten durch Dr. Karl Endl und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 8.731,80 sA und Unterlassung (Streitwert S 500.000,--), infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25. Februar 1998, GZ 2 R 241/97t-16, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 6. August 1997, GZ 14 Cg 6/97p-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 21.402,-- bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 3.567,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war aufgrund eines mit dem Generalimporteur P***** GmbH & Co KG abgeschlossenen Vertrages VW/Audi-Fachwerkstatt. Mit Schreiben vom 28.7.1995 kündigte die P***** GmbH & Co KG den Vertrag zum 31.7.1996 auf. Am 23.7.1996 schrieb die Beklagte der Klägerin:

"... Ihr Unternehmen scheidet mit 31.7.1996 aus der VW/Audi-Organisation aus. Da wir Reparaturen und Servicearbeiten nur durch autorisierte VW/Audi-Werkstätten durchführen lassen, werden wir Ihnen ab sofort keine Aufträge mehr erteilen und fordern Sie auf, jede Reparatur an unseren Fahrzeugen zu unterlassen. Dies gilt auch für Reparaturen unter der bisherigen Freigabegrenze.

Sollten Kunden der P***** AG zukünftig Reparaturen bei Ihnen in Auftrag geben, so ersuchen wir Sie, diese vor Reparaturauftrag zu informieren, daß Reparaturen und Servicearbeiten ausnahmslos in einem autorisierten VW/Audi-Betrieb durchzuführen sind."

Die Beklagte ist ein Unternehmen des P*****-Konzerns, das Leasingverträge finanziert. Von den rund 31.000 Leasingverträgen der Beklagten entfallen 90 % auf Fahrzeuge der Marken VW/Audi, Seat und Skoda. Rund 10 % aller neu gekauften Audi/VW-Fahrzeuge werden leasingfinanziert; der Marktanteil der Beklagten belauft sich auf rund 50 %.

Gemäß Punkt 2.1 der allgemeinen Vertragsbedingungen der Beklagten dürfen Reparaturarbeiten nur durch Markenwerkstätten durchgeführt werden. Diese Bestimmung gilt für Leasingfahrzeuge sämtlicher Marken und ist branchenüblich. Die Beschränkung auf Markenwerkstätten hat verschiedene Gründe:

Der Fahrzeughersteller und/oder Importeur versorgt Markenwerkstätten laufend mit Informationen und Unterlagen. Die Geräteausstattung und die Ersatzteillager von Markenwerkstätten müssen bestimmten Standards entsprechen; die Mitarbeiter werden geschult. Für Preisgestaltung und Reparaturdauer bestehen bestimmte Vorgaben; für Ersatzteilbeschaffung werden regelmäßig keine Kosten verrechnet. Fahrzeughersteller und/oder Importeure schreiben üblicherweise vor, daß Gewährleistungs- und Garantiearbeiten in Markenwerkstätten ausgeführt werden müssen. Die VW/Audi-Werkstätten sind zum Teil konzerneigene Werkstätten, zum Teil freie Werkstätten, die mit der P***** GmbH & Co KG einen Vertrag geschlossen haben.

In der überwiegenden Zahl der Fälle erteilt der Leasingnehmer den Reparaturauftrag und zahlt die Reparaturrechnung. An die Beklagte sind Rechnungen nur dann auszustellen, wenn sie - wie in etwa 8000 Fällen - mit dem Kunden einen Wartungsvertrag abgeschlossen hat oder wenn ein Unfall- oder Kaskoschaden vorliegt. In beiden Fällen muß ein entsprechender Reparaturauftrag der Beklagten vorliegen, und zwar entweder in Form einer Reparaturfreigabe oder eines Generalauftrages für Reparatur- und Wartungsarbeiten. Solche Generalaufträge erteilte und erteilt die Beklagte allen österreichischen VW/Audi-Fachwerkstätten durch Übersendung entsprechender Merkblätter. Die Generalaufträge sind mit S 3.000,-- für Verschleißreparaturen und mit S 20.000,-- bei Unfallschäden begrenzt.

Die Klägerin war bis zur Aufkündigung des Kundendienstabkommens 30 Jahre lang VW/Audi-Vertragshändlerin. Sie bezeichnet sich nach wie vor als Spezialwerkstätte für VW/Audi-Fahrzeuge. 92 bis 95 % ihrer Reparaturen entfallen auf VW/Audi-Fahrzeuge. Von den rund 2400 bis 2800 jährlichen Reparaturrechnungen waren während des aufrechten Vertragsverhältnisses mit der P***** GmbH & Co KG etwa 200 bis 250 an Leasingunternehmen adressiert; welcher Anteil auf die Beklagte entfiel, steht nicht fest.

Bei Beendigung des Vertrages mit der P***** GmbH & Co KG hatte die Klägerin rund 4500 Kunden. In der Folge ging die Auslastung der Werkstätte um rund 20 % zurück. Die Klägerin verwendet auch derzeit ausschließlich VW/Audi-Originalersatzteile. Ihre Mitarbeiter sind entsprechend geschult; die Ausstattung der Werkstätte ist gleich geblieben.

Die Beklagte verständigte einige Großkunden von der Beendigung des Kundendienstabkommens mit der Klägerin. Sie wies darauf hin, daß Leasingfahrzeuge nicht mehr bei der Klägerin repariert werden dürfen.

Laut einer Statistik des Österreichischen Zentralamtes waren 1995 in Österreich insgesamt 3,896.000 PKW, Kombi und LKW angemeldet. 22 % der angemeldeten Neuwagen waren Autos der Marken VW/Audi. 1996 wurden knapp 80.000 neue Leasingverträge über Fahrzeuge in Österreich geschlossen.

Die Klägerin begehrt S 8.731,80 sA für die Reparatur an einem Leasingfahrzeug der Beklagten. Sie begehrt weiters, die Beklagte schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Bezahlung von fachgerechten Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten an bei der Beklagten als Leasinggeberin geleasten Fahrzeugen, zu welcher sich die Beklagte gegenüber ihren Leasingnehmern verpflichtet hat, zu verweigern, wenn derartige Arbeiten nicht von autorisierten VW/Audi-Werkstätten, sondern von der Klägerin durchgeführt werden. Durch die Beschränkung von Reparaturarbeiten an Leasingfahrzeugen auf autorisierte Fachwerkstätten fördere die Beklagte den Wettbewerb des P*****-Konzerns und der autorisierten VW/Audi-Werkstätten. Die Beklagte bzw. deren Konzernmutter beherrschten den österreichischen Markt für VW/Audi-Fahrzeuge. Das Verhalten der Beklagten sei einer Lieferverweigerung gleichzuhalten und damit sittenwidriger Boykott im Sinne des § 1 UWG; es verstoße als Beschränkung des Wettbewerbs auf dem KFZ-Reparaturmarkt auch gegen § 35 KartG und gegen Art 85, 86 EGV. Die Beklagte realisiere das zwischen der P*****-Gruppe und den VW/Audi-Vertragswerkstätten abgestimmte Verhalten dadurch, daß sie fachgerechte Reparatur- und Garantiearbeiten der Klägerin nicht anerkenne. VW/Audi-Vertragswerkstätten würden ohne sachlich gerechtfertigten Grund bevorzugt und die Klägerin diskriminiert.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Die beanstandete Vereinbarung mit ihren Kunden, Reparaturen nur in Vertragswerkstätten durchzuführen, sei sachlich gerechtfertigt. Es bestehe kein Kontrahierungszwang. Ein Boykott liege nicht vor, weil den Leasingnehmern keine selbständige Stellung zukomme. Die Beklagte habe keine marktbeherrschende Stellung. Relevanter Markt sei nicht der VW/Audi-Leasingmarkt, sondern der Reparaturmarkt. Es sei kartellrechtlich zulässig, Kraftfahrzeuge über ein selektives Vertriebssystem zu vertreiben. Demnach müsse es den Kunden auch erlaubt sein, die Fahrzeuge von den Partnern dieses Vertriebsnetzes warten zu lassen. Der Handel zwischen Mitgliedstaaten werde nicht beeinträchtigt, weil die Leasingkunden die Fahrzeuge auch in VW/Audi-Vertragswerkstätten außerhalb Österreichs warten lassen könnten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Boykott liege schon deshalb nicht vor, weil die behindernde Maßnahme nicht durch einen selbständigen Dritten, sondern durch die Beklagte selbst getroffen werde. Die wirtschaftliche Existenz der Klägerin sei durch die beanstandete Vereinbarung nicht gefährdet. Der Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sei nicht schon aufgrund des Gesetzes verboten; ein Verbot könne nur das Kartellgericht auf Antrag erlassen. Es liege auch kein im Sinne des § 1 UWG unlauteres Handeln der Beklagten durch Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vor, weil das Vorgehen der Beklagten sachlich gerechtfertigt sei. Art 85 EGV erfasse nur Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen; für das Vorliegen von Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen fehle jeder Anhaltspunkt. Die beanstandete Vereinbarung sei allgemein üblich und wirke sich nicht nur zugunsten von VW/Audi-Vertragswerkstätten aus. Die Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1475/95 schließe die Anwendung des Art 85 EGV auf Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen des Kraftfahrzeugsektors aus, um einen auf das jeweilige Produkt zugeschnittenen Kundendienst zu gewährleisten. Den gleichen Zweck verfolge die beanstandete Vereinbarung. Marktmißbrauch im Sinne des Art 86 EGV liege selbst dann nicht vor, wenn die marktbeherrschende Stellung der Beklagten auf dem VW/Audi-Leasingmarkt bejaht werde. Von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes ohne sachliche Rechtfertigung könne nicht gesprochen werden.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes des Unterlassungsgebotes S 260.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Zwischen den Streitteilen bestehe ein Wettbewerbsverhältnis, weil das Verhalten der Beklagten geeignet sei, den Wettbewerb der konzerneigenen Fachwerkstätten zu fördern. Wegen der sachlichen Gründe für die Bevorzugung der Vertragswerkstätten sei es zweifelhaft, ob die Beklagte in Wettbewerbsabsicht handle. Das Verhalten der Beklagten sei aber auch aus anderen Gründen nicht zu beanstanden. Wäre die Klägerin mit ihrem Unterlassungsbegehren erfolgreich, so führte dies zu einer Abschlußpflicht der Beklagten. Kontrahierungszwang setze aber eine Monopolstellung voraus; der Beklagten komme aber weder eine Monopolstellung noch eine marktbeherrschende Stellung zu. In Österreich seien rund 860.000 VW/Audi-Fahrzeuge zugelassen. Das von der Klägerin beanstandete Verhalten erfasse nur VW/Audi-Leasingfahrzeuge, für die bei der Beklagten ein Wartungsvertrag bestehe; das seien nur 0,8 % aller in Frage kommenden VW/Audi-Fahrzeuge. Im Hinblick auf den relevanten Markt von rund 860.000 Fahrzeugen verfüge die Beklagte keinesfalls über eine Monopolstellung, die sie durch Verweigerung des Vertragsabschlusses in sittenwidriger Weise ausnützen könnte. Der Beklagten komme auch keine marktbeherrschende Stellung zu. Ihr Verhalten verstoße auch nicht gegen Art 85 EGV. Zwar sei ein abgestimmtes Verhalten zwischen der Beklagten und sonstigen Unternehmen des P*****-Konzerns anzunehmen, die Wettbewerbsbeschränkung sei aber nicht spürbar geworden. Nach der Bekanntmachung vom 3.9.1996 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Art 85 Abs 1 EGV fallen, dürfe der Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt für die Erzeugnisse, um die es geht, nicht höher als 5 % sein. Die Beklagte erreiche diese Grenze auf dem sachlich relevanten Markt - Fahrzeuge der Marken VW und Audi - bei weitem nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagte wirft dem Berufungsgericht vor, widersprüchlich zu argumentieren. Das Vorliegen von Wettbewerbsabsicht könne nicht in Frage gestellt werden, wenn das Berufungsgericht ein abgestimmtes Verhalten zwischen der Beklagten und den sonstigen Mitgliedern des Porsche-Konzerns annehme. Die P***** GmbH & Co KG beherrsche als Generalimporteurin von Neufahrzeugen der Marken VW und Audi den Markt. Der Markt der Fremdfinanzierung sei ein dem Importmarkt benachbarter Markt. Wenn man berücksichtige, daß die P*****-Gruppe den österreichischen Markt für VW/Audi-Neufahrzeuge und VW/Audi-Ersatzteile beherrsche und die Beklagte jedenfalls erleichterte Zugangsmöglichkeiten zu den Absatzmärkten für VW/Audi-Neufahrzeuge und damit zu deren Finanzierung habe, liege eine Marktbeherrschung iS des § 34 Abs 1 Z 4 KartG vor. Unabhängige, auf die Instandhaltung und -setzung von bestimmten Fahrzeugen spezialisierte Werkstätten seien "Vertragspartner" der Importeure bezüglich der Reparatur an von den Importeuren (leasing-)finanzierten Fahrzeugen. Der Beklagten sei demnach Marktmißbrauch iS des § 35 Abs 1 Z 2 KartG und des Art 86 Abs 2 lit b EGV vorzuwerfen. Ihre Vertragsklausel habe den Zweck, ihre Leasingkunden auf dem von ihr beherrschten Markt an VW/Audi-Vertragswerkstätten oder an konzerneigene Werkstätten zu binden und den Verbrauchern damit die Wahlfreiheit zu nehmen, Reparaturen auch bei qualitativ gleichwertigen "freien" Werkstätten durchführen zu lassen. Es spiele keine Rolle, ob der Mißbrauch auf dem beherrschten oder auf einem benachbarten Markt stattfinde. Daß die Beklagte und sonstige Mitglieder des P*****-Konzerns ihr Verhalten abgestimmt hätten, ergäbe sich schon daraus, daß das ursprüngliche Vertragsverhältnis der Klägerin zur P***** GmbH & Co KG aufgelöst wurde und dies zum beanstandeten Verhalten der Beklagten geführt habe. Die Absprache der Beklagten erstrecke sich auf das gesamte Bundesgebiet; schon deshalb wirke sie sich spürbar auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten aus.

Zu diesen Ausführungen hat der erkennende Senat erwogen:

Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf § 1 UWG iVm § 35 KartG, Art 85, 86 EGV. Der erkennende Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß ein Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen sittenwidriges Handeln im Sinne des § 1 UWG sein kann (WBl 1993, 264 - Ursprungszeugnisse; ecolex 1994, 405 [Tahedl] = ÖBl 1994, 66 - Linzer Straßenbahnen; ÖBl 1998, 36 - Filmverleihgesellschaft; zuletzt 4 Ob 62/98s). Ob im vorliegenden Fall die dafür notwendigen weiteren Voraussetzungen gegeben sind (s Tahedl, Der Mißbrauch marktbeherrschender Stellung im österreichischen Kartellrecht 278ff), kann offenbleiben, weil weder ein Verstoß gegen § 35 KartG noch ein Verstoß gegen Art 85, 86 EGV vorliegt:

§ 35 KartG regelt die Mißbrauchsaufsicht des Kartellgerichtes; Art 86 EGV verbietet die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit diese dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. § 35 Z 1 bis 4 KartG nennt beispielsweise Mißbrauchstatbestände, die denen des Art 86 lit a bis d EGV nachgebildet sind. Rechtsprechung und Lehre unterscheiden zwei grundsätzliche Mißbrauchsvarianten: Die Beeinträchtigung von Wettbewerbschancen und damit Gefährdung von Wettbewerb (Marktstrukturen) einerseits und die davon unabhängige Übervorteilung von Abnehmern (Lieferanten) andererseits. Für diese Unterscheidung haben sich die Bezeichnungen "Behinderungsmißbrauch" und "Ausbeutungsmißbrauch" durchgesetzt (KOG ecolex 1993, 689 [Tahedl, ecolex 1993, 683] = ÖBl 1993, 124 - Werbung mit Preisherabsetzungen II; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 18 Rz 11ff mwN).

Ein- und derselbe Sachverhalt kann beide Mißbrauchsvarianten verwirklichen (Koppensteiner aaO § 18 Rz 11). So ist die sachlich nicht gerechtfertigte Weigerung eines marktbeherrschenden Unternehmers, mit anderen Unternehmern vertragliche Beziehungen aufzunehmen oder fortzusetzen, zwar meist ein besonderer Tatbestand des schlichten Ausbeutungsmißbrauchs, der jedoch mit einer Behinderung eines Wettbewerbers einhergehen kann (Tahedl aaO 179f; zu den Auffassungsunterschieden, ob die Geschäftsverweigerung unter Art 86 lit b EGV [§ 35 Z 2 KartG] zu subsumieren ist oder unter den allgemeinen Mißbrauchstatbestand fällt, s Koch in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union Art 86 Rz 63 mwN).

Für die Marktbeherrschung ist das Fehlen wirksamen Wettbewerbs wesentlich (Barfuß/Wollmann/Tahedl, Österreichisches Kartellrecht 89). Marktbeherrschung liegt demnach vor, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem es die Möglichkeit hat, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (EuGH Slg 1978, 207, 286 - United Brands). Eine beherrschende Stellung kann sich nicht nur in unabhängigem Wettbewerbsverhalten zeigen; die Feststellung eines vertikalen Abhängigkeitsverhältnisses - Lieferanten oder Abnehmer sind auf das in Frage stehende Unternehmen angewiesen - kann genügen (s Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG Wettbewerbsrecht I Art 86 Rz 66, 72 mwN).

Für die Marktmacht sind verschiedene Faktoren (Marktstruktur, Charakteristika des Unternehmens) maßgebend; von besonderer Bedeutung ist dabei die Größe des Marktanteiles. Um den Marktanteil feststellen zu können, muß der relevante Markt nach sachlichen, örtlichen und zeitlichen Kriterien bestimmt werden (Koppensteiner aaO § 18 Rz 6ff). Bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes ist auf die funktionelle Austauschbarkeit aus der Sicht der Marktgegenseite abzustellen. Der sachlich relevante Markt umfaßt demnach alle Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von der Marktgegenseite aufgrund ihrer Eigenschaften, ihrer Preislage und ihres Verwendungszweckes als gleichartig angesehen werden (Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht4 Art 85 Rz 206; Koch aaO Art 86 Rz 35 jeweils mwN; Tahedl aaO 62ff). Bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Nachfragemarktes werden alle jene Erzeugnisse berücksichtigt, die ein Lieferant anbietet oder bei - technisch und wirtschaftlich möglicher - Produktionsumstellung anbieten könnte (Barfuß/Wollmann/Tahedl aaO 88; s auch Möschel aaO Art 86 Rz 61 mwN).

Räumlich muß der Markt - ausgenommen die Tatbestände des § 34 Abs 1 Z 2 und 3 KartG, die den gesamten inländischen Markt erfassen - danach abgegrenzt werden, in welchem geographischen Gebiet sich die Marktteilnehmer auch tatsächlich als Wettbewerber gegenüberstehen (Tahedl aaO 68; Barfuß/Wollmann/Tahedl aaO 87). Die zeitliche Begrenzung des Marktes kann erforderlich sein, wenn sich die Substitutionselastizität im Zeitablauf ändert, zB in Krisenzeiten oder bei saisonalen Schwankungen (Koch aaO Art 86 Rz 40).

Die marktbeherrschende Stellung des Unternehmers muß für das mißbräuchliche Verhalten kausal sein. Kausalität ist gegeben, wenn der besondere Handlungsspielraum des marktbeherrschenden Unternehmers das konkrete Marktverhalten ermöglicht oder seine Auswirkungen bestimmt (Barfuß/Wollmann/Tahedl aaO 98 mwN).

Im vorliegenden Fall geht es um die Weigerung der Beklagten, die von ihr gewarteten Leasingfahrzeuge weiterhin von der Klägerin reparieren zu lassen. Als Fachwerkstätte für Fahrzeuge der Marken VW und Audi ist die Klägerin (vor allem) auf dem Reparaturmarkt für Kraftfahrzeuge dieser Marken tätig; sie repariert jedoch auch Kraftfahrzeuge anderer Marken. Sachlich relevanter Markt ist daher der Reparaturmarkt für Kraftfahrzeuge, allenfalls jener für Fahrzeuge der Marken VW und Audi, wenn berücksichtigt wird, daß die Klägerin bis Ende Juli 1996 Vertragswerkstätte war und demnach (noch) auf Fahrzeuge dieser Marken spezialisiert ist. Keine Rolle spielt hingegen, wer Eigentümer der Fahrzeuge ist, ob es sich dabei um Leasingfahrzeuge oder um Fahrzeuge handelt, die im Eigentum des Halters stehen. Die Klägerin beschränkt sich nicht darauf, Leasingfahrzeuge zu reparieren; ein auf die Reparatur von Leasingfahrzeugen eingeschränkter Markt kann daher keinesfalls maßgebend sein.

Als Auftraggeberin von Reparaturen an von ihr gewarteten Leasingfahrzeugen hat die Beklagte unabhängig davon keine marktbeherrschende Stellung, wie der relevante Markt räumlich abgegrenzt wird: Nach den Feststellungen des Erstgerichtes bestehen bei der Beklagten rund 8000 Wartungsverträge für Leasingfahrzeuge; in Österreich waren 1995 insgesamt 3,896.000 PKW, Kombi und LKW angemeldet. Von den neu angemeldeten Fahrzeugen entfallen rund 22 % auf Fahrzeuge der Marken VW und Audi. Nimmt man daher an, daß auch etwas mehr als ein Fünftel aller in Österreich angemeldeten Fahrzeuge Fahrzeuge dieser Marken sind, so stehen rund 860.000 Fahrzeugen der Marken VW und Audi jene 8000 Fahrzeuge gegenüber, für die bei der Beklagten Leasingverträge bestehen und deren Wartung sie übernommen hat. Die Beklagte kommt demnach nur für weniger als 1 % der möglichen inländischen Reparaturaufträge als Auftraggeberin in Frage.

Wird der Markt räumlich mit dem Einzugsgebiet der Klägerin begrenzt und auf ihren Geschäftsumfang abgestellt, so entfallen weniger als 5 % der ihr erteilten Aufträge auf die Beklagte: Die Klägerin stellt jährlich zwischen 2400 und 2800 Reparaturrechnungen aus; davon etwa 200 bis 250 an Leasingunternehmen. Die Beklagte hat am Leasingmarkt für Fahrzeuge der Marken VW und Audi einen Anteil von 50 %; es ist daher anzunehmen, daß die Klägerin bisher etwa 100 bis 125 Rechnungen jährlich an die Beklagte ausgestellt hat; das sind weniger als 5 % der von ihr ausgestellten Rechnungen. Bei einem so geringen Anteil am Auftragsvolumen der Klägerin kann keine Rede davon sein, daß die Klägerin auf Aufträge der Beklagten angewiesen wäre.

Der geringe Marktanteil der Beklagten auf dem Nachfragemarkt für Reparaturen wird nicht dadurch aufgewogen, daß die Beklagte ein Unternehmen des P*****-Konzerns ist, dessen Konzernunternehmen P***** GmbH & Co KG als Generalimporteur für Fahrzeuge der Marken VW und Audi den Neuwagen- und Ersatzteilmarkt dieser Marken beherrscht. Die Marktanteile und Umsätze von Konzerngesellschaften können zwar unter bestimmten Voraussetzungen zusammen berücksichtigt werden (s Gleiss/Hirsch aaO Art 85 Rz 59f); das setzt aber immer voraus, daß die Unternehmen auf demselben relevanten Markt tätig sind.

Eine marktbeherrschende Stellung der Beklagten läßt sich auch nicht damit begründen, daß der Reparaturmarkt ein dem Neuwagen- und Ersatzteilmarkt benachbarter Markt sei. Auch wenn es keine Rolle spielt, ob der Mißbrauch auf dem beherrschten oder dem benachbarten Markt stattfindet, muß immer eine marktbeherrschende Stellung vorhanden sein, die - sei es auf dem beherrschten, sei es auf dem benachbarten Markt - ein mißbräuchliches Verhalten ermöglicht (Möschel aaO Art 86 Rz 101ff mwN; EuGEI Slg 1994-II, 755 [758f] - Tetra Pak II). Es liegt auf der Hand, daß das beanstandete Verhalten der Beklagten - anders als etwa die Weigerung des Generalimporteurs, "freien Werkstätten" Original-Ersatzteile zu liefern - angesichts ihres Marktanteils nicht geeignet ist, "im Interesse des gesamten P*****-Konzerns den freien Wettbewerb auf dem Reparaturmarkt für VW/Audi-(Leasing)Fahrzeuge aufzuheben und die sogenannten 'freien Werkstattbetriebe' von diesem Markt zu verdrängen".

Für den von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen § 35 KartG, Art 86 EGV fehlt es demnach schon an einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten. Es kann daher offen bleiben, ob die Weigerung der Beklagten, die von ihr gewarteten Leasingautos von der Klägerin reparieren zu lassen, sachlich gerechtfertigt ist.

Die Klägerin macht geltend, daß die Beklagte ihr Verhalten mit den übrigen Konzernunternehmen abgestimmt habe und daß darin ein Verstoß gegen Art 85 EGV liege. Art 85 EGV verbietet alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Der Begriff der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen erfaßt unabhängig von der Form der Willensübereinstimmung jedes bewußte und gewollte Zusammenwirken von Unternehmen auf dem Markt, das zwar noch nicht bis zum Abschluß eines Vertrages im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risken verbundenen Wettbewerbs treten läßt (Koch aaO Art 85 Rz 26 mwN; Gleiss/Hirsch aaO Art 85 Rz 98 mwN).

Nach Auffassung der Klägerin soll das abgestimmte Verhalten darin liegen, daß das ursprüngliche Vertragsverhältnis zwischen der P***** GmbH & Co KG und der Klägerin aufgelöst wurde und dies zum beanstandeten Verhalten der Beklagten geführt hat. Die Klägerin übersieht dabei, daß ein abgestimmtes Verhalten im Sinne des Art 85 EGV nur vorliegt, wenn unternehmerisches Marktverhalten koordiniert wird (Koch aaO Art 85 Rz 26), nicht aber bereits dann, wenn ein Marktteilnehmer auf die durch einen anderen Marktteilnehmer geschaffene Situation reagiert. Die Beklagte hat der Klägerin keine weiteren Aufträge mehr erteilt, weil die P***** GmbH & Co KG den Vertrag mit der Klägerin gelöst hat und die Klägerin daher nicht mehr Vertragswerkstätte für Fahrzeuge der Marken VW und Audi ist. Zwar wird die Beklagte durch die P***** GmbH & Co KG von der Vertragsauflösung erfahren haben; sie hat damit aber keine Information zu dem Zweck erhalten, ihr Verhalten so einzurichten, daß die Risken des Wettbewerbes gemindert oder ausgeschlossen werden (s Gleiss/Hirsch aaO Art 98 mwN).

Es fehlt auch jede Behauptung, daß die P***** GmbH & Co KG nicht berechtigt gewesen wäre, den Vertrag mit der Klägerin aufzulösen. Daß die Beklagte mit der Weigerung, der Klägerin weiterhin Aufträge zu erteilen, Marktmißbrauch begangen hätte, hat die Klägerin zwar behauptet, aber nicht bewiesen. Ein Verstoß gegen Art 85 EGV läge daher selbst dann nicht vor, wenn die P***** GmbH & Co KG und die Beklagte ihr Verhalten abgestimmt hätten. Nur die Abstimmung wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens erfüllt den Tatbestand des Art 85 EGV. Damit scheidet auch eine spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten von vornherein aus. Von einer Eignung des beanstandeten Verhaltens der Beklagten, "die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen", kann im übrigen, wie immer die Sache betrachtet wird, wohl keine Rede sein.

Der von der Klägerin zitierte Fall der Unvereinbarkeit einer Garantiebedingung mit Art 85 EGV kann dem vorliegenden Fall nicht gleichgehalten werden. Selbst wenn ein Hersteller auch für Garantiearbeiten aufkommen müßte, die durch nicht von ihm autorisierte Fachleute vorgenommen wurden, so kann daraus nicht auf die Verpflichtung eines Leasingunternehmens geschlossen werden, für Reparaturen an den von ihm gewarteten Leasingfahrzeugen auch dann zu zahlen, wenn sie in "freien Werkstätten" durchgeführt wurden. Die Marktposition eines Herstellers in bezug auf Garantiearbeiten an seinen Erzeugnissen ist der Marktposition eines Leasingunternehmens, dessen Anteil als Nachfrager auf dem Reparaturmarkt nur gering ist, nicht vergleichbar.

Das beanstandete Verhalten der Beklagten kann demnach weder unter § 35 KartG noch unter Art 85, 86 EGV subsumiert werden. Da es schon an den tatsächlichen Voraussetzungen fehlt - die Beklagte hat auf dem relevanten Reparaturmarkt keine marktbeherrschende Stellung; für eine Koordinierung unternehmerischen Marktverhaltens fehlt jeder Anhaltspunkt -, besteht kein Anlaß, die Rechtssache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Die Revision mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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