OGH 4Ob12/12m

OGH4Ob12/12m27.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** P*****, vertreten durch Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Strainmaier & Mag. Manuel Vogler Rechtsanwälte & Strafverteidiger OG in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei A***** M***** M*****, vertreten durch Friedl & Holler Rechtsanwalt-Partnerschaft in Gamlitz, wegen 30.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), zuletzt eingeschränkt auf Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2011, GZ 3 R 222/11h-23, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin konsumierte bei einem Weinlesefest am Stand der Beklagten Getränke. Der Stand war so konstruiert, dass sich an der Vorderseite eine bewegliche Holzabdeckung befand, mit der man den Verkaufsraum verschließen konnte. Hochgeklappt diente die Holzabdeckung als Vordach; dazu wurde sie mit je einer Metallkette an beiden Seiten in am Dach befestigte - nach vorne hin offene - Haken eingehängt. Offen hatte das Vordach eine Höhe von ca 187 cm. Ein 118 kg schwerer Gast am Stand der Beklagten begann plötzlich einen Klimmzug am Vordach auszuführen, was ihm eine Verkäuferin der Beklagten sofort untersagte. Der Gast hielt sich zunächst an dieses Verbot, führte aber später wieder einen Klimmzug durch, was ihm von der Verkäuferin neuerlich untersagt wurde. Der Gast hörte wieder auf, wollte sich später aber ein drittes Mal hochziehen. Aufgrund der wiederholten Belastung waren die Haken jedoch bereits so aufgebogen, dass diesmal die Kette aus den Haken rutschte, das Vordach zuklappte und die Klägerin am Kopf traf, wodurch sie schwerste Verletzungen erlitt.

Das Berufungsgericht hat das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts, mit dem die Begehren auf Schmerzengeld und Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus diesem Vorfall abgewiesen wurden, bestätigt. Diese Entscheidung weicht nicht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung ab.

Rechtliche Beurteilung

Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht verlangt Sicherungsmaßnahmen zum Schutz aller Personen, deren Rechtsgüter durch die Schaffung einer Gefahrenlage verletzt werden können. Das bezieht sich auch auf Gefahren, die erst durch den unerlaubten und vorsätzlichen Eingriff eines Dritten entstehen. Voraussetzung ist allerdings immer, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (RIS-Justiz RS0023801; vgl auch RS0030035, wonach ein Hauseigentümer alle Vorkehrungen treffen muss, die „vernünftigerweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können“).

Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht dürfen nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0023487; RS0023893; RS0023950), soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben (RIS-Justiz RS0023950). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich dabei vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RIS-Justiz RS0023726). Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht kann immer nur von Fall zu Fall bestimmt werden (RIS-Justiz RS0029874; RS0110202). Gleiches gilt für das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt (RIS-Justiz RS0029874).

In der Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, eine 118 kg schwere Person werde trotz Verbots mehrere Klimmzüge am Vordach ihres Standes ausführen, liegt keine unvertretbare, im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Verkennung der Rechtslage, die ungeachtet der Kasuistik des Einzelfalls die Zulässigkeit der Revision begründen könnte. Eine Konstruktion wie im Anlassfall darf zwar nicht bei jeder geringfügigen Belastung nachgeben und muss etwa auch bei Wind oder Schnee sicher halten; führt aber der Besucher eines Weinlesefestes trotz ausgesprochenem Verbots am Vordach mehrere Klimmzüge aus, ist dies kein für den Standinhaber naheliegendes Verhalten eines Besuchers, gegen das er ohne besonderen Anlass Vorkehrungen treffen müsste.

Die in der Revision angeführte Entscheidung 1 Ob 16/98d (ein Wehrdiener lehnte sich während des Wachdienstes an einem Schranken mit beschädigter Auflage an und kam dabei zu Sturz) ist nicht einschlägig, weil das Anlehnen an einem Schlagbaum nichts Ungewöhnliches ist. Auch in der Entscheidung 4 Ob 280/00f (widmungswidrige Nutzung der Querstange eines erkennbar nicht im Boden verankerten Fußballtors durch den Kläger als Reckstange) wurde ausgesprochen, dass Voraussetzung einer Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten immer ist, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist; solches wurde auch dort verneint.

Über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO liegen nicht vor, schließt doch die Kasuistik des Einzelfalls in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus (4 Ob 172/11i).

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