Spruch:
Zur Haftung a) des Inhabers einer Sporttotoannahmestelle und b) desjenigen, der diese Annahmestelle tatsächlich im Rahmen eines anderen Unternehmens führt, für Schäden, die einem Tototeilnehmer durch Nichteinsendung des Teilnahmescheines erwachsen sind.
Entscheidung vom 27. Oktober 1954, 3 Ob 548/54.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Nach den Feststellungen der Untergerichte hat der 14jährige Sohn der Klägerin am Freitag, den 12. Jänner 1951, in ihrem Auftrag einen auf ihren Namen lautenden und in sämtlichen Abschnitten gleichlautend ausgefüllten Teilnahmeschein des 22. Totobewerbes dem Erstbeklagten, der damals die der zweitbeklagten Partei verliehene Annahmestelle in Linz führte, übergeben. Dieser hat, nachdem ihm der vorgeschriebene Einsatz bezahlt worden war, den Abschnitt 1 von den Abschnitten 2 und 3 abgetrennt und den abgetrennten und abgestempelten Abschnitt 1 dem Sohne der Klägerin ausgefolgt. Die von ihm zurückbehaltenen Abschnitte 2 und 3 hat der Erstbeklagte nicht an die Dienststelle des Sporttotos in Wien eingesendet. Das hatte zur Folge, daß die Klägerin, obwohl sie in der ersten Tipkolonne ihres Teilnahmescheines 12 richtige Voraussagen gemacht hätte, ihres Gewinnanspruches im ersten Rang in der unbestrittenen Höhe von 48.870.50 S verlustig wurde.
Die Klägerin begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes die Verurteilung der drei beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung des ihr entgangenen Totogewinnes.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nur hinsichtlich der beiden erstbeklagten Parteien statt, wies es aber bezüglich der drittbeklagten Republik Österreich ab. Es sah in dem Verhalten des Erstbeklagten, der die Einsendung der Abschnitte 2 und 3 des von ihm übernommenen Teilnahmescheines der Klägerin an die Dienststelle des Sporttotos in Wien unterließ, eine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 1324 ABGB., die der Erstbeklagte gemäß § 1295 ABGB. zu vertreten habe. Der Zweitbeklagte, der sich zur Erfüllung seiner Verpflichtungen des Erstbeklagten bedient habe, habe sich durch Annahme des Teilnahmescheines und des Einsatzes der Klägerin gegenüber zur ordnungsgemäßen Weiterleitung des Teilnahmescheines an die Dienststelle des Sporttotos ins Wien verpflichtet und hafte ihr für das Verschulden des Erstbeklagten gemäß § 1313a ABGB. Hingegen komme eine Haftung der Drittbeklagten nach § 1313a ABGB. nicht in Betracht, da zufolge der Bestimmungen der §§ 10 und 6 Abs. 3 der zweiten Sporttoto-Verordnung vom 20. Juli 1950, BGBl. Nr. 163, der Wettvertrag zwischen dem Einzelteilnehmer und der Dienststelle erst mit dem fristgerechten Einlangen des Teilnahmescheines bei der Dienststelle abgeschlossen sei.
Das Urteil des Erstgerichtes wurde nur von der erstbeklagten Partei angefochten, ist also hinsichtlich der zweit- und drittbeklagten Parteien in Rechtskraft erwachsen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstbeklagten nicht Folge. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß der Klägerin das Vertrauen auf den äußeren Tatbestand zugutekomme und der Erstbeklagte für den von ihm geschaffenen äußeren Tatbestand zu haften habe. Denn er habe die Annahmestelle in seinem Lebensmittelgeschäft betrieben und eine der Geschäftsauslagen dem Zwecke der Werbung für die Annahmestelle gewidmet, indem er dort ein Plakat anbrachte, das das Wort "Toto-Annahmestelle" und darüber in den Ecken zwei aus Plakaten ausgeschnittene Wimpel mit der Aufschrift "ASK-Sparta" aufwies. Der äußere Tatbestand eines Geschäftslokales spreche nach der Verkehrsauffassung dafür, daß der Inhaber des Geschäftes der Vertragspartner für alle in diesem Lokal zustande gekommenen Geschäfte ist. Dies müsse auch dann gelten, wenn ein Geschäftsinhaber in seinem Geschäft auch eine Toto-Annahmestelle führt. Dieser äußere Tatbestand sei so stark, daß er zur Widerlegung eines klaren und eindeutigen Hinweises bedürfe. Die Anbringung der Wimpel in den oberen Ecken des erwähnten Plakates sei kein solcher Hinweis, der im Betrachter die Vorstellung hervorrufen müsse, es handle sich um die Toto-Annahmestelle des Sportklubs "Sparta". Die Anbringung der Wimpel könne auch nur als Blickfang oder als Reklame für den Fußballsport im allgemeinen oder den ASK-Sparta im besonderen aufgefaßt werden. Die Wimpel können auch bedeuten, daß der Geschäftsinhaber Mitglied oder Anhänger dieses Sportvereines sei, oder es könne damit auch eine Werbung in dem Sinn beabsichtigt sein, daß gerade die Mitglieder oder Anhänger dieses Sportvereins ihre Teilnahmescheine in dieser Toto-Annahmestelle abgeben sollen. Jedenfalls spreche die festgestellte Ausstattung der Auslage nicht dafür, daß damit klar zum Ausdruck gebracht wurde, die Annahmestelle stehe in der Inhaberschaft des ASK-Sparta. Eine solche Kennzeichnung hätte nach der Verkehrsübung nur durch deutlichere Hinweise geschehen können, etwa dadurch, daß auf dem Plakat gestanden wäre "Toto-Annahmestelle des ASK-Sparta". Unterstützend komme noch dazu, daß der Erstbeklagte auf der Rückseite des Teilnahmescheines seine Firmenstampiglie und nicht eine Stampiglie der zweitbeklagten Partei aufgedruckt habe, worin ebenfalls zum Ausdruck kam, daß er sich als Inhaber der Totoannahmestelle geriete. Die Klägerin konnte sich somit auf den vom Erstbeklagten geschaffenen äußeren Tatbestand stützen und werde in ihrem Vertrauen auf diesen äußeren Tatbestand geschützt. Daß sie ungeachtet des äußeren Tatbestandes zu der Zeit, als sie durch ihren Sohn den Teilnahmeschein abgeben ließ, den wahren Sachverhalt kannte, sei nicht behauptet worden. Es sei dies auch nicht anzunehmen, weil die Klägerin das Geschäft des Erstbeklagten und die von ihm geführte Annahmestelle vorher nicht gekannt habe. Aus der Tatsache, daß sie ihre Klage gegen den Erstbeklagten und den ASK-Sparta richtete, folge noch nicht ihre Kenntnis zur Zeit der Übergabe des Teilnahmescheines.
Im übrigen schloß sich das Berufungsgericht der Ansicht des Erstgerichtes an, daß die Unterlassung der primären Verpflichtung zur Einsendung des übernommenen Teilnahmescheines an die Dienststelle des Sporttotos durch den Erstbeklagten eine auffallende Sorglosigkeit darstelle und billigte auch dessen Rechtsansicht, daß die Bestimmungen des § 10 der zweiten Sporttoto- Verordnung lediglich den Wettvertrag zwischen den Teilnehmern und der Republik Österreich, Dienststelle für Staatslotterien, Abteilung Sporttoto regeln, ohne hiedurch dritte Personen nichtöffentlichen Rechtes, wie z. B. die Annahmestellen, von der sie nach den allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen treffenden Haftung ausschließen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Erstbeklagten Folge und wies das gegen ihn gerichtete Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Ansicht des Berufungsgerichtes ist beizupflichten, daß die Tatsache der Nichtabsendung des fraglichen, vom Erstbeklagten übernommenen Teilnahmescheines der Klägerin noch keinen selbständigen Rechtsanspruch gegen den Erstbeklagten gibt, weil objektiv eine Rechtsverletzung nicht stattgefunden hat. Die Handlung bzw. Unterlassung des Erstbeklagten konnte daher, um seine Schadenersatzpflicht im Sinne der Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB. der Klägerin gegenüber zu begrunden, nur mit Beziehung auf ein Vertragsverhältnis zur Klägerin zu einer unerlaubten werden.
Es kommt also entscheidend darauf an, ob zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten rechtsgeschäftliche Beziehungen begrundet wurden.
Die Untergerichte haben unbekämpft festgestellt, daß der Erstbeklagte die dem Zweitbeklagten verliehene Sporttoto-Annahmestelle für den Zweitbeklagten in seinem Lebensmittelgeschäft geführt hat. Zwischen Erstbeklagten und Zweitbeklagten bestand also von vornherein Willensübereinstimmung dahingehend, daß alle vom ersteren mit Teilnehmern am Totobewerb getätigten Geschäfte unmittelbare Wirkungen bei dem Zweitbeklagten erzeugen sollten. Das Erstgericht hat, ohne die Frage zu prüfen, ob das interne Verhältnis zwischen Erst- und Zweitbeklagten der Klägerin bekannt war, die unmittelbare Haftung des Zweitbeklagten gegenüber der Klägerin in der Erwägung angenommen, daß sich der Zweitbeklagte zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin der Erstbeklagten bedient habe. Das Berufungsgericht, das mangels eines vom Zweitbeklagten ergriffenen Rechtsmittels nicht in die Lage kam, das gegen ihn ergangene Urteil zu überprüfen, war wiederum der Meinung, daß der Erstbeklagte mit Rücksicht auf den von ihm geschaffenen äußeren Tatbestand, also weil er der Klägerin gegenüber mit verdeckter Vollmacht aufgetreten ist, von der Klägerin mit Recht als Kontrahent im eigenen Namen in Anspruch genommen werde. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Auf den äußeren Tatbestand kommt es diesmal nicht an. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt vielmehr darin, ob und inwieweit es in der Absicht der Parteien lag, rechtsgeschäftliche Beziehungen zueinander zu begrunden. Diese Absicht ist bei der zweitbeklagten Partei, als der Inhaberin der Annahmestelle, ohneweiters zu bejahen; sie scheidet aber beim Erstbeklagten aus, denn er wollte das Geschäft nicht für sich selbst, sondern für die von ihm vertretene zweitbeklagte Partei abschließen. Nicht so klar wie bei den beiden Erstbeklagten tritt der Willensentschluß bei der Klägerin in Erscheinung. Er läßt sich aber aus den Umständen ohneweiters feststellen. Die Erfahrung des täglichen Lebens zeigt, daß eine Person, die die Absicht hat, am Totobewerb teilzunehmen, die nächstgelegene, mit dem bekannten Schild "Sporttoto-Annahmestelle" gekennzeichnete Annahmestelle aufsucht, dort den Teilnahmeschein abgibt und den Einsatz bezahlt. Die Willensrichtung des Teilnehmers am Totobewerb geht also dahin, sich die Teilnahmeberechtigung durch Vermittlung irgendeiner Annahmestelle zu sichern. Es kommt ihm nicht darauf an, zu wissen, wer die Annahmestelle führt, sondern nur darauf, daß er es mit einer offiziell genehmigten Annahmestelle zu tun hat. So war es auch im Falle der Klägerin. Sie hat damals zum erstenmal "im Toto gespielt". Sie wußte gar nicht, daß sich im Geschäftslokal des Erstbeklagten eine Annahmestelle befindet, denn sie hat im Geschäft des Erstbeklagten nur ein einziges Mal eingekauft. Der von ihr beauftragte Sohn lief etwa 10 Minuten vor 1/2 19 Uhr, also kurz vor Annahmeschluß - es war überdies ein Freitag - in das Geschäft des Erstbeklagten, weil dessen Annahmestelle am nächsten gelegen war. Der Klägerin war es also von allem Anfang an ganz gleichgültig, welche Annahmestelle ihr Sohn aufsuchte und von wem diese geführt wird. Sie hatte überhaupt kein Interesse an der Person ihres Geschäftspartners. Es war ihr nur darum zu tun, ihre Teilnahmeberechtigung am Totobewerb rechtzeitig zu sichern. Sie hätte das Geschäft auch dann abgeschlossen, wenn sie gewußt hätte, daß nicht der Erstbeklagte, mit dem ihr Sohn verhandelte, sondern der Zweitbeklagte, ihr Vertragspartner sein sollte. Sie hat schließlich auch den Zweitbeklagten als ihren Vertragspartner wegen Schadenersatz aus dem Vertragsverhältnis geklagt.
War aber der Abschluß des Geschäftes von der Klägerin auf jeden Fall gewollt, dann ist es belanglos, ob der Wille des Erstbeklagten, im Namen des Zweitbeklagten zu handeln, der Klägerin erkennbar geworden ist oder nicht. In diesem Falle bestimmt der Wille des Erstbeklagten die Richtung des Vertrages. Die Klägerin kann sich auf den vom Erstbeklagten geschaffenen äußeren Tatbestand nicht stützen, weil sie nicht im Vertrauen darauf gehandelt hat. Auch aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherheit bestunde das Bedürfnis nach einem solchen Vertrauensschutz nicht, weil sich in jedem Fall der tatsächliche Inhaber einer Sportoto-Annahmestelle unschwer feststellen läßt.
Aus dem Gesagten folgt, daß mangels Entstehens eines Eigenvertrages der Erstbeklagte passiv zur Klage nicht legitimiert ist.
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