Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden abgeändert und der vom Vater für das Kind zu leistende monatliche Unterhaltsbetrag von zuletzt S 1.100,- ab dem 1.Oktober 1990 auf S 500,- herabgesetzt, das darüber hinausgehende Begehren auf gänzliche Enthebung von der Unterhaltspflicht hingegen abgewiesen.
Text
Begründung
Der vom Vater für seinen seit dem 1.September 1989 bei der V***** Gesellschaft mbH in einem Lehrverhältnis zum Betriebsschlosser beschäftigten Sohn zu leistende Unterhalt wurde mit Zustimmung des Sachwalters am 3.April 1990 wegen des eigenen Einkommens an Lehrlingsentschädigung von rund S 3.500,- einschließlich der Sonderzahlungen ab dem 1.Oktober 1989 auf monatlich S 1.100,-
herabgesetzt.
Am 14.September 1990 beantragte der Vater, der sein Monatsnettoeinkommen mit S 12.000,- angab und noch für seine im Haushalt tätige Ehefrau und seine 9-jährige Tochter zu sorgen hat, ihn wegen Selbsterhaltungsfähigkeit des Sohnes ab dem 1. Oktober 1990 von seiner Unterhaltspflicht zu entheben.
Das Erstgericht gab diesem Antrag statt.
Das Rekursgericht bestätigte und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von den folgenden Feststellungen aus: Im zweiten Lehrjahr bezieht der jetzt 17-jährige Lehrling einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen an Lehrlingsentschädigung monatlich netto S 4.852,-. Nach Abzug berufsbedingter Mehraufwendungen verbleibt ihm ein Einkommen von monatlich S 4.520,-. Er lebt in dem von seiner Mutter betreuten Haushalt in derselben Stadt, in der er als Lehrling tätig ist. Der Regelbedarf für die Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren lag im Jahr 1990 bei S 3.470,- und im Jahr 1991 bei S 3.570,-.
Die Vorinstanzen nahmen an, daß bei einem rund S 1.000,- über dem Regelbedarf liegenden eigenen Einkommen des Kindes die Selbsterhaltungsfähigkeit eingetreten und kein weiterer Unterhaltsanspruch gegeben sei. Es gehe nicht an, sich an der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Pensionisten zu orientieren. Der Begriff der Selbsterhaltungsfähigkeit (§ 140 Abs 3 ABGB) stelle auch auf die den Lebensverhältnissen der Eltern angemessenen Bedürfnisse des Kindes ab.
Selbsterhaltungsfähigkeit sei gegeben, wenn das Kind nach den Umständen, wo es lebe und welche Einkünfte ihm zufließen, alle konkreten Bedürfnisse befriedigen könne. Diese seien, solange das Kind im Haushalt eines Elternteils leben könne, geringer als bei eigener Haushaltsführung. Die Kosten einer eigenen Wohnung seien ungleich höher als der Anteil an den Wohnungskosten im Haushalt der Mutter. Es könne nicht auf die Mindestpensionshöhe ankommen, weil sonst ein nicht gerechtfertigter Unterschied zwischen einem Lehrling mit eigenem Einkommen und einem Schüler oder Studenten ohne Einkommen gemacht würde, dem nur der Regelbedarf als Unterhalt zugebilligt werde, wenn nicht ein Sonderbedarf oder gehobene Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen dessen Überschreitung rechtfertigen. Eine überdurchschnittliche Leistungskraft des Vaters oder ein Mehrbedarf des Lehrlings seien nicht gegeben. Die Betreuungsleistung der Mutter falle bei einem jugendlichen Lehrling nicht ins Gewicht, die Obsorge treffe die Mutter als elterliche Pflicht unabhängig vom Bestand eines Unterhaltsanspruches des Kindes. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dieser Unterhaltsbemessungsfrage sei uneinheitlich (6 Ob 570/90, 5 Ob 567/90).
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.
Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder auf Grund einer zumutbaren Beschäftigung erwerben kann (Schlemmer in Schwimann, ABGB I Rz 99 zu § 140), wobei diese Einkünfte des Kindes die angemessene Bedürfnisdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts sichern (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 12 zu § 140; 3 Ob 347/90; 3 Ob 507/90; 6 Ob 570/90 ua). Die dem Kind gebührende Lehrlingsentschädigung stellt, soweit sie nicht durch berufsbedingten Mehraufwand zur Berufsausübung oder Berufsausbildung aufgezehrt wird, ein Einkommen dar und mindert den Anspruch des Kindes auf Unterhalt iSd § 140 Abs 3 ABGB. Dieser durch ausgewogene Berücksichtigung der den Lebensverhältnissen der Eltern angemessenen Bedürfnisse des Kindes, der Leistungsfähigkeit beider Elternteile und allfälliger eigener Einkünfte des Kindes zu ermittelnde Unterhaltsanspruch richtet sich im Regelfall gegen beide Elternteile, doch kommt der den Haushalt, in dem das Kind betreut wird, führende Elternteil durch diesen gleich gewichtigen Beitrag seiner Unterhaltspflicht nach. Er hat darüber hinaus nur einen zusätzlichen Beitrag zu leisten, wenn der andere Elternteil sonst zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes mehr leisten müßte, als es seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre (§ 140 Abs 2 ABGB). Reichen die eigenen Einkünfte des Kindes nicht aus, den vollen Lebensbedarf des Kindes auch dann zu decken, wenn die Betreuung im Haushalt eines Elternteils nicht gegeben wäre, so kommt nur eine Minderung der Unterhaltsverpflichtung in Betracht, die nicht einseitig dem zur Leistung von Geldunterhalt verpflichteten Elternteil zugute kommen darf (3 Ob 579/90).
Der Zuspruch bloß eines "Regelbedarfsunterhalts" ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse beider Elternteile widerspricht dem Gesetz (RZ 1991/26). Die Betreuung des Kindes durch einen Elternteil ist im § 140 Abs 1 ABGB als vollwertiger Unterhaltsbeitrag anerkannt, der ohne Rücksicht auf die nach dem Lebensalter unterschiedliche Mühe und Zeit der Unterhaltsleistung des anderen Elternteiles, der für alle übrigen Bedürfnisse des Kindes aufzukommen hat, an Gewicht gleich kommt (RZ 1991/25 ua).
Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach darlegte, läßt sich nicht allgemein angeben, in welcher Höhe eigene Einkünfte ausreichen, um alle Lebensbedürfnisse des Kindes zu decken und daher Selbsterhaltungsfähigkeit auch bei Wegfall der Betreuungsleistung des haushaltsführenden Elternteiles zu gewährleisten, weil es auf die Lebensumstände von Kind und Eltern ankommt. Bei einfachsten Lebensverhältnissen kann allerdings der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage nach § 293 Abs 1 lit a/bb und lit b ASVG (seit dem 1.Juli 1990 bis 31.Dezember 1990 S 5.574,- x 14:12 = S 6.503,-) eine Orientierungshilfe bieten, weil der Gesetzgeber damit Pensionsberechtigten ein Existenzminimum sichern will. So wurde etwa ein Vater bei einem Einkommen von fast S 32.000,- monatlich und weiteren Sorgepflichten für die Ehefrau und die geschiedene Ehegattin zur Fortzahlung von S 700,- im Monat an die Tochter verhalten, die mit den Sonderzahlungen knapp unter S 6.000,-
Lehrlingsentschädigung bezog (3 Ob 547/90 vom 13.Juni 1990); der Anspruch auf S 1.000,- im Monat an Unterhalt für einen Lehrling mit Einkünften von S 4.600,- gegen einen Vater, der mit einem Einkommen von rund S 20.000,- noch für die Ehefrau und vier weitere Kinder zu sorgen hatte, bestätigt (3 Ob 579/90 vom 11. Juli 1990); weiters wurde in einem anderen Fall die Ansicht abgelehnt, mit einem den Regelbedarf von S 3.470,- übersteigenden anzurechnenden Einkommen an Lehrlingsentschädigung von rund S 3.600,- sei das Kind schon selbsterhaltungsfähig; der Antrag des Vaters auf Herabsetzung des zu leistenden Unterhaltes von S 1.500,- im Monat wurde dort mit dem Hinweis abgewiesen, daß der Unterschiedsbetrag zwischen der Mindestpensionshöhe und dem anrechenbaren eigenen Einkommen des Kindes diesen Beitrag übersteige und eine Beurteilung nach einem Regelbedarf die Beiträge des haushaltsführenden Elternteiles entgegen dem § 140 Abs 1 ABGB nicht anteilig, sondern überproportional berücksichtige (6 Ob 570/90 vom 6.September 1990). Insofern liegt schon eine einhellige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor.
Die von den Vorinstanzen gegen diese Rechtsanwendung durch den Obersten Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt einer gleichheitswidrigen Behandlung vorgetragenen Bedenken sind nicht berechtigt. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß selbst mit dem durch den Ausgleichszulagenrichtsatz gesicherten Pensionsbezug nur der notwendige Lebensbedarf eines Menschen gedeckt ist und etwa die Kosten der Beschaffung und Erhaltung einer eigenen Wohnung samt Einrichtung in der Regel nicht Deckung finden. Diese Richtschnur kann daher nur bei einfachsten Lebensverhältnissen gelten und geht schon davon aus, daß eine Wohnmöglichkeit vorhanden ist und die Lebensführung sparsam gestaltet wird. Während der im mütterlichen Haushalt lebende Lehrling aus seinen Einkünften einen Beitrag zu den Wohnkosten zu erbringen hat, nimmt der die Haushaltführung und Beutreuungsleistung der Mutter weiter im Rahmen jenes Unterhaltsanspruches entgegen, der erst wegfällt, wenn er über solches Einkommen verfügt, daß er auch ohne diese Betreuung davon leben kann und daher verpflichtet wäre, auch ein "Wirtschaftsgeld" über die Kosten der Beschaffung der Lebensmittel usw hinaus als Abgeltung für die Führung des Haushalts an sich zu leisten. Es kann daher dem Rekursgericht nicht gefolgt werden, wenn es die Betreuungsleistung der Mutter aus der Erwägung vernachlässigt, daß der 17-jährige Lehrling nicht mehr eine gleich aufwendige Fürsorge in Anspruch nimmt wie ein Klein- oder ein Schulkind. Die Bemessung des Geldunterhaltsanspruches eines Kindes mit eigenem Einkommen wird jedenfalls der durch § 140 ABGB gebotenen Gleichbehandlung beider Elternteile nur dann gerecht, wenn die aus den Einkünften des Kindes resultierende Verringerung der Unterhaltspflicht beiden Elternteilen zugute kommt (5 Ob 511/91 vom 30.April 1991).
Es trifft auch nicht zu, daß dadurch ein Lehrling besser gestellt würde als ein unter gleichen Lebensverhältnissen heranwachsender Schüler. Hätte dieser eigenes Einkommen (etwa aus einem Vermögen), so müßten dieselben Erwägungen gelten. Daß bei einfachen Lebensverhältnissen der Eltern, wie sie hier anzunehmen sind, einem einkommenslosen Schüler weniger zur Deckung seiner Bedürfnisse zur Verfügung stehen wird als dem Lehrling, der zu seiner Lehrlingsentschädigung noch einen verminderten Unterhaltsbeitrag erhält, liegt nicht in einer Bevorzugung des Lehrlings, sondern in der beschränkten Leistungsfähigkeit des zu Geldunterhalt verpflichteten Vaters, der auch einem Schüler weit mehr an Unterhalt leisten müßte, wäre er dazu nach seinen Lebensverhältnissen imstande. Eine Ungleichbehandlung ist daher nicht erkennbar. Das eigene Einkommen des Lehrlings ist nicht vom fiktiv unter Außerachtlassung dieser Einkünfte bemessenen Unterhaltsbetrag abzuziehen. Die Selbsterhaltungsfähigkeit ist vielmehr daran zu messen, ob genug Mittel durch eigenen Erwerb zufließen, daß der - hier einfache - Lebensaufwand volle Deckung findet. Diese Mittel sind nicht an einem aus der statistischen Ermittlung durchschnittlicher Verbrauchsausgaben für ein unversorgtes Kind in Arbeitnehmerhaushalten des Jahres 1970 hochgerechneten Regelbedarf (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 140) zu messen, weil diese Werte wenig dafür aussagekräftig sind, welcher Geldbetrag zur Deckung der Lebensbedürfnisse eines Heranwachsenden nach den Verhältnissen auch seiner Eltern ausreichend ist.
Es kommt daher nur zu einer Verminderung des Monatsbetrages, den der Vater noch zum Unterhalt seines Sohnes beizutragen hat, weil nach der Höhe der Lehrlingsentschädigung im maßgeblichen Zeitpunkt der Bedarf des Kindes nicht voll gedeckt ist und daher ein Anspruch auf Unterhalt gegen beide Elternteile noch nicht erloschen ist, wohl aber gegenüber der letzten Unterhaltsherabsetzung eine Steigerung der eigenen Einkünfte um rund S 1.000,- eintrat, die zu einer weiteren Minderung des Anspruchs unter anteiliger Bedachtnahme auf die von beiden Elternteilen zu erbringenden Leistungen führt.
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