Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1072
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1075
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1077
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1072
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1075
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1077
Spruch:
Unwesentliche Nebenleistungen müssen nur dann nicht vom Vorkaufsberechtigten übernommen werden, wenn anzunehmen ist, daß der Verpflichtete den Kaufvertrag mit dem dritten Käufer auch ohne diese Nebenleistungen abgeschlossen hätte.
Der Vorkaufsberechtigte ist nicht verpflichtet, bei Ausübung des Vorkaufsrechtes dem Vorkaufsverpflichteten eine Vertragsurkunde vorzulegen. Durch die fristgerechte Erklärung der Ausübung des Vorkaufsrechtes und durch Erlag des Kaufpreises hat er jedenfalls seine Obliegenheiten erfüllt.
Die Bestimmung des § 1075 ABGB. ist dispositives Recht und kann vertraglich abweichend geregelt werden.
Das Vorkaufsrecht gilt nur für einen Verkaufsfall, wodurch aber nicht ausgeschlossen wird, daß, wenn ideelle Anteile einer Liegenschaft verkauft werden, der Vorkaufsberechtigte bezüglich jeden Teiles auch zu verschiedenen Zeiten das Vorkaufsrecht ausüben kann.
Entscheidung vom 2. Dezember 1953, 3 Ob 535/53.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Beklagte hat aus dem Nachlaß seiner Mutter Barbara S. die Liegenschaft EZ. 2137 des Grundbuches G. übernommen und hat seinen Geschwistern, zu denen die Klägerin gehört, auf deren Lebensdauer das Vorkaufsrecht an dieser Liegenschaft mit der Maßgabe eingeräumt, daß die Einlösungsfrist drei Monate betragen soll. Das Vorkaufsrecht ist verbüchert.
Am 21. März 1952 hat der Beklagte als Verkäufer mit den Eheleuten Franz und Maria F. einen Kaufvertrag über die Liegenschaft und am 5. Mai 1952 mit den Käufern als Vermietern einen Mietvertrag abgeschlossen.
Von dem Abschluß des Kaufvertrages hat der Beklagtenvertreter die Vorkaufsberechtigten mit Schreiben vom 21. März 1952 in Kenntnis gesetzt und diese aufgefordert, sich über ihr Vorkaufsrecht zu erklären. Die beiden anderen Vorkaufsberechtigten Karl S. und Adolfine F. haben auf die Ausübung des Vorkaufsrechtes zugunsten ihrer Schwester Katharina, der Klägerin, verzichtet. Der Vertreter der Klägerin hat das Verständigungsschreiben vom 21. März 1952 mit Schreiben vom 23. März 1952 zurückgewiesen, weil die Angaben über das Anbot so mangelhaft seien, daß eine Überlegung und Äußerung nicht möglich wäre. Er forderte den Beklagtenvertreter auf, die genauen Bedingungen des Kaufvertragsentwurfes mitzuteilen. Mit Schreiben vom 7. Mai 1952 hat derBeklagtenanwalt den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrages und des dazugehörigen Mietvertrages dem Vertreter der Klägerin mitgeteilt und erklärt, daß nunmehr die dreimonatige Überlegungsfrist zu laufen beginne. Dieses Schreiben wurde vom Klagevertreter zur Kenntnis genommen und am 28. Mai 1952 dahin beantwortet, daß sich die Klägerin bis 8. August 1952 über die Ausübung des Vorkaufsrechtes äußern werde.
Am 6. Juni 1952 richtete die Klägerin an den Beklagtenvertreter ein nicht von ihr geschriebenes, wohl aber unterschriebenes Schreiben, worin es heißt: "Frau Katharina P. teilt Ihnen mit, daß sie von ihrem Vorkaufsrecht gegenüber der Frau F. Gebrauch macht, u. zw. unter den gleichen Bedingungen wie diese".
Am 2. Juli 1952 teilte der Vertreter der Klägerin dem Beklagtenvertreter mit, daß die Klägerin von dem ihr eingeräumten Vorkaufsrecht hinsichtlich der Liegenschaft EZ. 2137 Grundbuch G. Gebrauch mache und bereit sei, die ihr bekanntgegebenen Bedingungen zu erfüllen. Wiederholte Einladungen des Klagsvertreters an den Beklagtenvertreter, den Beklagten zu veranlassen, zwecks Unterfertigung des Vertrages in die Kanzlei des Klagevertreters zu kommen, blieben unbeantwortet. Darauf wurde von der Klägerin der Kaufpreis von 45.000 S am 8. August 1952 beim Bezirksgericht Mödling erlegt.
Das Erstgericht hat den Beklagten im Sinne des Klagebegehrens schuldig erkannt, einen Kaufvertrag (und Mietvertrag) mit der Klägerin abzuschließen.
Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge, hob die Urteile beider Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Beklagte hat in seiner Berufung mit dem Berufungsgrund der "Unvollständigkeit der Sachverhaltsfeststellung" gerügt, daß das Erstgericht bei seiner Entscheidung das oben erwähnte Schreiben vom 6. Juni 1952 nicht berücksichtigt habe. Diesem Mangel hat das Berufungsgericht dadurch abgeholfen, daß es auch diese Urkunde, wozu es befugt war, rechtlich beurteilt hat. Diese Beurteilung kann nur wegen Unrichtigkeit, nicht aber wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens angefochten werden.
Die Auslegung dieses Schreibens vom 6. Juni 1952 durch das Berufungsgericht ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes frei von Rechtsirrtum. Denn ganz abgesehen von den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen, daß dieser Brief dem Beklagtenvertreter zu einer Zeit zugekommen ist, zu der dieser aus der vorangegangenen Korrespondenz gewußt hatte, daß die Klägerin anwaltlich vertreten war, geht aus dem Brief ja gar nicht hervor, daß die Klägerin damit eine erschöpfende Erklärung über die Ausübung ihres Vorkaufsrechtes bezüglichder ganzen Liegenschaft abgeben wollte. Die Klägerin hätte daher auch noch nachträglich ihr Vorkaufsrecht über die andere Liegenschaftshälfte ausüben können, was übrigens auch geschehen ist. Das Vorkaufsrecht gilt allerdings nur für einen Verkaufsfall, wodurch aber nicht ausgeschlossen wird, daß, wenn ideelle Anteile einer Liegenschaft verkauft werden, der Vorkaufsberechtigte bezüglich jeden Teiles auch zu verschiedenen Zeiten das Vorkaufsrecht ausüben kann. Darum ist es auch möglich, wenn durch einen Vertrag Miteigentumsanteile verkauft werden sollen, das Vorkaufsrecht bezüglich eines jeden Miteigentumsanteiles innerhalb der Frist zu verschiedenen Zeiten zu erklären. Jedenfalls muß dann, wenn eine Liegenschaft an mehrere Personen verkauft wird, das Vorkaufsrecht bezüglich aller Anteile innerhalb der Einlösungsfrist ausgeübt werden, weil der bloße Eintritt hinsichtlich eines Teiles als ein aliud angesehen werden müßte.
Unzutreffend ist auch die Auffassung der Revision, daß die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechtes von der Klägerin deshalb versäumt worden sei, weil die im § 1075 ABGB. vorgesehene Einlösungsfrist von 30 Tagen nicht verlängert werden könne. Die Bestimmung des § 1075 ABGB. ist dispositives Recht und kann vertraglich abweichend geregelt werden.
Im Rahmen der Rechtsrüge bringt die beklagte Partei auch vor, daß es für die Ausübung des Vorkaufsrechtes nicht genügt habe, daß die Klägerin erklärte, in den mit den Eheleuten F. vereinbarten Vertrag einzutreten, und daß sie den Kaufpreis erlegt habe; sie hätte auch innerhalb der Einlösungsfrist die Urkunde über den abzuschließenden Kaufvertrag dem Beklagten vorlegen müssen. Ganz abgesehen davon, daß nach den Feststellungen des Erstgerichtes der Klagevertreter wiederholt versucht hat, vor der Klagserhebung zum Abschluß eines Vertrages zu kommen, die beklagte Partei aber auf die wiederholten Einladungen nicht reagiert hat, bestand für die Klägerin keine Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde. Sie hat durch die fristgerechte Erklärung der Ausübung des Vorkaufsrechtes und durch Erlag des bar zu zahlenden Teiles des Kaufpreises ihre Obliegenheiten erfüllt.
Nähere Prüfung erfordert nur die Behauptung der beklagten Partei, daß die Klägerin wegen abweichender Regelung der Möglichkeit, den mit dem Kaufvertrag verbundenen Mietvertrag zu kundigen, das Vorkaufsrecht nicht unter den Modalitäten ausgeübt habe, die der Beklagte mit den dritten Käufern (dem Ehepaar F.) vereinbart hatte. In dem Mietvertragsentwurf mit diesem Ehepaar war nämlich im Punkt III vorgesehen, daß die Vermieter den Bestandvertrag nur kundigen könnten, wenn ihre Tochter Helga sich verehelichen sollte und keine andere Wohngelegenheit besitzt sowie, wenn ein Elternteil des Herrn F. sterben sollte und für den überlebenden Elternteil ein Wohnraum dringend benötigt würde. Im § 5 des Kaufvertrages, an dessen Schließung der Beklagte durch das angefochtene Urteil verhalten wird, ist hingegen bestimmt, daß der Käuferin (der Klägerin) ein Kündigungsrecht nur im Falle dringenden Eigenbedarfes zusteht. Es ist der Berufungsinstanz beizupflichten, daß die Vereinbarung eines Kündigungsrechtes im Falle eines Bedarfes von Personen, die der neuen Vermieterin (der Klägerin) vollkommen fremd sind, völlig sinnlos wäre. Der Standpunkt der beklagten Partei, daß in dem als Ausfluß des Vorkaufsrechtes zu schließenden Vertrag nur eine Kündigungsmöglichkeit wegen der im Vertragsentwurf mit den dritten Käufern vorgesehenen Fälle bedungen werden dürfe, bedarf keiner Widerlegung, denn bei einer Eigenbedarfskündigung - auch einer solchen in den Fällen des § 19 Abs. 6 MietG. - muß der Eigenbedarf immer beim Vermieter oder dessen Verwandten vorliegen.
Unwesentliche Nebenleistungen müssen nur dann nicht vom Vorkaufsberechtigten übernommen werden, wenn anzunehmen ist, daß der Verpflichtete den Kaufvertrag mit dem dritten Käufer auch ohne diese Nebenleistungen abgeschlossen hätte.
Zur Prüfung der Frage, ob hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, fehlt es an den erforderlichen Feststellungen. Es war daher in Stattgebung der Revision nicht nur das Urteil des Berufungsgerichtes, sondern gemäß § 510 Abs. 1 ZPO. auch das des Prozeßgerichtes aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Da die Klägerin in dem mit dem Kaufvertrag verbundenen Mietvertrag das Kündigungsrecht im Falle dringenden Eigenbedarfes schlechthin eingeräumt haben will, das Kündigungsrecht in den mit Ehepaar F. getroffenen Vereinbarungen aber auf zwei bestimmte Fälle des Eigenbedarfes eingeschränkt war, ist die Frage zu lösen, ob der Beklagte den Kaufvertrag und in Verbindung mit diesem den Mietvertrag mit dem Ehepaar F. auch geschlossen hätte, wenn bei diesen Käufern die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines Eigenbedarfes nicht anders zu beurteilen gewesen wäre als die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes dieses Bedarfes bei der Klägerin. Es wird daher in diesem Zusammenhang zu prüfen sein, ob und in welchem Maße mit einem Eigenbedarf im Sinne des Mietengesetzes bei der Klägerin zu rechnen ist und ob, wenn die Bedarfsverhältnisse bei den dritten Käufern gleichgelagert gewesen wären, der Beklagte den Kaufvertrag abgeschlossen hätte.
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