OGH 4Ob12/03y

OGH4Ob12/03y29.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 20. August 1993 geborenen Philipp J***** und des am 8. Juni 2001 geborenen Tobias J*****, in Obsorge der Mutter Elisabeth J*****, diese vertreten durch Mag. Katharina Kurz, Rechtsanwältin in Wien, über die Revisionsrekurse der Kinder und ihres Vaters Klemens R*****, vertreten durch Dr. Peter Zawodsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Oktober 2002, GZ 42 R 370/02a-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Döbling vom 31. Mai 2002, GZ 1 P 22/02p-18, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Kinder wird nicht Folge gegeben.

Dem Revisionsrekurs des Vaters wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang des Zuspruchs von 348,83 EUR und 276,16 EUR aufgehoben, die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Vater des am 20. 8. 1993 geborenen Philipp und des am 8. 6. 2001 geborenen Tobias war aufgrund einer mit dem Unterhaltssachwalter am 3. 10. 1993 getroffenen Vereinbarung zu Unterhaltsleistungen von monatlich 550 S = 39,97 EUR für Philipp verpflichtet. Er ist für seine einkommenslose Ehefrau und drei weitere Kinder im Alter von 15, 6 und 4 Jahren sorgepflichtig.

Auf Antrag des Unterhaltssachwalters erhöhte das Erstgericht den für Philipp ab 8. 6. 2001 monatlich zu leistenden Unterhalt auf 4.800 S = 348,83 EUR und setzte den Unterhalt für Tobias ab 8. 6. 2001 mit monatlich 3.800 S = 276,16 EUR fest. Dabei ging es von einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen des Vaters von 3.689,33 EUR (zwischen 1. 7. 2001 und 31. 3. 2002) aus. Unter Berücksichtigung seiner weiteren Sorgepflichten errechnete das Erstgericht den monatlichen Unterhalt für Philipp mit 10 % und für Tobias mit 8 % der Bemessungsgrundlage. Dieser Unterhalt sei angemessen, das Doppelte des Durchschnittsbedarfs der Kinder werde dadurch nicht erreicht.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und erhöhte den monatlichen Unterhalt für Philipp ab 8. 6. 2001 auf 290 EUR; jenen für Tobias setzte es auf 220 EUR monatlich ab 8. 6. 2001 herab. Die darüber hinausgehenden Unterhaltsanträge wies es ab. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Berücksichtigung von Transferleistungen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle. Berücksichtige man den Durchschnittsbedarf jedes der Kinder, die unbestritten gebliebene Unterhaltsbemessungsgrundlage und die Sorgepflicht des Vaters errechne sich eine Unterhaltsleistung in der vom Erstgericht festgesetzten Höhe. Die so errechnete Unterhaltsverpflichtung sei jedoch unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2001, B 1285/00, bis zur Hälfte der (von der Mutter bezogenen) Transferleistungen durch Minderung der Unterhaltspflicht steuerlich zu entlasten. Allerdings habe der Vater lediglich die Anrechnung der Familienbeihilfe begehrt, die hier durchschnittlich 111,80 EUR je Kind betrage. Die Hälfte davon (56 EUR je Kind) könnten daher zur Entlastung des Vaters herangezogen werden, wodurch sich sein Unterhaltsbeitrag auf 290 EUR für Philipp und 220 EUR für Tobias verringere. Eine derartige Reduktion ergebe sich auch wegen der weiteren Sorgepflichten des Vaters, weil bei Ausschöpfung der Prozentkomponente der im Unterhaltsverfahren geltende Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt würde. Die Reduktion sei daher - selbst wenn eine Herabsetzung des Unterhalts wegen Anrechnung von Transferleistungen erst ab der Entscheidung des VfGH vom 27. 6. 2001 erfolgen dürfte - schon für die Vergangenheit vorzunehmen.

Der Revisionsrekurs der Kinder richtet sich gegen die Anrechnung der Familienbeihilfe auf den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbetrag und die dadurch erfolgte Abweisung des monatlichen Mehrbegehrens von 58,83 EUR für Philipp und von 56,16 EUR für Tobias.

Der Revisionsrekurs des Vaters strebt eine Anrechung aller Transferleistungen (und nicht nur der Familienbeihilfe) an.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind zulässig. Der Revisionsrekurs der Kinder ist nicht berechtigt; der Revisionsrekurs des Vaters ist im Sinn seines Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Vater bekämpft die nach der Prozentmethode vorgenommene Unterhaltsbemessung nur insoweit, als sie die dem Haushalt der Mutter insgesamt zukommenden Transferleistungen nicht dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2001, B 1285/00, entsprechend berücksichtigt. Er weist zutreffend darauf hin, dass er schon bisher die Anrechnung aller Transferleistungen und nicht bloß die Berücksichtigung der Familienbeihilfe allein beantragt hatte. Seinem mehrmaligen Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2001 und auch die daraus abzuleitende Berechnungsmethode machen deutlich, dass er von Anbeginn an eine Anrechnung aller Transferleistungen beanspruchte.

Demgegenüber machen die Kinder geltend, die Familienbeihilfe diene in der Regel der Förderung des Kindesunterhalts und nicht der Entlastung des Unterhaltspflichtigen; ein Ausgleich für die Steuermehrbelastung des Vaters sei im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt und könne jedenfalls nicht für die Vergangenheit vorgenommen werden. Ihrem Einwand ist entgegenzuhalten:

Mit Erkenntnis vom 19. Juni 2002 G 7/02 ua hat der Verfassungsgerichtshof in § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Die steuerliche Entlastung des Vaters durch Kürzung des Unterhaltsbetrags wegen der Auszahlung der Familienbeihilfe an die Mutter ist zufolge Art 140 Abs 7 B-VG aber nicht erst durch die (teilweise) Aufhebung des § 12a FLAG möglich geworden, sprach doch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. 9. 2002 aus, die "Zivilgerichte" seien schon nach seinem Erkenntnis vom 27. 6. 2001 (B 1285/00) berechtigt gewesen, die Familienbeihilfe bei der Kürzung der Unterhaltsverpflichtung des Geldunterhaltspflichtigen im verfassungsrechtlich gebotenen Ausmaß zu berücksichtigen. Deshalb habe er davon abgesehen, eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolge zu bestimmen, sodass diese nicht mehr anzuwenden sei (4 Ob 42/02h; 1 Ob 79/02b). Damit sind die im vorliegenden Fall ab 8. 6. 2001 zu zahlenden Unterhaltsbeträge um den gesamten noch zu errechnenden Entlastungsbetrag zu kürzen, ohne dass es darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt der Vater seinen Einwand erhoben hat.

Aus diesen (teils auch ausdrücklichen) Erwägungen haben auch die Senate 1, 2, 3, 4, 6 und 9 schon bisher eine steuerliche Entlastung des Vaters durch Anrechnung der Transferleistungen für Zeiträume vor Kundmachung des (§ 12a FLAG teilweise) aufhebenden Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses vorgenommen (1 Ob 114/02z; siehe auch 1 Ob 177/02i und 1 Ob 186/02p; 2 Ob 196/02s; 3 Ob 81/02m; 4 Ob 52/02d; siehe auch 4 Ob 225/02w und 4 Ob 266/02z; 6 Ob 142/02d siehe auch 6 Ob 21/02k; 9 Ob 4/02g; RIS-Justiz RS1117023).

Diese Auffassung wird aufrechterhalten. Die vom Senat 7 des Obersten Gerichtshofs vertretene (Minder-)Meinung, wonach die aus dem Bezug der Familienbeihilfe errechnete Entlastung erst ab Kundmachung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs, somit erst ab 1. 10. 2002 erfolgen dürfe (7 Ob 174/02t; 7 Ob 193/02m, 7 Ob 167/02p) wird abgelehnt.

Bei Berechnung des vom Vater bei getrennter Haushaltsführung zu leistenden Unterhalts ist bei verfassungskonformer Auslegung darauf Bedacht zu nehmen, dass die Familienbeihilfe nicht (nur) der Abgeltung von Betreuungsleistungen dient, sondern, soweit notwendig, die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirken soll. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs muss der Geldunterhaltspflichtige für die Hälfte des von ihm gezahlten Unterhalts steuerlich entlastet werden. Dabei ist der jeweilige Grenzsteuersatz maßgebend, der jedoch jeweils um etwa 20 % abzusenken ist, weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Einkünfte umfasst und die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %, bei einem Grenzsteuersatz von 41 % - wenn die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene Absenkung proportional fortgeschrieben wird - zu einem Steuersatz von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem solchen von 25 %. Für ein proportionales Fortschreiben der vom Verfassungsgerichtshof vorgegebenen Absenkung spricht, dass die Berechnung damit nachvollziehbar wird und für die Anwendung anderer Sätze überzeugende Argumente fehlen (4 Ob 52/02d; 4 Ob 42/02h).

Der nach diesem Vorgaben abgesenkte Steuersatz ist mit dem halben Unterhaltsbetrag zu multiplizieren. Der sich daraus ergebende Betrag ist jener, um den der Geldunterhaltspflichtige steuerlich zu entlasten ist. Bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob der Unterhaltsbeitrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist. Die Entlastung wird einerseits durch den beim Geldunterhaltspflichtigen berücksichtigten Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 lit 3b EStG) bewirkt, andererseits sind dazu, soweit der Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausreicht, die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen - Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 lit 3a EStG) und Familienbeihilfe - heranzuziehen, indem der Unterhaltsbetrag entsprechend gekürzt wird (vgl 4 Ob 52/02d; 4 Ob 42/02h; 1 Ob 79/02b mwN und die dort angeführten Berechnungsbeispiele).

Im vorliegenden Fall bezog der Vater zwischen 1. 7. 2001 und 31. 3. 2002 ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 3.689,33 EUR. Sein Bruttoeinkommen ist nicht festgestellt. Vom Jahresbruttoeinkommen - ohne 13. und 14. Gehaltsbezug - hängt aber ab, wie hoch der auf das Einkommen des Vaters angewendete Grenzsteuersatz ist. Die Einkommensteuer beträgt nach § 33 Abs 1 EStG für die ersten 3.600 EUR 0 %, für die nächsten 3.630 EUR 21 %, für die nächsten 14.530 EUR 31 %, für die nächsten 29.070 EUR 41 % und für alle weiteren Beträge des Einkommens 50 %. Liegt daher das Bruttojahreseinkommen über 50.870 EUR, so ist der auf 40 % abgesenkte Grenzsteuersatz (von 50 %) anzuwenden, liegt das Einkommen im Bereich zwischen 21.800 EUR und 50.870 EUR, so ist der auf 33 % abgesenkte Grenzsteuersatz (von 41 %) maßgeblich. Der auf 25 % abgesenkte Grenzsteuersatz (von 31 %) ist dann zu berücksichtigen, wenn das Bruttojahreseinkommen des Unterhaltspflichtigen zwischen 7.270 EUR und 21.800 EUR liegt. Da der Kindesunterhalt jeweils den höchsten Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen zuzuordnen ist, muss bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung darauf Bedacht genommen werden, ob der Unterhaltsbeitrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist.

Damit erweist sich aber das Verfahren in Ansehung der ab 8. 6. 2001 zugesprochenen Unterhaltsbeträge als ergänzungsbedürftig. Das Erstgericht wird das Verfahren durch Feststellung des Jahresbruttoeinkommens des Vaters ohne 13. und 14. Bezug zu ergänzen haben, um die notwendige steuerliche Entlastung nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen berechnen zu können.

Im Übrigen berührt die jeweils im Einzelfall vorzunehmende konkrete Berechnung des Geldunterhalts nicht die grundsätzlichen Rechtsfragen, die nach Aufhebung des zweiten Halbsatzes des § 12a FLAG durch den Verfassungsgerichtshof zu lösen waren. Sie kann daher gemäß § 510 Abs 1 letzter ZPO, der gemäß § 16 Abs 4 AußstG auch für das Verfahren über einen Revisionsrekurs im außerstreitigen Verfahren gilt, den Vorinstanzen überlassen werden.

Dem Revisionsrekurs der Kinder wird daher nicht Folge gegeben, hingegen wird dem Revisionsrekurs des Vaters Folge gegeben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

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