Spruch:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Dem Rekursgericht wird eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs der beklagten Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.
Text
Begründung
Die Beklagte vertreibt in ihrer Organisationsform H***** Expreß Schuhprodukte. Ende Oktober 1996 versandte sie einen Prospekt mit der Bezeichnung "H***** Expreß", in welchem sie - auf der letzten Seite links unten - die Abbildung eines Kinderstiefels der Marke "E*****" brachte, den sie zum Preis von S 629,50 (statt des durchgestrichenen Preises von S 699,50) ankündigte.
Am 31.Oktober 1996 kaufte Lars F***** dieses Produkt in der H***** Expreß-Filiale in der S*****. Auf Nachfrage bestätigten ihm die Verkäuferin und der Kassier, daß es sich um ein Produkt der ersten Qualitätskategorie handle. Am selben Tag erwarb Thomas D***** diesen Kinderstiefel in der H***** Expreß (C***** Expreß)-Filiale in G*****. Auch ihm wurde bestätigt, daß dieser Schuh ein Produkt der ersten Qualitätskategorie sei.
Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches begehrt die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, in Werbeprospekten mit der Bezeichnung "H***** Expreß" und Filialen mit derselben Bezeichnung Zweite-Wahl-Schuhe der Marke E***** anzubieten, ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß es sich hiebei um "Zweite Wahl-Produkte" handle. Sie vertreibe Schuhprodukte mit der Markenbezeichnung E***** in Österreich und weiteren europäischen Staaten. Dabei handle es sich um qualitativ hochwertige und überdurchschnittlich teure Schuhwaren. Zur Erhaltung der Qualitätsmerkmale habe die Klägerin mit sämtlichen Abnehmern in Österreich einen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen. Sie habe auch von der Beklagten verlangt, diese Schuhprodukte ausschließlich in Fachgeschäften und nicht im Rahmen der Vertriebsform des H***** Expreß zu vertreiben. Da sich die Beklagte geweigert habe, den Partnerschaftsvertrag und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu akzeptieren, habe ihr die Klägerin keine Waren geliefert. Die Beklagte habe daraufhin solche Schuhwaren auf den "Graumarkt" bezogen, bei denen es sich um Waren zweiter Qualität handle, die verschiedene Fehler - Verarbeitungs-, Farb- oder Dichtheitsfehler bei Produkten aus G***** odgl - aufwiesen. Die Mutterfirma der Klägerin mit dem Sitz in D***** kennzeichne diese Warenprodukte mit bestimmten Zeichen. Die von der Beklagten angekündigten und am 31.10.1996 von Testkäufern erworbenen Schuhe seien entgegen der gemachten Zusicherung solche zweiter Qualität. Sie seien auch als fehlerhaft gekennzeichnet. Mangels entsprechender Aufklärung des Publikums handle die Beklagte wettbewerbswidrig.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert. Daß sie geschäftlich tätig sei und im Wettbewerb zur Beklagten stehe, sei nicht bescheinigt. Die beanstandete Ware falle unter die erste Qualitätskategorie. Die Beklagte habe die Waren jedenfalls als solche erworben, habe stichprobenartige Kontrollen durchgeführt und dabei keine Qualitätsmängel festgestellt. Die Klägerin habe die Mangelhaftigkeit dieser Waren auch nicht bescheinigt. Die von der Klägerin angeführten Kennzeichen für Mängel seien kaum erkennbar und überdies auch an solchen Schuhen zu finden, welche von Mitbewerbern der Beklagten als Ware der ersten Qualitätskategorie verkauft würden. Jedenfalls seien diese "Brandmarken" nicht geeignet, das Vorliegen zweiter Qualität glaubhaft zu machen. Nach § 2 UWG könnten Werturteile nicht beanstandet werden. Die Angabe einer Verkäuferin, es liege Ware erster Qualität vor, sei nur dahin zu verstehen, daß sie das Produkt als erstklassig einschätze. Auch ein Verstoß gegen § 1 UWG liege nicht vor, weil jede Täuschungs- handlung ein subjektives Element erfordere; dazu fehle aber jegliches Vorbringen der Klägerin.
Das Erstgericht erließ die einstweilige Ver- fügung. Es nahm noch folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:
Die Klägerin vertreibe Schuhprodukte mit der Markenkennzeichnung "E*****" in Österreich und weiteren europäischen Staaten. Nach Begutachtung der von den Testkäufern erworbenen Schuhe durch den Geschäftsführer der Klägerin habe festgestellt werden können, daß es sich dabei um Produkte der zweiten Wahl handle. Diese Zweite-Wahl-Waren seien auf mindestens eine der folgenden Arten deutlich gekennzeichnet:
a) mit dem Etikett "2nd quality";
b) mit dem "F" vor der Angabe der Artikelnummer auf den Schuhkartons;
c) mit einer Brandmarke in der Sohle der Schuhe.
Rechtlich meinte das Erstgericht, daß zwischen den Parteien ein Wettbewerbsverhältnis bestehe. Die Klägerin sei daher aktivlegitimiert. Die Beklagte habe in Wettbewerbsabsicht gehandelt. Da ihre Angaben im Prospekt unvollständig gewesen seien, verstießen sie gegen § 2 UWG. Immer dann bestehe nämlich eine Aufklärungspflicht, wenn durch das Verschweigen wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen und das Publikum durch die Nichterwähnung eines Umstandes irregeführt werde. Da im vorliegenden Fall Produkte zweiter Wahl veräußert wurden, sei eine entsprechende Information des Geschäftsverkehrs zu erwarten gewesen.
Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab. Für die Beklagte bestehe grundsätzlich keine Verpflichtung, bei der Werbung für Schuhe, die sie in speziellen (H***** Expreß) Geschäften ohne Kundenberatung und ohne entsprechende Präsentation unter den üblichen Preisen verkaufe, auf deren - im vorliegenden Fall nicht bescheinigte - etwa geringere Qualität hinzuweisen. Der Werbende müsse grundsätzlich nicht auf die Nachteile seiner eigenen Ware hinweisen. Eine Aufklärungspflicht könne sich zwar im Einzelfall, und zwar insbesondere dann, wenn durch das Verschweigen wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen werde, ergeben. Gerade das bewirke die Beklagte aber nicht, wenn sie in der gesonderten Organisationsform H***** Expreß Schuhe in speziellen Geschäftslokalen ohne Kundenberatung und Präsentation unter den üblichen Ladenpreisen verkaufe. Jeder durchschnittlich verständige mündige Verbraucher werde die dort verlangten Preise einem Ausverkauf, einer Modellauflösung, Produkten zweiter Wahl oder fehlerhaften Produkten usw zuordnen. Da weder eine entsprechende Präsentation noch eine Kundenberatung stattfinde, bleibe dem Verbraucher selbst die Qualitätserfassung überlassen. Die Nichtankündigung des Grundes für die Verbilligung könne ihn nicht in Irrtum führen. Wieweit die Beklagte verpflichtet wäre, bei einem vom Kunden in den H***** Expreß-Shops angestrengten Verkaufsgespräch die Qualität der Schuhe offenzulegen, könne dahingestellt bleiben, weil das Sicherungsbegehren der Klägerin ein grundsätzliches Verbot des Anbietens von Schuhen zweiter Wahl ohne eine entsprechende Kennzeichnung oder einen entsprechenden Hinweis darauf und nicht die Unterlassung falscher, irreführender Angaben zum Ziele habe.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmen ist, daß das Rekursgericht seiner rechtlichen Beurteilung, ohne sich mit der Beweiswürdigung auseinanderzusetzen, teilweise einen anderen Sachverhalt als das Erstgericht zugrundegelegt hat; er ist auch berechtigt.
Die Klägerin hat behauptet, daß die von der Beklagten vertriebenen Kinderschuhe der Marke E***** Waren zweiter Wahl, also mit gewissen Fehlern behaftete Artikel seien. Das hat das Erstgericht auch als bescheinigt angenommen (S. 25). Ohne sich mit dem gegen diese Feststellung erstatteten Rekursvorbringen (S. 35) auseinanderzusetzen, hat das Gericht zweiter Instanz die geringere Qualität als nicht bescheinigt bezeichnet (S. 57). Dieser - von den Tatsacheninstanzen zu beantwortenden - Frage kommt aber rechtliche Bedeutung zu, sofern das Rekursgericht die im Rekurs als aktenwidrig gerügte Feststellung übernehmen sollte, wonach die Klägerin Schuhprodukte der Marke "E*****" in Österreich und weiteren europäischen Staaten vertreibe, wäre doch dann die von der Beklagten bestrittene Aktivlegitimation der Klägerin als Mitbewerberin unzweifelhaft zu bejahen.
Die Beklagte hat in ihrem Prospekt einen Kinderstiefel der Marke "E*****" angekündigt, ohne anzugeben, daß es sich dabei um eine Ware zweiter Wahl handle. Nach den - insoweit unbekämpft gebliebenen - Bescheinigungsannahmen des Erstrichters haben Verkäufer der Beklagten den Testkäufern der Klägerin ausdrücklich zugesichert, die von diesen erworbenen Schuhe der Marke "E*****" seien von erster Qualität. Sollte diese Ware in Wahrheit mit gewissen Fehlern behaftet sein, dann hätte die Beklagte selbst dann gegen § 2 UWG verstoßen, wenn man - im Sinne der von der Beklagten vertretenen Auffassung (S. 16) - die Auskunft der Verkäufer nur dahin verstehen wollte, daß die Ware erstklassig sei und nicht auch dahin, daß es sich dabei jedenfalls nicht um Ware zweiter Wahl handle.
Eine allgemeine Pflicht zur Vollständigkeit von Werbeaussagen besteht zwar nicht, weil der Werbende grundsätzlich nicht auf Nachteile seiner Ware hinzuweisen braucht (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht19, 863 f Rz 47 zu § 3 dUWG; WBl 1993, 164 = ecolex 1993, 253 - Naturkautschuk; MR 1993, 192 - tele-Jumbo mwN). Im Verschweigen einer Tatsache liegt aber dann eine irreführende Angabe, wenn eine Aufklärung des Publikums zu erwarten war (Hohenecker/Friedl 23; Baumbach/Hefermehl aaO 864 Rz 48; WBl 1993, 164 = ecolex 1993, 253 - Naturkautschuk; MR 1993, 192 - tele-Jumbo; MR 1995, 233 - Inseraten-Preisliste ua).
Eine Aufklärungspflicht kann sich aus der Bedeutung ergeben, die der verschwiegenen Tatsache nach der Auffassung des Verkehrs zukommt, so daß ihre Nichterwähnung geeignet ist, das Publikum in relevanter Weise irrezuführen; das trifft insbesondere dann zu, wenn durch das Verschweigen wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen wird (Baumbach/Hefermehl aaO; MR 1993, 192 - tele-Jumbo mwN; MR 1995, 233 - Inseraten-Preisliste uva). Für das angesprochene Publikum ist es aber sehr wohl von Bedeutung, ob die Schuhe solche erster oder zweiter Wahl sind. Das trifft auch dann zu, wenn Waren in einer Organisationsform abgegeben werden, bei welcher infolge eingeschränkter Kundenbetreuung günstigere Preise verlangt werden. Auch in Selbstbedienungsläden erwartet das Publikum, daß auf die allfällige Mangelhaftigkeit einer Ware ausdrücklich (durch entsprechende Aufschriften) hingewiesen wird.
Schon allein das Unterbleiben entsprechender Hinweise in dem Prospekt und in den Expreß-Läden der Beklagten würde bei Zutreffen der Behauptungen der Klägerin über die Qualität der dort vertriebenen E*****-Schuhe einen Verstoß gegen § 2 UWG bedeuten. Auf die ausdrückliche Zusicherung der Verkäufer kommt es nicht mehr an.
Aus diesem Grund bedarf es keiner näheren Prüfung der Frage, ob das Rekursgericht - wie die Beklagte meint - mangels Bescheinigung durch die Klägerin nicht hätte davon ausgehen dürfen, daß sie in den Expreß-Läden die Schuhe ohne Kundenberatung und ohne entsprechende Präsentation verkaufe, oder ob die Beklagte diese Behauptung der Klägerin (S. 2) mangels ausdrücklicher Bestreitung im Sinne des § 267 Abs 1 ZPO zugestanden hat (vgl SZ 55/116).
Die Entscheidung hängt somit davon ab, ob die Klägerin Mitbewerberin der Beklagten im Sinn des § 14 UWG ist und ob die von der Beklagten vertriebenen Schuhe der Marke "E*****" tatsächlich Waren zweiter Wahl sind. Da sich das Gericht zweiter Instanz mit dem zum Sachverhalt erstatteten Rekursvorbringen der Beklagten nicht befaßt hat, war der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Die Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters durch das Rekursgericht ist ja nur insoweit ausgeschlossen, als dieser - anders als hier - den Sachverhalt auf Grund vor ihm abgelegter Zeugen- oder Parteienaussagen als bescheinigt angenommen hat (verstärkter Senat SZ 66/164 = EvBl 1994/53 = JBl 1994, 549 [zust Pichler] = ÖBl 1993, 259).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)