Spruch:
§ 410 ZPO. ist auch für den Fall anzuwenden, daß dem Geldschuldner vom Kläger freigestellt wird, anstatt des geschuldeten Geldes eine bestimmte Sache zu leisten (facultas alternativa).
Entscheidung vom 20. Oktober 1954, 3 Ob 644/54.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Klägerin behauptet in ihrer Klage, die Beklagte sei Gesellschafterin der oHG. D. & Co., Mineralölgroßhandel gewesen und sei am 1. September 1953 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Sie werde gemäß § 128 HGB. für die Schulden der Gesellschaft in Anspruch genommen. Die Klägerin habe mit D. & Co. eine Kaufvereinbarung über verschiedene Gebinde (im einzelnen angeführt) zum Gesamtkaufpreis von 16.122 S abgeschlossen. Auf den Kaufpreis sei ein Nachlaß von 7% gewährt worden. Es seien einige Gebinde geliefert worden, der Vertrag sei aber nicht erfüllt worden. Nach wiederholten Mahnungen sei die Klägerin unter Nachfristsetzung vom Vertrage zurückgetreten. Sie sei gezwungen gewesen, sich die Gebinde anderwärts, aber zu einem weitaus höheren Preise zu verschaffen. Sie begehrte nun die Differenz zum Kaufpreis aus dem Titel des Schadenersatzes. Dieser Schaden betrage 15.381.60 S (im einzelnen ausgeführt). Um jede fruchtlose Erörterung über den Rücktritt vom Vertrage zu vermeiden, gebe die Klägerin der Beklagten noch einmal die Möglichkeit, im Sinne des § 56 JN. und 12 EO. zu wählen, ob sie den Vertrag erfüllen oder Schadenersatz zahlen wolle. Sie stellt das Urteilsbegehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, der Klägerin 1. entweder die näher bezeichneten Drams, franko Wien zu liefern, oder 2. den Betrag von 15.381.60 S zu bezahlen.
Da die Beklagte zur ersten Tagsatzung nicht erschienen war, fällte das Erstgericht auf Antrag der Klägerin ein Versäumungsurteil nach dem Klagebegehren.
Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Das Klagebegehren sei nicht schlüssig. Wenn die Klägerin vom Vertrage zurückgetreten sei, könne sie nicht mehr die Leistung begehren. Das Klagebegehren sei zwar in zwei Teile gegliedert, stelle aber ein einheitliches Alternativbegehren dar, das in der Klagserzählung keine Begründung finde. Anders wäre es, wenn eine Alternativermächtigung eingeräumt worden wäre. Das Begehren könne aber nicht auf eine Alternativermächtigung abgeändert werden, weil dies kein minus, sondern ein aliud wäre.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und verurteilte die Beklagte zur Zahlung, wovon die sich durch Lieferung befreien könne.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gemäß § 396 ZPO. ist das Vorbringen der erschienenen Partei für wahr zu halten. Demnach ist die Klägerin hinsichtlich des nicht erfüllten Teiles des Vertrages nach Setzung einer Nachfrist zurückgetreten. Nach rechtgültigem Rücktritt vom Vertrage kann aber die Klägerin nicht mehr auf Lieferung bestehen, sondern kann nur Schadenersatz begehren. Nun ergibt sich aber eindeutig aus den Klagsausführungen, daß die Klägerin einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung erhebt. Sie wäre allerdings bereit, der Beklagten die Möglichkeit zur Nachlieferung einzuräumen, um, wie sie als Motiv anführt, unfruchtbare Erörterungen über den Rücktritt zu vermeiden.
Klägerin will also der Beklagten nur die Möglichkeit bieten, an Stelle des von der Klägerin begehrten Geldbetrages die vereinbarte Sache zu leisten. Man wird daher dem Sinne des Klagebegehrens nur dann gerecht, wenn es als Einräumung einer facultas alternativa gedeutet wird, die nur ungenau formuliert ist. Ein klagbarer Anspruch auf Leistung steht der Klägerin nach ihrer eigenen Behauptung nicht zu. Man kann daher das gestellte Klagebegehren nicht als Alternativbegehren auffassen, das in der Tat abgewiesen werden müßte und auch nicht in der Form aufrecht erhalten werden könnte, daß nur dem nach dem Klagevorbringen begrundeten Schadenersatzbegehren Folge gegeben und das Leistungsbegehren abgewiesen wird, weil die Verurteilung zu einer von mehreren alternativ begehrten Leistungen unzulässig ist (OG. Brünn, Slg. 11.593, 14.867, 16.920).
Ist aber das Sachleistungsbegehren nur als alternative Ermächtigung gemeint, so steht einer Verurteilung zur Schadenersatzleistung in Geld unter Vorbehalt der Ermächtigung an die Beklagte an dessen Stelle zu liefern, kein Hindernis entgegen. § 410 ZPO. regelt zwar nur den umgekehrten Fall ausdrücklich, daß eine Sachleistung begehrt und der Beklagten eine Ablöse in Geld freigestellt wird. Doch ist nicht einzusehen, warum nicht auch der umgekehrte Fall zugelassen werden soll, daß zur Geldleistung verurteilt und eine Sachleistung freigestellt wird. Die alternative Ermächtigung bildet niemals einen Exekutionstitel, sie bedeutet nicht mehr, als daß der Kläger erklärt, dem Beklagten freiwillig die Möglichkeit zu gewähren, sich durch eine Ersatzleistung von der Klagsverbindlichkeit zu befreien. Sie hat also bloß zivilrechtliche Wirkungen, die das Gesetz in das Urteil zur Verdeutlichung aufzunehmen gestattet. Da das Gesetz an die Aufnahme der alternativen Ermächtigung keine prozessualen Wirkungen knüpft, so entspricht es der Ratio des § 410 ZPO., diese Gesetzesstelle auch auf den Fall anzuwenden, daß dem Geldschuldner vom Kläger freigestellt wird, anstatt des geschuldeten Geldes eine bestimmte Sache zu leisten.
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