Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Minderjährige ist die außereheliche Tochter Wolfgang B***** und Helga K******. Der Vater hat für eine weitere Tochter, die mj Jennifer A*****, geboren am *****, zu sorgen.
Beatrix K***** besuchte nach Beendigung der Schule im Schuljahr 1996/97 die Externistenhauptschule in Wien 16. Am 17. 6. 1997 schloss sie die Hauptschule mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Danach trat sie mehrmals eine Lehrstelle an, brach die Lehre jedoch jeweils nach kurzer Zeit wieder ab. So war sie in der Zeit vom 13. bis 24. 10. 1997 als Hotel- und Gastgewerbeassistentlehrling, in der Zeit vom 14. bis 22. 11. 1997 als Friseurlehrling und Anfang 1998 als Kellnerlehrling beschäftigt. Vom 1. 2. bis April 1999 besuchte die Minderjährige einen vom AMS unterstützten Kurs zur kaufmännischen Berufsvorbereitung. In der Zeit vom 1. 2. bis 13. 9. 1999 erhielt sie vom AMS eine monatliche Beihilfe von rund 2.985 S.
Am 20. 10. 1999 wurde die Minderjährige - mittlerweile schwanger geworden - beim Verein "Rat und Hilfe" als Kindergartenhelferin in einem Kindergarten der Caritas für 12 Stunden wöchentlich angestellt. Mit Schreiben vom 18. 11. 1999 entließ der Dienstgeber die Minderjährige mit 7. 11. 1999, weil sie ihre Erkrankung nicht ordnungsgemäß gemeldet hatte. Vom Verein erhielt die Minderjährige insgesamt 2.341,18 S netto; nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses hat sie sich weder arbeitssuchend gemeldet noch Bezüge nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz erhalten.
Nach einer vom Rekursgericht beim Familienzentrum der Caritas eingeholten Auskunft hat die Mutter der Minderjährigen am 27. 10. 1999 deren Erkrankung telefonisch bekanntgegeben. Ihr sei mitgeteilt worden, dass sie die Erkrankung sowohl beim Verein als auch im Kindergarten melden müsse und sich sofort eine ärztliche Bestätigung beschaffen solle. Am 3. 11. 1999 habe sich "der Kindergarten" beim Verein nach der Minderjährigen erkundigt. Erst am 4. 11. 1999 sei es möglich gewesen, mit ihr telefonisch Kontakt aufzunehmen. Ihr sei mitgeteilt worden, dass sie mit allen Unterlagen am 9. oder 11. 11. 1999 kommen müsse. Bis 18. 11. 1999 sei sie jedoch nicht erschienen, so dass das Dienstverhältnis beendet worden sei.
Der Vater war in der Zeit vom 19. 7. bis 24. 10. 1999 bei der A***** AG als Kraftfahrer angestellt. Er hat in dieser Zeit - einschließlich Sonderzahlungen, mit Ausnahme der Hälfte der Diäten und der Hälfte der Schmutzzulage - insgesamt 68.475,43 S, das sind im Monatsdurchschnitt 21.253 S, verdient. Vom 17. 11. 1999 bis 30. 1. 2000 bezog er ein Arbeitslosengeld von rund 9.669 S monatlich. Seit 31. 1. 2000 ist der Vater bei der J***** GmbH beschäftigt. In der Zeit vom 31. 1. bis 31. 3. 2000 verdiente er - ohne die Hälfte der Diäten und die Hälfte der Schmutzzulage - insgesamt 27.577 S netto; das sind durchschnittlich 13.751 S monatlich.
Der Vater begehrt, seine Unterhaltsverpflichtung beginnend mit 1. 5. 1999 auf 1.500 S monatlich herabzusetzen und ihn ab 1. 12. 1999 von der mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 3. 1999 mit 3.000 S monatlich festgesetzten Unterhaltsverpflichtung zu entheben. Er sei arbeitslos und habe daher nur ein geringeres Einkommen. Die Minderjährige sei während der Probezeit gekündigt worden, weil sie sich nicht rechtzeitig krank gemeldet habe. Sie sei daher als selbsterhaltungsfähig zu betrachten.
Das Amt für Jugend und Familie, Rechtsfürsorge 12., 13. Bezirk sprach sich gegen eine Unterhaltsenthebung des Vaters aus. Die Minderjährige habe die Kündigung nicht verschuldet.
Das Erstgericht entschied über den Herabsetzungsantrag für die Zeit vom 1. 5. bis 31. 7. 1999 mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. 2. 2000, ON 290; den Antrag des Vaters, seine Unterhaltsverpflichtung für die Zeit vom 1. 8. bis 30. 11. 1999 auf monatlich 1.500 S herabzusetzen, wies es ab; dem Enthebungsantrag gab es statt. Für den Zeitraum 1. 8. bis 30. 11. 1999 sei der Minderjährigen kein Fehlverhalten vorzuwerfen; der Unterhaltsbeitrag entspreche der Leistungsfähigkeit des Vaters. Sein Antrag, ihn von der Unterhaltsverpflichtung ab 1. 12. 1999 zu entheben, sei aber berechtigt, weil die Minderjährige mehrere Lehren abgebrochen und ihre Beschäftigung beim Verein wegen eines schwerwiegenden Fehlverhaltens verloren habe.
Das Rekursgericht wies den Enthebungsantrag ab und sprach - aufgrund eines Antrags nach § 14a Abs 1 AußStrG - aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Vater behaupte nicht, dass die Minderjährige den Verlust ihres Arbeitsplatzes absichtlich herbeigeführt habe, um die Unterhaltsverpflichtung des Vaters aufrecht zu erhalten, oder dass sie diese Folge bewusst in Kauf genommen habe. Das Rekursgericht habe zwar zur Anspannung von Unterhaltspflichtigen die Rechtsmeinung vertreten, dass diese die Herbeiführung von Entlassungsgründen zu vermeiden hätten; nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei der Unterhaltspflichtige aber nur anzuspannen, wenn er den Verlust des Arbeitsplatzes absichtlich herbeigeführt habe, um den Unterhaltsberechtigten zu benachteiligen. Unterhaltsberechtigte und Unterhaltspflichtige dürften nicht ungleich behandelt werden. Die Minderjährige könnte daher nur dann als selbsterhaltungsfähig behandelt werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz in der Absicht aufgegeben hätte, ihren Vater mit der Unterhaltsverpflichtung zu belasten. Da dies nicht der Fall sei, komme es darauf an, ob es ihr möglich gewesen wäre, einen Ersatzarbeitsplatz zu finden. Dabei sei zu beachten, dass ihr der Arbeitsplatz beim Verein nur aus sozialen Gründen angeboten worden sei und sie während der Schwangerschaft auch bei noch so großen Anstrengungen keinen neuen Arbeitsplatz gefunden hätte. Nunmehr habe sie ein neugeborenes Kind zu betreuen; in dieser Situation sei ihr die Annahme einer Beschäftigung unzumutbar. Sie könne daher nicht als selbsterhaltungsfähig behandelt werden.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs des Vaters ist berechtigt.
Der Vater verweist darauf, dass der Verein werdende Mütter anstellt, um ihnen einen gesetzlichen Anspruch auf Wochengeld und Karenzgeld zu verschaffen. Die Minderjährige hätte rund 10 Wochen im Kindergarten arbeiten müssen, um anspruchsberechtigt zu sein. Hätte sie es nicht grob fahrlässig unterlassen, sich rechtzeitig krank zu melden, so hätte sie einen Anspruch auf erhöhtes Karenzgeld ab der Geburt ihres Kindes im April 2000 erworben; nach der Karenz wäre sie als Kindergartengehilfin angestellt worden.
Der Vater zeigt damit auf, dass die mit der Unterlassung rechtzeitiger Krankmeldung durch die Minderjährige verbundenen finanziellen Nachteile weit über den Entgeltausfall hinausgegangen sind, den der Verlust eines Arbeitsplatzes regelmäßig nach sich zieht. Mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes hat die Minderjährige nicht nur das damit verbundene Einkommen verloren, sondern auch das Entstehen gesetzlicher Ansprüche vereitelt, die sie weder auf andere Weise erwerben noch - als Schwangere und in der Folge als Mutter eines Säuglings - durch andere Einkünfte ersetzen konnte.
Im Gegensatz dazu führt der - wenn auch verschuldete - Arbeitsplatzverlust eines Unterhaltsschuldners regelmäßig nur zum Entfall des gegenwärtigen Einkommens, der durch den Antritt einer neuen Beschäftigung wettgemacht werden kann. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung rechtfertigt der Verlust des Arbeitsplatzes - von Fällen beabsichtigter Unterhaltsvereitelung abgesehen - demnach für sich allein genommen noch nicht die Bemessung des Unterhalts nach einem fiktiven Einkommen. Maßgebend ist vielmehr, wie sich der Unterhaltsschuldner nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes verhält. Wird er seiner Obliegenheit gerecht, unter Berücksichtigung seiner geistigen und körperlichen Veranlagung sowie seiner Ausbildung und seines Könnens alles zu unternehmen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden, so kann er nicht auf ein fiktives Einkommen angespannt werden (EFSlg 89.126; 89.142 ua).
Dem Rekursgericht ist zuzustimmen, dass bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes jedenfalls kein strengerer Maßstab angelegt werden kann als bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unthraltspflichtigen (s Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 140 Rz 12 mwN). Selbsterhaltungsfähigkeit tritt ein, wenn das Kind imstande ist, seinen Unterhalt durch eine ihm zumutbare Ewerbstätigkeit zu verdienen. Jedenfalls zumutbar ist die Erwerbstätigkeit in einem Beruf, der den Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen des Kindes entspricht. Nach Abschluss einer Berufsausbildung ist daher die Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes grundsätzlich eingetreten. Es verliert seinen Unterhaltsanspruch aber nicht automatisch mit dem Abschluss der Berufsausbildung, sondern nur dann, wenn es die Aufnahme einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt (SZ 70/36 = JBl 1997, 650 [Hoyer] = ZfRV 1997, 162 [Pichler] mwN). Auch im umgekehrten Fall - das Kind hat bereits einen Arbeitsplatz, verliert ihn aber - kommt es darauf an, ob das Kind sich zielstrebig bemüht, einen neuen Arbeitsplatz zu finden oder ob es passiv bleibt, obwohl ihm entsprechende Bemühungen möglich wären. Ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht ist daher nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Kind den Arbeitsplatzverlust verschuldet hat (EFSlg 86.770 = ÖA 1999, 28/U 254; s auch 6 Ob 11/99g).
Der - dem Pflichtschulalter entwachsene, aber objektiv nicht selbsterhaltungsfähige - Unterhaltsberechtigte kann demnach seinen Unterhaltsanspruch wegen (fiktiver) Selbsterhaltungsfähigkeit nur dann verlieren, wenn er arbeits- und ausbildungsunwillig ist, ohne dass ihm krankheits- oder entwicklungsbedingt die Fähigkeit fehlte, für sich selbst aufzukommen (Schwimann, Unterhaltsrecht**2, 84 f mwN). Solange demnach der - arbeitsfähige - Minderjährige sich zielstrebig bemüht, einen (neuen) Arbeitsplatz zu finden, bleibt sein Unterhaltsanspruch bestehen. In einem solchen Fall lässt der, wenn auch verschuldete, Verlust des Arbeitsplatzes nicht den Schluss zu, dass der Minderjährige arbeitsunwillig wäre.
Dieser Grundsatz gilt für den Regelfall, dass die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen finanziellen Nachteile auf den Entfall des laufenden Einkommens beschränkt bleiben und daher durch die Aufnahme einer neuen Beschäftigung wettgemacht werden können. Im vorliegenden Fall liegen die Dinge anders:
Die Minderjährige hat durch die Unterlassung rechtzeitiger Krankmeldung nicht nur ihr laufendes Einkommen verloren, sondern auch darauf aufbauende gesetzliche Ansprüche und damit jede Aussicht auf ein eigenes Einkommen in absehbarer Zeit vereitelt. Diese Konsequenz musste ihr bewusst sein, da ihr die Stelle auf Vermittlung der Caritas aus sozialen Gründen angeboten und ihre Beschäftigung auf das für den Erwerb dieser Ansprüche notwendige Maß beschränkt worden war. Dass sie es dennoch unterlassen hat, sich rechtzeitig krank zu melden und auch nach ausdrücklicher Aufforderung, die Krankmeldung nachzuholen, untätig geblieben ist, lässt nur den Schluss zu, dass sie arbeitsunwillig ist.
Die Minderjährige muss sich daher auf jenes Einkommen anspannen lassen, das sie erhalten hätte, hätte sie die Beschäftigung beim Verein nicht verloren. Ob dieses Einkommen ausgereicht hätte, ihre Selbsterhaltungsfähigkeit (gänzlich oder teilweise) zu bejahen, kann nach dem Akteninhalt nicht beurteilt werden. Das Erstgericht wird daher das Verfahren zu ergänzen und festzustellen haben, wie hoch die Einkünfte der Minderjährigen beim Verein und die dadurch begründeten gesetzlichen Ansprüche auf Wochengeld und Karenzgeld gewesen wären. Soweit daraus die gänzliche oder teilweise Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen folgen sollte, wird dem Antrag des Vaters (ganz oder teilweise) stattzugeben sein.
Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.
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