OGH 3Ob547/87

OGH3Ob547/8723.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Deborah Sue W***, geboren am 24.Juli 1950 in Wichita, Kansas, USA, im Haushalt, Beckenridge, Colorado 80424, USA, vertreten durch Dr.Franz P***, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Parei Alois W***, geboren am 16. Juni 1945 in Jerzens, Maurer, 6460 Jerzens 202, vertreten durch Dr.Otmar O***, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 10. April 1987, GZ 2 R 31/87-56, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 5.November 1986, GZ 6 Cg 597/82-54, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.397,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 24.Juli 1950 geborene Frau und der am 16.Juni 1945 geborene Mann haben am 16.September 1973 die Ehe geschlossen. Der Mann ist österreichischer Staatsbürger, die Frau gehört den Vereinigten Staaten von Amerika an. Sie hatten beide ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Der Mann hat diesen gewöhnlichen Aufenthalt beibehalten. Die Ehegatten haben die gemeinsamen Kinder Tanja Elisabeth W***, geboren am 6.März 1974, Derreck Douglas W***, geboren am 28.April 1976, und Bianca W***, geboren am 13.Mai 1979.

Im Sommer 1981 kehrte die Frau mit den Kindern in ihre Heimat

nach Colorado zurück.

Mit ihrer am 3.September 1982 erhobenen Klage begehrte die Frau die Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Mannes und die Leistung von Unterhalt. Der Mann habe nach wenigen Ehejahren das Interesse an seiner Ehefrau und an den Kindern verloren, häufig Gasthäuser zum Kartenspiel aufgesucht, sich nach Erwerb des Jagdscheines der Jagd gewidmet und noch weniger Zeit für seine Familie gehabt. Er habe bei einer Auseinandersetzung die Frau grundlos beschimpft, mit Gegenständen um sich geworfen und einen Schuß aus der Pistole abgefeuert, worauf die Frau nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung bleiben wollte und mit den Kindern in ihre Heimat zog. Durch die schweren Eheverfehlungen des Mannes habe er schuldhaft die Ehe so tief zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne (§ 49 EheG).

Der Mann beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, jedenfalls aber die überwiegende Mitschuld der Frau auszusprechen (§ 60 Abs 3 EheG). Die Ehe sei unglücklich verlaufen, weil die Frau Heimweh hatte, kein Interesse am Betrieb des Gasthauses zeigte, das sich der Mann auf elterlichem Grund gebaut hatte, und ihm kein warmes Essen bereitete, wenn er von seiner Arbeit als Schilehrer und Maurer heimkam, die er nach Verkauf des Gasthauses aufgenommen hatte. Der Frau sei schon vor der Eheschließung bekannt gewesen, daß der Mann Jäger sei. Sie habe ihn grundlos verlassen und sei seinen Aufforderungen, mit den Kindern zu ihm zurückzukehren, nicht nachgekommen.

Das Erstgericht hat die Ehe geschieden und beiden Ehegatten für schuldig erklärt. Das Unterhaltsbegehren wies das Erstgericht ab.

Es stellte im wesentlichen fest:

Der Ehemann begleitete seinen Vater schon von Kindheit an auf der Jagd. Er legte 1965 die Prüfung für die Tiroler Jagdkarte und 1975 die Aufsichtsjägerprüfung ab. Seither ist er auch Aufsichtsjäger der Jagdgenossenschaft Jerzens. Er schlief während der Jagdsaison etwa sechs Wochen in der Küche und ging am frühen Morgen und nach der Arbeit auf die Jagd. Er war als Schilehrer in den USA tätig und lernte dort die Frau kennen. Der Vater der Frau vermittelte dem Mann Jagdmöglichkeiten. Ihr war schon vor der Eheschließung bekannt, daß der Mann ein "leidenschaftlicher" Jäger ist und begleitete ihn in der ersten Zeit nach der Eheschließung auch auf die Jagd, bis sie nach der Geburt der Kinder nicht mehr mitgehen konnte und ihm Vorhaltungen machte. Der Mann errichtete auf einem Grundstück seiner Eltern ein Gasthaus. Die Eheleute betrieben das Gasthaus nach ihrer Eheschließung etwa vier Jahre lang. Die Frau zeigte an der Arbeit im Gastgewerbe kein Interesse und war erzürnt, wenn am Abend noch Gäste kamen. Sie verlangte, daß der Mann das Gasthaus verkaufe und erklärte, daß sie ihn sonst mit den Kindern verlassen werde. Der Mann gab das Gastgewerbe auf und baute ein Privathaus. Er war häufig auswärts und kümmerte sich wenig um seine Frau, die in der Tiroler Gemeinde keine Freunde gefunden hatte, Heimweh verspürte und sich vom Mann vernachlässigt fühlte. Als der Mann im Herbst 1980 ein Schriftstück mit der Aufforderung erhielt, sich zur Feststellung der Vaterschaft zu einem damals schon neun Jahre alten Knaben einer Blutuntersuchung zu unterziehen, machte ihm die Frau, die diesen Brief an den Mann geöffnet hatte, Vorwürfe und es kam zu einer Auseinandersetzung. Der Mann gab einen Schuß aus einem Gewehr ab, richtete den Lauf gegen seinen Kopf und drohte, sich zu erschießen, wenn sie ihn nicht in Ruhe lasse. Streit gab es auch zu Sylvester 1980. Die Eheleute waren bei einer Familie zum Abendessen eingeladen. Die Frau gab dem Gastgeber einen Kuß und wünschte ihm ein gutes Neues Jahr. Darauf fuhr der Ehemann allein heim, beschimpfte die Frau, die von den Gastgebern heimgebracht werden mußte, und forderte sie auf, die Koffer zu packen und zu verschwinden. Die eheliche Beziehung hatte sich seit dem Verkauf des Gasthauses nicht gebessert. Im Sommer 1981 kündigte die Frau dem Mann an, daß sie in wenigen Tagen mit den Kindern in ihre Heimat übersiedeln werde. Obwohl der Mann damit nicht einverstanden war, verließ die Frau mit den Kindern die Ehewohnung und verlegte ihre Wohnung in die Vereinigten Staaten. Bitten des Mannes, zu ihm zurückzukehren, lehnte die Frau ab.

Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt rechtlich dahin, daß die unheilbare Zerrüttung durch die beiden Teilen zur Last fallenden schweren Eheverfehlungen eintrat, besonders durch die überraschende Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch die Frau, für die kein unmittelbarer Anlaß bestand. Das Mitverschulden der Frau wiege nicht weniger schwer als das des Mannes. Der Mann habe sich zu wenig um die an Heimweh leidende Frau gekümmert und zu viel seiner Freizeit auf der Jagd verbracht. Auch sein Verhalten bei den beiden Auseinandersetzungen im Herbst und zu Ende des Jahres 1980 stelle Verfehlungen dar, doch habe die Frau mit ihren Vorhaltungen, wenn der Mann auf die Jagd ging, obwohl ihr seine Jagdleidenschaft schon vor der Eheschließung bekannt war, und durch Aufhebung der Gemeinschaft zu der dadurch erst eingetretenen endgültigen Zerrüttung der Ehe beigetragen.

Das Urteil blieb soweit unangefochten, als die Ehe geschieden wurde.

Das Berufungsgericht gab der nur von der Frau erhobenen Berufung teilweise Folge, bestätigte aber das erstrichterliche Urteil im Ausspruch über die Mitschuld an der Ehescheidung. Es übernahm die Feststellung nicht, daß der Frau schon vor der Eheschließung die "Jagdleidenschaft" des Mannes bekannt war, und ging nur davon aus, daß der Mann gerne auf die Jagd ging und die Frau dies schon vor der Eheschließung wußte. Sonst aber übernahm das Gericht zweiter Instanz die Tatsachenfeststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung und teilte auch die Rechtsansicht, daß beide Ehegatten schuldhaft durch Eheverfehlungen zu der nicht mehr behebbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen haben, ohne daß ein so auffallender Unterschied in der Schuld des einen Teils vorliege, daß die Verfehlungen des anderen Ehegatten in den Hintergrund treten und das Überwiegen der Schuld des Mannes auszusprechen wäre. Der Mann habe seine Freizeit zu viel außer Haus und auf der Jagd verbracht und sich, obwohl seine Frau als Fremde im Pitztal keinen Anschluß fand und er dazu verpflichtet gewesen wäre, um sie zu wenig gekümmert. Er habe die Frau beschimpft und herabgesetzt und bei dem Vorfall zu Sylvester 1980 unbegründete Eifersucht gezeigt, doch sei es trotz seiner Aufforderung an die Frau, sie solle "verschwinden" noch nicht zur vollständigen Aufhebung der geistigen, seelischen und körperlichen Gemeinschaft gekommen. Die Frau habe zwar durch ihr Verlangen nach Verkauf des Gasthauses keine Verfehlung begangen, weil sie wegen der Betreuung der Kinder Grund dafür hatte, doch seien die Vorhaltungen gegenüber dem Mann unberechtigt gewesen, wenn er als Aufsichtsjäger auf die Jagd ging und sie wegen der Kinder nicht mitkommen konnte. Endgültig zerrüttet sei die Ehe aber durch die nur kurzfristig angekündigte Übersiedlung der Frau mit den Kindern gegen den Widerstand des Mannes.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Frau mit ihrer nach § 502 Abs 5 ZPO zulässigen Revision. Sie bekämpft nur den Verschuldensausspruch aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Ziel, daß der Ausspruch ihrer Mitschuld entfalle, zumindest aber ausgesprochen werde, daß die Schuld des Mannes überwiege.

Der Gegner beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob die bereits wirksame Ehescheidung wegen Verschuldens beider Ehegatten oder aus dem alleinigen oder dem überwiegenden Verschulden des Mannes erfolgt. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt, den die Tatsacheninstanzen festgestellt haben und der vom Obersten Gerichtshof der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist, ohne Rechtsirrtum gewertet und der Bestimmung des § 60 Abs 3 Satz 1 EheG unterstellt. Denn es fallen der Frau ebenfalls schwere Eheverfehlungen zur Last, die den Mann zur Erhebung der Klage auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens nach § 49 EheG berechtigt hätten. Ohne die Schwierigkeiten der Anpassung und Einfühlung der Frau in die ihr fremde Umgebung, den gemeinsamen Betrieb eines Gasthauses neben der Betreuung der Kinder und die häufige Abwesenheit des Mannes wegen seiner Tätigkeit als Aufsichtsjäger, obwohl die Frau gerade in dieser Zeit auf den besonderen Beistand und die Hinwendung des Mannes angewiesen gewesen wäre, abzutun, hätte doch die Frau ihrerseits anders als durch Vorwürfe den Mann, der gerne auf die Jagd ging und einige Wochen im Jahr deshalb Frau und Familie vernachlässigte, an seine Pflicht erinnern müssen. Vor allem aber haben die Vorinstanzen zu Recht die zur endgültigen und nicht mehr behebbaren Zerrüttung der Ehe führende Verfehlung der Frau darin erblickt, daß sie ohne unmittelbar vorangehende sie zu diesem Schritt berechtigende Veranlassung die häusliche Gemeinschaft aufhob und mit den drei Kindern nach Amerika übersiedelte. Ihr Entschluß mag durch die jahrelange Entbehrung der ehelichen Zuwendung durch den Mann und die dadurch aufgekommene Vereinsamung und das Gefühl der Vernachlässigung gereift sein, kann aber nicht als bloße Reaktion auf die vom Mann ein halbes Jahr zuvor im Zuge einer unbegründeten Eifersuchtszene geäußerte Aufforderung, die Koffer zu packen und zu verschwinden, angesehen werden. Es steht nämlich im mit Revision nicht bekämpfbaren Tatsachenbereich fest, daß die Ehe nicht schon zu Sylvester 1980 endgültig zerrüttet war. Es liegen daher auch der Frau schuldhafte schwere Eheverfehlungen zur Last.

Soweit sie aber hilfsweise den Ausspruch verlangt, daß zumindest die Schuld des Mannes überwiege, so stimmen Lehre und Rechtsprechung überein, daß dieser Ausspruch nach § 60 Abs 2 Satz 2 iVm Abs 3 Satz 3 EheG zur Voraussetzung hat, daß das ja grundsätzlich einem Alleinverschulden gleichgestellte überwiegende Verschulden nur bei einer erheblichen schwereren auffallend hervortretenden Schuld eines Teiles festzustellen ist, wenn nämlich das mindere Verschulden des anderen Ehegatten fast völlig in den Hintergrund tritt (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 60 EheG; Schwind, Eherecht2 251 Rz 2 zu § 60 EheG; Koziol-Welser II7 201; EFSlg. 48.832 ff; EFSlg. 46.242 ff uva). Ein so erheblicher Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ist nicht offensichtlich. Die längere Zeit anhaltende und nicht behobene Störung der erwünschten ehelichen Beziehung mag zwar vordergründig durch das Verhalten des Mannes eingeleitet und aufrecht gehalten worden sein, der in einer Lage, in der die Frau besonders seines Beistandes bedurft hätte, die Ausübung der Jagd seinen mit der Ehe eingegangenen Pflichten (§ 90 ABGB) voransetzte, doch hat damals die Frau sich nach der Geburt der Kinder besonders zurückgesetzt gefühlt, obwohl sie wußte, daß der Mann schon von Kindheit auf gerne auf die Jagd ging und damit ihrerseits etwas am Verständnis für den Ehegatten vermissen lassen. Die Vorfälle im Herbst und zu Ende 1980 haben für sich allein nicht so großes Gewicht. Der Frau ist zwar zuzubilligen, daß sie ihre gesonderte Wohnungnahme länger vorbereiten mußte, doch bestand im Sommer 1981 kein unmittelbarer Anlaß, gegen den Willen des Mannes in ihre Heimat zurückzugehen. Durch ihre Weigerung, die Ehegemeinschaft wieder aufzunehmen, ist erst endgültig jede Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft verhindert worden. Diese Verfehlungen der Frau treten keineswegs so sehr in den Hintergrund, daß der von ihr begehrte Ausspruch des Überwiegens der Schuld des Mannes berechtigt wäre (vgl. EFSlg. 48.840). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Bemessungsgrundlage ist der Betrag nach § 10 Z 4 lit a RATG, weil im Revisionsverfahren nur mehr die Ehesache, nicht aber der Unterhaltsanspruch Streitgegenstand war.

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