OGH 4Ob15/93

OGH4Ob15/939.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Jack Unterweger, dzt. in U-Haft beim Landesgericht für Strafsachen Graz, vertreten durch Dr.Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei M***** Verlagsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung, und Zahlung von S 10.000 (Streitwert im Provisiorialverfahren S 500.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 25.November 1992, GZ 5 R 167/92-8, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 13.Juli 1992, GZ 17 Cg 104/92-3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger ist des mehrfachen Prostituiertenmordes verdächtig und derzeit in U-Haft. Die Beklagte ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "W*****".

Die Seite 32 der Ausgabe des "W*****" vom April 1992 war wie folgt gestaltet:

Der Kläger begehrt zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten ab sofort die Veröffentlichung und Verbreitung von Bildnissen des Klägers ohne dessen Zustimmung zu untersagen, wenn diese Bildnisse mit dem Begleittext "Sie nannten ihn: 'Jack die Ratte'" versehen sind oder inhaltsgleiche ehrenrührige Begleittexte aufweisen. Die Bildnisveröffentlichung verstoße gegen § 78 UrhG; der Begleittext "Sie nannten ihn: 'Jack die Ratte'" sei eine ehrenrührige Äußerung und jedenfalls geeignet, Interessen des Klägers zu verletzen (ON 1).

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Ein Bildnis liege nur vor, wenn aus dem Bild selbst die Erkennbarkeit gegeben sei. Das Bild auf Seite 32 des "W*****" zeige Kopf und Hände eines Mannes, der ohne den Begleittext nicht als der Kläger erkannt werden könnte. Die Beklagte habe den Kläger nicht "Ratte" genannt, sondern lediglich eine strafbare Erklärung eines ehemaligen Mithäftlings des Klägers zitiert. Die beanstandete Äußerung sei der Beklagten nicht zurechenbar.

Der Kläger sei eine Person des öffentlichen Lebens; er sei allgemein bekannt. Die Bildnisveröffentlichung sei, isoliert betrachtet, völlig harmlos und unverfänglich; die Persönlichkeit des Klägers werde ausschließlich durch die Wortberichterstattung beeinträchtigt. Angesichts der gegen den Kläger erhobenen Verdächtigungen und angesichts seines Vorlebens bestehe ein Interesse der Allgemeinheit, etwas über die Person des Klägers und sein Leben während der Strafhaft zu erfahren. Der Bildveröffentlichung selbst brauche kein Veröffentlichungswert zuzukommen; es genüge, daß die Berichterstattung einen inneren Zusammenhang zur Gesamtberichterstattung hat. Im konkreten Fall überwiege das Informationsinteresse der Öffentlichkeit; dabei sei zu berücksichtigen, daß der Kläger selbst das Interesse der Öffentlichkeit auf seine Person gezogen habe.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Mit Rücksicht auf den Begleittext bestehe für den Betrachter nicht der geringste Zweifel, daß es sich bei dem abgebildeten Mann um Jack Unterweger handle. Die Veröffentlichung verletze berechtigte Interessen des Abgebildeten; das Informationsinteresse sei aber stärker, habe doch die Öffentlichkeit ein durchaus berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, was Mithäftlinge des Klägers über diesen dachten.

Das Resgericht erließ die einstweilige Verfügung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei. Ob berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, hänge von der Art der Veröffentlichung und insbesondere auch vom beigegebenen Text ab. Über dem Bild des Klägers sei in großen Lettern sein Vorname und zusätzlich noch neben seinem Kopf nochmals sein Vor- und Zuname angeführt; über die Erkennbarkeit des Klägers könne daher kein Zweifel bestehen. Der Vergleich des Klägers mit einer Ratte sei beleidigend und extrem herabsetzend. Die in der Überschrift des Artikels begangene Ehrenbeleidigung werde durch das Bildnis des Klägers verstärkt; die Aufmerksamkeit der Leser werde zusätzlich erregt, so daß im Zusammenhang mit dem Text geradezu eine "Anprangerung" des Klägers erreicht werde. Das Bild sei durchaus geeignet, die behauptete "Rattenhaftigkeit" des Klägers zu unterstreichen. Der Kläger habe daher ein Interesse, die Verbreitung seines Bildnisses im Zusammenhang mit dem Text "Sie nannten ihn: 'Jack die Ratte'" zu verhindern. Diesem Interesse stehe kein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Veröffentlichung gegenüber. Auch wenn ein Interesse der Öffentlichkeit angenommen werde, darüber informiert zu werden, was ehemalige Häftlinge über den Kläger denken, sei eine solche Anprangerung des Klägers jedenfalls ein unverhältnismäßiger, durch den folgenden Artikel nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin hält an ihrer Auffassung fest, daß der Kläger eine "absolute Person der Zeitgeschichte" sei. Als solche sei er eine Person des öffentlichen Lebens, deren Recht am eigenen Bild nur dann beeinträchtigt werde, wenn die Bildveröffentlichung als solche berechtigte Interessen verletzt; das zeige insbesondere auch § 7 a MedienG. Eine Bildveröffentlichung, die nicht "identitätsverletzend" ist, beeinträchtige keine berechtigten Interessen.

Der Begriff der "absoluten Person der Zeitgeschichte" kommt aus der deutschen Lehre und Rechtsprechung, wo die Auffassung vertreten wird, daß, "absolute Personen der Zeitgeschichte" ihr Recht am eigenen Bild verloren hätten (s. Gerstenberg in Schricker, Urheberrecht 770 Rz 6 zu § 23 KUG; Schwerdtner im Münchener Kommentar zum BGB Rz 181 zu § 12, jeweils mwN). Zu den "absoluten Personen der Zeitgeschichte" werden alle Personen gezählt, die durch außerordentliche Leistungen und Verdienste oder auch durch Untaten Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden sind (Gerstenberg aaO Rz 10); Tatverdächtige und Straftäter werden als "relative Personen der Zeitgeschichte" angesehen. Diese Zuordnung ist nicht unstreitig; dagegen wird insbesondere eingewandt, daß die erstgenannten Personen erst durch die Publizistik zu Personen der Zeitgeschichte werden; die publizistische Verwertung solcher Vorgänge habe bereits eine gewisse Prangerwirkung (Schwerdtner aaO Rz 181 ff).

Dem Begriff der "Person der Zeitgeschichte" kommt in Österreich jener der "Person des öffentlichen Lebens" nahe. Die Bekanntheit einer Person des öffentlichen Lebens ist bei der Beurteilung, ob die Veröffentlichung ihres Bildnisses nach objektiven Grundsätzen berechtigte Interessen im Sinne des § 78 UrhG verletzt, zu berücksichtigen; daraus folgt aber noch nicht, daß nicht auch auf den mit dem Bild zusammenhängenden Text Bedacht zu nehmen wäre. Bei besonders gravierenden Ehrverletzungen wird auch von denjenigen, die bei Personen des öffentlichen Lebens für eine isolierte Betrachtung der Bildnisveröffentlichung eintreten, eine Verletzung des Rechtes am eigenen Bild angenommen (Korn-Neumayer, Persönlichkeitsschutz im Zivil- und Wettbewerbsrecht 112).

Eine Einschränkung des Rechtes am eigenen Bild kann jedenfalls, wenn überhaupt, nur bei Personen des öffentlichen Lebens angenommen werden, deren Aussehen allgemein bekannt ist (ÖBl 1992, 88). Das trifft für den Kläger nicht zu. Auch wenn über ihn - vor allem in der Boulevardpresse - in den letzten Monaten wiederholt berichtet wurde und seine Geschichte auch Gegenstand einer Fernsehdokumentation war, folgt daraus noch nicht, daß sein Aussehen allgemein bekannt wäre. Dazu kommt, daß die Veröffentlichung des Bildes die herabsetzende Wirkung des ehrenrührigen Begleittextes wesentlich verstärkt; sie zieht diese Aufmerksamkeit auf diese Einschaltung und damit auf den herabsetzenden Text und macht die Beschimpfung ("die Ratte") durch die Verbindung mit dem Bild des vornübergebeugt dasitzenden Klägers noch einprägsamer.

Die Veröffentlichung eines Bildes mit einem grob ehrenrührigen Text verletzt daher auch dann berechtigte Interessen, wenn der Abgebildete weiten Kreisen der Bevölkerung bekannt ist. Das muß jedenfalls dann gelten, wenn die Bekanntheit vor allem auf die Berichterstattung über die dem Abgebildeten zur Last gelegten Straftaten zurückgeht; andernfalls könnten die Medien durch exzessive Bildberichterstattung selbst die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Bildnisveröffentlichungen mit reißerischen und damit zwangsläufig oft ehrenrührigen Begleittexten schaffen.

§ 78 UrhG ist eine Bestimmung zum Schutz der Persönlichkeit. Sie schützt jedermann vor der Veröffentlichung seines Bildnisses, wenn dadurch seine berechtigten Interessen verletzt werden. § 78 UrhG richtet sich gegen den Mißbrauch von Personenbildnissen in der Öffentlichkeit, also namentlich dagegen, daß jemand durch die Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt, daß dadurch sein Privatleben der Öffentlichung preisgegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Mißdeutungen Anlaß geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt (EB zum UrhG, abgedruckt bei Peter, Urheberrecht 617). Das Gesetz legt den Begriff der "berechtigten Interessen" nicht näher fest, weil es bewußt einen Spielraum offen lassen wollte, um den Verhältnissen des Einzelfalles gerecht werden zu können (MR 1991, 202; MR 1990, 58 und 141 uva).

Der Schutz des § 78 UrhG ist nicht auf einen Identitätsschutz beschränkt. § 7 a MedienG ist somit nur für einen Teilbereich eine lex specialis gegenüber § 78 UrhG; aus den Voraussetzungen für einen Verstoß gegen § 7 a MedienG kann noch nicht auf die Voraussetzungen für eine Verletzung berechtigter Interessen im Sinne des § 78 UrhG geschlossen werden.

Ob auch eine nicht "identitätsverletzende" Bildnisveröffentlichung berechtigte Interessen verletzt, braucht aber hier nicht abschließend geklärt zu werden. Der Kläger, welcher, wie auch die Beklagte zugesteht, auf der beanstandeten Abbildung durchaus erkannt werden kann, ist nicht so allgemein bekannt, daß nicht sein Bildnis durch eine Veröffentlichung noch weiteren Personen bekannt werden könnte; die durch die Berichterstattung über die ihm zur Last gelegten Straftaten bewirkte Bekanntheit seiner Person kann aber jedenfalls nicht dazu führen, eine Verletzung berechtigter Interessen zu verneinen, wenn die Veröffentlichung des Bildnisses dazu dient, die Aufmerksamkeit der Leser auf grob ehrenrührige Behauptungen zu lenken und diese einprägsamer zu machen.

Dem Interesse des Klägers an der Unterlassung solcher Bildnisveröffentlichungen steht das von der Beklagten behauptete Informationsinteresse gegenüber; beide Interessen sind gegeneinander abzuwägen (MR 1990, 224 mit Anm von Walter, MR 1990, 226; MR 1989, 54 uva).

Die Beklagte hat zwar, wie im Revisionsrekurs zutreffend ausgeführt wird, in der Äußerung ein solches Interesse behauptet; ihre Ausführungen können aber nicht überzeugen. Die Beklagte vermag kein selbständiges Interesse an der beanstandeten Bildberichterstattung anzugeben; ihre auf Korn-Neumayer (aaO 116) gestützte Auffassung, wonach ein innerer Zusammenhang zur Gesamtberichterstattung genüge, widerspricht der ständigen Rechtsprechung (MR 1990, 224 mit Anm von Walter mwN).

Davon abzugehen, bieten die Ausführungen der Beklagten keinen Anlaß. Sie verkennen, daß das Informationsinteresse eine Bildberichterstattung nur dann rechtfertigen kann, wenn es sich auf diese Art von Berichterstattung bezieht oder wenn Umstände vorliegen, die im konkreten Fall ein Interesse an einer besonders einprägsamen Berichterstattung begründen, wie sie durch die Veröffentlichung von Bildern erreicht wird. Solche Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt; sie sind auch sonst nicht zu erkennen.

Der Revisionsrekurs mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO.

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