OGH 4Ob108/81

OGH4Ob108/8120.10.1981

SZ 54/147

Normen

ABGB §1431
ArbVerfG §2 Abs2 Z2
ABGB §1431
ArbVerfG §2 Abs2 Z2

 

Spruch:

Nur der typische, wesentliche oder regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsvertrages kann Gegenstand einer kollektivvertraglichen Regelung sein. Der normative Teil eines Kollektivvertrages kann demnach zwar Bestimmungen über den Verfall von Entgeltansprüchen enthalten, nicht aber auch eine Regelung von Kondiktionsansprüchen und deren Verfall, mögen sie auch mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen

Der gute Glaube des Arbeitnehmers beim Empfang und Verbrauch eines rechtsgrundlosen Dienstbezuges ("Übergenusses") ist auch dann zu verneinen, wenn er bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit des ihm ausgezahlten Betrages zweifeln mußte

OGH 20. Oktober 1981, 4 Ob 108/81 (ZAS 1983, 101 (Geppert)) (LG Innsbruck 3 Cg 11/81; ArbG Innsbruck Cr 480/80)

Text

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten, ihrem ehemaligen Arbeitnehmer, aus dem Rechtsgrund des § 1431 ABGB die Zahlung eines von ihr an den Beklagten irrtümlich überwiesenen Betrages von 92 138 S samt Anhang. Zur Begründung führt sie aus, sie habe mit Schreiben vom 17. November 1979 das Arbeitsverhältnis des Beklagten zum 31. Dezember 1979 gekundigt. Der dem Beklagten aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an Gehalt für Dezember 1979 und an Abfertigung zustehende Betrag von 92 138 S sei am 31. Dezember 1979 vom Konto der klagenden Partei abgebucht worden. Auf Ersuchen der klagenden Partei habe der Beklagte bis 8. Jänner 1980 weitergearbeitet. Da der vorgenannte Betrag dem Konto des Klägers am 6. Jänner 1980 noch nicht gutgeschrieben gewesen sei, habe er an diesem Tag den Geschäftsführer der klagenden Partei aufgefordert, den ihm zustehenden Betrag endlich zu überweisen. Infolge eines Irrtums habe der Geschäftsführer den Auftrag erteilt, diesen Betrag an den Beklagten (neuerlich) zu überweisen. Dieser habe den genannten Betrag somit ein zweites Mal erhalten.

Der Beklagte beantragte Klageabweisung aus der Erwägung, er habe infolge seines schlechten Gesundheitszustandes und einer nervlichen Überbeanspruchung die Doppelüberweisung nicht als solche erkannt. Er habe auch den zweiten Betrag abgehoben und ihn während seiner Arbeitslosigkeit gutgläubig verbraucht. Im übrigen sei ein allfälliger Rückforderungsanspruch der klagenden Partei gemäß Art. XV des auf das Arbeitsverhältnis der Streitparteien anzuwendenden Kollektivvertrages für die Bediensteten der österreichischen Seilbahnen verfallen.

Die klagende Partei bestritt die Gutgläubigkeit des Beklagten sowie die Anwendbarkeit der Verfallsbestimmung des Kollektivvertrages auf den Rückforderungsanspruch. Die Tatsache der Doppelüberweisung sei der klagenden Partei erstmals im August 1980 bekanntgeworden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ließ die Frage des gutgläubigen Verbrauches des von der klagenden Partei an den Beklagten irrtümlich überwiesenen zweiten Betrages aus der Erwägung offen, daß der Empfänger einer Nichtschuld im Sinne des § 1431 ABGB auch dann zur Rückzahlung verpflichtet sei, wenn er den rechtsgrundlos geleisteten Betrag gutgläubig verbraucht habe. Die Verfallsbestimmung des Kollektivvertrages sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil sie nur für Fälle der vertraglichen Haftung, nicht aber, wie hier, für Fälle der deliktischen Haftung gelte.

Das Berufungsgericht ändert diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es führte das Verfahren gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG neu durch und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der Beklagte war vom 15. Juli 1978 bis zum 31. Dezember 1979 im Seilbahnunternehmen der klagenden Partei als Betriebsleiter angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für die Bediensteten der österreichischen Seilbahnen anzuwenden. Die klagende Partei kundigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17. November 1979 zum 31. Dezember 1979. In der Folge vereinbarten die Parteien mündlich, daß der Beklagte bis zum 10. Jänner 1980 den Dienst weiterversehen solle, weil der Seilbahnbetrieb in Ermangelung eines Betriebsleiters sonst nicht hätte aufrechterhalten werden können. Das dem Beklagten aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehende Entgelt (Dezembergehalt und Abfertigung) wurde mit 92 138 S errechnet und am 31. Dezember 1979 in dieser Höhe vom Konto der klagenden Partei abgebucht. Als der Beklagte am 6. Jänner 1980 feststellte, daß dieser Betrag seinem Konto noch nicht gutgebucht worden war, teilte er dem Geschäftsführer der klagenden Partei mit, er werde seine Tätigkeit unverzüglich einstellen, wenn dieser Betrag nicht an ihn überwiesen werde. Der Geschäftsführer, der sich über die bereits erfolgte Anweisung im Irrtum befand, verfügte neuerlich die Überweisung. Dieser Betrag wurde hierauf dem Beklagten in derselben Höhe am 15. Jänner 1980 neuerlich auf dessen Konto überwiesen, so daß er im Laufe des Monats Jänner 1980 zweimal den Betrag von 92 138 S erhalten hat. Diese Doppelüberweisung fiel im Unternehmen der klagenden Partei erstmals bei der Erstellung der Bilanz im August 1980 anläßlich der Revision der Lohnkonten auf. Die klagende Partei forderte hierauf den Beklagten mit Schreiben vom 20. August 1980 auf, den irrtümlich überwiesenen Betrag rückzuüberweisen. Mit Schreiben vom 29. August 1980 teilte der Beklagte mit, es liege keine Doppelüberweisung vor, er habe die ihm zugekommenen Beträge zur Gänze verbraucht; ein allfälliger Rückforderungsanspruch sei nach dem Kollektivvertrag verfallen.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Rückforderungsanspruch sei gemäß Art. XV Z. 2 des zitierten Kollektivvertrages verfallen. Die Klageforderung wurzle im Arbeitsverhältnis, weil der Rückforderungsanspruch darauf gestützt werde, daß der dem Beklagten im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustehende Entgeltbetrag irrtümlich ein zweites Mal ausgezahlt worden sei.

Infolge Revision der Klägerin stellte der Oberste Gerichtshof das Urteil der Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der in der Rechtsrüge vertretenen Auffassung, die kollektivvertragliche Verfallsbestimmung sei auf den Klageanspruch nicht anzuwenden, weil es sich hiebei nicht um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis handle, ist im Ergebnis beizupflichten.

Gemäß Art. XV des Kollektivvertrages für die Bediensteten der österreichischen Seilbahnen müssen alle Lohnansprüche, einschließlich Zuschüsse und Zulagen, innerhalb von 90 Tagen beim Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten geltend gemacht werden, widrigenfalls sie verfallen. Ausgenommen hievon ist der - im vorliegenden Zusammenhang bedeutungslose - Zeitausgleich (Z. 1). Jedwede Ansprüche des Arbeitgebers müssen ebenfalls innerhalb von 90 Tagen geltend gemacht werden, widrigenfalls sie verfallen sind (Z. 2). Als Fälligkeitstag aller Lohnansprüche bzw. Ansprüche der Arbeitgeber gilt der Auszahlungstag der Bezugsperiode (Z. 3).

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Klageforderung ein Anspruch der klagenden Partei im Sinne des Art. XV Z. 2 KV zugrunde liegt, ist davon auszugehen, daß der Rückforderungsanspruch aus § 1431 ABGB abgeleitet wird. Nach den Feststellungen hat die klagende Partei infolge eines Irrtums den dem Beklagten anläßlich der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zustehenden Entgeltbetrag ein zweites Mal an ihn überwiesen. Daß der Beklagte auf diesen zweiten Betrag Anspruch hätte, wurde von ihm gar nicht behauptet. Dem Berufungsgericht ist nun darin zuzustimmen, daß der in Art. XV Z. 2 des Kollektivvertrages enthaltene Begriff "jedwede Ansprüche des Arbeitgebers" in dem Sinn verstanden werden muß, daß darunter nur Ansprüche des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis fallen. Einem darüber hinausreichenden Begriffsverständnis stunde die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z. 2 ArbVG über den zulässigen Regelungsbereich von Kollektivverträgen entgegen. Nach dieser Bestimmung können durch Kollektivverträge die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer geregelt werden. Für die hier entscheidende Frage der Anwendbarkeit der kollektivvertraglichen Verfallsbestimmung auf den von der klagenden Partei geltend gemachten Kondiktionsanspruch kommt es daher darauf an, ob ein solcher Anspruch zu den gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechten und Pflichten gehört und ob er daher durch eine kollektivvertragliche Inhaltsnorm in zulässiger Weise geregelt werden kann.

In der Judikatur wurde zu der Frage, was zu diesen gegenseitigen Rechten und Pflichten gehört, soweit dies überprüft werden kann, noch nicht näher Stellung genommen. In der Literatur stehen sich im wesentlichen zwei Auffassungen gegenüber: Während nach der einen Meinung - sie wird von Borkowetz (Kollektivvertragsgesetz[3], 31 ff., 38), Nikisch (Arbeitsrecht[2] II, 288) und mit Einschränkungen auch von Hueck - Nipperdey (Lehrbuch des Arbeitsrechts[7] II/1, 251, 255 f.) vertreten - im wesentlichen alles, was geeignet ist, Inhalt eines Arbeitsvertrages zu sein, durch den Kollektivvertrag (Tarifvertrag) geregelt werden kann, ist nach der anderen in Österreich herrschenden Auffassung nur der typische, wesentliche oder regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsverhältnisses einer kollektivvertraglichen Regelung unterworfen (Strasser in ArbVG-Handkommentar, 27; Stanzl, Arbeitsgerichtliches Verfahren, 89, 97; Kuderna, DRdA 1978, 3 ff., insbesondere 7 f.). Für die Richtigkeit der zweiten, einschränkenden Auffassung spricht zunächst schon der Umstand, daß sich die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien nicht auf die allgemeine Vertragsfreiheit, sondern auf die durch § 2 Abs. 2 ArbVG beschränkte gesetzliche Ermächtigung im Wege der Verleihung der Kollektivvertragsfähigkeit grundet (Strasser a.a.O.). Aber auch die Funktion des Kollektivvertrages als Vertragsschablone (vgl. Kafka, Kollektives Arbeitsrecht und Verfassung, 40, in Floretta - Kafka, zur Rechtstheorie des kollektiven Arbeitsrechts) zwingt zu einer solchen Beschränkung des zulässigen Inhalts, weil Vertragsschablonen für den Abschluß von Massenverträgen bestimmt sind und daher deren typischen, regelmäßig wiederkehrenden Inhalt erfassen. Schließlich legt auch die generelle Geltungswirkung der Inhaltsnormen, die sich auch auf die Arbeitnehmer eines kollektivvertragsangehörigen Arbeitgebers, die nicht kollektivvertragsangehörig sind, sohin auf die sogenannten "Außenseiter" (§ 12 ArbVG) erstreckt, den Gedanken an eine einschränkende Begriffsbestimmung nahe (Kuderna a.a.O.).

Legt man nun der Beantwortung der Frage, ob Kondiktionen im normativen Teil von Kollektivverträgen geregelt werden und daher Gegenstand von Inhaltsnormen sein können, diese einschränkende Begriffsbestimmung zugrunde, dann sind wohl Bestimmungen über den Verfall von Entgeltansprüchen, nicht aber die Regelung von Kondiktionsansprüchen und deren Verfall, typischer, regelmäßig wiederkehrender Inhalt von Arbeitsverhältnissen. Die Kollektivvertragsparteien wären daher nicht berechtigt gewesen, derartige für einen Arbeitsvertrag keineswegs kennzeichnende Ansprüche zu regeln. Im Sinne einer mit dem Gesetz (§ 2 Abs. 2 Z. 2 ArbVG) übereinstimmenden Auslegung von Kollektivverträgen sind unter "jedwede Ansprüche" somit nur Ansprüche zu verstehen, die für ein Arbeitsverhältnis typisch sind und zu ihrem wesentlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Inhalt gehören. Dies trifft aber auf Kondiktionsansprüche auch dann nicht zu, wenn es sich um einen mit einem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Rückforderungsanspruch handelt. Auf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Erbringung der nicht geschuldeten Leistung bereits beendet ist, kommt es, wenn, so wie im gegenständlichen Fall, ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht, nicht an. Rechtsgrund des gegenständlichen Rückforderungsanspruches ist nicht der Arbeitsvertrag der Streitteile, sondern eine lediglich im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung irrtümlich erbrachte, rechtsgrundlose Leistung im Sinne des § 1431

ABGB.

Da aus den dargelegten Erwägungen die Verfallsbestimmung des Art. 15 Z. 2 des Kollektivvertrages auf die Klageforderung nicht angewendet werden kann, muß auf die weitere Frage, von welchem Zeitpunkt an die neunzigtägige Verfallsfrist hier in Lauf gesetzt wird (ob von der irrtümlichen Überweisung an oder von der Kenntnis der klagenden Partei von der Doppelüberweisung und der dadurch ausgelösten Klagemöglichkeit) nicht mehr eingegangen werden. Zu prüfen bleibt die Frage der materiellen Berechtigung des Rückforderungsanspruches der klagenden Partei. Hiebei ist davon auszugehen, daß zu viel gezahlter Lohn grundsätzlich als Nichtschuld im Sinne des § 1431 ABGB dann nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Arbeitnehmer die irrtümliche Mehrleistung gutgläubig empfangen und verbraucht hat. Gemäß §§ 1437, 326 ABGB ist derjenige Empfänger einer Nichtschuld als unredlich anzusehen, der weiß oder nach den Umständen wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht gebührt. Der gute Glaube beim Empfang und Verbrauch eines rechtsgrundlosen Dienstbezuges ("Übergenusses") wird nicht nur durch auffallende Sorglosigkeit des Empfängers ausgeschlossen; Redlichkeit ist dem Arbeitnehmer vielmehr schon dann abzusprechen, wenn er - und zwar nicht nach seinem subjektiven Wissen, sondern bei objektiver Beurteilung - an der Rechtmäßigkeit des ihm (rechtsgrundlos) ausgezahlten Betrages auch nur zweifeln mußte (ZAS 1980, 20; DRdA 1979, 197, jeweils mit weiteren Nachweisen; Jud. 33 neu u.v.a.).

Im vorliegenden Fall mußte dem Beklagten bei Anwendung dieser objektiven Beurteilung die innerhalb von wenigen Tagen und auf Grund einer Urgenz des Beklagten erfolgte Doppelüberweisung um so eher auffallen, als die Höhe dieser genau übereinstimmenden Beträge zumindest einen ernsten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zweiten ihm überwiesenen Betrages hätte auslösen müssen. Der Beklagte kann daher - ohne daß es noch einer Verfahrensergänzung in erster Instanz bedarf - schon auf Grund dieser rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes nicht als redlicher Empfänger dieses zweiten Betrages angesehen werden.

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