OGH 3Ob36/99m

OGH3Ob36/99m28.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien

1.) Pensionsversicherungsanstalt *****, 2.) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt *****, und 3.) Landesversicherungsanstalt *****, alle vertreten durch Dr. Ludwig Hoffmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) Republik Österreich (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, und 2.) Gemeinde N*****, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 359.936,-- S sA und Feststellung (Streitwert 225.000,-- S), über den Revisionsrekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Dezember 1998, GZ 4 R 311/98m-14, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. Oktober 1998, GZ 18 Cg 141/98d-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang ihrer Anfechtung (Punkt I) wiederhergestellt wird.

Die erstbeklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Kostenrekurses selbst zu tragen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der erstbeklagten Partei die weiteren, mit 18.253,95 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu je einem Drittel binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagenden Parteien begehren von den beklagten Parteien die Zahlung von insgesamt 359.936,-- S sA und die Feststellung, daß ihnen die beklagten Parteien für alle künftigen Pflichtleistungen aus Anlaß des Unfalles vom 11. 7. 1995 haften.

Im Umfang des Feststellungsbegehrens erhob die erstbeklagte Partei die Einrede der Streitanhängigkeit, weil sie mit Klage vom 14. 5. 1998 ua den klagenden Parteien gegenüber die Feststellung begehrt habe, daß sie nicht für Schäden aus dem Unfall vom 11. 7. 1995 hafte.

Die klagenden Parteien erwiderten auf diese Einrede, sie seien zur Abwehr der ungeachtet der negativen Feststellungsklage drohenden Verjährung gezwungen, ihre Ansprüche ua mit positiver Feststellungsklage geltend zu machen.

Das Erstgericht wies die gegen die erstbeklagte Partei erhobene Klage in Ansehung des Feststellungsbegehrens wegen Streitanhängigkeit zurück und behielt die Kostenentscheidung der "abschließenden Entscheidung" vor (Punkt I); darüber hinaus unterbrach es - unangefochten - das Verfahren im Umfang des weiteren Klagebegehrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem von der erstbeklagten Partei angestrengten Feststellungsstreit (Punkt II). Sowohl das hier von den klagenden Parteien gegen die erstbeklagte Partei erhobene Feststellungsbegehren als auch die von der erstbeklagten Partei (ua) gegen die klagenden Parteien eingebrachte (negative) Feststellungsklage beträfen auch Ansprüche, die aus dem Vorfall vom 11. 7. 1995 künftig allenfalls entstehen könnten. Beide Begehren bezögen sich daher auf denselben tatsächlichen Vorgang, weshalb Identität des Anspruchs gegeben sei. Zwar werde durch die negative Feststellungsklage der erstbeklagten Partei die Verjährung der Ansprüche der klagenden Parteien nicht unterbrochen. Dieser materiell-rechtliche Aspekt könne aber das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit nicht beseitigen. Den Kostenvorbehalt stützte das Erstgericht auf die sinngemäße Anwendung des § 52 Abs 2 ZPO.

Das Rekursgericht hob die erstinstanzliche Entscheidung in deren allein angefochtenem Punkt I auf, verwarf die Einrede der Streitanhängigkeit und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens (auch) über das Feststellungsbegehren auf. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes hinsichtlich jeder der klagenden Parteien 52.000,-- S, nicht aber 260.000,-- S übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die erstbeklagte Partei wurde mit ihrem Kostenrekurs auf diese Entscheidung verwiesen. Das Gericht zweiter Instanz verneinte die Streitanhängigkeit unter Hinweis auf Judikatur des Obersten Gerichtshofes, nach der die actio negatoria für die actio confessoria gegenseitig keine Streitanhängigkeit bewirke. Die klagenden Parteien seien auf die von ihnen eingebrachte positive Feststellungsklage angewiesen, um dem Einwand der Verjährung künftiger vorhersehbarer Schadenersatzansprüche zu entgehen. Durch die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung sei dem Kostenrekurs der erstbeklagten Partei die Grundlage entzogen.

Der Revisionsrekurs der erstbeklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Verfahren über die Klage einer Angehörigen der beim "Unfall vom 11. 7. 1995" zu Tode gekommenen Personen gegen die (hier) erstbeklagte Partei auf (Zahlung von Schadenersatzbeträgen sowie einer monatlichen Rente und) Feststellung der Haftung für sämtliche aus dem Unfall vom 11. 7. 1995 entstehenden Schäden hat der Oberste Gerichtshof - bei vergleichbarer Entscheidungslage wie im Gegenstand - in der Entscheidung 1 Ob 55/99s (RZ 1999/58) die Streitanhängigkeit zwischen negativer und positiver Feststellungsklage mit folgender Begründung bejaht:

"Die vom Gericht zweiter Instanz ins Treffen geführte Judikatur, nach der im Verhältnis zwischen actio negatoria und actio confessoria mangels Identität der Ansprüche keine Streitanhängigkeit bestehe (SZ 23/225), ist überholt. Der Oberste Gerichtshof hat in SZ 70/261 unter ausdrücklicher Ablehnung dieser Rechtsansicht ausgesprochen, daß actio confessoria und actio negatoria, mit welchen dieselben Parteien dasselbe Rechtsschutzziel mit umgekehrten Vorzeichen anstrebten, zueinander im Verhältnis der Streitanhängigkeit stünden. Ist in zwei anhängigen Rechtsstreiten über denselben Sachverhalt zu entscheiden, weil beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel, nur mit umgekehrten Vorzeichen, anstreben, und ist zudem Parteienidentität gegeben, so wäre es widersinnig, die Führung der beiden Verfahren nebeneinander zuzulassen, bei denen das Begehren der zweiten Klage bei völlig identischem Sachverhalt das begriffliche Gegenteil des ersten Begehrens ist, zumal doch die Streitanhängigkeit die Vorläuferin der Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) der materiellen Rechtskraft ist und sich auch in ihren Auswirkungen mit dieser vollständig deckt. So wie das Gesetz den Parteien ein Rechtsschutzbedürfnis für einen neuen Prozeß über einen entschiedenen Anspruch versagt, billigt es ihnen auch kein Rechtsschutzbedürfnis an einem weiteren Prozeß über einen Anspruch zu, der bereits Gegenstand eines Rechtsstreits ist. Die Forderung nach Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie steht im Vordergrund, und diese Kriterien gestatten die allenfalls widersprechende Beantwortung einer in zwei Rechtsstreitigkeiten völlig gleichlautenden Rechtsfrage nicht (SZ 70/261 mwN; MietSlg 46.645). Bei der vorliegenden Identität der Parteien und unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß zwischen positiver und negativer Feststellungsklage Identität der Ansprüche besteht (Rechberger in Rechberger ZPO Rz 10 zu § 233; derselbe Rz 15 zu § 228; Fasching Lehrbuch2 Rz 1187), begründete somit die von der beklagten Partei eingebrachte negative Feststellungsklage für die später erhobene positive Feststellungsklage der Klägerin Streitanhängigkeit.

Das von der Klägerin ins Treffen geführte Rechtsschutzbedürfnis an der Erhebung einer positiven Feststellungsklage ist schon von vornherein nicht geeignet, das Fehlen einer allgemeinen Prozeßvoraussetzung (keine Streitanhängigkeit) zu vernachlässigen, weil das Rechtsschutzbedürfnis keine allgemeine, sondern nur eine besondere Prozeßvoraussetzung für bestimmte gesetzlich angeordnete Ausnahmsfälle darstellt (Rechberger aaO Rz 7 ff vor § 226; Fasching aaO Rz 740; vgl Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, in JBl 1974, 1 ff; JBl 1994, 624).

Aber auch das Vorbringen der Klägerin, sie sei wegen drohender Verjährung genötigt, die (positive) Feststellungsklage einzubringen, ist nicht stichhältig, weil ihr Rechtsschutzbedürfnis aus nachstehenden Gründen ohnehin gewahrt bleibt:

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre unterbricht eine positive Feststellungsklage die Verjährung, wogegen an das Anbringen und die Zurück(Ab-)weisung einer negativen Feststellungsklage eine solche Rechtsfolge nicht geknüpft ist (JBl 1979, 257; Klang2 VI 654 f; Ehrenzweig2, System I/1, 322; Mader in Schwimann, ABGB2 Rz 13 zu § 1497; vgl auch BGH in VersR 1972, 644). Demnach kann auch ein Anspruch, der sonst mit positiver Feststellungsklage geltend gemacht werden könnte, deshalb der Verjährung verfallen, weil während der Dauer der Anhängigkeit des Rechtsstreits über das negative Feststellungsbegehren der positiven Feststellungsklage des Anspruchswerbers die Streitanhängigkeit entgegenstünde. Der in dieser Lage zweifellos rechtsschutzbedürftige Anspruchswerber ist aber - wie das der deutsche Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung VersR 1972, 644 (arg. "beachtliche Gründe") anklingen ließ - dennoch auf die (rechtzeitige) Anbringung einer positiven Feststellungsklage nicht angewiesen, um der sonst drohenden Verjährung seiner Ansprüche zu begegnen, weil sein Rechtsschutz anderwärtig gewährleistet ist. Dem Anspruchswerber, dem die Anbringung einer positiven Feststellungsklage wegen Streitanhängigkeit (der negativen Feststellungsklage des Gegners) verwehrt ist, muß gegen eine allenfalls erhobene Verjährungseinrede dieses Gegners die Replik der Arglist zugebilligt werden. Letzterer wird und darf auch nur dann eine Feststellungsklage einbringen, wenn er konkret befürchten muß, daß derjenige, der sich eines Rechtes berühmt, tatsächlich mit Klage gegen ihn vorgehen werde. Dann aber verstieße es gegen die guten Sitten, würde der Gegner, der den Anspruchswerber durch die Anbringung einer negativen Feststellungsklage an der Vermeidung der Verjährung durch die Anhängigmachung eines entsprechenden positiven Begehrens hinderte, die Durchsetzung der sonst berechtigten Ansprüche mit dem Verjährungseinwand durchkreuzen könnte (zur vergleichbaren Lage JBl 1990, 469; Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 1501). Auch das auf Seite der Klägerin an sich zu bejahende Rechtsschutzbedürfnis kann somit nicht als Grund dafür ins Treffen geführt werden, daß der allgemeinen Prozeßvoraussetzung der fehlenden Streitanhängigkeit ausnahmsweise keine Beachtung zu schenken wäre."

Der erkennende Senat tritt im vorliegenden Fall dieser Auffassung des ersten Senates bei. In Stattgebung des Revisionsrekurses ist demnach Punkt I der erstinstanzlichen Entscheidung wiederherzustellen. Der nunmehr zu behandelnde Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den erstgerichtlichen Kostenvorbehalt ist nicht berechtigt. Sie übersieht dabei, daß die klagenden Parteien schon gegen sie noch weitere Zahlungsbegehren, aber vor allem gegen die zweitbeklagte Partei weitere Zahlungs- und Feststellungsbegehren erhoben haben, von welchen mit dem Punkt I des erstinstanzlichen Beschlusses nur das gegen die erstbeklagte Partei erhobene Feststellungsbegehren erledigt wurde. Der in Analogie zu § 52 Abs 2 ZPO ausgesprochene Kostenvorbehalt des Erstgerichtes erweist sich daher als richtig. Wenngleich in der Tagsatzung vom 19. 10. 1998 (wie im genannten Parallelverfahren) auch abgesondert über die Einrede der Streitanhängigkeit verhandelt wurde, so hat doch auch eine Verhandlung in der Hauptsache über die weiteren Klagebegehren stattgefunden, wie sich aus dem Protokoll über diese mündliche Streitverhandlung ergibt (ON 8 S 1 f = AS 53 f). Die Kosten dieser Tagsatzung betrafen somit nicht nur den Zwischenstreit über die Einrede der Streitanhängigkeit.

Die Entscheidung über die weiteren Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 46 Abs 1, 50 und 52 ZPO. Die Rechtsmittelschriftsätze betrafen nur den Zwischenstreit über die Einrede der Streitanhängigkeit zwischen der erstbeklagten Partei und den drei klagenden Parteien, weshalb insoweit ein endgültiger Kostenausspruch mit einem Streitgenossenzuschlag von 15 % erfolgen konnte.

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