Spruch:
Die Bewertungsvorschrift des § 60 Abs. 2 JN, wonach als Wert einer grundsteuerpflichtigen unbeweglichen Sache deren Einheitswert anzusehen ist, ist nur dort anzuwenden, wo die unbewegliche Sache den Streitgegenstand bildet, also die Liegenschaft streitverfangen ist
OGH 1. Dezember 1982, 3 Ob 689/82 (OLG Wien 13 R 136/82)
Text
Die Klägerin stellte das - auf § 97 ABGB gegrundete - Begehren, der Beklagte sei schuldig, alles zu unterlassen und vorzukehren, damit die Klägerin die Benützung der Liegenschaft EZ 368 KG P samt dem darauf errichteten Zweifamilienhaus nicht verliere. Die bezeichnete Liegenschaft stand im gleichteiligen Miteigentum der Streitteile, die miteinander verheiratet sind. Am 17. 8. 1981 hat der Beklagte seinen Hälfteanteil verkauft; die Erwerber haben dem Beklagten auf dessen Lebensdauer das Wohnrecht "in zwei Räumen der ebenerdig links vom Eingang gelegenen Wohnung" und das Mitbenützungsrecht an verschiedenen weiteren Räumlichkeiten eingeräumt. In dem Vertrag wird festgehalten, das Wohnrecht und die Mitbenützungsrechte seien dem Beklagten bisher "auf Grund einer Benützungsregelung mit der Liegenschaftseigentümerin" (der Klägerin) zugestanden "in welche die Käufer eintreten". Die Klägerin hat ihr Begehren mit 70 000 S bewertet und hiezu ausgeführt, der Einheitswert der Liegenschaft betrage 140 000 S; die Klage beziehe sich auf einen Hälfteanteil der Liegenschaft.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten gegen das Urteil des Erstgerichtes erhobenen Berufung nicht Folge und sprach gemäß § 500 Abs. 2 ZPO aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S nicht übersteige.
Die vom Beklagten gegen dieses Urteil erhobene Revision wies das Berufungsgericht als unzulässig zurück. Der Ausspruch gemäß § 500 Abs. 2 ZPO, bei dem das Berufungsgericht an die Bewertung der Klägerin in der Klage nicht gebunden sei, sei unüberprüfbar, außer es wäre eine Bewertung überhaupt nicht vorzunehmen gewesen oder im Widerspruch zu einer sinngemäßen Anwendung der einschlägigen Vorschriften der Jurisdiktionsnorm erfolgt. Das Berufungsgericht habe eine Bewertung nach § 500 Abs. 2 ZPO vorgenommen, weil der Streitgegenstand nicht in einem Geldbetrag bestehe. Dieser Bewertung seien auch zwingende Bewertungsvorschriften der Jurisdiktionsnorm nicht entgegengestanden. Eine solche Vorschrift könnte nur in der Bestimmung des § 60 Abs. 2JN erblickt werden, wonach als Wert einer grundsteuerpflichtigen unbeweglichen Sache der - an die Stelle des Steuerschätzwertes getretene - Einheitswert in Betracht komme. Diese Vorschrift sei aber nur anzuwenden, wenn eine grundsteuerpflichtige unbewegliche Sache selbst den Streitgegenstand bilde. Im vorliegenden Fall sei nicht die Liegenschaft selbst streitverfangen, das Begehren sei vielmehr auf Handlungen und Unterlassungen zur Verhinderung eines Verlustes ihrer Benützung gerichtet. Der Wert eines solchen Anspruches sei nicht ident mit dem Wert der Liegenschaft. Es sei daher die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen und die Revision zurückzuweisen gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß § 500 Abs. 2 ZPO hat das Berufungsgericht, wenn es das Urteil der ersten Instanz bestätigt und der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entscheidet, nicht ausschließlich in einer Geldsumme besteht, im Urteil auszusprechen, ob der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt. Auf die Berechnung des Wertes des Streitgegenstandes sind die §§ 54 bis 60 JN sinngemäß anzuwenden, doch ist das Gericht nicht an eine Geldsumme gebunden, die der Kläger als Wert des Streitgegenstandes angegeben hat.
Die Vorschrift des § 500 Abs. 2 ZPO ist demnach unanwendbar, wenn der Streitgegenstand in einer Geldsumme besteht, und ebensowenig, wo der Streitgegenstand überhaupt keinen Geldeswert besitzt, sich also in geld- oder vermögensrechtlicher Form nicht ausdrücken läßt. Was nicht Gegenstand der vermögensrechtlichen Realisierung oder Verwertung sein kann, darf auch nicht bewertet werden und fällt daher nicht unter die Revisionsbeschränkung des § 502 Abs. 3 ZPO; dazu gehören alle Streitigkeiten über Statusverhältnisse und über höchstpersönliche Ansprüche, die ihrem Wesen nach einer Bewertung durch Geld unzugänglich sind (Fasching IV 232).
Daß die Bewertung des Streitgegenstandes durch das Berufungsgericht aus den aufgezeigten Gründen gesetzwidrig und unzulässig gewesen sei und daher den OGH nicht binde (Fasching aaO), behauptet der Beklagte allerdings auch nicht; er meint vielmehr, das Berufungsgericht sei an die von der Klägerin vorgenommene Bewertung gebunden gewesen, da das Berufungsgericht zur Wertermittlung die §§ 54 bis 60 JN sinngemäß anzuwenden habe.
Da § 56 Abs. 2 und § 59 JN die Wertermittlung in dem dort bezeichneten Rahmen in die Hand des Klägers legen, hätte dieser es durch willkürliche Wertbemessung in der Hand, die Zulässigkeit der Revision entscheidend zu bestimmen. Dies widerspricht dem Grundgedanken des § 500 Abs. 2 und des § 502 Abs. 3 ZPO. Daher kann in jenen Fällen, in denen der Kläger ein freies Bewertungsrecht hat (§ 56 Abs. 2, § 59 JN), das Berufungsgericht ohne Bindung an die vom Kläger in der Klage vorgenommene Bewertung selbst den Streitgegenstand bewerten (Fasching aaO 232).
Entgegen der Meinung des Beklagten hatte die Bewertung des Streitgegenstandes im vorliegenden Fall nicht nach § 60 Abs. 2JN, sondern nach § 56 Abs. 2, § 59 JN zu erfolgen. Nach § 59 JN ist bei Klagen auf Vornahme von Arbeiten oder anderen persönlichen Leistungen, auf Duldung oder Unterlassung und auf Abgabe von Willenserklärungen die vom Kläger angegebene Höhe seines Interesses als Wert des Streitgegenstandes anzusehen; nach § 60 Abs. 2 JN ist als Wert einer grundsteuerpflichtigen unbeweglichen Sache jener Betrag anzusehen, der als Steuerschätzwert für die Gebührenbemessung in Betracht kommt. § 60 Abs. 2 JN ist jedoch, wie vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt wurde, nur dort anzuwenden, wo eine grundsteuerpflichtige unbewegliche Sache den Streitgegenstand bildet, wo also die Liegenschaft streitverfangen ist (Fasching I 364; RZ 1965, 46). Dies ist hier nicht der Fall; denn die Klägerin begehrt vom Beklagten, "alles zu unterlassen und vorzukehren, damit sie die Benützung der Liegenschaft ... nicht verliert". Das vorliegende Begehren war daher gemäß § 59 JN (als Sonderfall des § 56 Abs. 2 JN) zu bewerten.
Für die Bewertung des Streitgegenstandes im Berufungsverfahren nach § 500 Abs. 2 ZPO ist zwar auch § 59 JN sinngemäß anzuwenden; dies hindert jedoch, wie bereits ausgeführt wurde, nicht, daß das Berufungsgericht das Interesse des Klägers anders bewertet und somit von der klägerischen Bewertung abweicht (Fasching I 359), wie im § 500 Abs. 2 ZPO ausdrücklich bestimmt wird.
Gemäß § 500 Abs. 4 ZPO findet ein Rechtsmittel gegen Aussprüche iS des § 500 Abs. 2 ZPO nicht statt; eine Überprüfung des genannten Ausspruches, soweit er nicht nach den vorstehenden Ausführungen unbeachtlich ist, ist daher ausgeschlossen. Vom OGH ist daher auch nicht zu überprüfen, welchen Wert das Unterlassungsbegehren nach Meinung des Beklagten für die Parteien repräsentiert und wie groß der Marktwert der Wohnung der Klägerin ist.
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