OGH 4Ob154/98w

OGH4Ob154/98w30.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Ronald D*****, vertreten durch Dr. Helmut Klementschitz, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Herbert B*****, vertreten durch Dr. Hans-Peter Benischke und Dr. Edwin Anton Payr, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 89.773.- s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert S 99.773.-), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 6. März 1998, GZ 2 R 48/98p-42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 11. Dezember 1997, GZ 26 C 577/96t-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.086,40 (darin S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 22. 1. 1995 zog der Kläger einen Kinderbob aus Kunststoff, in dem sein eineinhalbjähriger Sohn saß, an einer Zugleine hinter sich nach. An dem Spaziergang nahm auch der Beklagte mit seiner Gattin teil. Als der Kläger stehenblieb, um seine Jacke zu öffnen, benützte der Beklagte diesen Moment, um (unbemerkt vom Kläger) das Kind aus dem Bob zu heben und sich selbst in den Bob zu setzen. Als der Kläger versuchte, den Bob weiterzuziehen, bemerkte er Widerstand. Er zog ein weiteres Mal an, weil er glaubte, der Bob stecke fest; gleichzeitig drehte er sich um. Im Moment des Umdrehens riß die Kunststofflasche, an der die Zugleine mittels eines Karabiners am Bob befestigt war, aus ihrer Verankerung, wodurch die Zugleine samt Karabiner mit hoher Geschwindigkeit den Kläger im Gesicht traf. Der Kläger erlitt dabei eine Rißquetschwunde im Bereich der Unterlippe und verlor einen Eckzahn. Die verletzte Unterlippe mußte genäht werden, wovon eine kleine strahlige Narbe zurückblieb, die nur bei genauem Hinsehen äußerlich zu bemerken ist. Der verlorene Eckzahn wurde durch ein Implantat ersetzt, dessen Haltbarkeit im Lauf der Zeit nachlassen kann, was sodann eine Erneuerung notwendig machen würde.

Der Kläger begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes den Zuspruch eines Betrages von S 49.773.- Arztkosten, S 35.000.- Schmerzengeld und S 5.000.- Verunstaltungsentschädigung sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Im wesentlichen brachte er vor, daß das Alleinverschulden am Unfall den Beklagten treffe, der hätte wissen müssen bzw. hätte erkennen können, daß der Kinderbob für sein Gewicht nicht geeignet sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und bestritt ein Verschulden sowie die Berechtigung des Feststellungsbegehrens.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten unter Abweisung des Mehrbegehrens zur Zahlung von S 79.773.- samt 4% Zinsen seit 13. 5. 1996 (S 49.773.- Arztkosten und S 30.000.- Schmerzengeld) und hielt das Feststellungbegehren für berechtigt. Ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es die Handlung des Beklagten als nicht völlig ungeeignet, den Schaden herbeizuführen; die Fahrlässigkeit seines Verhaltens liege darin, daß der Beklagte hätte erkennen können, daß der Bob als Kinderspielzeug für den beabsichtigten "Spaß" nicht geeignet sei. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, dem abgerissenen Karabiner auszuweichen. Der Beklagte habe somit den Schaden adäquat und allein verschuldet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab; den Kläger verwies es mit seinem Kostenrekurs auf diese Entscheidung. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000.-, nicht aber S 260.000.- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Frage der Beurteilung der Adäquanz einer Schadensfolge über den Einzelfall hinaus für die Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme. Es vertrat die Ansicht, dem Beklagten habe zwar bewußt sein müssen, daß der Kinderbob für sein Gewicht nicht konstruiert sei und die Zugleine reißen könne; im konkreten Fall habe der Kläger aber gänzlich atypische Verletzungen erlitten (nämlich im Bereich des Mundes und der Zähne und nicht etwa Verstauchungen, Prellungen oder Knochenbrüche im Gefolge eines Sturzes nach vorwärts nach dem Riß der Zugschnur), mit denen der Beklagte als Schädiger nicht habe rechnen müssen. Es liege insoweit ein inadäquater Kausalablauf ("Unglück") vor. Der Beklagte hafte daher nicht für den eingetretenen Schaden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Aus der Existenz absoluter Rechtsgüter (zB Eigentum, körperliche Integrität) ergibt sich für jedermann die Pflicht, sich diesen Gütern gegenüber sorgfältig zu verhalten; Sorgfaltswidrigkeit gegenüber diesen Gütern ist Verhaltensunrecht und begründet (außerhalb der Verletzung von Schutzgesetzen) die Rechtswidrigkeit des Verhaltens (Reischauer in Rummel, ABGB**2 Rz 13 zu § 1294 mwN).

Nach der in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Adäquanztheorie, die nach moderner Auffassung keine Kausalitätstheorie ist, sondern (als besondere positive Haftungsvoraussetzung) die Zurechnung von Schadensfolgen begrenzt, deren Verursachung nach der conditio sine qua non-Formel schon feststeht, hat ein Schädiger nicht für jeden Erfolg seines rechtswidrigen Verhaltens, sondern nur für solche Schäden einzustehen, die er adäquat herbeigeführt hat (Koziol/Welser I10 448 mwN). Ist - wie hier - die Anspruchsgrundlage die Sorgfaltsverletzung gegenüber absoluten Rechtsgütern, bleibt für die Adäquanzprüfung bezüglich des Einsatzschadens (hier: Sachbeschädigung des Kinderbobs infolge Ausreißens der Befestigungslasche) kein Spielraum, wohl aber hinsichtlich der Folgeschäden (Körperverletzung des Klägers durch den an der Zugleine zurückschnellenden Karabiner; vgl. Reischauer aaO Rz 12 zu § 1295). Anspruchsvoraussetzung wäre demnach, daß die Körperverletzung des Klägers einen adäquaten Folgeschaden des Ausreißens der Befestigungslasche am Bob bildet.

Ein Schaden ist dann adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolges nicht als völlig ungeeignet erscheinen muß und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (Koziol/Welser aaO; SZ 62/203; SZ 69/147). Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt bereits dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden hinzugetreten ist und dieses Hinzutreten nicht außerhalb der allgemeinen menschlichen Erwartung steht (ZVR 1983/313); es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht ganz außergewöhnlich ist (ZVR 1977/58; JBl 1988, 248). Die Adäquanz des Kausalzusammenhanges ist objektiv und nicht danach zu beurteilen, ob dem Schädiger subjektiv die Einzelfolge voraussehbar war (SZ 51/58; SZ 55/9). Auch ist es zu eng, mit dem Berufungsgericht nur auf den nach der statistischen Wahrscheinlichkeit gewöhnlichen und damit typischen Lauf der Dinge abzustellen und Atypizität mit mangelnder Adäquanz gleichzustellen (so auch Reischauer aaO Rz 14 zu § 1295 mit Beispielen aus der Rsp; vgl auch die bei Harrer in Schwimann, ABGB**2 Rz 28 zu § 1295 angeführten Judikaturbeispiele für einen inadäquaten Kausalablauf, insbesondere 5 Ob 529/95).

Ob in Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall der Umstand, daß nach dem Ausreißen der Befestigungslasche aus Plastik am Bob der Karabiner an der Zugschnur nach vorne schnellte, wodurch der sich gerade nach hinten drehende Kläger im Gesicht verletzt wurde, bereits außerhalb jeglicher menschlichen Erfahrung liegt und ob mit dem Eintritt eines derartigen Erfolges nach Überlastung des Bobs in abstracto bzw. generell gerechnet werden mußte, die Verletzung des Klägers somit eine adäquate Folge des vom Beklagten an den Tag gelegten Verhaltens bildet und unter den vom Beklagten zu vertretenden Haftungsumfang fällt, muß hier nicht abschließend geprüft werden. Die Klage wäre nämlich nur unter der weiteren (kumulativen) Voraussetzung erfolgreich, daß dem Beklagten die Nichteinhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt auch subjektiv vorwerfbar wäre, ihn also ein Verschulden trifft. Davon kann aber hier keine Rede sein.

Fahrlässig handelt, wer nicht diejenige Sorgfalt anwendet, die entweder allgemein oder doch von einem Angehörigen einer bestimmten Berufs- oder Menschengruppe zu verlangen ist; Fahrlässigkeit liegt erst dann vor, wenn der Verletzer mit der nicht fernliegenden Möglichkeit einer Rechtsverletzung rechnen muß (4 Ob 2353/96z). Es ist zu fragen, wie sich der maßgerechte Durchschnittsmensch in der konkreten Lage des Täters verhalten hätte (Reischauer aaO Rz 2 zu § 1297 mwN). Bei Anlegung dieses Maßstabs ist ein Verschulden des Beklagten zu verneinen. Seine Handlungsweise (nämlich ein von einem Dritten an einer dünnen Leine gezogenes Kinderspielzeug aus Plastik unvermutet in der Absicht, einen Spaß zu machen, mit dem Gewicht eines Erwachsenen zu belasten, ohne daß dies dem Ziehenden zunächst bewußt ist) kommt auch bei einer sorgfältigen Person unter Beobachtung der gebotenen Aufmerksamkeit durchaus in Frage. Daß durch den beabsichtigten Spaß eine erhebliche Verletzungsgefahr für den Ziehenden dadurch entstehen kann, daß die Befestigungslasche aus dünnem Kunststoff, an der die Zugschnur mittels Karabiner hängt, der erhöhten Belastung nicht standhält, wodurch unkontrollierte Bewegungskräfte an der Leine freiwerden, wäre auch von einem maßgerechten Durchschnittsmenschen nicht vorherbedacht worden. Schon mangels Verschuldens kommt daher eine Haftung des Beklagten für den durch sein Verhalten entstandenen Schaden nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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