OGH 4Ob105/19y

OGH4Ob105/19y5.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* M*, vertreten durch Dr. Ullrich Saurer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Univ.‑Doz. Dr. N* K*, vertreten durch Stingl & Dieter Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 21.425 EUR sA und Feststellung (Streitwert 500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2019, GZ 3 R 150/18f‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Oktober 2018, GZ 11 Cg 60/18v‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E125738

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.492,26 EUR (darin enthalten 248,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Im Vorverfahren machte die Ehegattin des hier einschreitenden Klägers gegen einen Krankenhausträger Schadenersatzansprüche wegen eines behaupteten Behandlungsfehlers geltend. Der hier Beklagte fungierte im Vorverfahren als gerichtlicher (medizinischer) Sachverständiger, der sein Gutachten am 2. Jänner 2015 erstattete und im Anschluss daran mündlich erörterte. In der Folge wurde die Klage im Vorverfahren rechtskräftig abgewiesen.

Der Kläger des vorliegenden Verfahrens begehrte die Zahlung von 21.425 EUR sA. In der Klage stützte er sich auf Angehörigenschmerzengeld (5.000 EUR) und Pflegekosten (16.425 EUR); zudem erhob er ein Feststellungsbegehren. Dem Beklagten sei eine mangelhafte Befundaufnahme vorzuwerfen, die zu einem fehlerhaften Gutachten geführt habe. Aufgrund dieses Gutachtens sei die Klage seiner Ehegattin im Vorverfahren abgewiesen worden. Die dadurch ausgelöste Depression seiner Ehegattin habe sich auf ihn übertragen, weil er die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit seiner Ehegattin dauerhaft miterleben müsse. Der Beklagte schulde ihm neben Schmerzengeld auch den Ersatz der Pflegekosten, weil seine Ehegattin wegen ihrer Pflegebedürftigkeit den Haushalt nicht mehr führen könne.

In der Tagsatzung vom 3. 10. 2018 brachte der Kläger ergänzend vor, dass er die geltend gemachten Ansprüche hilfsweise auch darauf stütze, dass ihm seine Ehegattin die Ansprüche abgetreten habe. Kraft Zession mache er hilfsweise außer Schmerzengeld und Pflegekosten auch noch die dem Krankenhausträger im Vorverfahren zugesprochenen Prozesskosten in Höhe von 4.060,15 EUR geltend.

Der Beklagte entgegnete, dass er im Vorverfahren kein fehlerhaftes Gutachten erstattet habe. Außerdem sei die Klage im Vorverfahren nicht nur aufgrund seines Gutachtens abgewiesen worden. Für seine Haftung fehle jeder Rechtsgrund. Das vom Kläger begehrte Angehörigenschmerzengeld stehe diesem nicht zu, weil kein Trauerschaden vorliege. Grund für die Pflegeleistungen sei ausschließlich die Vorerkrankung der Ehegattin des Klägers. Außerdem sei das Klagebegehren unschlüssig, weil der Kläger Ansprüche in Höhe von insgesamt 30.485,15 EUR aufzähle und das Zahlungsbegehren demgegenüber nur mit 21.425 EUR beziffere.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die vom Kläger geltend gemachten eigenen Ansprüche seien unschlüssig, weil sie schon nach dem Klagsvorbringen nicht zustünden. Der behauptete Gutachtensfehler habe weder zu einer schweren Verletzung noch zum Tod der Ehegattin des Klägers geführt. Der Pflegekostenanspruch bestehe nur gegenüber dem unmittelbaren Schädiger; dies sei der Krankenhausträger. Auch die vom Kläger hilfsweise geltend gemachten (von seiner Ehegattin angeblich zedierten) Ansprüche seien unschlüssig. Da das in dieser Hinsicht ziffernmäßige Klagebegehren mit dem Vorbringen des Klägers nicht zusammenpasse, sei für das Gericht unklar geblieben, welche Forderungen der Anspruchsprüfung zugrunde zu legen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Durch das Sachverständigengutachten, das in einem Prozess wegen eines ärztlichen Kunstfehlers eingeholt werde, seien nahe Angehörige der Prozesspartei nicht geschützt. Auch auf einen Schockschaden könne sich der Kläger nicht berufen, weil in einem solchen Fall der Erstschaden in hohem Maß geeignet sein müsse, auch bei bestimmten Dritten einen Gesundheitsschaden herbeizuführen; der Schock müsse im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Dies sei hier nicht der Fall. Hinsichtlich der vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Ansprüche bestehe kein Grund, die Prozesserklärungen des Klägers anders als das Erstgericht zu verstehen. Die Diskrepanz zwischen dem Zahlungsbegehren und der zugrunde liegenden Klagserzählung ließe die Frage unbeantwortet, über welche der eingeklagten Forderungen abzusprechen sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof über eine vergleichbare Konstellation bisher nicht entschieden habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig.

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.

Dies ist hier der Fall.

2. Der Kläger hat mit seiner Klage ein Zahlungsbegehren (über 21.425 EUR) und ein Feststellungsbegehren erhoben. Mit dem Zahlungsbegehren machte er Schmerzengeld (5.000 EUR) und Pflegekosten (16.425 EUR) geltend. Dieses Begehren hat er auf zwei unterschiedliche Anspruchskategorien gestützt, nämlich deliktische Eigenansprüche und hilfsweise von seiner Ehegattin zedierte vertragliche Ansprüche; als solche hilfsweisen Ansprüche nannte er ebenfalls Schmerzengeld und Pflegekosten sowie zusätzlich die Prozesskostenzahlungen an den Krankenhausträger im Vorverfahren (4.060,15 EUR).

Das Feststellungsbegehren ist nicht mehr Gegenstand der Revision. Auch zum Angehörigenschmerzengeld aus dem Titel des Schockschadens nimmt der Kläger in der Revision inhaltlich nicht Stellung. Mit seinem allgemeinen Hinweis, dass ein Sachverständiger gemäß §§ 1295, 1299 ABGB bei Krankheitswert auch einem nahen Angehörigen für schuldhaftes Fehlverhalten hafte, übersieht er, dass es sich bei diesen Bestimmungen um keine Normen handelt, die absolut geschützte Rechtsgüter betreffen, und die Ersatzpflicht daher grundsätzlich auf den aus dem jeweiligen konkreten (vertraglichen oder deliktischen) Schuldverhältnis Berechtigten beschränkt ist (vgl RIS‑Justiz RS0026234). Der Kläger muss sich daher auf eine taugliche Anspruchsgrundlage stützen können. Der hier vom Kläger behauptete Krankheitswert reicht für einen schadenersatzrechtlichen Zurechnungsgrund in der gegebenen Konstellation nicht aus. Auf den Anspruch auf Pflegekosten ist der Kläger bereits in der Berufung nicht mehr zurückgekommen (vgl RS0043573).

3.1 Die Vorinstanzen haben sowohl die Eigenansprüche des Klägers als auch die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche wegen Unschlüssigkeit abgewiesen.

Zu den Eigenansprüchen haben sie die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens damit begründet, dass dieses schon ausgehend vom Klagsvorbringen nicht zu Recht bestehe. Dabei handelt es sich um ein Unschlüssigkeitsurteil aus materiellen Gründen, weil der Anspruch von vornherein nicht besteht, also rechtlich unbegründet ist (vgl 8 Ob 126/12f).

Dazu steht der Kläger in der Revision auf dem Standpunkt, dass von einem gerichtlichen Sachverständigengutachten in einem Kunstfehlerprozess auch ein naher Angehöriger geschützt sei. Bei einem Behandlungsvertrag sei anerkannt, dass es sich um einen Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter handle; dies müsse auch für einen Arzt als Gutachter gelten.

Der vom Berufungsgericht in seinem Zulässigkeitsausspruch herangezogene Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, begründet dann keine erhebliche Rechtsfrage, wenn – wie hier – die Rechtslage eindeutig ist oder die relevanten Grundsätze in der Rechtsprechung geklärt sind (vgl RS0102181).

3.2 Die Haftung eines (hier gerichtlichen) Sachverständigen gegenüber einem Dritten wird in der Rechtsprechung dann anerkannt, wenn das Gutachten für den Sachverständigen erkennbar gerade auch die Interessen des Dritten mitverfolgt. In diesem Fall sind die objektiv‑rechtlichen Sorgfaltspflichten auf den Dritten zu erstrecken. Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverständige damit rechnen muss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis gelangen und diesen als Grundlage für ihre Dispositionen dienen wird. Geschützt ist demnach der Dritte, wenn eine Aussage im Gutachten erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Wesentlich ist daher vor allem, zu welchem Zweck das Gutachten erstattet wurde. Diese Beurteilung richtet sich nach der Verkehrsübung (8 Ob 51/08w; vgl auch RS0106433; RS0026552).

Die Vorinstanzen sind dazu von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Ihre Schlussfolgerung, dass der Zweck des zugrunde liegenden Gutachtensauftrags darin bestand, die Entscheidungsgrundlage für den von der Ehegattin des Klägers behaupteten Behandlungsfehler zur Beurteilung ihrer aus dem Behandlungsvertrag abgeleiteten Ansprüche zu schaffen, nicht hingegen darin, einen Vertrauenstatbestand für ihren Ehegatten im Hinblick auf den Prozesserfolg seiner Gattin zu schaffen, begründet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Im Allgemeinen muss der medizinische Sachverständige in einem Kunstfehlerprozess nicht mit Depressionen des Klägers/der Klägerin rechnen, die aus einem Prozessverlust resultieren.

4.1 Die vom Kläger hilfsweise geltend gemachten (von seiner Ehegattin zedierten) vertraglichen Ansprüche haben die Vorinstanzen wegen – trotz Erörterung – nicht aufgeklärter Widersprüchlichkeit zwischen dem ziffernmäßigen Zahlungsbegehren und dem Klagsvorbringen und der daraus resultierenden fehlenden Nachvollziehbarkeit des Zahlungsbegehrens abgewiesen.

Dazu führt der Kläger in der Revision aus, dass „sein unerhebliches Vorbringen zur Prozesskostenzahlung an den Krankenhausträger im Vorverfahren“ ein a limine schlüssiges Begehren nicht unschlüssig machen könne.

4.2 Die Fragen, ob die Prozessbehauptungen schlüssig sind und ob das Klagebegehren ziffernmäßig bestimmt ist, sind typisch von den Umständen des Einzelfalls abhängig und begründen in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0116144 [T29]; RS0037874 [T33]).

Werden aus einem rechtserzeugenden Sachverhalt mehrere Ansprüche abgeleitet und in einer Klage geltend gemacht, so muss in einem solchen Fall der objektiven Klagenhäufung jeder der Ansprüche zumindest in der Begründung ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein, um dem Bestimmtheitsgebot des § 226 ZPO zu entsprechen. Ohne eine solche Aufschlüsselung ist es nämlich nicht möglich, den Umfang der Rechtskraft einer Teilabweisung des Zahlungsbegehrens zu bestimmen und damit die Frage zu beantworten, über welche der eingeklagten Forderungen endgültig abgesprochen wurde. Werden nach der Klagserzählung mehrere Ansprüche behauptet, die ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben können, die in der Summe mit dem Zahlungsbegehren aber nicht übereinstimmen, so wird in rechtlicher Hinsicht ein pauschaler Teilanspruch geltend gemacht. In einem solchen Fall hat der Kläger klarzustellen, welche Teile von seinem pauschal formulierten Begehren erfasst sein sollen. Demgegenüber ist eine alternative Klagenhäufung (Alternativbegehren, wobei über die mehreren Ansprüche gleichzeitig entschieden werden soll), bei der der Kläger dem Gericht die Wahl überlässt, welchen Anspruch es zusprechen will, mangels Bestimmtheit des Begehrens unzulässig, und zwar selbst dann, wenn nur ein Teilbetrag der angeblich insgesamt zustehenden Forderungen eingeklagt wird (7 Ob 52/16x; vgl RS0031014 [T21]).

Die Vorinstanzen sind auch in Bezug auf die vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Ansprüche von den zutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Ihre Beurteilung, dass zu diesen Ansprüchen nicht nur jene auf Schmerzengeld und Pflegekosten, sondern auch jene auf Ersatz der Prozesskostenzahlung an den Krankenhausträger im Vorverfahren gehörten und die dazu vom Kläger in der Klagserzählung genannten Ansprüche mit dem Zahlungsbegehren nicht zusammenpassten und der Kläger trotz Erörterung das Zahlungsbegehren nicht präzisiert habe, weshalb zu den hilfsweise geltend gemachten Ansprüchen eine unzulässige alternative Klagenhäufung vorliege, hält sich ebenfalls im Rahmen der Rechtsprechung. Warum es sich bei seinen Ausführungen zum Ersatz der Prozesskostenzahlung an den Krankenhausträger im Vorverfahren um ein (für das Erstgericht erkennbar) „unerhebliches Vorbringen“ gehandelt haben soll, vermag der Kläger nicht zu begründen.

5. Insgesamt gelingt es dem Kläger mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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