Spruch:
Beweispflicht des entlassenen Angestellten für den von ihm in Anspruch genommenen "rechtmäßigen Hinderungsgrund" im Sinne des § 27 Z. 4, 1. Fall, AngG
OGH 14. März 1978, 4 Ob 162/77 (KG St. Pölten 7 Cg 14/76; ArbG St. Pölten Cr 26/76)
Text
Der Kläger war seit 19. April 1971 Angestellter der Beklagten und in dieser Eigenschaft im Werk T als Konstrukteur tätig. Mit Schreiben vom 3. Feber 1976 dem Kläger zugestellt am 10. Feber 1976 - sprach die Beklagte die vorzeitige Entlassung des Klägers aus.
Mit der Behauptung, daß diese Entlassung durch keinen wichtigen Grund im Sinne des § 27 AngG gerechtfertigt sei, nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung von Kündigungsentschädigung und Abfertigung in der Höhe von insgesamt 86 242 S samt Anhang in Anspruch.
Die Beklagte hat die Klageforderung der Höhe nach außer Streit gestellt, im übrigen aber die Abweisung der Klage beantragt. Sie habe den Kläger, welcher schon im November 1975 anläßlich eines Krankenstandes dem Dienst länger als notwendig ferngeblieben sei, deshalb entlassen, weil er vom 13. bis 23. Jänner 1976 sowie am 9. Feber 1976 abermals die Dienstleistung ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund unterlassen habe. Für den Fall der Annahme einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers während dieser Zeiträume werde ein Mitverschuldenseinwand nach § 32 AngG erhoben, weil es der Kläger unterlassen habe, sich ordnungsgemäß von einem Arzt untersuchen und krankschreiben zu lassen.
Beide Untergerichte haben dem Klagebegehren stattgegeben. Infolge Revision der Beklagten wies der Oberste Gerichtshof das Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Unbekämpft steht fest, daß sich der Kläger am 13. Jänner 1976 bei der Beklagten telefonisch krankgemeldet hatte, jedoch erst am 23. Jänner 1976 seinen Hausarzt, MedRat Dr. Wilhelm B, aufsuchte, um sich krankschreiben zu lassen. Als er am 26. Jänner 1976 wieder seinen Dienst antreten wollte, wurde er vom Werkssekretär Dr. F - welcher in der Zwischenzeit sowohl bei Dr. B als auch bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte nachgefragt und dort erfahren hatte, daß der Kläger nicht krankgemeldet war - zunächst vom Dienst suspendiert und dann mit Schreiben vom 3. Feber 1976 entlassen. Ob der Kläger in der Zeit vom 13. bis 23. Jänner 1976 tatsächlich wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen war, konnte durch das Beweisverfahren nicht geklärt werden. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, daß zwar verschiedene Indizien für eine solche Krankheit des Klägers sprächen, umgekehrt aber auch viel dagegen ins Treffen geführt werden könne. Hinsichtlich der vom Kläger für den genannten Zeitraum behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit könne das Berufungsgericht daher nur "feststellen, daß es diesbezüglich nichts Näheres feststellen kann".
Rechtlich gingen beide Vorinstanzen davon aus, daß die Beklagte den von ihr behaupteten Entlassungsgrund nach § 27 Z. 4 AngG zu beweisen gehabt hätte. Die Entlassung müßte zweifellos als berechtigt angesehen werden, wenn er Kläger in der Zeit vom 13. bis 23. Jänner 1976 tatsächlich nicht durch Krankheit an die Beweislast hiefür jedoch nicht den entlassenen Angestellten, sondern den entlassenden Dienstgeber treffe, gehe die Unmöglichkeit, in dieser Hinsicht eine konkrete Feststellung zu treffen, zu Lasten der Beklagten. Fehle es aber schon am Nachweis eines gesetzlichen Entlassungsgrundes, dann scheide auch eine Anwendung des § 32 AngG aus.
Dieser Rechtsauffassung kann der OGH nicht folgen: Daß bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung einer Entlassung den Beweis für das Vorliegen eines vom Gesetz gebilligten Entlassungsgrundes (§ 27 AngG) grundsätzlich der Arbeitgeber zu erbringen hat (Arb. 6868 = SozM 1 A d 331 u. a.; Kuderna, Das Entlassungsrecht, 30; vgl. auch Martinek - Schwarz, AngG[3], 421 § 25 Anm. 9), folgt schon aus der allgemeinen Regel der Beweislastverteilung, wonach jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen hat (EvBl. 1959/38 = JBl. 1959, 135; JBl. 1976, 261 = NZ 1977, 88 u. v. a., zuletzt etwa 2 Ob 13/77, 7 Ob 62/77; Fasching III, 234 vor §§ 266 ff. ZPO Anm. 19). Für den Kläger ist damit aber im konkreten Fall, in welchem es um den Entlassungstatbestand nach § 27 Z. 4, erster Fall,
AngG geht, nichts Entscheidendes gewonnen: Nach der angeführten Gesetzesstelle ist es ein wichtiger Entlassungsgrund, "wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt". Was den Arbeitgeber hier zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, ist das Nichteinhalten der durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Einzelarbeitsvertrag festgesetzten Arbeitszeit,also eine Verletzung der vom Angestellten durch den Abschluß des Arbeitsvertrages übernommenen Pflicht zur Arbeitsleistung (Martinek - Schwarz a. a. O., 483 § 27 Anm. 20). Ist ein solches Arbeitsversäumnis allerdings im Einzelfall als gerechtfertigt anzusehen, weil sich der Angestellte auf einen "rechtmäßigen Hinderungsgrund" berufen und das Unterlassen der Dienstleistung daher nicht als pflichtwidrig angesehen werden kann, dann ist eine Entlassung nach § 27 Z. 4, erster Fall, AngG ausgeschlossen. Das trifft naturgemäß vor allem dann zu, wenn das Fernbleiben vom Arbeitsplatz durch eine gesetzliche oder vertragliche Regelung gerechtfertigt ist, der Angestellte sich also durch das Unterlassen der Dienstleistung keiner Verletzung seiner vertraglichen Arbeitspflicht schuldig gemacht hat. Darüber hinaus muß aber ein die Entlassung ausschließender Hinderungsgrund regelmäßig auch dann angenommen werden, wenn dem Angestellten im Einzelfall aus besonderen Gründen eine vertragsgemäße Arbeitsleistung billigerweise nicht zugemutet werden kann. Hier kommen nicht nur Dienstverhinderungen durch Krankheit, Unglücksfall, Arbeitsunfall u. dgl. in Betracht; auch andere wichtige, die Person des Arbeitnehmers betreffende Gründe (vgl. § 8 Abs. 3 AngG) wie überhaupt jede unvorhergesehene Kollision von Vertragspflichten mit einer höherwertigen Pflicht können das Verhalten des Angestellten im Einzelfall rechtfertigen (Martinek - Schwarz a. a. O., 483 f. § 27 Anm. 21; Kuderna a. a. O., 46; ebenso bereits 4 Ob 22/77).
Alle diese Rechtfertigungsgrunde, welche das - ansonsten pflichtwidrige - Fernbleiben des Angestellten von der Arbeit im Einzelfall als berechtigt erscheinen lassen und damit insoweit das Entlassungsrecht des Arbeitgebers aufheben, sind aber schon nach der allgemeinen, oben wiedergegebenen Beweislastregel vom Angestellten, der sich auf sie beruft, nachzuweisen. Nicht den Arbeitgeber trifft also die Beweispflicht für das Fehlen eines "rechtmäßigen Hinderungsgrundes" auf der Seite des Angestellten; der erkennende Senat tritt vielmehr der bereits von Martinek - Schwarz (a. a. O., 485 § 27 Anm. 21 und Kuderna a. a. O., 68) vertretenen Auffassung bei, daß es Sache des entlassenen Angestellten ist, den Beweis für jene besonderen Umstände zu führen, die sein Fernbleiben von der Arbeit im konkreten Fall rechtfertigen sollen. Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht nicht zuletzt auch der von der Beklagten in der Revision mit Recht hervorgehobene Umstand, daß die gegenteilige, von den Vorinstanzen gebilligte Rechtsansicht des Klägers vielfach zu einem - vom Gesetz nicht gewollten - Beweisnotstand des Arbeitgebers führen müßte, welcher ja die Lebensverhältnisse in der Sphäre des Angestellten regelmäßig nicht oder nur schwer durchschauen kann. Soweit der bereits zitierten Entscheidung Arb. 6868 = SozM I A d 331 eine davon abweichende Auffassung zu entnehmen ist, kann sie der erkennende Senat aus den angeführten Erwägungen nicht aufrechterhalten.
Im konkreten Fall steht unbekämpft fest, daß der Kläger vom 13. bis zum 23. Jänner 1976 - also jedenfalls während eine "den Umständen nach erheblichen Zeit" - nicht zur Arbeit erschienen ist. Da ihm der Nachweis eine "rechtmäßigen Hinderungsgrundes" nicht gelungen ist, die Ungewißheit darüber, ob er in der fraglichen Zeitspanne tatsächlich durch Krankheit an der Arbeitsleistung behindert war, jedoch im Sinne der obigen Rechtsausführungen zu Lasten des Klägers geht, fehlt dem auf Zahlung der Kündigungsentschädigung und der Abfertigung gerichteten Klagebegehren die rechtliche Grundlage. Der Revision der Beklagten mußte daher Folge gegeben und in Abänderung der untergerichtlichen Entscheidungen das Klagebegehren abgewiesen werden. Auf den dadurch gegenstandslos gewordenen Einwand nach § 32 AngG war bei dieser Sachlage nicht weiter einzugehen.
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