European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00041.21G.0422.000
Spruch:
Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb in den Jahren 2004, 2005 und 2010 unter Zwischenschaltung eines Treuhänders Kommanditbeteiligungen an drei Kommanditgesellschaften deutschen Rechts („Holland-Fonds“) im Gesamtbetrag von 140.000 EUR zuzüglich 5 % Agio. Die Vorinstanzen gaben seinem auf fehlerhafte Anlageberatung gestützten Schadenersatz‑ und Feststellungsbegehren zu 75 % statt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die außerordentlichen Revisionen der Streitteile zeigen jeweils keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[3] 1. Zur unterlassenen Aufklärung über die Rückforderbarkeit der Ausschüttungen:
[4] 1.1. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten ins Treffen geführte Rechtsprechung, wonach eine allfällige Verpflichtung, Ausschüttungen wieder zurückzuzahlen, vom Totalverlustrisiko umfasst sei und darüber im Regelfall nicht gesondert aufgeklärt werden müsse, bedacht. Die dennoch angenommene Aufklärungspflichtverletzung beruht im hier vorliegenden Einzelfall aber darauf, dass der Berater den Kläger – inhaltlich unrichtig –, insbesondere dahin belehrte, dass ihm zugekommene Ausschüttungen das Kapitalverlustrisiko reduzieren würden. Dem Berater war nicht einmal selbst klar, dass nach der Fondsplanung die Ausschüttungen in den ersten Jahren nicht durch Gewinne gedeckt waren, daher die Kommanditeinlage reduzierten und die Haftung bis zur Höhe der Einlage aufleben ließen, was zur Rückforderbarkeit der Ausschüttungen führen konnte. Der Berater vermochte – auf Nachfrage des Klägers – kein Szenario zu schildern, bei dem es tatsächlich zu einem Verlust des gesamten investierten Kapitals kommen würde. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage einen Aufklärungsfehler bejahte, dann liegt darin keine im Einzelfall aufzugreifende unrichtige Beurteilung. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten lässt wesentliche Feststellungen unberücksichtigt und den als vermeintlich gegenteilig angeführten Judikaten lagen in entscheidenden Punkten abweichende Sachverhalte zugrunde.
[5] 1.2. Nach den Feststellungen wies der Berater den Kläger nicht auf die Risikohinweise hin. Es ist den Feststellungen auch nicht zu entnehmen, dass die Unterlagen (Risikohinweise) dem Kläger bereits vor dem Unterzeichnungstermin zum ausführlichen Studium zur Verfügung gestellt worden wären (vgl dazu 6 Ob 118/16w [Pkt 1.4.] mwN). Unter diesen Umständen ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es sei – noch dazu bei einer erfolgten Falschberatung über das Totalverlustrisiko – keine ausreichende Aufklärung bereits allein durch bloße Übergabe der Beitrittsunterlagen erfolgt, ebenfalls keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[6] 2. Zur Verjährung:
[7] 2.1. Der Grundsatz, dass dann, wenn der Kläger sein Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten stützt, in Wahrheit selbständige Ansprüche vorliegen, die auch verjährungsrechtlich getrennt zu beurteilen sind, gilt als solcher auch für Ansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung. Voraussetzung für eine solche gesonderte verjährungsrechtliche Anknüpfung eines von mehreren Beratungsfehlern ist, dass der behauptete Beratungsfehler tatsächlich als eine eigenständige, den geltend gemachten Anspruch begründende Pflichtverletzung zu qualifizieren ist (RIS‑Justiz RS0039255 [T11]).
[8] 2.2. Die Beklagte beschränkt sich in diesem Punkt auf zwar umfangreiche, jedoch nicht konkret auf Übereinstimmung mit dem vorliegenden Sachverhalt überprüfte Judikaturhinweise und verlangt vom Kläger als bloß interessierten Anleger implizit, vom Erstgericht nicht festgestellte und von einem Zahnarzt nicht zu erwartende Kenntnisse über juristische Begriffe und Zusammenhänge. Demgegenüber hat sich das Berufungsgericht nicht nur mit der Rechtsprechung zur Frage des Verjährungsbeginns bei der hier erfolgten Geltendmachung eines „Ausschüttungsschwindels“, sondern auch detailliert mit den für den Kläger vorgelegenen Hinweisen über die Entwicklungen seiner Veranlagungen eingehend befasst. Da im vorliegenden Einzelfall gerade die inhaltlich unrichtige Aufklärung über die Bedeutung bereits erfolgter Ausschüttungen für das Kapitalverlustrisiko im Vordergrund stand, begründet es keine aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn das Berufungsgericht betreffend den Verjährungsbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Klägers von der Reduktion bzw Einstellung der Ausschüttungen abstellte, sondern auf seine (positive) Kenntnis von der Rückforderbarkeit der Ausschüttungen.
[9] 2.3. Soweit das Berufungsgericht aus den dem Kläger vor diesem Zeitpunkt zugegangenen Informationen keine weitergehende Nachforschungsobliegenheit ableitete, hat es seinen, bei einer solchen Frage bestehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
[10] 3. Zum Mitverschulden des Klägers:
[11] 3.1. Inwieweit sich ein Anleger ein Mitverschulden am Scheitern seiner Veranlagung anrechnen lassen muss, kann nur im Einzelfall entschieden werden (RS0078931 [T5]).
[12] 3.2. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger als Zahnarzt keine juristische Ausbildung, war aber interessierter Anleger. Der Berater konnte dem Kläger – auf Nachfrage – kein Szenario nennen, in dem es zu einem – von ihm als Anlagerisiko genannten – Totalverlust des eingesetzten Kapitals kommen könnte. Wenn das Berufungsgericht aufgrund des Umstands, dass der Kläger nicht (noch) weiter nachfragte bzw nachforschte und insbesondere die Risikohinweise nicht las, ein Mitverschulden von einem Viertel anlastete, so ist diese Einzelfallbeurteilung nicht zu beanstanden.
[13] 4. Zum Feststellungsinteresse:
[14] 4.1. Das rechtliche Interesse des Geschädigten an der Feststellung der Haftung des Schädigers ist nur dann zu verneinen, wenn künftige weitere Schäden aus dem im Feststellungsbegehren bezeichneten Ereignis ausgeschlossen werden können (vgl RS0038826 [T1]). Ob das zutrifft, ist – wie ganz allgemein die Beurteilung des rechtlichen Interesses iSd § 228 ZPO – eine Frage des Einzelfalls (2 Ob 25/19v).
[15] 4.2. Die Endabwicklung der Fonds war bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht abgeschlossen. Die Bejahung eines Feststellungsinteresses durch das Berufungsgericht ist dann ungeachtet allfälliger Freistellungserklärungen einzelner Beteiligter ein im Einzelfall gedecktes Verständnis des Feststellungsinteresses nach § 228 ZPO (vgl auch 8 Ob 166/18x [Pkt 3.5]).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)