OGH 4Ob120/23k

OGH4Ob120/23k25.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden, sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch die Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*, vertreten durch die Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (25.000 EUR), Urteilsveröffentlichung (6.000 EUR) und 4.000 EUR sA (Gesamtstreitwert 35.000 EUR) über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. April 2023, GZ 2 R 161/22v‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00120.23K.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Gewerblicher Rechtsschutz, Unionsrecht, Urheberrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger beobachtete zufällig, wie bei einem Stromausfall mehrere Personen aus diversen Fahrgeschäften eines Vergnügungsparks befreit wurden. Er machte davon einige Fotos mit seinem Handy und veröffentlichte sie auf seinem Twitter‑Account.

[2] Ein Mitarbeiter des beklagten Rundfunks ersuchte den Kläger um Erlaubnis, die Bilder für einen Bericht über den Stromausfall in einer Nachrichtensendung verwenden zu dürfen. Der Kläger erteilte die Erlaubnis nicht, weil die Nutzung unentgeltlich erfolgen sollte. Der Beklagte sendete die Bilder dennoch und stellte seine Nachrichtensendung auch zum Abruf auf seiner Website bereit.

[3] Der Kläger begehrte Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und 4.000 EUR als angemessenes Entgelt nach § 86 UrhG.

[4] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Der Beklagte könne sich nicht auf ein freies Werknutzungsrecht nach § 42c UrhG berufen, weil die Fotos des Klägers nicht bei der Berichterstattung über ein Tagesereignis wahrnehmbar geworden seien. Außerdem fehle es am Informationszweck, weil ein Bericht über den Stromausfall im Bezirk auch ohne die Lichtbilder des Klägers möglich gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

[5] Mit seiner außerordentlichen Revision will der Beklagte die Klagsabweisung erreichen. Sie zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[6] 1. Gemäß § 42c UrhG dürfen zur Berichterstattung über Tagesereignisse Werke, die bei Vorgängen, über die berichtet wird, öffentlich wahrnehmbar werden, in einem durch den Informationszweck gerechtfertigten Umfang vervielfältigt, verbreitet, durch Rundfunk gesendet, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und zu öffentlichen Vorträgen, Aufführungen und Vorführungen benutzt werden.

[7] Ob die Voraussetzungen für diese freie Werknutzung vorliegen, richtet sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls und bildet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 ZPO (RS0108466; vgl zuletzt 4 Ob 58/23t Rz 5).

[8] 2. Der Beklagte argumentiert, die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (InfoRL)gestatte die Nutzung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen bereits in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse. Eine Wahrnehmbarkeit bei der Berichterstattung wie nach § 42c UrhG sei nach dem Unionsrecht kein Erfordernis, die österreichische Judikatur sei deshalb durch die neuere Rechtsprechung des EuGH überholt. Der BGH habe seine Linie zum vergleichbaren § 50 dUrhG bereits geändert.

[9] 2.1. Tatsächlich können die Mitgliedstaaten gemäß Art 5 Abs 3 lit c zweiter Fall der InfoRL die Nutzung von Werken „in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse“ vorsehen, soweit es der Informationszweck rechtfertigt und sofern nach Möglichkeit der Umstände die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers angegeben wird.

[10] Diese Bestimmung der Richtlinie führt aber eindeutig keine Vollharmonisierung durch (so auch EuGH C‑469/17 Rn 54 und C‑516/17 Rn 27, 39). Daher spricht ihr Wortlaut auch nicht gegen die vom österreichischen Gesetzgeber geforderte Art der Verbindung, die überdies in Einklang mit Art 10bis Abs 2 der Berner Übereinkunft (Pariser Fassung) zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst steht. Dessen Text lautet: „Ebenso bleibt der Gesetzgebung der Verbandsländer vorbehalten zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen anläßlich der Berichterstattung über Tagesereignisse durch Photographie oder Film oder im Weg der Rundfunksendung oder Übertragung mittels Draht an die Öffentlichkeit Werke der Literatur oder Kunst, die im Verlauf des Ereignisses sichtbar oder hörbar werden , in dem durch den Informationszweck gerechtfertigten Umfang vervielfältigt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen.

[11] 2.2. In den vom Revisionswerber genannten Fällen [gemeint offenbar] C‑516/17 Spiegel Online (= BGH I ZR 139/15, „Reformistischer Aufbruch“) sowie C‑469/17 Funke Mediengruppe (= BGH I ZR 139/15, „Afghanistan Papiere“)hatte der EuGH Vorabentscheidungsersuchen des BGH zu § 50 dUrhG zu beantworten. Diese Norm lässt zur Berichterstattung über Tagesereignisse die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zu.

[12] Die nationale Regelung in Deutschland ist daher deutlich weiter als in Österreich, weil das freie Werknutzungsrecht nach § 42c UrhG nur für Werke gilt, die bei Vorgängen, über die berichtet wird, öffentlich wahrnehmbar werden.

[13] Entsprechend lässt sich nach gefestigter Rechtsprechung des Senats aus dieser Norm keine allgemeine Rechtfertigung für die Verwertung von Lichtbildern ableiten, die (selbst) Tagesereignisse zeigen oder damit in Zusammenhang stehen (4 Ob 53/19a [Pkt 1.1] mwN).

[14] 2.3. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass nicht nur die nationalen Normen sich unterscheiden, sondern auch die Sachverhalte der Ausgangsverfahren beim BGH keine Ähnlichkeit mit der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation haben. In diesen beiden Fällen war das Tagesereignis nämlich die Existenz und Verbreitung bzw die konkrete Formulierung eines Textes, den die Medien im Zuge dieser Berichterstattung jeweils auch in voller Länge veröffentlichten. Anders als Lichtbilder des Klägers, die nur das Tagesereignis Stromausfall abbilden, waren also beim BGH die urheberrechtlich geschützten Werke selbst das Thema der Berichterstattung und damit das Tagesereignis iSd § 50 dUrhG.

[15] 3. Schließlich betont der Beklagte, dass es laut EuGH keine außerhalb der Art 5 Abs 2 und 3 InfoRL liegenden, verfassungsunmittelbaren freien Nutzungen geben könne (unter Verweis auf C‑469/17 Rn 64 und C‑516/17 Rn 49).

[16] Dieses Argument spielte aber jedenfalls für die klagsstattgebende Entscheidung des Berufungsgerichts keine Rolle. Auch die Revision stellt keinen erkennbaren Zusammenhang mit dem zu beurteilenden Sachverhalt her. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]; RS0002495).

[17] 4. Ob die weiteren Voraussetzungen für eine freie Werknutzung vorliegen, insbesondere ob der Informationszweck im vorliegenden Fall die freie Werknutzung rechtfertige, kann daher dahinstehen.

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