Normen
ABGB §775
ABGB §785
ABGB §942
ABGB §951
ABGB §1487
AußStrG §1
AußStrG §18
AußStrG §97
AußStrG §162
ABGB §775
ABGB §785
ABGB §942
ABGB §951
ABGB §1487
AußStrG §1
AußStrG §18
AußStrG §97
AußStrG §162
Spruch:
Die Pflichtteilsansprüche erwachsener Noterben sind nicht im Abhandlungsverfahren, sondern im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen. Dies gilt insbesondere auch für die Anrechnung von Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten gemacht hat.
Der verkürzte Noterbe kann die Herausgabe des Geschenkes auch dann begehren, wenn ihm als Erben der Nachlaß oder eine Quote desselben eingeantwortet wurde.
Eine solche Schenkung kann auch in einem vom Erblasser abgeschlossenen Übergabsvertrag bestehen.
Entscheidung vom 9. August 1950, 3 Ob 444/50.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht wies die beiden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen, auf § 951 ABGB. gestützten Klagen ab.
Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Kläger dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht.
Es ist der Rechtsansicht, daß im Verlassenschaftsverfahren Pflichtteilsansprüche nur insoweit festzustellen sind, als es sich um pflegebefohlene Noterben handelt, und daß daher die Pflichtteilsansprüche großjähriger Erben, wie hier der Kläger, ohne Rücksicht auf das Verlassenschaftsverfahren im Prozeßweg geltend zu machen sind.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Verlassenschaftsverfahren dient nach den §§ 49 und 162 AußstrG. keineswegs zur Feststellung und Sicherung von Pflichtteilsansprüchen nicht pflegebefohlener Noterben. Aus den Worten des § 785 ABGB., daß auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes "bei Berechnung des Nachlasses" diejenigen Schenkungen in Anschlag zu bringen sind, die der Erblasser unter Lebenden gemacht hat, läßt sich noch keineswegs folgern, daß diese Berechnung im außerstreitigen Verfahren erfolgen muß. Überdies bestimmt § 97 AußstrG. über das Inventar, daß bloß dasjenige Vermögen zu inventieren ist, in dessen Besitze sich der Erblasser zur Zeit seines Todes befunden hat. Das wird aber bei verschenkten Vermögensobjekten, die zur Geltendmachung des Schenkungspflichtteils nach § 951 ABGB. von den Noterben herangezogen werden, niemals zutreffen. Im übrigen hat das Berufungsgericht auch ganz richtig darauf verwiesen, daß Pflichtteilsansprüche nur der unabhängig vom Verlassenschaftsverfahren laufenden dreijährigen Verjährung nach § 1487 ABGB. unterliegen. Es ist daher die von den Rekurswerbern vertretene Rechtsansicht irrig, daß die Voraussetzung zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches im Prozeßwege dessen vorherige Geltendmachung im Verlassenschaftsverfahren wäre.
Die in Klangs Kommentar, 1. Aufl., II/1, S. 707, vertretene Rechtsansicht, daß die Berechnung des Nachlasses durch Schätzung der geschenkten Sachen offenbar im außerstreitigen Verfahren erfolgt und daß erst dann die Voraussetzung für die Erhebung der Pflichtteilsklage gegeben wäre, ist daher abzulehnen. Ebenso ist auch die Berufung der Rekurswerber auf § 18 Abs. 2 AußstrG. unentscheidend; denn über die Pflichtteilsansprüche der Kläger hatte der Abhandlungsrichter niemals eine Verfügung getroffen. Im übrigen wird auf die Entscheidung ZBl. 1938, Nr. 168, verwiesen, von welcher abzugehen der Oberste Gerichtshof keine Veranlassung hat.
Daß aber die Erstklägerin Franziska H. als erbserklärte Erbin nach Franziska W., deren Nachlaß ihr zur Hälfte eingeantwortet worden ist, als gesetzliche Erbin einen Pflichtteilsanspruch nicht mehr erheben kann, eine Rechtsansicht, die auch in Klangs Kommentar (II/1, S. 738) vertreten wird, kann mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 775 ABGB., wonach jeder in seinem Pflichtteile verkürzte Noterbe dessen Ergänzung fordern kann, nicht mit Berechtigung gesagt werden; denn wenn seine Erbportion den Wert des ihm unter Einrechnung der Schenkungen nach § 785 ABGB. gebührenden Pflichtteiles nicht erreicht, so ist ihm dieser eben verkürzt worden.
Das zwischen der Erstklägerin und der Zweitbeklagten in der Verlassenschaftssache nach Franziska W. am 22. April 1949 abgeschlossene Erbübereinkommen besagt in Wirklichkeit gar nichts anderes, als daß diese beiden eben den gesamten beweglichen Nachlaß im Sinne ihrer Erbserklärung je zur Hälfte übernehmen und sich über dessen Aufteilung außergerichtlich einigen werden, ist aber gar kein Erbübereinkommen im technischen Sinne. Von einem Vergleich über die Pflichtteilsansprüche der Erstklägerin gegenüber der Zweitbeklagten ist darin aber überhaupt nicht die Rede.
Das Berufungsgericht hat mit Recht dem Erstgericht die Feststellung des Wertes der übergebenen Liegenschaften und die Vergleichung ihrer Schätzwerte mit dem Werte der Leistungen der Übernehmer aufgetragen, damit rechtlich beurteilt werden könnte, inwieweit in diesen Übergabsverträgen eine Schenkung enthalten ist. Allerdings kann dem Berufungsgericht darin nicht gefolgt werden, daß es den Wert der von der Zweitbeklagten Michaela St. der Übergeberin gegenüber übernommenen Ausgedingsleistungen nach versicherungstechnischen Grundsätzen festgestellt wissen will. Nach der Aktenlage handelt es sich nämlich offenbar um die Übergabe bäuerlicher Liegenschaften. Bei der Beurteilung solcher Übergabsverträge als teilweise unentgeltlicher kann aber nicht der strenge Maßstab angelegt werden, daß der Wert der übergebenen Liegenschaften genau dem Werte der Gegenleistungen entsprechen müßte. Es werden vielmehr diese Gegenleistungen niemals den Wert der übergebenen Liegenschaften erreichen; denn der Übernehmer muß ja als Eigentümer der übernommenen Liegenschaften wirtschaftlich bestehen können. Ob daher ein gemischter Vertrag vorliegt, kann nur nach der am Orte der Liegenschaften bestehenden bäuerlichen Lebensordnung beurteilt werden, wobei allerdings auch auf die Umstände des betreffenden Falles Rücksicht genommen werden muß. Entspricht die Gegenleistung des Übernehmers (Übergabspreis, Ausgedinge, Entfertigung der weichenden Erben usw.) dem ortsüblichen Ausmaß, so wird das Vorliegen einer auch nur teilweisen Schenkung zu verneinen sein (SZ. XIX/128).
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