OGH 3Ob504/94

OGH3Ob504/9413.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Gerstenecker und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Anna-Sophie, geboren 4.Dezember 1978, Clemens, geboren 30.August 1980, Luise-Antonia, geboren 25.März 1983, und Maria-Theresia N*****, geboren 17.August 1984, infolge Revisionsrekurses des Vaters Dr.Alois N*****, vertreten durch Dr.Georg Reiter und Dr.Christoph Brandweiner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 24.November 1993, GZ 22a R 355, 356/93, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Thalgau vom 22.Juli 1993, P 12/93-22, teilweise bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der Pflegebefohlenen wurde am 16.10.1992 gemäß § 55 a EheG geschieden. Gemäß dem anläßlich der Scheidung geschlossenen, pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich bleiben die Kinder in der gemeinsamen Obsorge ihrer Eltern. In diesem Vergleich wird festgestellt, daß beide Elternteile in Salzburg - Aigen wohnen, sodaß die räumliche Nahebeziehung als Voraussetzung für die gemeinsame Obsorge gegeben sei. Die Kinder hätten bis auf weiteres in der Obhut der Mutter zu bleiben und dürften ohne deren Zustimmung oder eine gegenteilige Entscheidung des Gerichtes nicht aus dieser Obhut entfernt werden. Die Mutter erklärte, daß sie zwar in absehbarer Zeit im Interesse der Kinder eine andere Wohnung beziehen wolle, die sich aber in ähnlicher Lage befinden solle; insbesondere habe sie nicht die Absicht, aus der Stadt Salzburg oder deren näherer Umgebung wegzuziehen. Sie werde allerdings durch die gemeinsame Obsorge über die Kinder in ihrer grundsätzlichen Freizügigkeit nicht beeinträchtigt. Sollte das angeführte Naheverhältnis künftig aufgehoben werden, müßten die Eltern hinsichtlich der Obsorge über ihre ehelichen Kinder mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes eine neue Vereinbarung treffen oder aber eine gerichtliche Entscheidung hierüber herbeiführen.

Die Mutter übersiedelte mit den Kindern nach Thalgau. Am 12.5.1993 stellte sie den Antrag, die gemeinsame Obsorge aufzuheben und die Kinder in ihre alleinige Pflege und Erziehung zu übertragen.

Der Vater beantragte die Abweisung dieses Antrags, weil eine Übertragung der Obsorge nur unter den Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB möglich sei; auch die Antragstellerin behaupte nicht, daß der Antragsgegner durch sein Verhalten das Wohl der minderjährigen Kinder gefährde. Auf eine Übersiedlung der Antragstellerin sei bei Vergleichsabschluß Bedacht genommen worden; T***** sei in einer unmittelbaren räumlichen Nahebeziehung zur Stadt Salzburg. Weiters hätten sich die Verhältnisse seit der Scheidung nicht derart geändert, daß die Übertragung der alleinigen Obsorge an die Antragstellerin sachlich gerechtfertigt wäre.

Das Erstgericht hob die pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Scheidungsvergleiches über die gemeinsame Obsorge auf und sprach aus, daß die Obsorge (§ 144 ABGB) über die Kinder künftig der Mutter allein zukomme. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist das Verhältnis zwischen den Eltern so sehr belastet, daß Besprechungen und Entscheidungen innerhalb einer gemeinsamen Obsorge praktisch nicht stattfinden.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, eine gemeinsame Obsorge könne nach Scheidung überhaupt nur in Erwägung gezogen werden, wenn beide Elternteile die Verantwortung gemeinsam tragen wollen und dazu in der Lage sind. Dieser Elternwille, die Obsorge gemeinsam auszuüben, sei nicht mehr vorhanden; gemeinsame Elternverantwortung werde tatsächlich kaum ausgeübt. Für die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge genüge, daß die Umstände, die zu ihrer Begründung hinreichten, objektiv weggefallen seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs insofern Folge, als der angefochtene Beschluß in der Aufhebung der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung vom 16.10.1992 ersatzlos aufgehoben wurde; im übrigen bestätigte es den angefochtenen Beschluß und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil eine Rechtsprechung zum Vorgehen bei Wegfall des Einverständnisses zur gemeinsamen Obsorge fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters, der sich gegen die Entscheidung wendet, daß der Mutter allein die Obsorge zukommt, ist nicht berechtigt.

Die Obsorge über die gemeinsamen Kinder darf beiden geschiedenen Elternteilen gemeinsam nur für den Fall des Bestehens der dauernden häuslichen Gemeinschaft zugeteilt werden. Schon der Wortlaut des § 177 Abs 1 und 2 ABGB verbietet, daß die Obsorge für ein Kind auch dann beiden Elternteilen gemeinsam zugeteilt wird, wenn § 177 Abs 3 iVm § 167 ABGB nicht angewendet werden kann, weil die Eltern mit dem Kind nicht in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben (JBl 1992, 699 [H.Pichler]).

Die von den Eltern vorgelegte Vereinbarung über die Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, wurde hier pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Dieses Einverständnis mit der Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile gemeinsam ist nunmehr nicht mehr gegeben, wie sich schon aus dem Antrag der Mutter ergibt, ihr allein die Obsorge zuzuteilen.

Weiters ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse auch dadurch eingetreten, daß die Eltern nun nicht mehr im selben Ort wohnen. Damit ist die engere örtliche Beziehung, die in der Vereinbarung vorausgesetzt war, nicht mehr gegeben.

Bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer neuerlichen Entscheidung über die Obsorge ist § 167 ABGB zu beachten, der nach § 177 Abs 3 ABGB "entsprechend gilt". Nach § 167 Satz 1 ABGB ist die Obsorge über ein uneheliches Kind dann beiden Eltern gemeinsam zuzuerkennen, wenn die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist. Bei dauernder Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft zwischen den Eltern ist § 177 Abs 1 und Abs 2 ABGB entsprechend anzuwenden (§ 167 Satz 2 ABGB). Für das Tätigwerden des Gerichtes muß somit nicht die in § 176 ABGB genannte Voraussetzung der Kindeswohlgefährdung oder gleichgewichtige besondere Gründe gegeben sein.

Schwimann (in Schwimann, ABGB, § 167 Rz 6) erwähnt als Konsequenz, daß die Mutter wissen muß, daß sie mit dem Antrag auf gemeinsame Obsorge der Kindeseltern riskiert, die Obsorge nach Trennung der Hausgemeinschaft auch ohne eigenes Fehlverhalten an den Kindesvater zu verlieren.

Für den hier zu beurteilenden Fall, daß Ehegatten nach Scheidung die gemeinsame Obsorge vereinbart haben und diese Vereinbarung pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde, in der Folge jedoch das Einvernehmen der Eltern nicht mehr besteht, ist § 167 ABGB entsprechend anzuwenden. Die in § 167 letzter Satz ABGB wiederum angeordnete entsprechende Anwendung des § 177 Abs 1 und 2 ABGB bedeutet, daß das Gericht nunmehr die Obsorge einem Elternteil allein zufallen muß, ohne daß die Voraussetzungen des § 176 ABGB gegeben sein müssen (vgl Schlemmer - Schwimann in Schwimann, ABGB, § 177 Rz 20 [mit offenbar irrtümlichem Zitat "176" statt richtig "§ 167"]).

Der Entscheidung, daß die Obsorge über die Kinder künftig der Mutter allein zukommt, steht auch nicht entgegen, daß die Mutter im Antrag ON 15 zwar im Rubrum als Gegenstand die "Übertragung der Obsorge" anführt, den Antrag jedoch formuliert, daß die gemeinsame Obsorge aufgehoben und die Kinder in die alleinige Pflege und Erziehung der Mutter übertragen werden mögen.

Eine Entscheidung allein darüber, welchem Elternteil die Kinder in pflegender Erziehung zu überlassen sind, ist nach geltendem Recht nicht mehr zu treffen. Die Entscheidung hat vielmehr alle im § 144 ABGB genannten Rechte und Pflichten (Pflege, Erziehung, Vermögensverwaltung und Vertretung des Kindes) zu umfassen (§ 177 Abs 1 und 2 ABGB). Sie darf hingegen nicht im Sinn einer Teilentscheidung über einzelne dieser Rechte und Pflichten ergeben (SZ 53/23).

Die Vorinstanzen haben somit zutreffend eine auf § 177 ABGB gestützte Entscheidung über die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil getroffen. Dafür, daß die Zuweisung der Obsorge an die Mutter nicht dem Kindeswohl entsprechen würde, besteht kein Anhaltspunkt; eine derartige Behauptung hat auch der Vater nicht aufgestellt.

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